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Das Entstehen der Krise.

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Im März 1886 trat ich eines Morgens in das Zimmer des Gesandten Grafen Werthern. "Soeben war der Flügeladjutant Dürkheim bei mir", sagte er. "Er legte mir drei Briefe des Königs vor, in denen er Dürkheim beauftragt, in England Geld für ihn zu beschaffen. Der Herzog von Westminster und andere seien in der Lage, die verlangte Summe vorzustrecken. Wenden Sie sich zur Vermittlung der Bekanntschaft an den Botschafter Hatzfeldt (Prussien), schreibt der König wörtlich, aber Dürkheim zieht es vor, durch meine Vermittlung an Hatzfeldt zu gehen."

Graf Werthern fuhr fort, daß er eine abweisende Antwort von Hatzfeldt besorgen wolle, da man unmöglich die Kalamitäten um eine Schuldenlast erhöhen dürfe. Über diesen Vorfall berichtete der Gesandte nach Berlin. Er hob in seinem Bericht hervor, daß der Inhalt des königlichen Briefes durchaus logisch sei, daß Graf Dürkheim von der völligen Geistesklarheit des Königs überzeugt sei und daß sich die Gerüchte über die ernstlich angegriffenen Geisteskräfte des Königs möglicherweise als böswillige Erfindung derjenigen Partei darstellten, die dem Hause des Prinzen Luitpold bzw. der ultramontanen Partei gefällig sein wollte.

Diese Meinungsäußerung des Gesandten, der ich deshalb nicht zustimmte, weil sie dem Bilde entgegenlief, das ich mir nach meinen Informationen von dem Geisteszustand des Königs machen mußte, langte zu einer Zeit in Berlin an, als Fürst Bismarck einen eigenhändigen Brief von König Ludwig selbst erhalten hatte, in dem der König den Kanzler bat, ihm einen Rat über die Art zu erteilen, wie er die Verwirrung seiner Finanzen lösen könne.

Der Fürst, unter dem Eindruck der Vernunft, die sich in dem Schreiben des Königs aussprach, die auch durch den Bericht Wertherns eine Bestätigung zu erhalten schien, aber auch mit der Absicht, ein Ende der unhaltbaren Zustände herbeizuführen, gab dem König den Rat, sich an die Kammern mit dem Auftrag zu wenden, eine Ordnung der Geldverhältnisse herbeizuführen.

Ob es dem Fürsten Bismarck bekannt war, daß der Unwille und Widerwille innerhalb der Häuser des Landtages bereits zu mächtig geworden war, um von dieser Seite einen Erfolg erhoffen zu können, und ob es ihm bekannt war, daß die Minister seit langer Zeit alles daran setzten, um die Kammern aus dem Spiel zu lassen, da sie von dieser Seite die Herbeiführung einer akuten Krise befürchteten – weiß ich nicht. Jedenfalls war der Rat nicht geeignet, die Klärung zu schaffen, die der König erwartete.

Durch den Rat des Fürsten aber, den der König sofort befolgte, wurde tatsächlich der drohende Stein ins Rollen gebracht. Minister von Lutz sagte mir: "Der Reichskanzler hat uns eine böse Sache eingerührt, ich weiß nicht, wie wir da hinauskommen werden." –

Der König befahl – wie mir Lutz vertraulich mitteilte –, es solle eine Einwirkung auf die Volksvertretung erfolgen und an diese das Verlangen gestellt werden, "zur Erfüllung der Untertanenpflicht des Volkes und um diesem wieder die Allerhöchste Gunst zuzuwenden", die Mittel, nicht nur zur Deckung der Schulden der Kabinettskasse, sondern auch die Mittel zum Weiterführen der vom König befohlenen Bauten zur Verfügung zu stellen.

Das Ministerium trat daher mit den Kammern in vertrauliche Fühlung und Besprechung, die aber, wie zu erwarten war, ein negatives Resultat hatte, indem ein Zweifaches konstatiert wurde, "einmal, daß eine unrefundierliche Leistung von Landesmitteln an die Kabinettskasse nicht die mindeste Aussicht auf Erfolg habe, und daß zweitens auch eine Kreditvorlage, wonach der Kabinettskasse ein verzinsliches und refundierliches Darlehen vom Staate gewährt werden sollte, keine entsprechende Mehrheit in der Abgeordnetenkammer finden würde".

