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Die Entmündigung des Königs wird beschlossen.

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Die Gefahr, daß an den König ein neues französisches Anerbieten herantreten könne, trieb die maßgebenden Kreise endlich zu einer Aktion. Denn es war klar, daß die Franzosen, selbst auf die Gefahr hin, daß der König sein Neutralitätsversprechen im entscheidenden Augenblick nicht werde halten können, für eine, den Aufmarsch der deutschen Armee nur einige Tage verzögernde oder störende Aktion des Königs, jede beliebige Summe zahlen würden.

Man hat, wie ich oben bemerkte, hinter dem Angebot aus Paris das Haus Orleans vermutet. Ich habe meine Gründe, zu behaupten, daß die französische Regierung jenen Versuch machte, den König zu gewinnen.

Der französische Gesandte in München, Mariani, ein sehr kleiner, magerer, schielender Mann mit spärlichem schwarzen Vollbart, der Typus des geschmeidigen intrigierenden Franzosen, hatte wohl den Gedanken einer solchen "Bestechung" angeregt. Es lag dieser Gedanke nahe – und Mariani war schlau genug, um ihn praktisch zu verwerten. Königin Isabella, die selbst stets in Schulden steckte, seit sie, verbannt, das Palais Basilewsky in Paris bewohnte, schien ihm wohl eine durchaus verwendbare Mittelsperson zu sein.

Als mir Minister Crailsheim von dieser Besorgnis Mitteilung machte, drängte ich auf schleunige Entscheidung. Es durfte nicht sein, daß Frankreich auch nur für eine Stunde zu glauben berechtigt wäre, daß ein deutscher Bundesfürst überhaupt in der Lage sei, Verpflichtungen in dieser Richtung einzugehen.

Herr von Crailsheim stimmte meiner Auffassung bei, kam aber immer wieder auf die alte Ansicht zurück, daß der erste Schritt zu der Entmündigung des unglücklichen Königs durch den Prinzen Luitpold zu machen sei.

Ich erklärte ihm, daß, wenn bei einer das Ansehen Deutschlands gefährdenden Lage Prinz Luitpold zögern würde, einzugreifen, er die Verantwortung gegenüber den andern Bundesfürsten, d.h. gegenüber ganz Deutschland, zu tragen haben werde.

Einige Tage darauf teilte Herr von Crailsheim der Gesandtschaft das Gutachten der ärztlichen Autoritäten an der Hand eidlicher Aussagen aus der Umgebung des Königs mit.

Es war von größter Bedeutung, daß es möglich gewesen war, gerade in diesen Tagen die Beweise für den Wahnsinn des unglücklichen Königs so zu vervollständigen, daß die Agnaten und das Ministerium bei der geplanten Entmündigung des Königs vor der Volksvertretung durch das erdrückende Material, welches das Gutachten enthielt, gerechtfertigt erscheinen mußten.

Die Aussagen der obengenannten Personen – des Kabinettsrats Ziegler, des Stallmeisters Hornig, der Diener und Stalleute des Königs usw. – stellten unzweifelhaft die völlige geistige Störung des Königs fest.

Der Inhalt des geheimen Aktenstückes, das ich in Händen gehabt habe und das dazu bestimmt war, einer Kommission des Reichsrats und der II. Kammer vorgelegt zu werden, erschreckt durch die Ungeheuerlichkeiten der Handlungen und Äußerungen des Königs, erregt aber auch dadurch das höchste Erstaunen, daß seine Umgebung fähig war, durch Jahre hindurch Verhältnisse zu verschweigen, die völlig anormal und unhaltbar waren. Wohl fällt es ins Gewicht, daß die Freigebigkeit des Königs seiner Umgebung das Leben angenehm gestaltete und daß die Habgier reiche Nahrung fand. Daß aber körperliche Mißhandlungen, die in zwei Fällen den Tod des Geschädigten zur Folge hatten, daß grausame Strafen und das völlig wahnsinnige, sinnlose Leben des Königs nur als Gerüchte und in unbestimmter Darstellung in das Volk dringen konnten, spricht für eine ganz außergewöhnliche Diskretion aller Beteiligten.

