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Der König wird in Schwanstein durch Dr. Gudden in ärztliche Obhut genommen und nach Berg gebracht.

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Nach der Abreise Dürkheims war der König sich völlig selbst überlassen. Ein entsetzlich qualvoller Zustand war über ihn gekommen: das Bewußtsein seiner Krankheit und der Lähmung seiner Aktionsfähigkeit.

Das Gespenst des Selbstmordes, das ihn durch Jahre verfolgte, das – wie mir der ehemalige Kabinettssekretär von Ziegler erzählt hatte – häufig stundenlang das Thema der Unterhaltung zwischen dem König und ihm gebildet hatte, tauchte angesichts der Thronentsetzung, der entgegenzuwirken er nicht mehr die moralische Kraft besaß, mit zwingender Gebärde vor ihm auf. Aber die Furcht vor dem Tode hielt ihn von dem entscheidenden Schritt zurück.

Es schien ein neronisches Ende zu nehmen. Der Cäsar vermag nicht zu leben, wenn er nicht Cäsar sein kann, aber versunken in bodenlose moralische Schwäche, vermag er sich nicht mehr zu der "Tat" des Selbstmordes aufzuraffen. In der Furcht vor dem ihn ereilenden Schicksal flehte er in den Gärten des Sallust den Sklaven an, ihn zu töten.

König Ludwig bittet seine Freunde, seine Diener um Gift – aber keiner erbarmt sich seiner Not. Da faßt er den Gedanken, sich von dem kleinen Turm, der über dem Abgrund der Pöllachschlucht steht, hinabzustürzen – den Gedanken, daß der Sturz aus jedem Fenster seiner Gemächer ihm unfehlbar Tod bringen muß, weist er zurück. Es muß der Turm sein – es lag wohl ein Reiz in dem Gedanken, den höchsten Punkt zu erreichen vor dem Abgrund.

Aber er hat auch ein dunkles Gefühl, als werde ihn auf der Höhe des Turmes der Mut verlassen, und darum muß er seine Nerven stärken, seine Furcht betäuben.

Er bestellt sich Kognak und Arrak. Dann erst verlangt er den Schlüssel zum Turm.

Der Kammerdiener Meier ahnt die Absicht seines Königs und behauptet, der Schlüssel sei verlegt, ratlos bespricht er mit seinen Kameraden, was zu tun sei.

Der König aber trinkt ein Glas Kognak nach dem andern – leert eine ganze Flasche. Dann beginnt er heißen Punsch zu trinken – er leert allmählich auch diese Flasche, und die Spirituosen beginnen zu wirken. Es scheint der Mut für die "Tat" zu wachsen, und er verlangt immer drohender den Schlüssel zum Turm.

Der unglückliche Kammerdiener Meier weiß nicht mehr, was er tun soll. Er versteckt sich selbst, und die Diener des Königs suchen nun ihn, der den Schlüssel haben soll.

Da – nachts um zwölf Uhr am 11. Juni – treffen Gudden und Dr. Müller mit den Krankenwärtern wieder in Schwanstein ein, und Meier wendet sich nun hilfesuchend an die Ärzte. Gudden läßt sich die Situation schildern und entwirft seinen Plan.

Die Ausgänge werden besetzt. "Jetzt geben Sie dem König den Schlüssel", sagt er zu Meier, und dieser führt den Auftrag aus.

König Ludwig aber tritt seinen Todesgang an. Hochaufgerichtet, wahnsinnig, betrunken, den Selbstmordentschluß in den gläsernen, großen, braunen Augen.

Er schreitet durch die Tür seines Zimmers zum Korridor – und Gudden steht vor ihm...

Ich lasse den nüchternen Wortlaut der Müllerschen Darstellung folgen. Sie ist in allen Einzelheiten wahr. Nach dem Tode des unglücklichen Gudden ist Müller jetzt der einzige Mann höherer Bildung, der als Augenzeuge jenen entscheidenden Stunden in König Ludwigs Leben anwohnte.