Wörtlich berichtet das Vorstehende das Gesamtministerium am 5. Mai 1886 in einer den furchtbaren Ernst der Lage in seiner ganzen Wahrheit darlegenden Vorstellung an den König, ihm aber auch Mittel und Wege zu den nötigen Einschränkungen und Ersparnissen zeigend und mit der Bitte schließend, "behufs persönlichen Verkehrs mit der Welt und mit den jeweiligen Trägern seiner Regierung", in seine Residenzstadt zurückzukehren und "sich selbst Ruhe und Frieden, dem Vaterlande aber Glück und Heil zu bescheren".

Ich habe diese Vorstellung bei Minister Lutz gelesen, die bei aller Devotion der Sprache zwischen den Zeilen die stärksten Anklagen gegen den König enthielten und für den Mut des Ministeriums ein glänzendes Zeugnis ablegt. Denn nicht nur ihre Stellung setzten die Minister aufs Spiel, sondern auch ihre Zukunft konnte durch den zu Gewaltakten neigenden König schwere Schädigung erleiden.

Das Ministerium blieb auf dieses letzte Wort ohne Erwiderung, aber der König diktierte Lakai Meier für Hesselschwert: "Ich habe jene Meldung verworfen, denn jenem Pack kam es gar nicht zu, sich in Sachen zu mischen, die es nicht im geringsten angehen und für die es gar nicht da ist." Und am 11. Mai schrieb der König eigenhändig an denselben Vertrauten: "Ist die Kammer verstockt, dann auflösen, andere her und das Volk bearbeiten, schnell aber! Rasch vorwärts mit dem Schlafzimmer in Linderhof, St. Hubertuspavillon und mit dem Ausbau der Burg von Herrenwörth und Falkenstein. Mein Lebensglück hängt davon ab. Ziegler soll es erschinden, durchreißen, alle Schwierigkeiten besiegen und alle Hindernisse niederreißen, und baldigst ist die Hauptsache."

Der König gab aber noch in anderer Weise seinem Zorn über das Ministerium Ausdruck. Er beauftragte einen der Brüder Sedlmaier, den Minister Lutz zu ermorden und verbannte den Finanzminister Riedel nach Amerika.

Oberstallmeister Graf Holnstein erzählte mir, daß Sedlmaier zu ihm gekommen sei, um zu fragen, wie er seinen Auftrag ausführen solle? Er habe ihm die Antwort erteilt, "die Sache auf sich beruhen zu lassen". Ebenso ließ man den König in der Wahnvorstellung, daß Minister Riedel nach Amerika abgegangen sei. In klareren Augenblicken mag wohl der unglückliche König die erlassenen Befehle völlig vergessen haben.

In jener Zeit hatte der König auch die Absicht, ein neues Ministerium zu bilden und mit der Durchführung Hesselschwert und den Friseur Hoppe beauftragt. Letzterer, eine echte, ziemlich törichte Friseurseele, fühlte sich selbstverständlich durch seine politische Rolle außerordentlich gehoben.

Ich erfuhr von diesen seltsamen Vorgängen auf direktem Wege durch Friseur Hoppe selbst. Als ich in jenen Tagen sein Geschäft besuchte und zufällig allein in seinem "Salon" war, teilte er mir (im Flüsterton) mit, "daß er dem Justizminister Fäustle seine Entlassung im Auftrag des Königs überbracht habe". "Und was sagte der Minister?" fragte ich. "Nix", sagte Hoppe und fuhr fort: "Ich habe aber seinem Herrn Schwiegersohn angeboten, die Stelle zu übernehmen".

Die freundliche Absicht des gutmütigen Hoppe, die Familie Fäustle wenigstens bis zu einem gewissen Grade schadlos zu halten, soll, wie ich nachher vernahm, von dem Herrn Schwiegersohn sehr wenig freundlich bewertet worden sein. Meinerseits hatte ich mich dem Vorbild des vortrefflichen alten Herrn von Fäustle angeschlossen. Ich erwiderte auf Hoppes interessante Mitteilung auch "nix".

