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Die Entmündigungs-Kommission begibt sich zum König, ihre Verhaftung und Flucht.

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Am 9. Juni 1886 nachmittags begab ich mich zu meiner Familie nach Starnberg, wo sie auch in diesem Jahre ihren Aufenthalt genommen hatte. Die für die Entmündigung durch den Prinzen Luitpold eingesetzte Kommission sollte denselben Nachmittag auf dem Weg über Oberndorf nach Hohenschwangau abreisen. Die Nachricht von der Entmündigung des Königs war also am nächsten Vormittag zu erwarten.

Das tiefe Geheimnis, in das sich die Regierung bezüglich ihres Schrittes hüllte, war in München nicht völlig bewahrt geblieben. Auf dem Bahnhof, bei meiner Abfahrt nach Starnberg, flüsterte mir der Zeitungsverkäufer zu. "Dort steht der Extrazug. Heute reisen sie zum König." Ich fragte, was man beabsichtige? Der Mann schwieg, er wußte es nicht. Soweit ging im allgemeinen das Verständnis. Man wußte, daß "etwas" im Werke war.

Die Kommission bestand aus dem Minister des königlichen Hauses und des Äußern Freiherr von Crailsheim, dem Oberstallmeister Graf Holnstein, dem Reichsrat Grafen von Törring-Seefeld, dem Legationsrat Dr. von Rumpler, dem Oberstleutnant a. D. Freiherrn von Washington (der dem König nach seiner Entmündigung als diensttuender Kammerherr und Begleiter zugeteilt werden sollte) und den Ärzten, Spezialisten für Psychiatrie, Dr. von Gudden und Müller. Außerdem begleiteten die Kommission vier Irrenwärter. Obermarschall Baron Malsen begleitete die Kommission bis Oberndorf, begab sich aber von hier nach der königlichen Villa Elbingeralp zu der unglücklichen Königin Mutter, um ihr von den Schritten zu berichten, die gegenüber ihrem Sohne notwendig geworden waren.

Es war nicht leicht gewesen, die Kommission zusammenzusetzen. Nicht nur gehörte persönlicher Mut zu der schwierigen Aufgabe, sondern auch der Mut, der öffentlichen Meinung zu trotzen, die die Handlungsweise der Kommission für unvereinbar mit den Pflichten treuer Diener gegen ihren König hielt, selbst wenn man den Vorgang an und für sich nicht verurteilen konnte. Jedenfalls wäre der Standpunkt einer Ablehnung, an der Kommission teilzunehmen, berechtigt und verständlich gewesen.

Herr von Crailsheim, mit dem ich zum Erstaunen von ganz München seit Jahren intim bekannt bin – denn an seinem kalten, höflichen Wesen gleiten gewöhnlich alle diejenigen ab, die ein Bestreben haben, ihm näher zu treten –, ist ein jungaussehender Mann von größerem Fleiß und größerer Arbeitskraft als irgendeiner in seinem Ministerium. Sein Verstand ist angenehm ruhig und überlegt.

Über den Oberstallmeister Graf Holnstein läßt sich mehr sagen. Denn er ist der politische Aventurier nach Art des achtzehnten Jahrhunderts, dem die geordneten Verhältnisse unseres modernen Staatslebens nicht passen, und der deshalb auch nur auf dem ungeordneten Boden des bayerischen Hofes zur Zeit König Ludwigs II. Erfolge haben konnte. Er stammt aus einer Familie , in der die Abenteuer zu Hause sind. Selbstmord, Zweikampf, Entführung usw. wechseln in bunter Folge.

Auf König Ludwig hatte er zunächst durch sein anziehendes Äußere gewirkt: er war ein blonder, frischer Mensch von munterem Wesen. Das Wohlgefallen des Königs nutzte er in weitgehendster Weise aus. Er stieg schnell zum Oberstallmeister und Oberjägermeister und hielt sich in seiner Stellung, indem er dem König einerseits durch seine Neigung zu Gewalt Furcht einflößte, anderseits ihm durch seine Gewissenlosigkeit bequem war. Der König brauchte einen Mann, der keine Schwierigkeiten kannte, aus allen Verlegenheiten Auswege wußte und ihm freundlich lächelnd seine goldenen Wagen baute. Einen Mann, der auf die höchste Alphütte goldene Möbel bringen ließ, wenn "Ludwig XIV." daselbst soupieren wollte.

Holnsteins Bedeutung für Deutschland lag darin, daß er im Jahre 1870 Ludwig II. bewegte, König Wilhelm die Kaiserkrone anzutragen. Er hätte allerdings wohl auch unter Umständen den König Frankreich in die Arme getrieben, wenn dieses Land damals in München einen Mariani zum Vertreter gehabt hätte.

Durch seine Ehe mit der einzigen Tochter der Baronin Gumppenberg (einer Tochter aus morganatischer Ehe des Prinzen Karl von Bayern) war Graf Holnstein zu viel Vermögen gekommen.

Bei allen hier ausgezählten Eigenschaften halte ich Holnstein doch für einen Menschen von nicht erloschener weicher Empfindung. Er könnte vielleicht auch als Typus eines Slawen gelten.

Ich bin völlig davon überzeugt, daß der Kampf, an König Ludwig den Judas zu spielen, ein großer in ihm gewesen ist und daß er in einem Gefühl von Dankbarkeit und Zugehörigkeit gelitten hat. Persönlich habe ich mich von ihm ziemlich ferngehalten. Seine politische Bedeutung für Deutschland und Preußen lag hinter ihm, als ich nach München kam – und menschlich hatte ich keine Berührungspunkte mit ihm.

Das dritte Mitglied der Kommission, der Reichsrat Graf Törring-Seefeld, ist ein vornehmer, langweiliger, magerer Mann von nüchternem Verstand. Das Motiv, sich der Kommission anzuschließen, lag wohl, wie bei den beiden anderen, nicht nur in der Absicht, das sinkende Schiff rechtzeitig zu verlassen, sondern auch sofort das neue Admiralschiff zu besteigen, und zwar hatte er den Wunsch, sich auf Grund einiger Urkunden in den Kreis der bayerischen Standesherren erheben zu lassen. Er wurde darin von seiner ebenso hochmütigen wie originellen Gattin – geborene Gräfin Paumgarten – eifrig unterstützt. Es ist dieses die Frau, die im Jahre 1871 mit französischen gefangenen Offizieren in ihrem Palais "à une bonne revanche" angestoßen haben soll.

Baron Washington ist ein großer, starkknochiger, ehrlicher und sehr einfacher Mann, der aus pekuniären Rücksichten die dornenvolle Stellung des Kammerherrn angenommen hatte, die man ihm antrug.

Legationsrat Dr. Rumpler aus dem Ministerium des Äußern trägt den Kopf mit den straffen Haaren und das bebrillte, glatte, blasse Gesicht tief in den Schultern – er gleicht einem gutmütigen Mephistopheles. Ich kenne ihn persönlich wenig. Hingegen war mir Medizinalrat Dr. von Gudden gut bekannt. Als Vorstand der "zwanglosen Gesellschaft", der ich als Mitglied angehöre, hatte ich Gelegenheit, diesen hervorragenden, liebenswürdigen und klugen Mann kennenzulernen. Er genoß als Irrenarzt einen großen Ruf, und sein ruhiges, klares Wesen war, wie der sanfte, stete Blick seiner Augen, wohl dazu angetan, besänftigend auf seine irren Patienten einzuwirken. Er war ein sehr großer, starker, blonder Mann. Die Treuherzigkeit eines großen Hundes lag in seinem Wesen.

