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Kapitel 3

COMMUNITY UND SZENE

Der moderne Parkour-Sport wurde durch Freundschaften entwickelt und geprägt. Dabei stand die gemeinsame Bewegung, die gegenseitige Herausforderung und der offene Austausch schon von jeher in seinem Fokus. Werte standen über Leistung, und die Inspiration über dem Gewinnen.

Fußend auf diesen Überzeugungen, ist so über die Jahre eine Kultur gewachsen, die vor allem eine begeisterte Community hervorgebracht hat, die sich selbst organisiert und definiert. Für sie ist Parkour mehr als nur ein Sport …

3.1Parkour: Ein Lebensstil

„Parkour ist mehr als nur ein Sport; es ist ein Lebensstil.“

Dieses Zitat hört man fast immer von Traceuren, wenn diese ihre Herzenssportart vorstellen und erklären dürfen. Sie sprechen fast poetisch über Parkour, und wie das Training ihren Lebensalltag, ihre Werte und ihre ganze Denkweise eingenommen und verändert hat. Begonnen bei der neuen Wahrnehmung ihrer direkten Umwelt, in welcher bedrückende Hindernisse zu spannenden Bewegungsmöglichkeiten wurden, über die neuerliche Auseinandersetzung mit sich selbst, bis hin zur Vernetzung mit Gleichgesinnten – teils weit über die eigenen Stadtoder Landesgrenzen hinaus.

Parkour formte ihre Weltanschauung und ihre Auseinandersetzung mit ebendieser.


© Georgij Sosunov

Abb. 7: Drei Traceure kundschaften neue Wege aus.

Während manche den Sport nun gar als Kunst verstehen, betonen andere vor allem die Freiheit, die ihnen Parkour geschenkt hat. Frei von gesellschaftlichen Konventionen, von den Regeln urbaner Architektur und von Institutionen, wollen sie ihren eigenen Weg bestimmen, indem sie die bekannten Gegebenheiten lernen, neu für sich zu definieren und zu nutzen.

Nicht selten scheinen ebendiese Menschen, die einmal eine derartige Sicht auf die Welt gewonnen haben, sie nicht mehr loslassen zu können. Eine Mauer wird für sie niemals mehr wieder „nur eine Mauer“ sein und auch soziale Werte, die mit Parkour einhergehen, wie Toleranz oder Nachhaltigkeit, werden ihr Leben fortan begleiten.

Aber nicht nur die eigene Entwicklung steht für viele Sportler im Vordergrund. Sie engagieren sich auch in der Parkour-Vermittlung, tauschen sich bei Reisen aus, organisieren ganze Events, gründen eigene Modemarken oder erstellen Filme und Videos für Gleichgesinnte. Authentisch und unabhängig wollen sie gemeinsam den Sport gestalten und definieren ihre Zugehörigkeit vor allem durch ihre aktive Teilhabe in der Gemeinschaft.

Diese Eigenschaften machen Parkour damit unter wissenschaftlichem Aspekt zu einem sogenannten Lifestylesport (Wheaton, 2013; Gilchrist & Wheaton, 2016) und ihre Teilnehmer zu einer Szene (Hitzler, Bucher & Niederbacher, 2001). Dabei tauschen sich die Aktiven über ein bestimmtes Thema aus, definieren und identifizieren sich damit und entwickeln es schließlich weiter. Altersklasse, Herkunft oder Geschlecht spielen dabei eine untergeordnete Rolle.

Ihr Sporttreiben wird für sie so tatsächlich zu ihrem Lebensinhalt und zu einem festen Bestandteil ihrer Persönlichkeit und ihres Selbstbildes.

3.2Die Organisation der Parkour-Szene

Kontakt zur Parkour-Szene stellt man heutzutage vor allem online her. Die Aktiven versammeln sich in Social-Media-Gruppen und Internetplattformen, verabreden sich dort und organisieren sich informell – also ohne regulierenden Rahmen (z. B. Verein oder Verband). Dabei tauschen sie sich aus, verabreden und inspirieren sich.