Ohne jedes Hindernis waren die beiden Ärzte bis Schwanstein gelangt. Die bisherigen Gendarmen waren bereits auf Befehl des neuen Regenten im Lauf des Tages durch andere ersetzt worden, und der König befand sich seit diesem Wechsel in seinem Schlosse als ein Gefangener.

Die Gefahr für Bayern aber schien seit diesem Augenblick abgewendet zu sein, und aufatmend erhielt die neue Regierung in München die Nachricht von der Ablösung des Gendarmerie-Kommandos.

Mit Zittern und Zagen hatte bis dahin General von Freyschlag, der alte Adjutant des Prinz-Regenten Luitpold, jeden Brief und jede Depesche erbrochen – immer die Schreckensnachricht erwartend: König Ludwig hat das Schloß verlassen und befindet sich auf dem Weg nach München.

Ich machte alle Phasen dieser Besorgnis in München mit, wohin ich mich, von Peißenberg mit der flüchtenden Kommission zurückgekehrt, begeben hatte.

In welche Lage mußte der Regent geraten, wenn tatsächlich König Ludwig nach München zurückkehrte. Das Haus Luitpold ist in München nicht beliebt, auch der alte Regent, eine verhältnismäßig wenig bekannte Persönlichkeit, der das ganze Jahr in der Provinz zubringt, um zu jagen. Seine Söhne sind ziemlich hochmütige Herren ohne warmen Zusammenhang mit Gesellschaft und Volk. Nichts band die Truppen an den neuen Regenten, weder Liebe noch militärisches Gefühl. Er war sein Leben lang kein Soldat gewesen. Wohl hatten sie dem neuen Herrscher den Eid geschworen – aber dem eigentlichen König auch, der noch lebte.

Der arme alte Regent ging durch bittere Stunden der Sorge an dem ersten Tag seiner Macht. Nur den Ministern gegenüber hatte er ein gewisses Gefühl der Genugtuung, das Gefühl: seht Ihr! Ich hatte meine Gründe, wenn ich Euerem Drängen nicht nachgeben wollte.

Erst die Übernahme des kranken Königs durch die Ärzte vermochte ein Gefühl definitiver Sicherheit in ihm zu erwecken. Er ahnte nicht, welche neue Prüfungen ihm bevorstanden.

Dr. Müller schildert den Vorgang dieser Übernahme folgendermaßen:

"Gegen zwölf Uhr nachts kamen wir in Schwanstein an. Der Stallmeister Leefeld hatte uns schon in Hohenschwangau verlassen, und mit ihm hatte man ausgemacht, daß in der Frühe um vier Uhr der Wagen des Königs und die für uns bestimmten Wagen im Schlosse Schwanstein bereit stehen sollten. Kaum aber waren wir in Schwanstein ausgestiegen, da stürzte uns der Kammerdiener Meier, ein langjähriger treuer Diener des Königs, entgegen und beschwor uns, wir sollten sofort in die Gemächer des Königs gehen. Wenn wir nicht sofort hinaufgingen, dann würde sich der König, der in großer Aufregung sei, zum Fenster hinausstürzen: Er wisse, daß etwas gegen ihn im Werke sei und habe ausgesprochene Selbstmordgedanken. So habe er schon verschiedene Male den Schlüssel zum Turme verlangt, wahrscheinlich, um von da in die Tiefe zu springen. Man habe ihn damit hingehalten, daß man ihm sagte, der Schlüssel sei verlegt, und man suche eifrigst nach ihm.