Der Zustand dieser Kalamität wurde nahezu unerträglich durch Intrigen, die die ultramontane Partei nun gegen das liberale und reichsfreundliche Ministerium Lutz in Szene setzte, indem sie die Verlegenheiten und die Lähmung desselben benutzte, durch die Unentschlossenheit des Prinzen Luitpold , des ältesten Agnaten, der das Ministerium bewegen wollte, den entscheidenden Schritt – d.h. wohl also die Absetzung – gegenüber dem König zu tun, während dieses allein den Prinzen dafür berechtigt hielt, durch die Stellung des bayerischen Reichsrates und der Kammern, die als wichtigste Faktoren der Regierung nicht ungefragt gelassen werden konnten und die doch wiederum viele Elemente enthielten, die eine Staatsaktion von so großer Tragweite als Hochverrat erklärt haben würden, wenn sie vor dem fait accompli Kunde von der Absicht der Regierung erhalten haben würden. – Dies alles erhielt die Eingeweihten in der lebhaftesten Spannung.

Zur Beleuchtung der damals herrschenden Zustände mag hier ein Brief Platz finden, den ich an den Grafen Herbert Bismarck richtete und den dieser seinem Vater vorlegte.

Mai 1886.

"Hier hat die Königskrise einen lethargischen Charakter angenommen.

Das liegt an Prinz Luitpold, dem es an Energie fehlt und dessen Unsicherheit sich dem Ministerium mitteilt.

Während dieser Schwankungen ist Frankenstein tätig, um das Ministerium Lutz zu Fall zu bringen – nicht etwa, um sofort ein neues Ministerium zu bilden, sondern um aus einem Abenteurerministerium – denn nur ein solches würde jetzt zustande zu bringen sein – als Retter und Phönix aufzutauchen. Ein Ministerium Frankenstein aber bedeutet im Lande Bayern nichts anderes als Sieg reichsfeindlicher Interessen. Ich bin überzeugt, daß Frankenstein in Berlin die schönsten Versprechungen machen wird: er ist zu eitel, um nicht dort eine gewisse Rolle spielen zu wollen. Aber er hat noch eine zweite, persönliche oder Familien-Eitelkeit, die stets den Wert seiner reichstreuen Versprechungen paralysieren wird. Seine fürstliche Gemahlin und die durch das Band des Georgsordens mit ihm verbundene hochadelige schwarze Verwandtschaft haben in seinem Leben eine unüberwindliche Bedeutung.

Diese unlösbaren und von ihm zu einem Kultus erhobenen Familien-Verbindungen und Traditionen machen es auch unmöglich, daß er je hier als reichstreu angesehen werden kann. Auch das zufriedene Lächeln, das alle reichsfeindlichen Leute aufsetzen, wenn von einem solchen Ministerium gesprochen wird, zeigt mir nur zu klar, was für uns Frankenstein bedeutet. Rechne ich hierzu die alte und unlösbare Intimität von Windhorst und Frankenstein und gedenke ich einer übergroßen Zärtlichkeit zwischen dem französischen Gesandten Mariani und Monsignore Aiuti von der Nuntiatur, der dreimal wöchentlich mit ihm diniert und zugleich sehr gute Beziehungen zu Frankenstein unterhält, so steigen in mir allerhand Zukunftssorgen auf.

Nicht ohne Absicht haben die Franzosen einen ihrer ausgezeichnetsten Diplomaten nach München gesetzt, und dieser hat sehr richtig erkannt, wo er den Hebel ansetzen muß, um Deutschland unbequem zu werden.

Daß wir einmal unter Ludwig III. ein ultramontanes Ministerium erleben werden , ist wohl zu erwarten, aber unter der Regentschaft Luitpolds ist es noch nicht nötig. Besonders da der Prinz 100 Jahre alt werden kann – denn er hat eine eiserne Gesundheit. Lutz sagte mir, daß ihn Prinz Luitpold sechsmal das bündigste Versprechen habe aussprechen lassen, daß er für den Fall der Regentschaft das jetzige Ministerium beibehalten wolle. Ein liberales Ministerium aber bedeutet hier: unzweideutige Gemeinschaft mit dem Reiche. Alle liberalen Elemente im Lande sind gut deutsch und der Partikularismus, der hier im katholischen Lande ganz besonders bösartige Formen annimmt, wird nur durch eine liberale Regierung nachdrücklich im Zaum gehalten."