Um lokal aber eine höhere Kompetenz und eine einheitliche Adresse für Parkour bieten zu können, haben sich manche lokalen Gruppierungen auch örtlichen Sportvereinen angeschlossen oder haben selbst schon einen eingetragenen Verein (kurz: e.V.) gegründet.

Prinzipiell ist es heute durch Online-Suchmaschinen zudem recht einfach geworden, örtliche Gruppierungen ausfindig zu machen.

Ansonsten gilt für viele Traceure das „Kennst du einen, kennst du alle“-Prinzip, das durch die tief verwobenen Strukturen der noch überschaubaren Szene begünstigt wird. Demnach kann man oftmals einen schon bekannten Traceur nach Tipps oder Kontaktpersonen in anderen Städten fragen – mit einer recht hohen Chance auf Erfolg. Aber Vorsicht! Es gibt nicht nur eine Parkour-Szene!

Tatsächlich könnte man zwischen verschiedenen unterscheiden …

■private Gruppierungen (Freundeskreis/Kleingruppe);

■lokale Szenen (Stadt-/Kreisgebiet);

■regionale Szenen (Bundesland/Region);

■nationale Szenen (Nation);

■internationale Szenen (z. B. Kontinent);

■die globale Szene (weltweit).

All diese Subkategorien haben (mehrere) eigene Foren und Plattformen und organisieren sich teils höchst unterschiedlich. So ist der Szenebegriff eines einzelnen Traceurs durch seine eigenen Kontakte und sein eigenes Engagement auf entsprechender Ebene bedingt. Nur dort, wo er sich selbst einbringt und beteiligt, gehört er auch dazu.

Zwei Athleten können also von zwei verschiedenen Parkour-Szenen sprechen – je nachdem, in welchen Kreisen sie sich bewegen und austauschen.

3.3Szenetreffen

Treffen sich Traceure, dann geht es meistens um Training. Dazu organisieren sie sich aber nicht nur lokal mit anderen, sondern reisen auch zu großen Szenetreffen in andere Regionen der Welt!

Session

Traditionell verabreden sich die Traceure lokal zu freien, selbstständigen Trainingsmeetings (auch: Session). Diese sind geprägt durch ihren informellen Charakter und eine offene Struktur – ohne Trainer. Man tauscht sich aus und trainiert „auf Augenhöhe“. Jeder lernt vom anderen. Dabei werden Uhrzeit und Treffpunkt oftmals spontan ausgemacht. Stellenweise gibt es aber auch regelmäßige Angebote, die wöchentlich oder monatlich zu festen Terminen stattfinden.


© Georgij Sosunov

Abb. 8: Eine Session ist ein Treffen unter Gleichgesinnten.

Ähnlich wie beim Skateboarden bleiben die Traceure dabei meist an bestimmten Spots (dt.: Trainingsstelle). Dort trainieren sie dann zu Beginn erst einzelne Bewegungen, spielen etwas oder tüfteln an Herausforderungen, um sich an die Umgebung zu gewöhnen. Später werden dann vielleicht Runs (dt.: Läufe) zusammengesetzt oder an Kombinationen gewerkelt.

Das medial regelmäßig verbreitete Bild von Parkour-Läufern, die einfach geradeaus durch die Stadt sprinten, stimmt so also nicht. Ohne das Testen von Materialfestigkeit, Landeflächen oder kreuzenden Straßen wäre das auch viel zu gefährlich!

JAM

Über seinen persönlichen oder lokalen Kreis hinaus trifft man sich in der Szene dann klassisch auf sogenannten JAMs (wörtlich übersetzt: Marmelade). Ursprünglich aus der Musik stammend, bedeutet das ein Zusammenkommen von unterschiedlichsten Personen und die Vermischung ihrer Stile und Gedanken. Inhaltlich steht im Parkour dabei klassischerweise ein freies, kaum strukturiertes Training im Vordergrund.