In erster Linie kommt das in einem solchen Falle etwas zweifelhafte Verdienst dem Oberstallmeister Graf Holnstein zu. Der "Roßober" – wie er im Publikum genannt wurde, hatte den Befehl über das kolossale Material von Menschen, Pferden und Wagen, das der König im Gebirge brauchte. Er gab mir die Höhe seiner ihm untergebenen Stalleute auf etwa 200 an. Ihm gingen alle Klagen über den König zu. Er vertuschte, was zu vertuschen ging, zahlte und besorgte die Schmerzensgelder, expedierte unbequeme und drohende Elemente nach Amerika und hielt diesen tollen Hof, so lange er zu halten ging.

Von preußischem Standpunkt aus hatten wir uns über diesen jahrelangen Aufschub der Katastrophe nicht zu beklagen, da die reichsfeindlichen ultramontanen Bestrebungen in Bayern während der Regierung König Ludwigs stets zurückgedämmt wurden.

Es war der atheistische König, der ihnen keine Macht und keinen Einfluß ließ. Nicht etwa seine deutsche Gesinnung war der Motor dieser Politik, wie das deutsche Volk sich seit dem Jahre 1870 zu glauben gewöhnt hatte.

Der Inhalt des Schriftstückes, das den Wahnsinn des unglücklichen Königs feststellte, übertraf alles, was gerüchtweise darüber in die Öffentlichkeit gedrungen war. Die Handlungen und Äußerungen aber, die man gern als Beweismaterial für die Notwendigkeit einer Regierungsänderung öffentlich mitgeteilt hätte, konnte man nicht bekanntgeben, da sie in zu grauenhafter Weise das Bild des Monarchen, das in so idealer Form im Herzen seines Volkes eingegraben stand, zerstört hätten.

Man entschloß sich später, nur andeutungsweise Mitteilungen zu machen, wohl aber wurde der Volksvertretung von dem wesentlichen Inhalt des Schriftstückes Kenntnis gegeben.

Am entsetzlichsten berührte den Leser der Haß des Königs gegen seine Mutter, gegen seinen verstorbenen Vater. In wahnsinnigen Halluzinationen vergriff er sich an den Eltern und erzählte mit Genugtuung von seinen abscheulichen Handlungen den Leuten seiner Umgebung, dem Fourier Hesselschwert, dem Stallknecht Sedlmaier und anderen. "Heute", sagte z. B. der König, "habe ich meiner Mutter eine Wasserflasche auf dem Kopf zerschlagen, habe sie an den Haaren zu Boden gerissen und ihr mit den Hacken auf den Brüsten herumgetreten; – jetzt ist mir wohl!" Oder er erzählte. "Ich bin in der Gruft bei meinem Vater gewesen, habe den Sarg aufgerissen und ihn hinter die Ohren geschlagen. – Das geschieht ihm recht."

Dieser grauenhafte Haß steigerte sich, je mehr er sich in den Gedanken des absoluten Königtums hineinlebte, je mehr Ludwig XIV. sein Idol wurde – denn König Max war der Begründer der Verfassung, der Volksvertretung und damit der Begründer seines, des Königs Ludwigs "Elendes". Die Königin aber war die Frau des "Verbrechers". Die Schamlosigkeit des Königs ging so weit, daß er seiner Mutter vorwarf, ihn nicht aus der Ehe mit König Max empfangen zu haben!

Anknüpfend an diesen Haß gegen die Mutter muß ich eine Episode aus dem Jahre 1884 erwähnen.

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Damals drang als Gerücht die Nachricht zu mir, der König habe auf seinen ehemaligen Vertrauten, den Hofstallmeister Hornig (einen höchst achtungswerten Mann), geschossen, und dieser sei nun definitiv aus dem Dienst in Ungnade entlassen. Ich konnte nicht den wahren Sachverhalt erfahren.

Jetzt erfuhr ich folgendes: Hornig, ein großer starker Mann, befand sich bei dem König in Schloß Berg. Der König ging im Zimmer auf und nieder, in unflätigster Weise seine Mutter beschimpfend. Hornig hörte in Ungeduld zu, bis ihm das Blut vor Zorn in den Kopf stieg. "Ich kann das nicht länger hören!" rief er aus, "so darf ein Sohn nicht von seiner Mutter reden."

Der König richtete sich wie ein wildes Tier zum Sprung auf, stürzte Hornig entgegen und krallte ihn tief in die Augenhöhle und Backe. Da übermannte in rasendem Schmerz Hornig die Wut. Er faßte den König unter die Arme und warf ihn mit Hünenkraft in eine Ecke des Zimmers an den Boden. Zitternd und feig begann der König um sein Leben zu flehen. "Ich gebe dir, was du willst – verlange, was du magst. Nur töte mich nicht!"