Hier galt kein langes Zaudern. Der Wagen war zwar erst um vier Uhr bereit, aber man mußte bis dahin den König vor sich selber schützen. Und Gudden war auch rasch entschlossen. Durch eine Reihe nur mit Brettern belegter Korridore kamen wir an eine Wendeltreppe, die in ihrer Fortsetzung auf den ominösen Turm führte. Etwa in der Mitte derselben schloß sich an sie ein Korridor an, der direkt in die Zimmer des Königs mündete. Dort machten wir halt. Ein Teil der Pfleger ging nach oben und schützte so den Zugang zum Turme, die anderen Pfleger mit uns und einer Reihe von Gendarmen, gingen wieder einige Stufen rückwärts. Dadurch wurde der Raum vor dem Korridor frei, und der König sah beim Verlassen seiner Zimmer bzw. beim Verlassen des Korridors niemand von uns. Darauf basierte der ganze Plan. Der Kammerdiener Meier sollte zum König hineingehen und ihm den Turmschlüssel geben. Kam dann der König heraus, dann wollte ihm Gudden erklären, daß er geisteskrank sei und daß die Behandlung sofort ihren Anfang nehme.

Der Kammerdiener ging mit dem Schlüssel hinein zum König, und für uns, die wir außen warteten, waren es Augenblicke höchster Spannung und großer Erregung. Ich selbst hatte ja den König überhaupt noch nie gesehen.

Plötzlich hörten wir feste Tritte, und ein Mann von imposanter Größe stand unter der Korridortür und sprach in kurzen, abgerissenen Sätzen mit einem in tiefster Verbeugung dastehenden Diener. Die Pfleger von oben und unten, zugleich wir gingen gegen die Türe zu und schnitten ihm den Rückweg ab. Mit großer Schnelligkeit hatten die Pfleger den König an den Armen untergefaßt, da trat Gudden vor und sprach: "Majestät, es ist die traurigste Aufgabe meines Lebens, die ich übernommen habe; Majestät sind von vier Irrenärzten begutachtet worden, und nach deren Gutachten hat Prinz Luitpold die Regentschaft übernommen. Ich habe den Befehl, Majestät nach Schloß Berg zu begleiten, und zwar noch in dieser Nacht. Wenn Majestät befehlen, wird der Wagen um vier Uhr vorfahren."

Der König stieß nur ein kurzes, schmerzliches "Ach!" aus und sagte dann immer wieder. "Ja, was wollen Sie denn? Ja, was soll denn das?"

Die Pfleger führten ihn nun in das Schlafzimmer zurück, aus dem der König gekommen war. In dem Vorzimmer roch es stark nach Arrak, den der Kranke vorher in ziemlicher Menge zu sich genommen hatte. Dies merkte man auch, als der König im Schlafzimmer, wo die Pfleger rasch die Fenster (jeder einzelne hatte ein Fenster zu bewachen) sicherten, frei dastand. Er schwankte leicht nach vorne und hinten und nach den Seiten, auch an der Sprache zeigten sich gewisse kleine Unsicherheiten. Es darf nicht vergessen werden, daß der Kranke durch das Mitgeteilte naturgemäß bis ins Innerste getroffen war, und man kann ja auch dieser Erregung einen Teil der Schuld an den eben geschilderten Symptomen geben.

Im Schlafzimmer des Königs begann nun eine Reihe von Verhandlungen. Gudden stellte uns einzeln vor. Dabei bemerkte Gudden, er hätte schon im Jahre 1874 die Gnade einer Audienz gehabt, worauf die Antwort kam: "Ja, ja, ich erinnere mich genau." Nachdem der König sich noch nach verschiedenen Einzelheiten in der Behandlung des Prinzen Otto erkundigt hatte, wobei man ihm anmerkte, wie er sich nur mühsam beherrschte, begann er plötzlich: "Wie können Sie mich für geisteskrank erklären, Sie haben mich ja vorher gar nicht angesehen und untersucht?"

"Majestät, das war nicht notwendig; das Aktenmaterial ist sehr reichhaltig und vollkommen beweisend, es ist geradezu erdrückend."

"Und wie lange wird die ›Kur‹ wohl dauern?"