Sein Assistenzarzt Dr. Müller, der den seit langen Jahren wahnsinnigen Prinzen Otto, den einzigen Bruder des Königs, behandelte, war mir vor dem Eintritt der Katastrophe nicht persönlich bekannt.

Ich hatte am 9. Juni in Starnberg wenig Ruhe, denn wir standen vor einem Ereignis, das Bayern in die größte Wirrnis stürzen konnte. Die Partei des Königs war trotz seines Wahnsinns stark genug, um dem Ansinnen des Prinzen Luitpold mit Gewalt entgegenzutreten –, wenn der König die Energie finden sollte, nach München zurückzukehren und in einer Proklamation sich an sein Volk zu wenden.

Am 10. Juni, in frühester Morgenstunde, klopfte mein Diener an die Tür meines Schlafzimmers. "Herr Bahnhof-Inspektor Hartmann wünscht den Herrn Grafen einen Augenblick zu sprechen"; sagte er. Ich sprang in dem Bewußtsein, daß nur eine ernste Nachricht Hartmann bewegen konnte, so früh zu kommen, eilig aus dem Bett.

"Die ganze Kommission ist vom König eingekerkert und mit dem Tode bedroht", teilte er mir in großer Erregung mit, "der ganze Schwangau ist in Aufruhr, die Baronin Truchseß läßt in Hohenschwangau Sturm läuten –, von den Bergen strömen immer neue Bewaffnete zu. Ich habe die Depeschen, die Starnberg passierten, gelesen und teile Ihnen trotz Verbotes das Faktum mit, da die Folgen unabsehbar sind und Sie in Berlin zeitig Bescheid haben müssen."

Ich dankte dem gut deutsch gesonnenen Manne, mit dem ich seit meinem alljährlichen Aufenthalt in Starnberg in den besten freundschaftlichen Beziehungen stand, kleidete mich eilig an und fuhr mit dem nächsten Zug nach München, wo ich dem Gesandten Graf Werthern Mitteilung von dem Ereignis machte und für eine Meldung nach Berlin Sorge trug. Die Stadt war völlig ruhig – noch war kein Gerücht von der Einkerkerung der Kommission in das Volk gedrungen. Prinz Luitpold nur befand sich in seinem Palais in unbeschreiblicher Erregung.

Ich erfuhr später, daß der Prinz völlig fassungslos gewesen sei und nur schwer zu bewegen, die Proklamation von der Regentschaftsübernahme zu erlassen. Auf die dringende Vorstellung des Ministers von Lutz war dieses schließlich geschehen, so daß, als ich München nach einigen Stunden wieder verließ, die Proklamation an den Straßenecken angeschlagen wurde. Zahllose Menschen standen in Gruppen auf den Straßen, das Ereignis der Regentschaftsübernahme besprechend, dessen Tragweite sie bei Unkenntnis von der Verhaftung der Kommission nicht einmal in seiner ganzen Bedeutung ermessen konnten.

Bei aller Gefahr trug die Einschließung der Abgesandten einen unwiderstehlich komischen Zug für den nicht Beteiligten. Nachdem durch Monate hindurch in Hangen und Bangen das Ereignis der Entmündigung des Königs vorbereitet und nach allen Richtungen erwogen worden war, zogen die sieben Schwaben aus und wurden gefangen! Vielleicht gar von der Baronin Truchseß!

Wer aber war diese seltsame Dame, die im Schwangau die Sturmglocken läuten ließ?

Es ist zum Verständnis der kritischen Lage, die eingetreten war, erforderlich, daß ich von der Persönlichkeit und dem Charakter der Baronin Esperanza von Truchseß-Wetzhausen, geborene von Sarachaga y Uria, zu der ich und meine Familie in sehr freundschaftlicher Beziehung stehen, einiges mitteile, ehe ich die sich überstürzenden, fast romanhaften Ereignisse der nächsten merkwürdigen Tage niederschreibe.

Ihre Großeltern Sarachaga, den vornehmsten baskischen Familien angehörend, gerieten bei dem napoleonischen Feldzug in Spanien in die größte Bedrängnis. Der Großvater verlor sein Leben in den Guerillakämpfen, und die Großmutter, die den Schutz eines französischen Generals, eines geborenen Badensers (dessen Name mir entfallen ist) angerufen hatte, wurde von diesem mit ihren Kindern nach Karlsruhe geschickt, da Spanien für die Sicherheit der Familie keine Garantie gab. Nach Beendigung des Krieges heiratete der General die Witwe, und die Kinder Sarachaga erhielten ihre Erziehung in Baden.

Sein Sohn, der Vater der Baronin, trat in militärische Dienste und war als eleganter schöner Offizier eine bekannte Persönlichkeit in Karlsruhe. Er vermählte sich mit der Tochter des russischen Gesandten, Fürsten Lobanow, und dieser Ehe war die Baronin Esperanza entsprossen. In jenes berühmte Duell, das über Deutschlands Grenzen hinaus Aufsehen erregte, wurde auch Sarachaga verwickelt. Der jüdische Bankier Louis von Haber hatte sich öffentlich der Gunst der Großherzogin Stephanie von Baden (geb. Beauharnais- Leuchtenberg, Adoptivtochter Napoleons I. gerühmt. Zum Beweis seiner Behauptungen sollte die Großherzogin an einem bestimmten Ballabend ein Bukett tragen, das er hatte binden lassen. Als die Großherzogin den Saal betrat, hielt sie in der Tat das Bukett in der Hand. Infolge dieses Ereignisses entstand eine Reihe blutiger Duelle, die verschiedene Opfer forderten. Unter diesen befand sich auch der Vater der Baronin Truchseß, Sarachaga.

Nach seinem Tode verließ die Witwe mit den Kindern Karlsruhe, um fortan in Petersburg, im Palais ihres Vaters Lobanow, zu leben. Hier war es, wo Baron Truchseß, der bayerische Gesandte am Hofe des Zaren, Fräulein Esperanza heiratete .

Baronin Truchseß – im Jahre 1886 einige vierzig Jahre alt – ist eine anziehende Erscheinung. Ihr gutes Herz, ihr edler Charakter und ihre feine Bildung gestalten den Verkehr mit ihr sehr angenehm.

Das Unglück ihres Lebens ist ihre Kinderlosigkeit. Von dem Bedürfnis beseelt, Gutes zu tun und ihren Nebenmenschen Liebe zu erweisen, blieb ihr doch das Höchste: die Liebe zum eigenen Kinde – versagt. Unter dieser Sehnsucht litt sie, diese Sehnsucht regte sie auf. Physisch aber wurde die Kinderlosigkeit noch verderblicher für sie. Blutandrang nach dem Gehirn verdunkelte zuweilen ihr Bewußtsein, und dann nahmen ihre Gedanken einen besonderen Weg: es war eine abgöttische ideale Liebe für ihren König Ludwig, die sie während solcher Stunden krankhaft beherrschte. Vermied man es jedoch, von ihm zu sprechen, so war die Unterhaltung normal und ruhig, ohne jegliche Absonderlichkeit.

Unendlich viele erregbare Frauen waren, wie sie, dem Zauber dieses einsamen Märchenkönigs verfallen, dessen schöne Züge allenthalben im Bildnis sichtbar waren, der selbst aber nur, geisterhaft, des Nachts erschien, im Wagen vorübereilend.