Hornig verließ den Unglücklichen und sah ihn nicht wieder. Der König wollte ihn erschießen, als er aus dem Schloß ging, fand aber keinen geladenen Revolver – dann ersann er die strengsten Strafen für ihn – bis in dem zunehmenden Wahnsinn andere Phantasien das Bild Hornigs verdrängten.

Weniger erschreckend, aber nicht weniger überzeugend für die Krankheit des Königs war seine abgöttische Verehrung für Ludwig XIV. und für die beiden ihm folgenden bourbonischen Könige. Gekleidet wie sie, ritt er in Mondnächten spazieren – bisweilen die Krone auf dem Haupt, den Hermelinmantel um die Schultern. Er hielt Hoftafel, an denen er allein als Ludwig XIV. saß, aber er unterhielt sich mit den Phantomen, die er auf den leeren Stühlen sah und denen die Diener in chinesischer Hofetikette servieren mußten.

Der Gedanke des absoluten Herrschers hatte sich ihm so sehr eingeprägt, daß ihm Bayern unerträglich geworden war. Er wollte da regieren, wo er allein über Leben und Tod zu entscheiden hatte, und darum wollte er Bayern verkaufen – an Preußen, an wen es auch immer sei. Man sollte ihm ein Land suchen, wo er schrankenloser Herrscher sein konnte.

Professor von Löhr gab sich dazu her, Reisen zu machen, um ein solches Land zu finden. Auf den Kanarischen Inseln, im Griechischen Archipel reiste er umher und schrieb dem König Berichte. Mit Recht erhob man später harte Klage gegen Löhr, der den Wahnsinn des unglücklichen Monarchen benutzte, um schöne Reisen zu machen und sich die Schilderungen von der "Augsburger allgemeinen Zeitung" zahlen zu lassen.

Vor der Büste der Königin Marie Antoinette verbeugte sich der König stets wie vor einem Heiligenbild – aber er grüßte auch mit tiefer Verehrung stets eine besondere Tanne, einen gewissen Zaun am Wege zwischen Leoni und Ammerland – und er umarmte auch stets eine bestimmte Säule im Vestibül des Linderhof.

Die Persönlichkeit, die in anderer Weise die Phantasie des wahnsinnigen Königs beschäftigte, war der deutsche Kronprinz. Seitdem die Kriegslorbeeren von 1870 als Feldherr auch der bayerischen Truppen um sein Haupt und nicht um dasjenige König Ludwigs gewunden worden waren, erfüllte unversöhnlicher Haß den unglücklichen Fürsten. Als bei dem Einzug der bayerischen Truppen im Jahre 1871 das Volk dem Sieger von Wörth und Weißenburg überschwenglich zujauchzte, während der König nur den üblichen Beifall friedlicher Tage fand, hatte sein Haß noch eine Steigerung erfahren. Jetzt, in den dunklen Stunden des Wahnsinnes, sann er auf Rache, aber der Gedanke, den Kronprinzen töten zu lassen, schien ihm nicht ausreichend zu sein. Er beauftragte Hesselschwert, eine Bande zu dingen, die den Kronprinzen aufheben und in einen Turm bringen sollte, den er sich am Ammersee hatte bauen lassen. Hier sollte der Kronprinz grausam gemartert werden. Man sollte ihm die Augen ausstechen, ihn an den Rand des Todes bringen – ihm aber das Leben lassen, damit die unaufhörliche Sehnsucht nach Frau und Kindern seine Qualen vermehre. Diese Bande sollte später auch sämtliche Volksvertreter beseitigen, um alsdann das absolute Regiment wieder herstellen zu können.

Die Gedanken des Mordes und der Gewalt beherrschten den König, sobald irgendeine Person seinen Unwillen erregte. Und er versenkte sich in solche Gedanken mit der ganzen Zügellosigkeit seiner wahnsinnigen Phantasie.

Als einst die Frau eines Mannes, der kompromittierende Briefe des Königs besaß und deshalb von Graf Holnstein nach Amerika geschickt worden war, nach Hohenschwangau kam und auf Grund jener Schriftstücke einen neuen Erpressungsversuch beabsichtigte, befahl der König, ihr zu sagen, er wolle sie spät am Abend jenseits des Alpsees empfangen. Sie solle dann unterwegs, mitten auf dem See, in das Wasser gestürzt werden.