"Majestät, in der Verfassung steht: ›Wenn der König länger als ein Jahr durch irgendeinen Grund an der Ausübung der Regierung gehindert ist, dann tritt die Regentschaft ein, also würde ein Jahr vorläufig der kürzeste Termin sein.‹"

"Nun, es wird wohl rascher gehen, man kann es ja so machen wie mit dem Sultan, es ist ja leicht, einen Menschen aus der Welt zu schaffen."

"Majestät, darauf zu antworten, verbietet mir meine Ehre."

Darauf wandte sich der König zu mir, den er für einen Bruder des gleichnamigen damaligen Oberregierungsrates, jetzigen Polizeidirektors von München hielt, und fragte mich in ähnlicher Weise nach dem Zustand des Prinzen Otto aus. Er erwähnte, daß ich Berichte an ihn eingeschickt habe, er habe dieselben immer gelesen. (Tatsächlich lag auch auf des Königs Schreibtisch ein ärztlicher Bericht über den Prinzen, den ich am 15. Mai 1886 von Fürstenried aus eingesandt hatte.)

Nun kamen die einzelnen Pfleger daran und berichteten auf Fragen über ihre Personalangelegenheiten. Nahezu regelmäßig schloß die Unterredung mit jedem mit der Frage: "Warum gehen Sie denn nicht aus dem Zimmer? Ich möchte allein sein; es ist doch zu unangenehm." Und ebenso regelmäßig erwiderten die Leute: "Der Herr Obermedizinalrat hat es so angeordnet."

Darauf sprach der Kranke von seinem Aufenthalt in den Bergen, wo es doch schöner sei als in der dumpfen Stadt. Die Luft sei rein, das Wasser so frisch. Man könne es doch niemand verargen, wenn er gerne in den Bergen lebte.

Nun verließen wir beide, Gudden und ich, das Schlafzimmer auf den Wunsch des Königs hin, die Pfleger aber blieben zurück. Die einzige von innen nicht besetzte Tür war vom Vorzimmer aus bewacht. Dort befanden sich mehrere höhere und Subalternoffiziere der Gendarmerie, ferner hohe Regierungsbeamte und endlich eine Reihe von Gendarmen. – Von hier aus kam man auch unmittelbar in das Schreibzimmer des Monarchen, das feenhaft eingerichtet war, wie überhaupt Schwanstein mit seinen Wandgemälden, den zentimeterhohen Goldstickereien auf blauem Samt, überhaupt dem ganzen Prunk einen unvergleichlichen Eindruck machte.

Dort im Schreibzimmer war es, wo ich meinen Bericht auf dem Tische liegen sah; im Korridor hatte ich auch Gelegenheit zu beobachten, nach welchem Zeremoniell die Diener des Königs handelten. Der eine von ihnen kam auf uns zu in tiefer Verbeugung: der Oberkörper war im Becken geradlinig abgebogen, so daß man beim Herannahen nur die Kopfhaare sah. Nachdem der Lakai in dieser Stellung seinen Auftrag ausgerichtet hatte, ging er ebenso gebückt, ohne kehrtzumachen rückwärts und visierte nur vorsichtig, daß er die Ausgangsöffnung richtig fand.

Nach kurzer Zeit ging Gudden wieder in das Schlafzimmer des Königs zurück; von der weitergeführten Unterhaltung verstand ich nur einzelne Sätze, solange ich an der Türe stand. Die Hin- und Gegenreden wurden gehalten, bis der auf vier Uhr in der Frühe bestellte Wagen vorgefahren war.

