Читать книгу Die inneren Fesseln sprengen - Phyllis Krystal - Страница 18
Das Arbeiten mit negativen elterlichen Archetypen
ОглавлениеUm als Person nach der Pubertät frei für eine unabhängige individuelle Entwicklung zu sein ist es, wie ich bereits erwähnte, notwendig, sich von beiden Elternteilen abzulösen, unabhängig davon, ob diese einen guten oder negativen Einfluss auf das betreffende Kind, welchen Alters auch immer, ausgeübt haben.
Im Falle von negativen Eltern ist dennoch ein weiterer Schritt notwendig, da solche Eltern unausweichlich eine archetypische, überlebensgroße Dimension in den Augen des Kindes annehmen. Auch mit dem Archetyp muss man sich beschäftigen. In solchen Fällen gibt es zwei unterschiedliche Rituale: eines, um das Kind von der negativen Mutter und ein weiteres, um es vom negativen Vater zu befreien. Um dies zu erleichtern, wurden uns symbolische Verkörperungen gegeben, so wie Drachen, Hexen, Riesen oder Unholde aus Märchen sowie die Schwarze-Witwen-Spinne, Kraken und diverse Monster.
Nachdem die Entspannungsübung abgeschlossen und das Dreieck aufgestellt ist, schlagen wir der Person vor, das Höhere Selbst darum zu bitten, ihm oder ihr eine Figur zu zeigen, die den diese Person überschattenden, negativen elterlichen Archetyp repräsentiert. Ich werde eine typische Erfahrung beschreiben, die von meiner eigenen Arbeit mit einer übermächtigen negativen Mutter handelt.
Nachdem ich relativ kurze Zeit mit der Wachtraum-Technik an mir selbst gearbeitet hatte, erlebte ich eine typische Konfrontation mit dem Drachen, der für mich den negativen Mutter-Archetyp repräsentierte. Zu jenem Zeitpunkt erfasste ich nur vage die Bedeutung von dem, was vorging. Erst später, als uns andere symbolische Figuren und deren Bedeutung erklärt wurden, begriffen wir, dass uns eine Methode gezeigt worden war, die Menschen hilft, sich von solchen mächtigen Kräften befreien zu können.
Sobald ich im Wachtraum-Zustand war, wurde mir bewusst, dass ich auf einem Pferd ritt und mit einer Ritterrüstung aus alten Zeiten bekleidet war. Bald wurde mit klar, dass ich einem inneren Abenteuer verpflichtet und auf dem Weg war, einen Drachen zu töten, der in besorgniserregendem Maße Menschen verschlang. Instinktiv wusste ich, dass ich den Drachen unerwartet treffen musste. Ich stieg also vom Pferd ab, band es an einem nahen Baum fest und näherte mich einer Höhle, von der ich sicher war, sie wäre das Versteck des Drachens. Mit meinem Schild in der linken und meinem Speer in der rechten Hand näherte ich mich heimlich der Höhle, in der ich den Drachen schlafend liegen sah. Ich wusste, dass ich seinen verwundbaren Punkt unter dem Bauch über dem Herz finden und diesen mit meinem Speer durchbohren musste. Da ich überraschend kam, hatte ich einen Vorteil und nach einem kurzen Kampf mit ihm drang mein Speer in den weichen Bauch ein, aus dem Blut drang, während er schnaubte und im Todeskampf mit dem Schwanz schlug. Ich wartete, bis all sein Blut ausgeflossen und in die Erde, auf der er lag, eingesickert war. Ich realisierte, dass das Blut den Boden düngen und Neues, Kraftvolles, Reichhaltiges daraus erwachsen würde. Sobald ich sicher war, dass dies stattgefunden hatte und keine Bewegungen oder Geräusche mehr von dem Drachen ausgingen, stieg ich auf ihn, stellte mich auf seinen Rücken und hielt den Speer zum Zeichen meines Triumphes hoch über meinen Kopf. Ich war allein, niemand konnte mich sehen, und ich wusste, dass es ein innerer Sieg war. Mir wurde bewusst, dass der Speer ein Brennen in meiner Hand verursachte, da er immer noch mit Blut überzogen war. Ich schob den Helm aus dem Gesicht zurück und hielt den blutigen Speer wie eine Gabe an Gott hoch und empfand ein wundervolles Hochgefühl durch den erfolgreichen Triumph über den Drachen.
So stand ich einige Minuten, hatte meine Füße so stark gegen den Rücken des Drachens gestemmt, dass ich seine farbenprächtigen Schuppen spüren konnte, mich aber kein bisschen egoistisch fühlte, nur tief dankbar, dass der Drachen unter meinen Füßen lag und sein Blut den Boden düngte. Ich war erfüllt von Ehrfurcht. Ich kniete neben dem toten Körper nieder, stieß den Speer durch ihn, der nur noch eine Hülle war, zog meinen Helm ab und hängte ihn oben auf den Speer. Ich nahm die Rüstung ab und drapierte sie um den Speer, kniete mich bescheiden vor dieser Art Altar nieder und dankte dafür, dass es nichts mehr zu befürchten gab.
Als ich aufzustehen begann, sah ich vom Ende der Höhle ein altes, gebeugtes Weib hervortreten. Sobald sie mich und den toten Drachen erblickte, richtete sie sich plötzlich auf und währenddessen begann ihre vorher faltige, trockene Haut zu knacken und aufzuspringen, fiel ab und brachte ein wunderschönes, junges Mädchen zum Vorschein.