Bei einer Fahrt des Königs, morgens von München auf dem Weg nach Schloß Berg, sah auch ich ihn – (das einzige Mal, das ich ihn lebend sah) – als der Kutscher an der engen Biegung der Straße bei Starnberg genötigt war, langsam, fast Schritt zu fahren. Das war im Herbst 1885. Ein schwerer Tuchmantel hing auf seinen Schultern, auf dem großen schwarzen Kalabreser-Hut glänzte die Diamant-Agraffe. Wie der "Fliegende Holländer" sah er aus, als er den Hut zum Gruß hob und die bleichen, schönen Züge, die dunklen großen Augen sich mir entgegenwendeten. Auf dem Bock saß ein Soldat eines Cheveauxleger-Regiments, die Mütze auf dem Kopf, doch ohne Säbel an der Seite. Er hielt ein Bukett in den Händen, und auf den vorgestreckten Füßen steckten buntgestickte Hausschuhe –, denn der König ertrug nicht den harten Laut des Soldatentritts in seiner Nähe.

Alle die hundert Erzählungen von der Liebe des Königs für geheimnisvolle Frauengestalten sind völlig erfunden. Eine Abneigung muß ihn von jeder Frau getrennt haben, denn es ist auch Tatsache, daß jener erste Kuß, den seine Braut, seine schöne Kusine, Herzogin Sophie von Bayern (Schwester der Kaiserin Elisabeth von Österreich und später Gattin des Herzogs von Alençon, die jämmerlich bei einem Brande in Paris 1897 umkam), ihm auf der Roseninsel im Starnberger See gab, die Veranlassung der Trennung von ihr wurde.

Wir kehren nun zu der Kommission zurück, deren Schicksal mir frühmorgens am 10. Juni von meinem Freunde Hartmann mitgeteilt war.

Der Spott und Hohn, der sich nach dem nicht mehr zu verbergenden Mißgeschick der Kommission allerorts in den nächsten Tagen über die unglücklichen Abgesandten ergoß, war dennoch nur zum Teil gerechtfertigt. Denn jene Bedingungen des Prinzen Luitpold, "daß der König als erster die Nachricht von der Regentschaftsübernahme erhalten müsse", hatte dem Staatsministerium die Hände gebunden. Das Ministerium war deshalb nicht in der Lage gewesen, durch Mitteilung an die Bezirksämter und Gendarmerie die Aktion zu sichern.

Der Vorwurf der Unachtsamkeit mußte aber dennoch, wenn auch in anderer Beziehung, die Abgesandten auf das schärfste treffen.

Ich komme darauf später zurück.

Die Lage in Bayern war durch dieses Ereignis plötzlich eine äußerst kritische geworden. Wie ich oben bemerkte, lag die Gefahr nahe, daß die Parteien des Königs und des Prinzen Luitpold in gewalttätigen Gegensatz gerieten. Sogar die Gefahr einer Spaltung in der Armee war nicht ausgeschlossen.

Da nun der Brennpunkt der kritischen Situation im Schwangau zu suchen war, erklärte ich meinem verehrten Chef und Freund, dem Grafen Werthern, ich wolle mich schnell incognito dorthin begeben, um unsere Regierung mit sicheren Nachrichten versehen zu können. Er gab mir seine Zustimmung, doch nicht ohne mich zu warnen, da der "Preuße" in dem Kreise aufgeregten Bergvolkes seines Lebens nicht sicher sei.

Ich verabredete eine Chiffre mit ihm, indem wir uns zwei gleicher Broschüren bei Absendung von Depeschen bedienen wollten. Dann verließ ich München, um mich über Peißenberg nach Hohenschwangau zu begeben. In Starnberg verabschiedete ich mich von den Meinigen.

Ein kleines Fuhrwerk führte mich von Peißenberg nach Hohenschwangau, wo ich in der Nacht einzutreffen gedachte. Der Kutscher wußte nichts von den Vorgängen in dem Schloß zu Schwanstein; aber Landleute, die uns begegneten, erzählten, daß man im Lande unruhig sei. "Es soll dem König etwas geschehen."

Der Kutscher wußte mir nur mitzuteilen, daß der junge Graf von Steingaden (Graf Dürkheim) vor einigen Stunden nach Hohenschwangau gefahren sei.

So hatte ihn also der König gerufen. Ich erinnerte mich mit Schrecken unserer Unterhaltung im Eisenbahnkupee vor einigen Tagen. Jetzt war Dürkheim in der Lage, die Rolle zu spielen, von der er träumte! Das bedeutete unzweifelhaft eine Verschärfung der Lage.

Als ich eine Zeitlang gefahren war, hörte ich auf der in Serpentinen ansteigenden Straße im Walde über mir ein Fuhrwerk, das schnell nahte, und gleich darauf bog ein großer Break von vier Füchsen gezogen und von einem königlichen Kutscher geleitet in schärfstem Tempo um die Ecke. Die Füchse, schweißtriefend, zogen den gehemmten Wagen den Berg hinunter, und zu meinem Erstaunen gewahrte ich die gesamte Kommission bleich und ernst darin. Ich hielt und begrüßte die gleichfalls haltenden Herren nicht ohne ein Gefühl der Verlegenheit, brach aber der etwaigen Annahme, daß ich als Spion auf dem Wege sei, die Spitze ab, indem ich den Herren mitteilte, wie die preußische Gesandtschaft zu eng mit den Interessen der hiesigen Regierung verwachsen sei, um sich nicht persönlich überzeugen zu müssen, welches das Schicksal der bedrohten Abgesandten sei.

Die Herren dankten mir und erzählten auf dem gemeinschaftlich zurückgelegten Heimweg die Ereignisse der verflossenen Nacht bis zu dem Augenblick ihrer Flucht.

Die Gefahr, in der sie sich befunden hatten, stand auf ihren Zügen eingegraben. Der Hunger tat das seinige dazu, um die bleichen Gesichter zu verzerren. Denn von dem Moment der Einschließung in der Nacht bis jetzt – es war sechs Uhr abends – hatten sie nichts genossen. In den Ortschaften auf dem Wege zur Bahnstation aber war es nicht möglich einzukehren, denn drohend standen die Hausbewohner an den Türen. Noch in Peißenberg traten wir mit Vorsicht in das Gasthaus in der Nähe der Bahn – in eine gewöhnliche Bauernschenke. Nur Rührei war vorhanden, aber es erglänzten die Augen der hungernden Großwürdenträger, als die dicke Wirtin das einfache Mahl gerichtet hatte.

Mit dem Genuß der Eierspeise trat eine gewisse Ruhe der Anschauung ihrer Situation ein. Bisher standen alle Abgesandten, ohne Ausnahme, unter dem Eindruck des Schreckens, den sie durchlebt hatten. Nur Herr von Crailsheim hatte tapfer, wenn auch blässer als gewöhnlich, seine alte Ruhe bewahrt.

Die Nerven der Herren waren noch so abgespannt, daß sie bei der Darstellung ihrer Erlebnisse während unserer gemeinschaftlichen Rückreise nach München mit einer Lebhaftigkeit und Offenherzigkeit vorgingen, die unter normalen Verhältnissen sicherlich nicht vor mir hätte Platz greifen können.

Auf dem Perron des Bahnhofes in Peißenberg war es auch, daß ich zum letztenmal den von mir hochverehrten, liebenswürdigen Professor Gudden sprach, der drei Tage später in so tragischer Weise sein Leben verlor. In eingehender Weise schilderte er mir den geistigen Zustand des Königs. Das Resümé seiner Mitteilung war die Behauptung, der König sei völlig zusammengebrochen, man werde ihn nach Beseitigung der äußeren Hindernisse einfach in Empfang zu nehmen haben. Er sei unfähig, sich noch einmal aufzuraffen.