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Ich suchte in jenen Tagen häufig die Gelegenheit, mit dem Minister Freiherrn von Crailsheim , dem in seiner Stellung als Minister des kgl. Hauses in erster Linie die wichtigsten Entschließungen zufielen, die Lage zu besprechen und drängte zu einer Entscheidung; denn alles Zögern enthielt eine Gefahr. Reichsfeindliche, ultramontane Elemente konnten die Zügel der Regierung ergreifen – oder gar eine Revolution konnte Bayern bedrohen.

Herr von Crailsheim sagte mir später, daß mein Drängen zu der Entscheidung insofern von großem Einfluß auf die Entwicklung der Dinge gewesen sei, als die Minister meine freundschaftlichen Beziehungen zu Herbert Bismarck kannten und in meinem Auftreten die Interessen der Reichsregierung sahen. Dieses Interesse allein habe vermocht, das Ministerium in seiner ganz außergewöhnlich schwierigen Lage zum Ausharren zu bewegen. Was aber neben der Unentschlossenst der Berechtigten die Entscheidung ernstlich hemmte, war der Umstand, daß die Aussagen, die bisher über den Geisteszustand des Königs von einigen Leuten seiner Umgebung gemacht worden waren – trotz des Gutachtens berühmter Irrenärzte, die an der Geisteskrankheit des Königs nicht zweifelten –, nicht genügend erschienen, um darauf eine Staatsaktion zu gründen. Das Ministerium mußte aber des Hochverrats schuldig sein, wenn die Beweise für die Notwendigkeit einer Aktion gegen den König nicht überwältigend waren.

Die meisten Diener des Königs verweigerten eine Aussage über seinen Gesundheitszustand. Zumeist, weil sie in einem Wechsel der Regierung ihren Stern sinken sahen, teilweise aus wirklicher Dankbarkeit und Anhänglichkeit, wie sie z.B. der Kammerdiener Meier besaß, dessen Treue trotz der unwürdigen Behandlung durch den König (er durfte sich über ein Jahr nur mit einer Maske zeigen, weil der König seine "widerwärtige Fratze" nicht sehen wollte) – eine außerordentliche war.

Kabinettsrat von Ziegler, Stallmeister Hornig und einige Stallknechte und Soldaten machten eidliche Aussagen. Letztere führten meistens als Beweis des Wahnsinns Briefe und Äußerungen der Zärtlichkeit an, was auch von anderen Seiten als Material für "Wahnsinn" beigebracht wurde. Doch wollten dieses die Ärzte merkwürdigerweise nicht in dem Gutachten verwerten, das nach der eingetretenen Absetzung des Königs der Volksvertretung vorgelegt werden sollte. Erst nach und nach erklärten sich Diener zu Aussagen bereit, die dem König näher standen, so unter anderen auch der Marstall-Fourier Hesselschwert, der sich früher Freund des Königs nannte und ihn jetzt durch Drohungen einschüchterte. Unter diesen Aussagen befanden sich nun allerdings viele, die den unzweifelhaften Beweis für den Wahnsinn des Königs beibrachten.

Der Oberstallmeister Graf Holnstein, der mir später mitteilte, daß er mit allen nur erdenklichen Mitteln den eigentlich unhaltbaren Zustand am Hofe König Ludwigs aufrechterhalten, aber bei Beginn des Jahres 1886 eingesehen habe, daß nunmehr unaufhaltsam das Ende hereinbrechen mußte, hatte sich den Ministern völlig zur Verfügung gestellt. Eine Handlungsweise, die ihm von der Partei König Ludwigs schwer verdacht wurde, da alles, was er ist und besitzt, Gnade seines Königs bedeutet. Er versuchte jetzt überall seinen Einfluß geltend zu machen, um Aussagen der Bestätigung für den Wahnsinn des Königs zu erhalten .