Hier mag der Platz sein, wo ich zum ersten Male mein Urteil über den König abgebe: Ich hatte ihn mir anders vorgestellt, ebenso wie ich mir die Szene, in der er von der Erklärung, er sei krank, erfuhr, ganz anders gedacht hatte. Es ist wahr, nach den Bildern, die man in München sah, hätte man den König sofort erkannt. Er war ja noch der große, stattliche Mann mit dem mächtigen Körper, er blickte noch mit so großen Augen seine Umgebung an, aber aus diesen Augen war das Selbstbewußtsein geschwunden und an dessen Stelle eine deutliche Unsicherheit getreten. Er konnte gewiß bei einer Audienz noch jemand so anschauen, daß dieser verwirrt zu Boden sah, aber hier hielt er den fixierenden Blick nicht mehr aus. Seine Züge waren verschwommen, das bleiche Gesicht etwas aufgedunsen, die Sprache hastig, durch häufige Wiederholungen unterbrochen, die Bewegungen unsicher.

Ich hatte mir gedacht, daß dieser König mit seinen Ansichten von Herrscherwürde und Herrschermacht durch die Mitteilung, daß er nun nicht mehr Herrscher sei, entweder gebrochen zusammensinken würde oder sich in wilder Explosion Luft verschaffte. Aber keines von beiden trat ein. Er war zwar anfänglich erschüttert, aber bald begann er mit denen, die er naturgemäß hassen mußte, zu verhandeln, sie auszufragen, seine Zurückgezogenheit gewissermaßen zu entschuldigen, und immer und immer wieder kamen seine Verfolgungsideen zum Vorschein, die sich in so kleinem Kreise bewegten. Mit kurzen Worten: ich hatte mir den König noch nicht so schwerkrank vorgestellt, als er es in Wirklichkeit war; darum reagierte er auch anders, als ich vorher gedacht.

Wer natürlich nur den für geisteskrank hält, der entweder in tiefer Melancholie am Boden kauert oder in wilder Tobsucht seine Umgebung bedroht oder endlich so blödsinnig geworden ist, daß er kein verständiges Wort mehr reden kann, dem können meine Erzählungen, wie und was der kranke König sprach, am Ende gar noch Zweifel verursachen; aber dann soll er daran denken, daß es auch Geisteskranke gibt, die zwar noch denken, aber falsch denken; die noch Willensregungen haben, aber nur solche, die auf verkehrtem Boden wachsen und zu verkehrten Zielen führen; die endlich in einer Welt voll Argwohn und Verfolgungsangst leben. Und ein solcher war der König.

Gegen vier Uhr, als der Wagen angekommen war, sagte Gudden: "Wenn Majestät befehlen, fortzufahren, der Wagen ist jetzt bereit."

"Ja, ja, dann fahren wir."

Nachdem der König sich reisefertig gemacht hatte, ging er in unserer Begleitung hinunter in den Schloßhof; dort standen drei Wagen bereit. Als der Kranke mit Gudden die Freitreppe hinabstieg, hätte es nur eines Stoßes bedurft, und Gudden wäre hinuntergestürzt. Aber der König schritt vorwärts, ohne eine Handbewegung zu machen.

Im Schloßhof sprach er noch geraume Zeit mit dem Kammerdiener Meier, er hatte, wie dieser mir später erzählte, Zyankali von ihm verlangt bzw. befohlen, Meier solle es besorgen. Nach längerem Hin- und Herlaufen konnte der Befehl zum Aufbruch gegeben werden: im ersten Wagen fuhr ich mit dem Kammerdiener und zwei Pflegern, dann kam der Wagen des Königs, der von innen durch Hinwegnahme des Drückers nicht geöffnet werden konnte. Der Kranke war allein im Wagen, auf dem Bock saß der Oberpfleger, nebenher ritt ein Stallbediensteter, der den Auftrag hatte, scharf in den Wagen zu sehen und bei dem geringsten verdächtigen Symptom ein Zeichen zu geben. Im dritten Wagen befand sich Gudden mit dem Gendarmeriehauptmann und zwei weiteren Pflegern. Es war bestimmt worden, daß, sobald der Stallbedienstete ein Zeichen gäbe, die Wagen sofort zu halten und wir uns insgesamt am Wagen des Königs zu versammeln hätten.