Aus dieser Darstellung des Krankheitszustandes ist bereits die Auffassung erkennbar, die Gudden dazu bestimmte, zwei Tage später, an dem verhängnisvollen Abend des 13. Juni, besondere Sicherungsmaßregeln außer acht zu lassen.

Ich fuhr mit Minister Crailsheim und Graf Holnstein bei dieser merkwürdigen Heimfahrt zusammen in demselben Eisenbahn-Abteil.

Eine meiner ersten Fragen war, weshalb die Herren, nachdem sie bereits nachts gegen zwölf Uhr in Schloß Hohenschwangau eingetroffen waren, sich erst um drei Uhr früh auf den Weg nach der Burg Schwanstein zum König begaben?

"Wir waren von Oberndorf in den Hofwagen vorausgefahren", sagte Graf Holnstein, "das Gepäck aber lag auf dem Postfuhrwerk. Da wir nun durchaus in Uniform vor dem König erscheinen mußten und diese Kleidungsstücke erst zwei Stunden später mit dem übrigen Gepäck anlangten, so waren wir gezwungen, zu warten." (!)

Ich schwieg zu dieser Erklärung, denn ich fand kein Wort für eine derartige Unachtsamkeit. Nachdem man in anerkennenswert diskreter Weise den Plan zur Entmündigung des Königs wochenlang geheimgehalten hatte, – nachdem die Abreise der Kommission in Hohenschwangau und der nahen Stadt Füssen absolut unbekannt geblieben war und die Überrumpelung des unglücklichen Königs vortrefflich eingeleitet schien, fällt der ganze Aufbau des Planes zusammen, weil die Herren ihre Uniformen im Koffer haben.

Dr. Müller schildert in seiner Broschüre. "Die letzten Tage König Ludwigs II." die Art, wie dem König das Faktum von seiner Thronentsetzung mitgeteilt werden sollte.

"Gudden stellte sich dies folgendermaßen vor: Zuerst würden die Staats- und Hofbeamten vor den König hintreten und ihm die Erklärung von der durch seine Erkrankung bedingten Übernahme der Regentschaft durch den Prinzen Luitpold vorlesen; dann trete Gudden mit mir und den Pflegern ein und teile dem König mit, daß die ärztliche Behandlung nun ihren Anfang nähme; Majestät würde gebeten, in den bereitstehenden Wagen einzusteigen und mit nach dem Linderhof fahren, welcher als vorläufiger Aufenthalt ausersehen sei. Guddens weitere Vorschläge beim Souper gingen dahin: Zwei Pfleger sollten mit dem König und ein dritter auf dem Bock desselben Wagens fahren, der eine von uns Ärzten führe voraus, der andere hinterdrein. Gerade über den letzten Vorschlag wurde viel gesprochen, und es wurden Bedenken laut, ob es tunlich sei, dem König das Wartepersonal in den Wagen hinein mitzugeben, und schließlich einigte man sich dahin, der König solle allein bleiben, auf dem Bock könne ja ein Pfleger sitzen, und zur besseren Beaufsichtigung schiene es geraten, wenn während der ganzen Fahrt ein Reitknecht des Königs neben dem Wagenschlag herritte. Gudden erklärte sich mit diesen Vorschlägen einverstanden, äußerte aber, es können ja Fälle eintreten, die unvorhergesehene Maßregeln erheischten, und für diese Fälle müsse er freie Hand behalten."

Dr. Müller fährt nun fort, indem er die Versäumnis der Abgesandten – das Warten auf ihre Uniformen! – als ein beabsichtigtes Zögern darstellt. "Ungefähr um drei Uhr in der Frühe wurden wir alarmiert, wir sammelten uns im Schloßhof und fanden dort dieselben Hofwagen, die uns von Oberdorf herübergebracht hatten. Außerdem stand der für den König bestimmte Reisewagen bereit. Wir fuhren eher von Hohenschwangau ab, als vorgesehen war. Man hat mir erzählt, ein Stallbediensteter des Königs hätte ihm die Anwesenheit der Kommission verraten und so den verfrühten Aufbruch veranlaßt. Es liegt nicht in meiner Befugnis, darüber nachzuforschen, inwieweit diese Erzählung auf Wahrheit beruht."

Ich fragte während unserer Rückfahrt von Hohenschwangau nach München im Kupee den Grafen Holnstein: "Wer hat dem König Ihre Ankunft verraten?" "Ein Stalldiener", sagte er – "und die verrückte Person, die Truchseß."

Ich erfuhr später bei einem Besuch in Hohenschwangau von der dicken Wirtin des Gasthauses "Zur Alpenrose", daß der Kutscher Oberholzer die erste Nachricht von der Ankunft der Kommission dem König überbracht habe.

Oberholzer, des Königs Leibkutscher, der ihm besonders treu ergeben war, hatte, unmittelbar nach dem Eintreffen der Abgesandten, vom Grafen Holnstein den Befehl erhalten, den Reisewagen des Königs nach Angabe der Krankenwärter herzurichten. Dieses geschah, indem mit starken Stricken eine Tür und die Fenster verschnürt wurden; die andere Tür wurde aber so eingerichtet, daß nach dem Besteigen des Wagens ein Strick auch diese verschließen konnte.

Die traurige Arbeit, die Oberholzer weinend verrichtete, fand bei dem Stall unten an der Landstraße statt – so öffentlich, daß die allmählich alarmierten Bewohner von Hohenschwangau sie sehen konnten. Zugleich aber beging einer der Irrenwärter die grobe Ungeschicklichkeit, auf dem Schloßhof in Hohenschwangau eine Flasche fallen zu lassen, deren Inhalt beim Bersten einen betäubenden Geruch ausströmte.

Wie ein Lauffeuer ging es nun von Mund zu Mund, daß man nicht nur den König entführen, sondern ihn betäuben, wenn nicht gar töten wolle. Da nun aber, nach Beendigung der Vorbereitungen für den Transport des Königs, die Uniformen der Herren Abgesandten nicht angelangt waren, blieb der verschnürte Reisewagen des Königs unangespannt stehen, und Oberholzer fand Zeit, nach Schwanstein, hinauf zum König, zu laufen, um ihm das beabsichtigte Attentat auf seine Freiheit zu melden. Er drang in das Schlafzimmer des Königs ein, weckte ihn und erzählte, was geschehen war.

Sofort gab der König den Befehl, daß die Gendarmerie niemand – wer es auch sei – in das Schloß einlassen dürfe, daß sie sich einem Eindringen, wenn nötig, mit Gewalt zu widersetzen habe.

Fast gleichzeitig mit Oberholzer aber war noch eine zweite Persönlichkeit zum König eingedrungen, die an jenem Tage des 10. Juni fast allein die Schuld trug, daß die Erregung der Bergbevölkerung einen außerordentlich leidenschaftlichen, gefährlichen Charakter annahm: unsere Freundin, Baronin Esperanza Truchseß!

Sie hatte für diesen Sommer, "um in der Nähe des Königs zu sein", eine Villa bei Hohenschwangau gemietet. Ihr Aufenthalt in Leoni, am Ufer des Starnberger Sees, wo sie im verflossenen Jahre Gelegenheit gehabt hatte, den König während seiner Fahrten in der Nähe des Schlosses Berg zu sehen, genügte ihr nicht mehr. Von der drohenden Entmündigung des Königs aber hatte sie wohl durch die Familie Dürkheim in Steingaden unbestimmte Kenntnis erhalten. Das hielt sie wach.