Solche Befehle gab er mit allen Details, und in diesem Falle fuhr er wirklich an den verabredeten Punkt, voller Spannung die Ausführung seines Befehls erwartend. Man sagte ihm, die Frau sei entflohen. In Wirklichkeit aber hatten die Zahlung neuer Summen und ernstliche Drohungen die gefährliche Person bestimmt, Hohenschwangau zu verlassen.

Diese und ähnliche Vorgänge wiederholten sich von Monat zu Monat, und Graf Holnstein war an der Grenze angelangt, da es nicht mehr möglich war, durch Schmerzensgelder, Verschickungen, Versprechungen, Amtsbeförderungen und Drohungen den Schein der Vernunft des Königs zu erhalten. An allen Enden blickte die trostlose Wahrheit heraus.

Unter diesem, schließlich die ganze Umgebung des Königs belastenden Druck hatten seine Diener ihre Aussagen gemacht und war das Schriftstück entstanden, das die Handhabe zu der Entmündigung des Königs bilden sollte.

Der entscheidende Schritt aber wurde immer noch durch die Furcht der Prinzen des bayerischen Hauses vor der gewalttätigen Natur des Königs aufgehalten. Es war nicht nur die Erwägung, daß ein Schritt gegen die Majestät dem Gedanken des Königtums einen zu erheblichen Schaden zufügen könnte.

Ein Brief, den ich schon im September 1885 an Herbert Bismarck schrieb, kennzeichnete auch in dieser Hinsicht die Situation, wie sie jetzt unaufhaltsam eingetreten war. Ich füge ihn hier ein, da er durch seine Details ein getreues Bild der herrschenden Stimmung zu geben vermag.

München, September 1885.

"... Aus meinen Berichten werden Sie über die hiesigen Zustände das Nähere erfahren haben. Einiges möchte ich Ihnen privatim mitteilen.

Die Verhältnisse an dem Hofe des Königs werden immer komplizierter und die Gemüter von Tag zu Tag erregter. Ich habe mich, um orientiert zu bleiben, mit dem einzigen Mann angefreundet, der einen richtigen Einblick in die Privatangelegenheiten des Königs haben und seiner psychopathischen Entwicklung folgen kann, soweit es die Sprünge eines nicht mehr normalen Hirnes gestatten. Es ist der Kabinettsvorstand, Ministerialrat Schneider, ein ruhiger, gewissenhafter Mensch und unermüdlicher Arbeiter. Durch seine Hand geht alles, was an den König herantritt, und alles, was vom König kommt. Die persönlichen Vorträge, die noch im vergangenen Jahre Ministerialrat Ziegler, sein Vorgänger, dem Könige – hinter einer spanischen Wand stehend – zu halten hatte, haben aufgehört. Alles wird schriftlich abgemacht und durch die zur Dienstleistung bei dem König kommandierten Chevauxlegers überbracht. Schneider sieht die Situation sehr ernst an, denn seine unaufhörlichen Beteuerungen, daß der König seinen Regentenpflichten mit Weisheit und Einsicht nachkäme, lassen erkennen, daß er seinen Herrn nicht mehr für normal hält.

Die durch den König schwer gekränkten Prinzen unternehmen keinen Schritt aus Furcht vor dem Zorn des Tyrannen, der sie unzweifelhaft nach Lindau, Bamberg oder Würzburg verbannen würde, wenn sie ihm Vorstellungen wegen seiner Schuldverhältnisse machen würden. Den Mut aber, einem solchen Befehl zu trotzen und einen Bruch herbeizuführen, haben sie nicht.

Die Minister warten auf eine Klage gegen die Kabinettskasse und halten den Prinzen Luitpold für denjenigen, der Abhilfe schaffen soll.

Schneider sagt, daß die Einstellung der Bauarbeiten – wenn der Tagelohn ausgeht – oder der Eingang der Klage bedenkliche Folgen für die Sinnesart des Königs haben würde. (Er glaubt also an den Ausbruch des Wahnsinns.)

Das Leben des Königs, das immer einsamer wird, und die Art seines Verkehrs mit den Chevauxlegers, die er bald als Freunde behandelt, bald mit Ohrfeigen zur Türe hinauswirft, sprechen für Schneiders Ansicht.

Von Bedeutung für die weitere Entwicklung der Verhältnisse wird jedenfalls der Eingang einer Klage, d. h. der Moment sein, wenn die Hofkasse aufhört zu funktionieren.