Aber das wurde nicht notwendig, die Fahrt verlief ohne jede Störung. Unterwegs wurde dreimal umgespannt. Bei der letzten Relais-Station – in Seeshaupt am Starnberger See – verlangte der König von der Wirtin Wasser. Nachdem er getrunken hatte, gab er das Glas zurück und sagte dreimal. "Danke!"

In den Zeitungen sprach man damals davon, der König hätte vor seinem Abschied in Schwanstein eine Ansprache gehalten. Das ist unrichtig. Auch die Episode in Seeshaupt, wo jetzt noch das betreffende Glas gezeigt wird, beschränkte sich auf das oben Gesagte."

Soweit die Schilderung Dr. Müllers.

Gegen Morgen am 11. Juni 1886 war der König in Schloß Berg eingetroffen. Noch gingen die Wellen der Erregung in München hoch, aber die ruhig gehaltene Proklamation, die im ganzen Lande verbreitet worden war, hatte ihre Wirkung nicht verfehlt. Unter einer Art Schrecken standen die Bürger. Sie hatten sich nicht klar gemacht, wohin der Wahnsinn des Königs führen mußte, und die Entscheidung machte einen lähmenden Eindruck. Aber man verstand schließlich in den Städten und auf dem flachen Lande die Maßregel. Anders war es im Gebirge, wo die Bewohner der einsamen Täler von den wahnsinnigen Passionen des Königs lebten. Der Bau der Schlösser und Straßen, die Instandhaltung der Wege im Sommer und das Schneeschaufeln im Winter auf meilenweite Entfernung warf guten Verdienst ab. Darum war der König dort nicht wahnsinnig und der Prinz-Regent ein Rebell. Bis nach dem Starnberger See hin machte sich diese Auffassung geltend und konnte ich dort eine gewisse Spaltung unter den Bewohnern wahrnehmen.

So war es kein Wunder, daß schon in der Nacht, als der König von Schwanstein nach Berg transportiert wurde, Komplotte zu seiner Befreiung geschmiedet worden sind.

Unter diesen ist in erster Linie die auf die Befreiung des Königs gerichtete Tätigkeit der Kaiserin Elisabeth von Österreichs zu zählen, welche seit Jahren, und auch zu jener Zeit, in Feldafing am Starnberger See, in Strauchs Gasthof, weilte, um ihren greisen Eltern, dem Herzog und der Herzogin Max in Possenhofen , nahe zu sein.

Die etwas sehr eigentümlich angelegte, sehr begabte Kaiserin hatte stets mehr Verständnis für ihren Vetter gehabt als andere Sterbliche. Wenn sie stundenlang in ihrem Salon in einer Art Zirkuskleidung am Trapez arbeitete, oder plötzlich – nur mit einem langen Regenrock über Trikotkleidung angetan – von Feldafing nach München zu Fuß ging, eine Strecke von etwa 5o Kilometern (mir begegnete sie in dieser Kleidung einmal), so ist es begreiflich, daß sie die Extravaganzen ihres Vetters, deren schlimmste Auswüchse wohl sicherlich nicht zu ihrer Kenntnis gelangt waren, "erklärbar" fand.

Sie gehörte deshalb der Partei an, welche die Entmündigung des Königs für einen Gewaltakt des Prinzen Luitpold und des Ministeriums hielt und daher ernstlich an die Befreiung des Königs dachte. Wie Frauen aber nur selten einen logisch durchdachten Plan fassen können, so scheiterte die Absicht der Kaiserin schon am ersten Tage durch ihre Unvorsichtigkeit und Phantasterei. Heimlich hatte sie durch einen Boten Briefe an den König gelangen lassen, welche die Aufschrift trugen: "Die Seemöve an den Seeadler." Die Umgebung des Königs hatte diese Briefe öffnen müssen und daraus die Absichten der Kaiserin erkannt.

VI.

Höfische Erlebnisse

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