Fast unmittelbar nach Ankunft des Reisewagens, der die Kommission von Oberndorf brachte, war sie mit der dicken Wirtin des Gasthauses "Zur Alpenrose" nach Schloß Schwanstein aufgebrochen. Unbeirrt durch die Kette von Dienern, die den König umgab, drang sie in das Schloß und bis in das Vorzimmer des Königs.

Sie schob den diensttuenden Diener beiseite, öffnete die Tür und warf sich dem soeben angekleideten König zu Füßen.

"Mit meinem Leben werde ich Ew. Majestät schützen!" rief sie in höchster Erregung.

Der König veranlaßt sie aufzustehen, dankte ihr und sagte, daß er hoffe, sich selbst schützen zu können.

Die Baronin aber stürzte nun hinaus auf den Schloßhof und gab den Befehl, die Sturmglocken im Ort zu läuten, um die Floß- und Holzknechte, die Senner und Arbeiter aus den Bergen zu rufen.

Die Bewohner Hohenschwangaus und des Schlosses folgten dem Ruf der Baronin, deren Güte, Wohltätigkeit und Frömmigkeit weit und breit bekannt und verehrt war.

Auf das Sturmzeichen eilten nun von allen Höfen die Männer herbei, Sensen, Äxte, Gebirgsstöcke, Messer in den Händen – eine Schar wie in der Sendlinger Schlacht.

Während diese Bewegung lawinenartig anschwoll, waren endlich die ominösen Uniformen angekommen. Die Großwürdenträger legten diese an und begaben sich in Begleitung der Ärzte im Wagen zum Schloß Schwanstein hinauf.

Dr. Müller schreibt hierüber: "Gegen vier Uhr früh kamen wir in Schwanstein an. Es war eine traurige Fahrt, kalter Regen schlug uns ins Gesicht, schwere Nebel hingen über dem Wald. Es begann langsam zu dämmern. Schwanstein selbst mit seinen gewaltigen Quadern machte in dieser Waldeinsamkeit einen gewaltigen Eindruck. Aber trotz seiner Schönheit läßt es nicht verkennen, daß diese Unsumme von Türmchen und Zinnen Ausgeburten eines kranken Hirnes sind."

Als die Kommission durch das Tor an der Zugbrücke in den Schloßhof fahren wollte, standen Gendarmen mit gefälltem Bajonett davor.

Graf Holnstein, der eine militärische Uniform trug, versuchte die Gendarmen zu bewegen, die Kommission einzulassen. Es war vergeblich. Sie beriefen sich auf den bestimmten Befehl des Königs und drohten, von ihrer Waffe Gebrauch machen zu wollen, wenn die Herren darauf beständen, einzudringen. Nach einer peinlichen Stunde des Parlamentierens und Beratens, in dem Gefühl, mit ihrer bedeutsamen Mission gescheitert zu sein und in der Besorgnis, damit zugleich dem Vaterlande Wirren und Gefahren heraufbeschworen zu haben, trat die Kommission den Rückweg nach dem alten Schlosse Hohenschwangau an.

Dr. Müller schildert diesen Vorgang und die weiteren Geschehnisse folgendermaßen:

"Die Verhandlungen am Schloßportal nahmen geraume Zeit in Anspruch. In der Zwischenzeit fiel uns eine Dame auf, die fortwährend rief, sie wolle zum König, sie würde ihn retten. "Herr von Gudden, ich will meinen König schützen." Es war, wie sich bald herausstellte, eine Dame aus den besten Münchener Kreisen, die periodisch geisteskrank war und auch schon früher von Gudden behandelt worden war. Da es nicht gelang, die Dame zu beruhigen und ebensowenig, ihre Begleiterin zu veranlassen, mit ihr wegzugehen, so mußte man sie schließlich gewähren lassen. Nach etwa einer Stunde wurden die Verhandlungen abgebrochen, und die Kommission begab sich zurück nach dem alten Schloß Hohenschwangau.

Der Zweck des frühen Besuches in Schwanstein schien wohl schon teilweise bekannt geworden zu sein, denn auf dem Rückwege konnte man Bauern und Feuerwehrleute sehen, die den Berg hinaufliefen. Etwa um sechs Uhr sah ich bei einem zufälligen Blick aus dem Fenster, daß im Schloßpark kleine Trupps von Feuerwehrleuten auf- und abzogen; es kam auch ein Gendarm in mein Zimmer, der mir ankündigte, wir seien alle auf des Königs Befehl verhaftet und dürften das alte Schloß nicht verlassen.

In einem Zimmer des oberen Stockwerks traf ich Baron Washington und von Gudden und erfuhr von ihnen, Freiherr von Crailsheim, Graf Holnstein und Graf Törring seien bereits nach Schwanstein abgeführt worden. Was mit ihnen geschehen sei, wisse man nicht. Auf dem Korridor traf ich den Bezirksamtmann von Füssen, der inzwischen angekommen war und auf meine direkte Frage entgegnete, ich sei nicht verhaftet. An dem Ausgangstor des Schlosses stand ein Gendarm Wache und wehrte jedes Durchpassieren.

Gudden gestattete den Pflegern (Irrenwärtern) ins Dorf hinunterzugehen, was auch von unseren Wächtern nicht beanstandet wurde. Sie waren aber noch nicht lange fort, da wurde uns der Befehl des Königs mitgeteilt, nun sollten auch wir nach Schwanstein geführt werden. Wir erklärten uns sofort bereit und nahmen im Dorfe die Pfleger mit. Langsam ging es den Berg hinauf, vor und hinter uns Gendarmen und Feuerwehrleute als Bedeckung.

Auf halber Höhe des Berges etwa liegt ein Wirtshaus.

Schon dort sahen wir eine Ansammlung von Leuten aus der Umgebung, die uns nicht gerade freundschaftlich musterten; noch mehr aber wuchs die Anzahl des Volkes oben im Schloßhof selbst. Feuerwehrleute, Bauern, Floßknechte, sie alle waren herbeigeeilt, um dem König zu helfen. Man kann sich darum leicht vorstellen, wie sie gegen uns gesinnt waren. Es ist wohl als ein Glück zu betrachten, daß der Bezirksamtmann gleichfalls anwesend war und durch seine Autorität das Volk von etwaigen geplanten Ausschreitungen und Feindseligkeiten abhielt.

In Schwanstein wurden wir im ersten Stock des sogenannten Domestikenbaues untergebracht. In einem Zimmer fanden wir die drei schon vor uns verhafteten Herren. Bald kam der Befehl, wir sollten jeder in einem einzelnen Zimmer bewacht werden. Wahrscheinlich wegen Platzmangel kam ich mit Baron von Washington zusammen. Aber es war trotzdem nicht jeder Verkehr abgebrochen, denn Gudden kam zu uns herein und sprach auch mit den Pflegern, die draußen im Korridor bei den Gendarmen saßen, welche uns bewachten.

Die Fenster unseres Arrestlokales gingen auf den Schloßhof hinaus. Man sah, daß das Volk sich allmählich entfernte und daß ein lebhafter Verkehr, der durch einen Lakaien vermittelt wurde, zwischen dem Teil, wo der König wohnte und den Gendarmen herrschte. Dieser Lakai war es auch, der die finsteren Befehle überbrachte, die der König in seinem Zorn niederschrieb: es sollte den Verrätern die Haut abgezogen werden, wir sollten verhungern.