Die Gäste finden zusammen und lassen sich vom Geschehen des Tages leiten. Kommunikation, Austausch und Gemeinschaft gelten dabei als die zentralen Komponenten.


© Moritz Hofmeister

Abb. 9: Zwei Traceure beim gemeinsamen Austausch auf der „RuhrJAM“

Event

Moderne, professionalisierte und akribisch organisierte Veranstaltungen kann man dagegen auch als Parkour-Events unterscheiden. Dabei gibt es oft geregelte Übernachtungsmöglichkeiten, geleitete Workshops und Spottouren oder, heutzutage, auch Wettkämpfe.

Innerhalb der Trainierenden wird aber alles einfach JAM genannt – das ist effizienter.


© Moritz Hofmeister

Abb. 10: Die „RuhrJAM“ in Mülheim a. d. R. ist eines der größten Parkour-Events in Deutschland.

Wettbewerbe

Wettbewerbe – in der Szene Competitions genannt – sind inzwischen zu einem Teil des modernen Parkour-Sports geworden. Doch das war nicht immer so.

Da sie dem ursprünglichen Wert der Konkurrenzfreiheit widersprechen und ihren Fokus meist auf Darstellung und Athletizismus, anstatt auf Inklusivität und Teilhabe legen, werden sie vor allem unter wertorientierten Traceuren eher kritisch betrachtet. Diese sehen durch den Fokus auf das Spektakel das eigentliche Image von Parkour gefährdet, welches Bewegungsfreude für jedermann propagiert, und sehen folglich auch die authentische Vermittlung in Gefahr, wenn Stereotype und Fehlinformationen ihre Arbeit erschweren.

Auf der anderen Seite bieten Wettbewerbe vielen Athleten jedoch die Möglichkeit und Perspektive, von ihrer Leidenschaft zu leben, Parkour in ihren eigenen Nationen durch Sponsoren- und Fördergelder zu entwickeln und sich auch durch persönliche Herausforderungen und Erfahrungen selbst zu fordern und zu entfalten.

So gesehen, bieten diese wettbewerbsorientierten Veranstaltungen eine dienliche Plattform, um sich innerhalb der Parkour-Welt zu etablieren, eine gewisse Reichweite zu erwirtschaften und schließlich lokale Geldgeber davon zu überzeugen, in den Parkour-Sport zu investieren. Auf diese Weise können Wettkampfathleten, neben der individuellen Persönlichkeitsentwicklung, auch ihren regionalen Communitys helfen.


© Peter Spoelma

Abb. 11: Ein Athlet bei der „NK SpeedStyle FreeRunning“-Competition in den Niederlanden

Heutzutage ist die Diskussion, ob und wieso Wettkämpfe wünschens- oder verachtenswert für den Sport sind, etwas leiser geworden. Vielmehr besteht aktuell eher das Interesse darin, Formate zu entwickeln, die sowohl den Wettkampfathleten eine Plattform bieten können – welche auch für Zuschauer und potenzielle Geldgeber interessant ist –, während parallel die Werte des Parkour-Sports auch glaubhaft dargestellt und vermittelt werden können. Ein salomonischer Mittelweg quasi.

An dieser Herausforderung versuchen sich zurzeit diverse Parkour-Organisationen. Sie entwickeln verschiedenste Veranstaltungen und Programme für deren Teilnehmer und Zuschauer. Genereller Konsens unter ihnen ist dabei, dass die Organisation und Durchführung solcher Events nur von, für und mit authentischen Athleten funktionieren kann. Externe Interessenten tun sich daher meist schwer und treffen nicht selten auf starken Widerstand aus der gut vernetzten Szene. Die Traceure wollen ihre Eigenständigkeit nur ungern einer außenstehenden Institution unterordnen.

WETTBEWERBE

Eine kurze Auflistung bekannter Argumente für und gegen Parkour-Wettbewerbe sowie die drei verbreitetsten Formate finden Sie per QR-Code-Scan hier:

https://download.m-m-sports.com/extras/parkour/01_Parkour_Wettbewerb.pdf


© Dennis Karotsch

Parkour

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