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#4 Das Einspielen
ОглавлениеBevor ein Tischtennismatch beginnt, stehen zunächst die obligatorische Begrüßung und dann das Einspielen auf dem Programm. Bereits beim Händeschütteln lassen sich anhand des Verhaltens der Spieler erste Vorhersagen über den weiteren Verlauf des Spiels treffen. Folgende Typen sind schon vor dem Match eindeutig zu identifizieren:
Der grobe Aggressivling – nimmt die Hand seines Gegners in den Schraubstock und taxiert ihn mit weit aufgerissenen Augen. Bereits während des Einspielens versucht er, direkt die ersten Punkte zu erzielen. Er wird später gnadenlosen Topspin-Angriff spielen.
Der joviale Schwätzer – stellt sich zunächst mit Vor- und Nachnamen vor und philosophiert anschließend noch über das Wetter während er ausgiebig die Hand seines Gegenübers schüttelt. Seinen Monolog führt er während der ersten lockeren Ballwechsel auch fort und kann nur unterbrochen werden, indem man ein paar Angriffsbälle links und rechts neben ihm einschlagen lässt – er muss dann zunächst nämlich den Ball holen. Ob er gewinnt oder verliert, ist ihm offenkundig völlig egal.
Der Griesgram – meist älteren Semesters, bringt kaum die Zähne zum Gruß auseinander. Anscheinend stört ihn dieses Match in seiner gemütlichen Feierabend-Gestaltung – das zahlt er seinem Gegner aber auch heim. Er spielt oftmals Noppen, klar.
Der Unsichere – blickt beim Händeschütteln betreten zu Boden und wäre offenkundig lieber ganz woanders als in dieser Sporthalle. Beim Einspielen übt er schon einmal fleißig das Ballaufheben. Er wird später insgesamt nur acht Punkte machen.
Der arrogante Uninteressierte – unterhält sich parallel noch mit den Zuschauern. Er wird routiniert seinen Stiefel runterspielen und entweder klar gewinnen oder klar verlieren. Die Unterhaltung mit den Zuschauern führt er natürlich auch beim anschließenden Einspielen fort. Den Wechsel von Vor- auf Rückhand muss man ihm nahezu aufzwingen, er ist jedoch immer „bereit, wenn du es bist“. Und ob er die erste Angabe hat oder nicht – nichts könnte ihm gleichgültiger sein.
Der Hektiker – eilt an die Platte, ergreift die ausgestreckte Hand seines Gegners nur für einen Sekundenbruchteil und tut nach dem ersten Konter-Ballwechsel lautstark kund, dass er nun soweit wäre. Psychologische Botschaft: Allzeit bereit, ich mach dich platt! Während des Spiels wird man selber nur selten ruhig und konzentriert an der Platte stehen wenn er aus vollem Lauf seine Angaben macht.
Der Perfektionist – das krasse Gegenteil zum Hektiker. Er beginnt mit einem intensiven Händedruck und legt Wert auf Augenkontakt. Offiziell nur eine Minute Einspielzeit? Pah! Solange er nicht jede seiner 17 verschiedenen Schlagvarianten – erfolgreich – ausprobiert hat, sieht er sich nicht in der Lage, auch nur ansatzweise den ersten Satz zu beginnen. Außerdem ist dem Perfektionisten bei einer Einspielzeit von unter fünf Minuten immer noch kalt – nicht umsonst spricht er daher auch immer vom „Warmspielen“. Finden zwei dieser Experten zusammen, kann es schon einmal vorkommen, dass der Zähler mit einem launigen „Also ich wär dann soweit, Jungs“ die Einspiel-Vorstellung nach einer knappen Viertelstunde beendet. Während des Spiels hält der Perfektionist dann einige Male kurz inne, um per Trockenübung nochmal seinen Topspin-Schlag technisch sauber durchzugehen bevor es weitergehen kann.
Der Noppen-Spezialist – verwendet beim Einspielen entweder auf Vor- und Rückhand nur seine glatte Schlägerseite. Dann kann man zwar minutenlang ganz nett hin und her kontern, doch im Spiel kommen diese Schläge natürlich nie wieder zum Einsatz. Oder aber der Noppen-Mann gibt von Anfang an alles, was er hat. In diesem Fall kann man sich zwar bereits mit den erstaunlichen Flugeigenschaften seiner Bälle bekannt machen, an ein Einspielen im klassischen Sinne ist aber nicht zu denken. Wenigstens muss man so nicht erst bei einem 0:2-Satzrückstand feststellen, dass der Gegner vermutlich lange Noppen spielt.
Der Egomane – ebenfalls sehr unbeliebt zum Einspielen. Die Begrüßung hat er leider vergessen. Er legt Wert darauf, dass er in Ruhe einige Bälle anziehen kann, erst auf der Vorhand, dann noch auf der Rückhand. Dann noch ein paar Unterschnitt-Ballwechsel, um die Sicherheit und das Gefühl für den Ball zu bekommen. Und zum Abschluss will er noch zwei, drei Aufschlagvarianten probieren. Ist er endlich fertig mit seinem umfangreichen Programm und will das Spiel beginnen, ist die Überraschung groß, wenn der Gegner völlig eigennützig noch mehr Schläge üben möchte als die bisherigen Topspin-Blocks. Der Egomane wird sich im Verlauf des Spiels von allem und jedem abseits der Platte gestört fühlen, Kantenbälle des Gegners hat er jedoch leider nie gesehen.
Zusammengefasst stellt sich folglich jedem Tischtennis-Spieler die Frage, ob man nicht besser gänzlich auf Begrüßung und Einspielen verzichten sollte, um dem Gegner nicht freiwillig einen zu tiefen Einblick in die eigene Psyche und das eigene Schlagrepertoire zu gewähren. Andererseits: Nie wieder gelingt diese Vielzahl von spektakulären Stopps, Monster-Rettungstaten, tödlichsten Schnitt-Bällen und absoluten Wunderschlägen wie vor Beginn des eigentlichen Spiels. Wenn man anschließend schon klar verlieren muss, so hat man auf diese Art wenigsten zeigen können, dass man eigentlich sehr ordentlich spielen könnte – hätte einem der grobe Aggressivling nicht bei der Begrüßung direkt die Hand verstaucht.