Wir waren ungefähr zwei Stunden in enger Haft. Es waren wenig angenehme Stunden ungewissen Wartens. Gegen ein Uhr kam Gudden wieder in unser Zimmer und sagte mir, er hätte mit dem Bezirksamtmann ausgemacht, daß er jetzt das Schloß verlassen würde. Ich fragte ihn natürlich, was mit uns geschehe und ob er keine Befehle für mich hätte, erhielt aber anfänglich keine genügende Antwort.

Mir scheint nun, daß in dieser Zeit Gudden plötzlich eine Dispositionsänderung machte. Denn während aus seinen ersten Äußerungen zu entnehmen war, daß er allein mit Hilfe des Bezirksamtmannes das Städtchen Füssen und von da aus München erreichen wolle, erklärte er, als er kurz darauf wieder in unser Zimmer kam, wir dürfen alle fort, sollten unseren Abzug aber möglichst unauffällig bewerkstelligen und in passenden Zwischenräumen das Schloß verlassen; wir würden nach München zurückkehren, dort würde sich das Weitere entscheiden.

So waren wir also aus unserer Haft erlöst.

Unten in Hohenschwangau trafen wir wieder zusammen. Dort sah ich einen Flügeladjutanten des Königs (Dürkheim), der eben angekommen war und auf dem Wege ins neue Schloß zum König war. Nach kurzer Zeit waren zwei Gefährte für uns bereit, ein vierspänniger Jagdwagen und eine zweispännige Kutsche; die Insassen der letzteren aber stiegen bald mit auf den Jagdwagen, und nun fuhren wir der Station Peißenberg zu.

Gegen Abend sieben Uhr kamen wir in Peißenberg an und fanden dort den Legationsrat Dr. Rumpler wieder, der nicht mit verhaftet worden war und auf anderem Wege die Eisenbahnstation erreicht hatte."

Die vorstehende Schilderung des Dr. Müller trägt einen Charakter objektiver Ruhe, die in direktem Widerspruch zu der ungeheuren Erregung steht, in der sich bei diesem Vorgang die zunächst Beteiligten und das Volk des Schwangaus befanden. Die Tendenz, das Vorgehen der Kommission in möglichst mildem Licht erscheinen zu lassen, ist unverkennbar. Ich habe bereits oben den Zustand der Aufregung geschildert, in dem sich die "Verräter" – so wurden sie von einem großen Teil des Volkes genannt – befanden, als ich ihnen auf der Flucht nach Peißenberg begegnete. Die Schilderungen, die ich über die Vorgänge aus ihrem Munde während der Eisenbahnfahrt, unmittelbar nach den erlebten Schreckensszenen, erhielt, lauteten wesentlich lebhafter als die Darstellung Dr. Müllers. Ich vermag daher seine Darstellung durch folgendes zu ergänzen:

Der Gendarmerie-Wachtmeister von Hohenschwangau, ein dicker Mann mit großem Schnurrbart, trat zwischen fünf und sechs Uhr zu Minister Crailsheim, Graf Holnstein und Törring. "Sie sind verhaftet", sagte er, "und sollen sofort vor den König nach Schwanstein geführt werden." Eine Widerrede blieb vergeblich. Die Herren mußten dem Wachtmeister hinunter zum Schloßhof folgen. Da stand ein Teil der Hohenschwangauer Bauern-Feuerwehr, und fortwährend strömte das Bergvolk hinzu. Die Herren machten noch auf dem Hof einen Versuch, die Gendarmen eines Besseren zu überzeugen, aber die Behauptung, daß König Ludwig wahnsinnig sei, daß Prinz Luitpold die Regierung übernommen habe, verfehlte vollkommen die Wirkung und regte die Leute nur noch mehr auf.

"Sie sind verhaftet", wiederholte der dicke Wachtmeister unaufhörlich. "Jetzt müssen's mit nach Schwanstein." Dann aber wendete sich der Alte vertraulich zu Graf Holnstein und raunte ihm zu. "Nachher helfen's mir, Herr Oberst." Er hatte ein dunkles Empfinden, als würden schließlich die Herren der Kommission doch recht behalten.

Herr von Crailsheim war entrüstet über den Wachtmeister und behauptete, daß man gegen ihn vorgehen müsse. Ich suchte ihn zu beruhigen und wurde von Holnstein unterstützt, der so glücklich war, der Gefahr entronnen zu sein, daß er am liebsten die ganze Welt umarmt hätte.

Das Gebirgsvolk, das im Schloßhof des alten Schlosses die Herren umringte, nahm mit jeder Minute eine drohendere Haltung an. Nur der Befehl des Königs, die Herren zu ihm zu bringen, hielt die Leute von Tätlichkeiten ab. Endlich setzte sich der Zug in Bewegung. Voraus ein Trupp Bergvolk und Feuerwehr, mit Beilen, keulenartigen Stöcken und Messern bewaffnet, dann Gendarmen, dann die Gefangenen. Hinter diesen wieder Gendarmen und ein Haufen Bergvolks. Eine Szene aus den Bauernkriegen. Die Drohungen nahmen kein Ende, aber die Gefahr, der die Gefangenen entgegengingen, war eine bei weitem größere. Denn ein Wort des wahnsinnigen Königs, dessen Zorn und Aufregung sich unaufhörlich steigerte, mußte genügen, um sie in seiner Gegenwart umzubringen. Gendarmen und Volk warteten nur auf dieses Wort, um unverzüglich zu gehorchen.

So ging es die steilen Treppen vom alten Schloß Hohenschwangau hinunter auf die Landstraße und weiter den Weg nach Schwanstein hinauf. Auf halber Höhe kam ein Chevauxleger entgegengelaufen, und der Zug machte halt. Der Soldat hatte den Auftrag des Königs auszurichten, daß ihm die Verräter in Ketten vorzuführen seien. Es fand eine Beratung zwischen dem Gendarmen-Wachtmeister und dem Soldaten statt, die damit endete, daß wegen Mangels an Ketten die Gefangenen vorläufig ungeschlossen nach Schwanstein geführt werden müßten. In banger Erwartung wurde das Tor der Burg erreicht. Hier aber hatte sich das Bergvolk nach Hunderten zusammengeschart, und die Gefangenen, deren Anblick die erregten Gemüter in noch größere Aufregung versetzte, gerieten in eine äußerst bedenkliche Lage. Zu dem drohenden Gemurmel des Volkes läuteten unten die Sturmglocken, und Baronin Truchseß steigerte noch die Stimmung der Masse durch Zurufe. "Ihr habt nur einen König, das ist König Ludwig. Nur ihm habt ihr zu gehorchen. Er ist euer König von Gottes Gnaden. Dieses sind Verräter – glaubt ihnen nicht. Sie wollen euerm König Gewalt antun. Schützt ihn."

Graf Holnstein schilderte mir in lebhaften Farben den Eindruck dieser aufregenden Worte, während Herr von Crailsheim schwieg. Ich erfuhr später, daß die Baronin die bittersten Vorwürfe gegen die Gefangenen gerichtet und Herrn von Crailsheim unter anderem zugerufen habe: "Sie sind ein noch viel elenderer Minister, als Sie Tapeur sind ." Diese öffentliche verächtliche Kritik seiner künstlerischen Leistungen auf dem Klavier aus dem Munde der Dame, der er huldigte und mit der er, der künstlerisch bei weitem Überlegene, nur aus einer Art Courtoisie, vierhändig spielte, mußte den Minister allerdings tief kränken. Das Schweigen Crailsheims bei Holnsteins Erzählung und das Faktum, daß der Minister später niemals den Namen der Baronin Truchseß nannte, sprachen dafür, wie tief ihr Hieb gesessen hatte. Die große Gefahr, in der die Gefangenen tatsächlich schwebten und zugleich der Hohn der verehrten Baronin im Kreise der drohenden Bauern mag sich ihm wohl unauslöschlich tief eingeprägt haben.