Dieser Augenblick kann noch hinausgeschoben werden, wenn der König die Verwaltung der Hofkasse einem gewissenlosen Menschen überträgt, denn Prinzen und Minister würden zufrieden sein, wenn ihnen energische Entscheidungen noch eine Weile erspart bleiben.

Von Seite des Volkes wird kaum etwas geschehen, wenn auch die Erregung eine wachsende ist. Seit den Zeiten der Lola Montez ist in Bayern keine ähnliche Stimmung gewesen, und schrieben wir 1848, so hätten wir in München schon Unruhen gehabt.

Um Majestätsbeleidigungen aus dem Wege zu gehen, werden in den Bierkneipen die bösesten Geschichten auf den Namen "Huber" erzählt. Die Chevauxlegers spielen dabei eine schlimme Rolle ..."

Die Furcht der Prinzen vor dem König wurde durch seine Rücksichtslosigkeit und sein hochfahrendes Wesen immer neu genährt.

Als noch während des regelmäßigen Winteraufenthalts König Ludwigs in der Residenz im Jahre 1882 oder 1883 die Familientafeln stattfanden, hatte einmal Prinz Luitpold seinen Herrn Neffen bei einer solchen festlichen Gelegenheit – der einzigen Gelegenheit, wo die Mitglieder der Familie den König sahen – angeredet. Nach Beendigung der Tafel erschien ein General- Adjutant des Königs bei dem alten Prinzen, um ihm im Allerhöchsten Auftrage mitzuteilen, daß es unschicklich sei, die Majestät ungefragt anzureden.

Kein Prinz und keine Prinzessin durfte ihren gegenwärtigen Aufenthalt für länger als zwölf Stunden ohne Genehmigung des Königs verlassen. Da aber Mitteilungen an König Ludwig oft tagelang in den Bergen nicht anzubringen waren, entstanden für die hohen Herrschaften bisweilen höchst ärgerliche Situationen.

Furcht aber verträgt sich selten mit Liebe, und so war denn auch die Liebe für den König im Kreise der Familie völlig erloschen. Man haßte den bösen unbequemen Herrn, der zugleich das Familienvermögen zugrunde richtete. Nur die unglücklichste aller Mütter, die Königin Marie, litt in ihrem Herzen Qualen um den verlorenen Sohn, der ihr wie ein Fremder begegnete – im ganzen Jahr ein paar Stunden –, der ihr den Befehl gab, Hohenschwangau zu verlassen, wenn seine Laune ihn in diese Gegend führte. Nur die Einfalt ihres Verstandes war die Gottesgabe, die ihr Frieden gab. Versunken in die ewigen Andachten der katholischen Kirche, der sie sich in die Arme geworfen hatte, suchte sie Trost.

Während die Entscheidung nahte, befand sich der König in Schloß Berg am Ufer des Starnberger Sees und war von hier nach dem Linderhof, sodann nach Schwanstein übergesiedelt. Er hatte, nachdem seine Bemühungen, ein neues Ministerium zu bilden, gescheitert waren, jegliche Initiative in politischer Hinsicht verloren. Es war eine Willenslosigkeit des Wahnsinns, in die er langsam versank. Er glaubte an die Ausführung seines Befehls zur Ermordung des Ministers Lutz und zur Deportierung Riedels – und er glaubte auch wieder nicht daran. Er erfuhr von der bedenklichen Stimmung im Lande durch eine Serie Artikel der "Münchener neuesten Nachrichten", die der Friseur Hoppe ihm vorlas. Als aber eines Abends in diesem Blatte ein Artikel der "Wiener Presse" abgedruckt war, der von der Wahrscheinlichkeit der Einsetzung einer Regentschaft in Bayern sprach, verbot er dem Friseur das Weiterlesen. Da dieser jedoch darauf bestand, wurde er in Ungnade für immer entlassen.

Diese letzte Energie, angewendet auf die Presse und diejenigen Elemente, die sich gegen ihn auflehnten, hatten damals vielleicht noch den König halten können. Aber er forderte nur einen Bericht von dem interimistischen Verwalter der Kabinettskasse, Klug, über "das, was man im Volke über seinen geistigen Zustand dächte" – und ließ sonst alles gehen, wie es ging. Er schimpfte und tobte vor seinen Stalleuten weiter gegen die Minister, die königliche Familie, seine Mutter, Deutschland, Kaiser und Kronprinz, von einem Exzeß der Brutalität in einen anderen fallend, dazwischen träumend und willenlos seinen Nachen dem Ende entgegentreibend sehend. Denn sein Bewußtsein war noch stark genug, um den ehernen Reif zu spüren, der um sein Leben lag und den zu zerbrechen seine Kräfte nicht ausreichten.