In der Nähe befand sich ein Fluss mit einem Wasserfall, zu dem wir beide Hand in Hand gingen, um uns im klaren, kühlen Wasser zu waschen. Sie beseitigte die Reste der alten Haut und ich wusch das Blut des Drachens ab, so dass wir beide erneuert waren. Jetzt, wo wir uns gefunden hatten, konnten wir gemeinsam den Pfad zum Berg hinaufgehen, um uns mit dem Höheren Selbst zu vereinen.
Wir haben viele Menschen durch ähnliche Rituale geführt. Manche benutzten einen Drachen, während andere unterschiedliche Symbole für übermächtige negative Mütter gezeigt bekamen, wie beispielsweise Hexen, Kraken, Schwarze-Witwen-Spinnen oder andere weibliche Monster.
Die wichtige Aufgabe sowohl für Männer als auch für Frauen besteht darin, ihren eigenen weiblichen Teil, der durch einen dominanten negativen Mutter-Archetyp gefangen war, zu befreien. Das Muster für die weibliche Natur wird meist durch die Mutter vorgegeben und das männliche Muster durch den Vater. Wenn einer der Teile durch ein starkes Elternteil unterdrückt oder überwältigt wurde, ist die Person aus dem Gleichgewicht, mit einem Aspekt stark und dem anderen schwach.
Nach einer solchen Sitzung ist die Erleichterung manchmal so groß, dass die Person, die es erlebt hat, dies kaum glauben kann. Oft bricht die Person in Tränen aus und entleert die angestaute negative Energie, die sie so lange mit sich herumgetragen hat. Ein interessantes Ergebnis dieser Befreiung ist, dass der Einfluss der natürlichen Mutter üblicherweise auf ein normales Maß zurückgeht und der Umgang mit ihr leichter wird.
Wie auch bei anderen Ablösungen weisen wir hier die Person darauf hin, dass die ersten drei Tage nach der Sitzung emotional aufgeladen sein können, aber dass sie sich keine Sorgen zu machen braucht, da diese Stimmung wieder vergeht. Ein neues Gefühl von Freiheit stellt sich ein und die vorher in der negativen Figur eingemauerte Energie kann nun frei fließen und eingesetzt werden.
Wenn ein Mann sich von der verschlingenden oder unterdrückenden negativen Mutter befreit, wird seine eigene Anima, sein weiblich fühlender Teil, aus den Fesseln befreit und steht vollständiger und wirkungsvoller im täglichen Leben zur Verfügung. Wenn eine Frau durch den Kampf mit der negativen Mutter geleitet wird, wird ihr Animus, ihr männlicher Aspekt, aufgerufen, das Monster im Kampf zu besiegen. Ich habe die Begriffe Animus und Anima verwendet, die C. G. Jung benutzte, um den weiblichen Aspekt eines Mannes und den männlichen Aspekt einer Frau zu benennen. Diese Begriffe werden in einem späteren Kapitel genauer besprochen. Mit Hilfe des Animus ist eine Frau imstande, ihre eigene weibliche Natur zu befreien, die seit der Kindheit überschattet war.
Die überschattende negative väterliche Figur wird normalerweise von einem Riesen oder einem Unhold, oft aber auch von einem einäugigen Zyklopen symbolisiert. Es ist unerlässlich, dass die Person, die sich von dieser Kraft befreien möchte, sich sehr gut auf diese Konfrontation vorbereitet. Sie sollte einen Schutzanzug wie eine Rüstung anziehen, ein Pferd reiten und ein Schwert, einen Dolch oder eine andere geeignete Waffe in der Hand halten, womit sie das Tötungsritual vollziehen kann. Dem negativen Vater-Archetyp muss man sich ganz langsam im Schutze der Dunkelheit nähern und während dieser schläft, damit er nicht als erster angreift. Es gibt einen verwundbaren Punkt, auf den die Waffe gerichtet werden muss, so wie beim Drachen. Im Falle eines Zyklopen muss zunächst das Auge ausgestochen werden. Er kann dann leichter durch einen Messerstich ins Herz getötet werden. Sobald er tot ist, muss die männliche Figur, die in ihm oder seiner Burg, seinem Turm eingeschlossen war, aus der Gefangenschaft befreit werden, um sich mit dem Retter wieder zu vereinen.
Das Ergebnis einer solchen Arbeit ist für Männer und Frauen gleichwohl hilfreich. So wie beim Ablösen von der negativen Mutter, ermöglicht dies das Gleichgewicht zwischen den männlichen und den weiblichen Aspekten der Person. Die Variationen zu dem oben genannten Thema sind unbegrenzt, obwohl die wesentlichen Züge bei den meisten Personen ähnlich sind. Die Details sind oft unterschiedlich, je nachdem, welche Bilder die Person aus ihrer Vergangenheit mitbringt und nach ihrer Fähigkeit, zu visualisieren.
Sowohl für Männer als auch für Frauen ist die Befreiung von diesen beiden negativen Archetypen gleichermaßen wertvoll. Wenn eine Person, gleich welchen Geschlechts, frei von deren Einfluss ist, können die beiden Funktionen des Denkens und des Fühlens, die mit Animus und Anima assoziiert werden, besser in Einklang gebracht werden. Der Person ist es dann möglich, ganz eins zu sein und beide Aspekte zu leben, anstatt sich an einer anderen Person anlehnen zu müssen, um diesen fehlenden Aspekt zu ersetzen.
Wie in der Kurzbiografie auf Seite 223 erwähnt, entwickelte Phyllis die Methode in den vielen Jahren, in denen sie Seminare, Trainings und Einzelsitzungen gab, weiter. Phyllis empfahl dringend, dieses Ritual nicht ohne die Anleitung durch eine mit der Methode erfahrenen Person durchzuführen. Auch die Seite www.phylliskrystal.com kann dazu konsultiert werden.