So hatte er auch den Versuch gemacht, den Grafen Dürkheim, Flügeladjutanten des Königs, hierzu zu bewegen. Das war in den ersten Tagen des Juni geschehen, und in denselben Tagen traf ich, im Begriff, von München nach Starnberg zu meiner Familie zu fahren, auf dem Bahnhof mit diesem zusammen.

Wir kannten uns genau. Er hatte seinen Standort im Schlosse zu Berg, wenn der König in den Bergen weilte, und gemeinsame Fahrten, Besuche des Lawntennis bei der Gräfin Almeida führten uns fast täglich zusammen. Er war sehr erregt, als ich ihm begegnete und unsere Unterhaltung wurde äußerst lebhaft, als er von König Ludwig sprach, gegen den "konspiriert" wurde.

"Sie sind genau orientiert", sagte er mir, "ich brauche nicht zu schweigen. Aber die Versuche, mich zu Aussagen gegen den König zu veranlassen, werden vergebliche bleiben. Der Kriegsminister hat mich rufen lassen: Ich habe ihm vor Beginn seiner Worte erklärt, daß, wenn er die Absicht habe, mich über den König zu vernehmen, ich diesem eine Meldung machen werde, worauf er mir vom Wetter sprach und mich entließ. Dann hat mich auf dem gestrigen Rennen Holnstein vertraulich unter den Arm gefaßt – obgleich wir keineswegs gut miteinander standen –, und hat mich bewegen wollen, Aussagen über den König zu Protokoll zu geben. Er sagte mir, "wir sollten uns eilen, um die Sache zu Ende zu bringen, damit sich nicht die ›Schweinepreußen‹ hineinmischen". Diese Äußerung, die, wie ich annehmen muß, der Wahrheit entsprach, war natürlich nur darauf berechnet, Holnstein, den er haßt, bei mir zu diskreditieren."

Als ich Dürkheim bemerkte, daß er vermutlich nichts zu sagen hätte, was den Wahnsinn des Königs bewies, fuhr er fort. "Allerdings nichts! – Aber ich habe die Pflicht, dem König den Hochverrat seiner Minister und Beamten zu melden."

"Wohin reisen Sie?" fragte ich, innerlich sehr beunruhigt.

"Nach Steingaden ."

"Und Sie wollen von dort nach Hohenschwangau hinüberfahren?"

"Ja."

Ich fühlte, wie mir das Blut in den Kopf stieg. "Wissen Sie, was dieser Schritt zur Folge haben kann?" fragte ich.

"Vielleicht die Absetzung der Minister", sagte er.

"Vielmehr als das", erwiderte ich und setzte ihm auseinander, daß, wenn der König zu gewaltsamen Handlungen provoziert würde, bei dem gegenwärtigen Stand der Dinge die Regierung in München und Prinz Luitpold zu gewaltsamen Gegenmaßregeln gedrängt werden würden. Es könnte also seine Einmischung Revolution und Blutvergießen in seinem Vaterlande bedeuten.

Dürkheim schien sich der Tragweite seiner beabsichtigten Handlung nicht bewußt zu sein, auch wurde er zahmer, als ich ihm aussprach, daß bei der Lage der Dinge unzweifelhaft die vernünftige Regierung in München gegenüber einem unvernünftigen König recht behalten werde – daß er aber sicherlich für die Folgen seiner Handlung verantwortlich gemacht werden würde.

Der Schluß dieser sehr erregten Unterhaltung war das Versprechen, das mir Dürkheim in die Hand gab, dem König keine Meldung machen zu wollen.

"Ich werde schweigen", sagte er, "solange der König mich nicht ruft."

Dieses war bei der Stimmung des Königs gegen seine Adjutanten so unwahrscheinlich, daß ich die Klausel annahm.

Als er aber später in der Tat vom König gerufen wurde, war die Katastrophe eingetreten und der wahnsinnige König ein gebrochener Mann, der nicht mehr fähig war, auf den Rat seines Adjutanten zu hören.