Den Bann der dämonischen Gewalten, unter denen seine gewalttätige Natur sich beugen mußte, vermochte er nicht zu lösen. Er lebte im Kampfe – nicht des Guten mit dem Bösen –, sondern des autokratischen Gedankens mit der übrigen Welt – und mit seiner eigenen Schwäche. Ein Ruhepunkt war in dieser Gestaltung eines Wahnsinns nicht denkbar. "Der König" war verletzt durch jede Berührung mit der feindseligen, modernen Zeit, die ihn umgab. Darum lebte er einsam. In dieser Einsamkeit aber litt der "unnahbare König" unter Ausbrüchen von Gewalttat und Sinnlichkeit.

Seine Schwäche empfand er als entsetzliches Elend und als Verbrechen gegenüber seiner "Majestät" – seiner Krone. In seinen häufigen, plötzlichen Ausrufen: "Niemals, niemals!" spiegelten sich Gedanken wider, die ihn quälten. Auch durch äußere Zeichen suchte er nach Halt. In seinem Wohnzimmer zu Berg sah ich am Tage seines Todes eine kleine Marmorsäule stehen, auf deren Sockel auf drei Seiten in Bronze die Worte stehen: Désormais jamais! Auf der vierten: Souvenez vous Sire! In seinen Tagebüchern aber, in dem traurigsten Denkmal seines Wahnsinns, verkleckst und verschmiert, in riesigen Buchstaben, steht allenthalben immer von neuem jamais, jamais, jamais – und drei große königliche Siegel sind darunter gedrückt.

In diesem Leben zu eigener und fremder Qual, in dieser innerlichen Zerrissenheit taumelnd von Zweifel zu Atheismus und von Begeisterung zu Gewalttat, von grauenhafter innerlicher Einsamkeit zu abstoßender Vertraulichkeit mit rohem Volk, war jede Möglichkeit einer Verständigung ausgeschlossen. Unnahbar äußerlich und innerlich mußten die Maßregeln auch außergewöhnliche sein, die der Regierung des Königs ein Ende bereiten sollten.

Es ist mir von königstreuen Bayern häufig in jenen Tagen gesagt worden, daß man einen ernstlichen Versuch hätte machen sollen, den König zur Abdankung zu bewegen. Doch nur völlige Unkenntnis der tatsächlichen Verhältnisse und der Sinnesart des Königs vermochte solche frommen Wünsche zu zeitigen. Wer hätte es wagen dürfen, dem König von der Aufgabe seiner Krone zu sprechen? Seiner Krone!

Die berühmte Tragödin Clara Ziegler erzählte, daß sie einst in einem Drama der königlichen Separatvorstellungen zu sagen hatte: "Diese Krone ist mir von Gott gegeben – und kein Mensch darf sie mir rauben." Einige Wochen später habe sie in der Nacht um zwei Uhr einen Königlichen Befehl erhalten, unverzüglich in das Schloß zu kommen.

Als die Tür zu dem großen Krönungssaal des Schlosses, in dem die goldenen Bildsäulen der bayerischen Königsahnen stehen, geöffnet wurde, stand König Ludwig in vollem Königsornat vor ihr – die Krone auf dem Haupt, den Purpurmantel um die Schultern, das Zepter in der Hand. Er zeigte, als sie eintrat, auf die Krone, indem er die Worte aus dem Drama wiederholte. "Diese Krone ist mir von Gott gegeben – kein Mensch darf sie mir rauben" – und damit war die seltsame Audienz beendet. Die Türen schlossen sich.

Fräulein Ziegler will in diesem Begebnis eine Erklärung für die Ermordung Dr. Guddens durch den König sehen. Denn dieser habe dem König durch seine ärztlichen Gutachten die Krone genommen. Es sei der Mord ein Akt der Rache gewesen – der Rache eines Wahnsinnigen.

Sie irrt jedoch, wie aus meiner nachfolgenden Darstellung hervorgeht. Das Begebnis Clara Zieglers soll hier nur als ein Beleg zu meiner Behauptung angeführt werden, daß der König nie und nimmer zu einer Abdankung zu bewegen gewesen wäre. Denn Seine "Krone" war das Heiligtum eines Wahnsinnigen geworden, das er auch mit wahnsinnigen Mitteln verteidigt haben würde.

IV.

Höfische Erlebnisse

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