Wie eigentümlich aber spielte das Schicksal auch. Noch vierzehn Tage vor diesem Ereignis hörte ich des Abends, im gastlichen Salon der Baronin, den Minister mit ihr vierhändig spielen! – und jetzt trat sie unter Sensenmännern ihrem musikalischen Partner gegenüber und bedrohte sein Leben.

Graf Holnstein war bei Schilderung dieser Szene in die größte Erregung gekommen. "Der große Kerl", sagte er, "entsinnen Sie sich seiner, Crailsheim? – der mit dem langen Stock – ein verfluchtes Gesicht." Dann fuhr er fort. "Ich habe zweimal infame Duelle ausgefochten – aber lieber noch zehn solche als eine einzige Stunde in derartiger Lage. Man ist ohnmächtig! – und sich jede Sekunde sagen zu müssen, daß man wie ein Hund totgeschlagen werden wird – das ist wahrhaftig unerträglich!"

In diesem Ton ging die Darstellung weiter, und der wohltätige Einfluß des Rühreis von Peißenberg ging unter dem weiterwirkenden Eindruck der eben durchlebten Schrecknisse allmählich wieder verloren.

In dem Schloßhof angelangt, erwarteten die Gefangenen unter den Augen jener "wilden Kerls", die Graf Holnstein so lebhaft schilderte, die Entscheidung des Königs. Diesem war die Meldung von ihrer Ankunft durch einen Diener erstattet worden. Den Gefangenen war es vollkommen klar, daß ihr Leben gegenüber König Ludwig verwirkt war, und sie erwarteten voller Bangen die Rückkehr des Dieners. In fieberhafter Aufregung sahen sie ihn endlich erscheinen und leise Worte mit dem Gendarmerie-Wachtmeister wechseln.

Der König hatte den Befehl gegeben, sie nicht vorzuführen, sondern vorläufig in den Kerker zu werfen, wo sie in Ketten seiner Befehle zu harren hätten. Fast gleichzeitig erschien ein anderer Bote mit dem Befehl, den Gefangenen im Kerker die Augen auszustechen und sie zu Tod zu prügeln. Der einfache Tod erschien dem König nicht genügend – und diese Grausamkeit ist wohl die Rettung der Gefangenen geworden. Denn aus dem entsetzlichen Befehl des Königs blickte der Wahnsinn, und die Gendarmen standen den fürchterlichen Forderungen, die der König an sie stellte, ratlos gegenüber, während sie z.B. dem einfachen Befehl des Erschießens unzweifelhaft Folge geleistet haben würden.

Man einigte sich schließlich dahin, die Gefangenen in den Zimmern des Pförtnerhauses unterzubringen. Essen wurde ihnen nicht gereicht, und auf die Anfrage, die sie früh um acht Uhr an den König richten ließen, ob sie wohl ihre Koffer erhalten könnten, erhielten sie den Bescheid, "daß für Hochverräter ihre schäbige Kleidung genügend sei". König Ludwig hatte also in diesem Augenblick wieder völlig vergessen, daß er den Befehl zu der Ermordung gegeben hatte.

Zwischen Graf Holnstein und dem Stallpersonal des Königs, das seit Jahren auf seine Befehle zu hören gewohnt war, entspann sich nun ein heimlicher Verkehr, der darauf hinzielte, den Gefangenen zur Flucht zu verhelfen. Die drohende Haltung des im Schloßhof und vor der Burg versammelten Landvolkes schien jedoch vorderhand jeden Plan vereiteln zu wollen.

Unterdessen waren auch die übrigen Herren der Kommission als Gefangene zum Schloß gebracht worden. Nur Legationsrat Dr. Rumpler fehlte. Der gütige kleine Mephistopheles mit den hohen Schultern war bei dem Transport vom alten Schloß Hohenschwangau zum Schwanstein mit katzenartiger Gewandtheit hinter einen Fels gesprungen, hatte sich zwischen den Beerensträuchern niedergeworfen und verborgen gehalten, bis der Zug der Gefangenen mit Gendarmen und Landvolk vorübergezogen war. Dann hatte er auf heimlichen Waldpfaden den Rückweg nach der Station Peißenberg genommen, wo er todmüde anlangte.

Während des Aufenthaltes der Gefangenen in den Zimmern des Torhüterhauses war Baronin Truchseß im Schloßhof geblieben. In geschäftiger Weise verkehrte sie mit dem Landvolk.

Aber auch der König war nicht untätig geblieben. Er hatte ein Telegramm an das Jägerbataillon nach Kempten gerichtet, das den Befehl enthielt, sofort nach Hohenschwangau aufzubrechen. Zugleich aber hatte er ein Telegramm an den Baumeister Prantl, ein anderes an den Flügeladjutanten Grafen Dürkheim abgesandt.

Da nun aber unterdessen die Übernahme der Regentschaft durch Prinz Luitpold in München erfolgt war, gaben die hiervon verständigten Bahnbehörden die Telegramme des Königs an die neue Regierung ab, und das Jägerbataillon blieb ohne Nachricht. Noch waren die Truppen nicht vereidet. Wäre der königliche Befehl in die Hände der Kemptener Truppen gelangt, hätten große Unzuträglichkeiten eintreten müssen.

Anders war es mit den Depeschen an Graf Dürkheim und Prantl. Beide waren an ihre Adressen gelangt. Während Prantl aber keine Antwort darauf gab, machte sich Dürkheim eilend auf den Weg zum König.

So war es bei immer gesteigerter Aufregung ein Uhr geworden. Da hatte sich das Landvolk zur Mittagsmahlzeit teils hinunter in das Dorf, teils in die Räume des Schlosses selbst begeben, wo sich auch Baronin Truchseß aufhielt, wie eine Generalin unter ihren Soldaten.

Der Bezirksamtmann von Füssen aber hatte jetzt die Nachricht von dem Regierungswechsel aus München erhalten und versuchte auf die Gendarmen einzuwirken. So war bei schließlicher Verständigung der Fluchtplan entworfen: der Vierspänner des Grafen Holnstein sollte am Fuße des Berges warten, die Gefangenen, von den Gendarmen unbehelligt, sollten einzeln vorsichtig zum Tore hinausgehen, während das Landvolk die Mittagsrast hielt und die Baronin gleichfalls ruhte.

Mit klopfendem Herzen wurde der Plan zur Ausführung gebracht, und ein Herr nach dem andern verließ heimlich und in fieberhafter Aufregung das Schloß, um unten, am Fuß des Berges, den rettenden Wagen zu besteigen. Die Gefahr war groß, von dem Bauernvolk unterwegs erkannt zu werden, und die Zeit bis zum Zusammentreffen im Wagen verstrich in peinlicher Angst.

In einiger Entfernung von Hohenschwangau begegnete den Flüchtlingen ein Zweispänner, in dem der Flügeladjutant Graf Dürkheim saß. Das Telegramm des Königs hatte ihn in Steingaden erreicht, und er war sofort aufgebrochen, um dem König zu Hilfe zu eilen. Er fuhr bei den "Hochverrätern" vorüber, ohne sie zu grüßen.

Während ich nun mit den Flüchtlingen gemeinschaftlich die Rückfahrt von Peißenberg antrat – war Graf Dürkheim auf Schloß Schwanstein angelangt.