Graf Alfred Dürkheim, von dem in den erregten Tagen der Königskrise soviel die Rede war, ist ein starkknochiger, gewöhnlich aussehender Mensch, der nicht viel gelernt hat, aber viel natürlichen Verstand besitzt. Maßlos eitel, verstand er es stets, von sich reden zu machen, hauptsächlich durch seine Art, jungen und hübschen Frauen die Kur zu machen. Ich habe niemals jemand gesehen, der seine Verliebtheit, die häufig nur eine Komödie war, derartig zur Schau trug. Plump wie sein Wesen war auch die Art seiner Liebe: " un Don Juan de village." Der Ruf dieser Eigenschaft und seine Eleganz in Kleidung und Uniform hatten eine Russin, Gräfin Bobrinski, veranlaßt ihm ihre Hand mit 30 000 Rubel jährlicher Einkünfte zu geben – par débit, denn sie liebte meinen Freund Graf Viktor Henkel , der sie klugerweise nicht wollte.

Diese Frau, ein schönes Weib voller russischer Eigenschaften; oberflächlich, unruhig, phrasenhaft – stolz auf ihre Abkunft von der Kaiserin Katharine (aus ihrer Verbindung mit Orloff) –, hatte nach kurzer Zeit die engen Verhältnisse Münchens und den Typus ihres Mannes satt. Schon nach meiner ersten Unterhaltung mit ihr sah ich den Abgrund, an dem dieser stand. Sie suchte nicht etwa Liebe, sie wollte mit den engen Verhältnissen brechen, in die sie geraten war. Das warf einen tiefen Schatten auf Dürkheims Ehe. Da kam es im Jahre 1883 zu einer Krise. Prinz Arnulf von Bayern , der der Gräfin in rücksichtsloser und wenig ritterlicher Weise huldigte, schrieb ihr ein Billet, in dem er sie ersuchte, ihn während einer Abwesenheit ihres Mannes zu empfangen. Die Gräfin zeigte Dürkheim diesen Brief, und dieser fuhr in das Palais, um den Prinzen zu fordern. Prinz Arnulf nahm die Forderung an, aber sein Bruder Leopold hinterbrachte die Sache dem König. Dieser verbot das Duell, wies Prinz Arnulf in den schärfsten Ausdrücken zurecht, ernannte Dürkheim zum Hauptmann und machte ihn zu seinem Flügeladjutanten.

So war Dürkheim durch seine Frau plötzlich zu Rang und Würde gekommen. Der König war voller Huld für ihn, zeichnete ihn bei Galatafeln, die damals noch im Winter hin und wieder im Schlosse abgehalten wurden, aus, aber als er mit Dürkheim kurz darauf in die Berge fuhr, hieß er ihn plötzlich nachts auf der Landstraße, in einer regnerischen Novembernacht, aussteigen und fuhr davon. Es war das letzte Mal, daß er einen Adjutanten sah.

Die Gräfin hielt noch etwa ein halbes Iahr an der Seite des Flügeladjutanten aus – dann reiste sie ab und überließ dem Vater ihr kleines Mädchen und einen sehr geringen Teil ihres Geldes. Sie kehrte zu ihrer Mutter zurück, der allgemein, und wohl nicht mit Unrecht, der Vorwurf gemacht wird, ihren ersten Gemahl Bobrinski, – sie war in zweiter Ehe mit einem Grafen Kreuz vermählt – ermordet zu haben, um den Grafen Kreuz zu heiraten. Graf Bobrinski wurde als verkohlter Leichnam in seinem Bett aufgefunden, und durch Begießen mit Petroleum soll es möglich gewesen sein, eine so totale Verbrennung herbeizuführen. Wertsachen fehlten keine – die Frau war ganz allein mit ihm in seinem Schlosse auf dem Lande gewesen.

Nach diesem traurigen Ausgang seiner Ehe trat Dürkheim als Don Juan de village wieder in den Vordergrund, und das air de coeur blessé, das er sich gab, verlieh ihm in den Augen der Münchener Damen einen erhöhten Reiz.

Es zogen sich jetzt zwischen Hangen und Bangen die Tage hin. Graf Werthern und ich bangten um die Existenz des Ministeriums, die Minister verstärkten durch ihre Vernehmungen das immer noch nicht genügende Beweismaterial für den Wahnsinn des Königs. Die Münchener Gesellschaft aber, die den wahren Sachverhalt nicht kannte und in fieberhafter Spannung eine Entscheidung erwartete, griff in allen Tonarten das Ministerium an, das die "Taktlosigkeit beging, Leute niederen Standes über den König auszufragen".

