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#8 Der zweite Satz

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Ehe man es sich versieht, ist der erste Satz schon weg – und so ganz genau hat man nicht mitbekommen warum eigentlich. Eventuell wird man noch in der Satzpause mehr oder weniger intensiv von seinen Mitspielern gecoacht, doch hinterher steht man doch wieder einsam am Tisch und muss es folglich auch alleine richten.

Klar ist, dass man vermutlich zu passiv agiert hat. Oder? Irgendwie hat man ja schon von Anfang an dem Gegner die Initiative überlassen und dann die Bälle nur abwechselnd links und rechts einschlagen sehen. Hat gerademal einen einzigen Angriffsschlag gespielt, mit eher mäßigem Erfolg. Also zu defensiv, logisch. Aber ist man nicht doch auch wieder ein wenig zu hektisch geworden, hat die Aufschläge schon direkt nach dem Ballaufheben aus einem Meter Entfernung zur Platte aus der Hand geschlagen und anschließend wahllos Attacken auf viel zu genau platzierte Bälle des Gegners versucht? Eben.

Wie dem auch sei, im nächsten Satz soll selbstverständlich alles besser werden, denn jetzt muss das Spiel gedreht werden. Entweder, weil man gegen den Blinden auf der anderen Seite wirklich noch nie verloren hat und heute auf gar keinen Fall damit anfangen will. Oder, weil der Gegner zwar sicherlich Favorit ist, heute aber schlagbar erscheint, man hat da so ein Gefühl. Oder aber, weil man sich ein weiteres Absinken des eigenen TTR-Wertes einfach absolut nicht mehr leisten kann.

So geht es frisch motiviert und viel optimistischer als es angebracht wäre in Satz zwei. Wie immer im Tischtennis gilt: Was nun passiert ist völlig unvorhersehbar, eine Begründung, warum es passiert, fällt keinem der Beteiligten ein und ohne eine detaillierte Videoanalyse des Tischtennis-Bundestrainers bleiben vermeintliche taktische Kniffe ohnehin im Dunkeln.

So hat man nach einem womöglich blamablen Auftaktsatz plötzlich den zweiten Durchgang mit Leichtigkeit gewonnen ohne auch nur irgendetwas dafür getan, geschweige denn geändert zu haben. Oder aber man hat nach einem völlig verschnarchten Beginn nun endlich „sein Spiel gespielt“ und es hat trotzdem nicht gereicht. Vielleicht hat man absichtlich taktisch umgestellt und spielt den Gegner nun penetrant auf der vermeintlich schwächeren Seite an – doch dieser freut sich, dass er endlich auch ein bisschen zum Rückhand-Training unter Wettkampfbedingungen kommt. Eventuell hat man gar unabsichtlich taktisch umgestellt, da man der eigenen mangelnden Fitness bereits Tribut zollen muss und nun überwiegend zu Standtischtennis übergegangen ist.

Andererseits soll es schon vorgekommen sein, dass man mit einem Mal gefühlte drei Ligen über seiner natürlichen Spielstärke agiert und sein plötzlich bemitleidenswertes Gegenüber klassisch aus der Halle prügelt – leider ein sehr seltenes Vergnügen. Und hinterher stellt man sich die Fragen aller Fragen im Kreisliga-Tischtennis: Warum eigentlich nicht immer so? Es würde doch sooo leicht gehen! Man müsste halt nur endlich mal anständiges Tischtennis spielen. Sich auf seine Stärken konzentrieren. Sein Ding konsequent durchziehen. Gegner, Ball und Spiel beherrschen. Eigentlich ganz einfach.

Ganz genau: Positiv denken! Optimistisch an die Sache herangehen! Denn mindestens 50% spielt sich im Sport mit den kleinen weißen Bällen bekanntlich im Kopf ab – die halbe Miete ist das aber noch lange nicht. Trotzdem hilft es manchmal schon, sich den guten Schlag einfach nur im Kopf vorzustellen. Oder sich daran zu erinnern, dass man ihn gestern im Training ja technisch einwandfrei hinbekommen hat – zumindest gegen den rüstigen Ü85-Vereinssenior. Doch grau ist alle Theorie.

Gut möglich, dass man bereits Mitte des zweiten Satzes resigniert feststellen muss, dass hier und heute wirklich kein Blumentopf zu gewinnen sein wird. Der Schweinebraten, der einen mittags in der Kantine so verführerisch angelächelt hatte, stellt sich nun als großer Fehler heraus. Das schnelle Feierabend-Bier vor der Halle hat die Sache auch nicht wirklich besser gemacht (oder war es einfach ein Bier zu wenig?) und nun steht man chancenlos da und muss sich ganz bitter von einem naseweisen Teenager vorführen lassen, der einen hinterher auch noch rotzfrech nach dem aktuellen TTR-Wert fragt.

Ganz anders ist natürlich die Situation, wenn man den ersten Durchgang trotz einiger Hänger doch für sich entscheiden konnte. Nun geht es frisch motiviert und jaja, blabla. Und wie immer im Tischtennis gilt: Was nun passiert ist völlig unvorhersehbar, etc. pp.

Gerade hatte man die Pappnase auf der anderen Seite des Tisches doch noch klar im Griff und diktierte hier das Geschehen beinahe nach Belieben – denkt man sich so, während der Gegner den Vorsprung auf sieben Punkte ausbauen kann. Und ehe man sich versieht und sich mental auf die neue Herausforderung einstellen konnte, dass das gegnerische Team doch keinen Ausfall als Ersatzmann geschickt hat, hat man sich den Satzausgleich schon eingefangen.

Möglicherweise ist man aber auch schlicht und einfach an der eigenen Übermotivation gescheitert: Nach drei erfolgreichen Angriffsbällen konnte man den Satzball in Durchgang eins mit einem so spektakulären Spielzug verwandeln, dass man nun den seit Jahren erhofften spielerischen Durchbruch und den damit verbundenen Aufstieg in Liga- und Vereinsrangliste ganz nah vor Augen wähnt. Drei Ballwechsel, zwei leichte Fehler, eine üble Fehlangabe sowie einen wild verschlagenen Elfmeter später hat man das Kapitel Durchbruch vorerst wieder abgehakt und Satz, Match, Saison-Bilanz, TTR-Wert und Karriere nehmen ihren üblichen Verlauf.

Außer an den Tagen, an denen es einfach läuft, wunderbar läuft sogar. Punkt um Punkt erkämpft und erarbeitet, ach was: erspielt man sich da. Topspin-Bälle gehen dorthin, wo sie geplant waren, Blocks sind tödlich und leichtfertige Fehler gehören der Vergangenheit an. Die Aufschläge des Gegners werden jederzeit entschlüsselt und die eigenen sind eine überaus effektive Waffe. Also: Die vier Netzroller und drei Kantenbälle hätte es sicherlich nicht gebraucht um auch den zweiten Satz nach Hause zu bringen. Zu überlegen – technisch wie taktisch – präsentierte man sich gegenüber dem offenkundig überforderten Kontrahenten. Gut, der jammerte von Anfang an über Probleme mit dem Syndesmoseband und faselte etwas von einem verschleppten Bandscheibenvorfall. Aber eine Mimose erkennt man schließlich schon von weitem, da macht einem nach 35 Jahren Tischtennis niemand mehr etwas vor. Und von wegen Syndesmoseband: Früher gab es solche Verletzungen überhaupt nicht. 2:0, völlig verdient, so sieht’s aus!

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