Er erzählte mir, als er mich kurze Zeit nachher in Starnberg aufsuchte, folgendes über seinen letzten Aufenthalt bei König Ludwig.

"Ich ließ mich nach meiner Ankunft auf dem Schloß dem König melden, daß ich zu seinem Befehl sei. Er befahl, mich in sein Arbeitszimmer zu führen und empfing mich sehr freundlich. Er sagte mir: ›Helfen Sie mir aus meiner Verlegenheit; ich wurde in der Nacht plötzlich mit der Nachricht geweckt, daß mehrere Herren gekommen seien, mich mit Gewalt fortzuführen. Ich habe sie natürlich nicht in das Schloß hereingelassen und nachher ihre Festnahme befohlen. Dann kam zu meiner größten Verwunderung und außer sich vor Erregung Baronin Truchseß in mein Zimmer gestürzt, um mich zu schützen – ich habe ihr gesagt, daß ich das selbst tun werde, daß ich nicht die Hilfe einer Frau in Anspruch nehmen würde. Was beabsichtigt man mit mir? Man kann mich doch nicht als einen Wahnsinnigen behandeln? Das Ganze ist nur eine Geldfrage. Wenn mir jemand hier auf den Tisch ein paar Millionen Mark legte, wollte ich sehen, ob man mich für wahnsinnig halten würde!‹

Der König war völlig klar und sprach mit mir eingehend über das, was zu tun sei. Ich machte ihm den Vorschlag, sofort anspannen zu lassen und mit mir nach München zu fahren, um sich dem Volke zu zeigen; alles würde ihm zujubeln. Der König aber erklärte, daß er müde sei, daß die Luft in der Stadt ihm nicht bekäme, – kurz, er wich meinen Vorschlägen aus.

Ich sagte dem König, wenn er nicht nach München fahren könne, so möchte er anspannen lassen und sich mit mir über die Grenze nach Tirol begeben. In einer Stunde sei er frei. Das Schloß von Schwanstein sei völlig in seiner Gewalt, er könne schalten und walten, wie er wolle, aber unzweifelhaft würden in kurzer Zeit von der neuproklamierten Regierung in München Vorkehrungen getroffen werden, die ihn in seiner freien Bewegung hemmen würden. Jetzt oder niemals sei ein Entschluß von ihm zu fassen.

Der König antwortete auch auf diesen Vorschlag ausweichend: ›Ich bin müde; ich kann jetzt nicht fahren; was soll ich in Tirol machen?‹

Ich fragte Dürkheim, ob er kein Symptom des Wahnsinns an dem König bemerkt habe?

"Keines", sagte er, "nur seine totale Entschlußlosigkeit fiel mir auf. Er hatte meine Hilfe und meinen Rat verlangt, ich schlug ihm das einfachste und das durchaus Mögliche vor – aber er war nicht imstande, darauf einzugehen. Sonst war er absolut logisch in seinen Worten, besonders auch, als ich ein Telegramm vom Kriegsminister erhielt, wonach ich mich unverzüglich nach München zu begeben hatte. Ich ging mit dieser Depesche zum König und bat ihn, eine Entscheidung zu treffen. Er sagte mir, ich möge ihn nicht verlassen, er habe keinen Menschen auf der Erde mehr, dem er trauen könne. Es war mir unendlich schmerzlich, die Not des Königs zu sehen. Ich telegraphierte zurück, daß ich den König nicht verlassen könne. Bald darauf erhielt ich ein Telegramm von dem Kriegsminister, der mir den Befehl des Prinzen Regenten Luitpold übermittelte, mich angesichts dieser Aufforderung nach München zu begeben, widrigenfalls ich als Hochverräter angesehen werden würde.

Ich mußte von diesem Telegramm dem König Kenntnis geben, und sein Bitten, ihn nicht zu verlassen, war herzerschütternd. Aber er sagte auch. ›Ich sehe ein, daß Sie zurückkehren müssen, sonst ist Ihre Karriere und Zukunft verloren.‹ Dann verlangte er Gift von mir und kam trotz meiner Ablehnung immer wieder darauf zurück. Wo solle ich das Gift hernehmen? sagte ich –- wenn ich überhaupt die Hand zu einem solchen Verbrechen reichen wollte. Der König antwortete; ›Aus der nächsten Apotheke – überall gibt es Gift – und ich kann nicht mehr leben!‹

Es waren fürchterliche Momente. Endlich reiste ich ab – ich sah, daß nichts zu machen war."

Graf Dürkheim wurde bei seiner Ankunft in München auf dem Bahnhof verhaftet, in das Militärgefängnis gebracht und wegen Hochverrates vor ein Kriegsgericht gestellt.

Die Regierung des Prinzen Luitpold vermochte nicht anders zu verfahren. Sie verfuhr aber auch korrekt, indem sie den Grafen nach seiner Verurteilung sofort begnadigte und ihn von München, wo eine in jenen Tagen starke Partei –- die Partei der Königin-Mutter – an ihm hing, nach Metz versetzte.

Die Gefahr, die durch Dürkheims Anwesenheit in Schwanstein der neuproklamierten Regierung erwuchs, war, wie aus seiner mir gemachten Erzählung hervorging, eine große. Wäre nicht der geistige Zusammenbruch des Königs erfolgt, den mir Gudden in Peißenberg voraussagte, und hätte der König noch die Kraft gehabt, Dürkheim nach München zu folgen, so wäre ein Bürgerkrieg unvermeidlich geworden. Aber tatsächlich, auch ohne ein solches Faktum, war Dürkheim schuldig. Denn er war es, der Depeschen des Königs nach dem eine Stunde entfernten Reutte in Tirol durch Boten schickte und damit eine Umgehung der bayerischen, für den König gesperrten Linien vornahm.

So war es möglich, daß eine Depesche an den Fürsten Bismarck, mit der Bitte um Hilfe, gelangte, auch daß der König an die Kaiserin von Österreich telegraphierte und daß er den Präsidenten des bayerischen Reichsrates, den Freiherrn zu Frankenstein, berief, um eine Neubildung des Ministeriums vorzunehmen. Dürkheim allein war die Veranlassung zu der Absendung dieser Depeschen, die viel Unruhe verursachten.

Er war es auch, der, ein Werkzeug der ultramontanen Partei, die allgemeine Wirrnis benutzen wollte, um den Führer der Ultramontanen ans Ruder zu bringen.

Als Frankenstein aus Marienbad in München anlangte, war bereits der vorletzte Akt des Trauerspiels beendet und der König "entmündigt". Er ging deshalb zu dem neuen Regenten, um ihm seine Dienste anzubieten. Aber dank der Unterstützung, die das Ministerium Lutz infolge meiner Bemühungen von Berlin aus erhalten hatte, fand Frankenstein die Tür verschlossen.

Das war die Episode Dürkheim.

Niemand wird es dem Flügeladjutanten zum Vorwurf machen, der seinem König in der Stunde der Gefahr beizustehen versuchte, aber niemand kann auch die Gefahr verkennen, die der Regierung des Prinzen Regenten Luitpold durch sein Verhalten erwuchs.

Ein lebhaftes Interesse hatte sich ihm in jenen Tagen allgemein zugewendet, und selbst seine von ihm getrennte und ihn verabscheuende Gattin sandte ein Telegramm an Minister Crailsheim mit der ziemlich törichten Frage: "Wo ist mein Mann?"

Mit diesem letzten Aufflackern eines Interesses für das romanhafte und zugleich mannhafte Auftreten ihres "Alfreds" versank sie wieder in Schweigen.

V.

Höfische Erlebnisse

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