Niemand machte sich klar, daß ein König staatsrechtlich die eine Sekunde noch als vernünftig, die nächste als wahnsinnig gelten mußte, daß nicht wie in Privatkreisen einem geistig erkrankten Menschen allmählich und unmerklich die Aktionsfähigkeit entzogen werden kann, sondern daß in einem gegebenen Augenblick alle Regierungshandlungen des Königs gültig bzw. ungültig sein mußten.

Im Publikum wußte man von den Vorgängen wenig. Wohl las man mit Erstaunen und Unruhe die in der Presse auftauchenden Gerüchte über einen totalen Zusammenbruch des königlichen Vermögens, aber man verstand nicht, daß die Serie von Artikeln über "die Geschichte der Königlichen Cabinettskassa" in den "Münchener Neuesten Nachrichten" eine inspirierte Vorbereitung auf den Abschluß unmöglicher und unhaltbarer Zustände an höchster Stelle waren.

Da trat in den letzten Tagen des Monats Mai, die Krise beschleunigend, ein Ereignis von weittragender, politischer Bedeutung zu den nun bereits erdrückenden Resultaten der Erhebungen über den geistigen Zustand des unglücklichen Königs hinzu.

Königin Isabella von Spanien war zur Wochenpflege ihrer Tochier Maria de la Zaz, Prinzessin Ludwig Ferdinand von Bauern , nach Nymphenburg gekommen und hatte in ihrer Gutmütigkeit wohl den Wunsch geäußert, dem König aus seiner Geldverlegenheit zu helfen. Denn sie teilte die Auffassung ihrer Kinder, daß der König noch nicht so wahnsinnig sei, wie gewisse Kreise ihn hinstellten.

Es ist möglich, daß von ihr zuerst der Gedanke angeregt wurde, von dem Hause Rothschild, dem sie durch ihre Pariser Beziehungen befreundet – (denn die Königin lebte nach ihrer Vertreibung aus Spanien in Paris)–, dem König Hilfe zu bringen. Bei den Interessen, die das Haus Orleans mit dem Bankhause Rothschild verbanden, lag es nahe, die Orleans hinter dem Angebot zu vermuten, das in der Tat durch Vermittlung des Prinzen Ludwig Ferdinand dem Könige durch die Rothschilds von Paris gemacht werden sollte. Zugleich aber erhielt der Prinz Kenntnis davon, daß der König jede beliebige Summe erhalten könne, falls er sich verpflichtete, in einem Kriege Frankreichs mit Deutschland neutral zu bleiben.

Prinz Ludwig Ferdinand, ein durchaus loyaler Mann, der dem König persönlich sehr ergeben war und wie das ganze Haus Adalbert – (schon aus Opposition gegen das Haus Luitpold) – zum König hielt, machte dem Ministerium von diesem Vorschlag Mitteilung, da er "zu seinem Bedauern" überzeugt war, daß der König sofort auf diese Bedingung eingehen würde. Er befürchtete auch mit Recht, daß noch durch andere Vermittlung als die seine König Ludwig ähnliche Vorschläge erhalten werde.

Die national-deutsche Rolle, die der König 1871 gespielt hatte, war ein geschickt, durch den Oberstallmeister Graf Holnstein in Szene gesetzter Theatercoup. Allerdings hatte König Ludwig dem König Wilhelm die Kaiserkrone angetragen – als aber der erbliche Kaiserthron der Hohenzollern entstand, verflog der künstliche deutsche Rausch, den Richard Wagner in dem Hirn des jugendlichen Königs festgelegt hatte und machte jenem Hasse gegen das preußische Königshaus und gegen alles deutsche Wesen Platz, der das Bild des unglücklichen Wahnsinnigen vor ganz Deutschland völlig zu trüben drohte. Um jedoch das Bild des trotz aller seiner Sonderbarkeiten hochverehrten Königs vor den Augen Bayerns – des unzweifelhaft königtreuesten Volkes Europas – nicht zu schädigen, wurde die Fikton seiner deutschen Gesinnung mühevoll öffentlich aufrecht gehalten.

III.

Höfische Erlebnisse

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