Читать книгу Die Ordnung der Worte - Pål H. Christiansen - Страница 10
ОглавлениеHaagen warf Helle draußen auf dem Wasser einen Ball zu. Ich nahm zur Kenntnis, dass er ziemlich unverhohlen auf ihre Brüste starrte. Ich vertraute selbstverständlich darauf, dass Haagen keinen Blödsinn machte. Er war mein Freund. Jedenfalls so lange, bis das Gegenteil bewiesen war.
Sollte er nicht mein Freund sein, würde ich seinem Saxophon derartig einen verpassen, dass es das nicht so schnell vergessen würde. Ich könnte zum Beispiel die Saxophonklappen mit Superkleber zukleben. Ein uralter Trick, der nie seine Wirkung verfehlte.
Sie anschauen durfte er wohl schon, aber STARREN, das war etwas ganz anderes. Genau da verlief dieser schmale Grat. Genau da. Und falls ihm etwa einfallen sollte, sie zu BETASTEN, dann war die Grenze längst überschritten. Ich stand auf und machte ein paar Schritte Richtung Strand.
Ich hatte Higgins seit dem Würstchenessen nicht mehr gesehen. Ich drehte mich um, blickte in alle Richtungen, und erspähte ihn schließlich weiter hinten am Strand. Er hatte einen Berg Treibholz gesammelt. Auf einem zweiten Haufen lagen alte Plastikflaschen und Schrott.
»Das ist alles meins«, sagte Higgins, als ich auf ihn zukam.
Er baute sich vor dem Müll auf, als wolle er Frau und Töchter vor den Übergriffen einer Bande geifernder Wegelagerer schützen. Glaubte er wirklich, ich wolle ihm seinen Broterwerb streitig machen? Mein Job war es doch, in jenen Überresten herumzuschnüffeln und zu wühlen, die uns unsere Ahnen von ihrer Sprache übriggelassen hatten. Das wusste er doch ganz genau.
»Okay«, sagte ich.
»Meins und nur meins«, sagte Higgins.
»Danke auch für die Würstchen«, sagte ich.
Um die Stimmung etwas zu lockern, half ich ihm, die Sachen zum Auto zu schaffen. Ein alter Adidas-Turnschuh weckte Erinnerungen an Sommernächte unter freiem Himmel in den frühen Siebzigern. Ob das mein Schuh war oder nicht, war schließlich eine andere Frage, über die ich weise den Mund hielt.
»Werd’ ’ne neue Skulptur bauen«, sagte Higgins.
»Ach ja?« sagte ich.
»Sie soll ›Worstward Ho‹ heißen«
»Guter Titel«, sagte ich.
»Hab’ ich bei Beckett geklaut«, sagte Higgins.
Beckett ließ mich aus irgendeinem Grund an Nistkästen denken. Ich erzählte Higgins von meinen Fortschritten mit dem Roman, davon, dass die Vögel weg waren. Higgins hörte mir schweigend zu, aber ich konnte ihm ansehen, dass es ihn interessierte.
Als wir zurückkamen, hatten Helle und Haagen fertig gebadet. Helle stieg aus dem Wasser und setzte sich neben mich an den Strand. Ich registrierte die Wassertropfen, die von ihren Brüsten perlten, und ich ertappte mich bei dem Gedanken, dass ihre Brüste in letzter Zeit gewachsen sein mussten. Mir gefielen sie eigentlich am besten so, wie sie waren; ich gehöre nicht zu den Männern, die Brüste unbedingt umso besser finden, je größer sie sind.
Beim Abendbrot erzählte Helle davon, welche Kollegen sich im Laufe der Sommerferien hatten scheiden lassen, von neuen Schülern in den Klassen und von ihrem Neffen, der mit dem Fahrrad gestürzt war, weil er den klassischen Fehler begangen hatte, mit dem Vorderrad in die Straßenbahnschienen zu geraten.
»Gut, dass er sich nicht am Kopf verletzt hat«, meinte Helle.
»Dann hätte er vielleicht was gelernt«, sagte ich.
»Wie meinst du das?« fragte Helle.
»Wenn es um Fahrräder kontra Straßenbahnen geht, stehe ich voll und ganz auf der Seite der Straßenbahnen«, sagte ich.
Wir waren schließlich in Helles Küche gelandet, nachdem die Rückfahrt von Bygdøy ziemlich anstrengend gewesen war. Higgins war plötzlich eingefallen, dass sein Auto kein funktionierendes Licht hatte, und während um uns herum die Herbstdämmerung einsetzte und uns wie ein dunkler nasser Sack einhüllte, musste ich mit der Taschenlampe dasitzen und nach vorne leuchten, damit Higgins im Schneckentempo zurück in die Stadt fahren konnte.
»Jetzt redest du wieder dummes Zeug«, sagte Helle.
»Das ist kein dummes Zeug«, sagte ich, »Radfahrer gefährden die Gesellschaft fast so sehr wie minderwertige Pinsel.«
Ich musste einräumen, dass sich unser Gespräch etwas merkwürdig entwickelt hatte, da die Teetasse vor mir, aus der ich trank, mich stärker beschäftigte. War das nicht meine Lieblingstasse? Sie hatte exakt dasselbe Motiv und dieselbe Farbe, nämlich die Tower Bridge bei tief stehender Novembersonne, und sie hatte dieselbe kleine Scharte genau am Henkel. Allen allgemein akzeptierten physikalischen Gesetzen zufolge stand diese Tasse sicher verstaut im Küchenschrank meiner eigenen Wohnung.
»Von wegen Pinsel«, sagte ich, »wann willst du eigentlich mit dem Renovieren anfangen?«
»Jedenfalls nicht jetzt«, sagte Helle und stand auf.
»Kann man das nicht genauso gut gleich hinter sich bringen?« fragte ich.
»Komm!« sagte Helle.
»Können wir nicht meine Eltern mal zum Essen einladen?« fragte Helle etwas später, als wir nackt im Bett lagen und Nachrichten guckten.
Von Helles Eltern redete ich normalerweise mehr als gerne. Wann auch immer und wo auch immer, selbst unter den unwirtlichsten Bedingungen würde ich ganz entspannt über diese zwei freundlichen Menschen plaudern. Diesmal tat ich allerdings so, als ob ich mich auf etwas auf dem Bildschirm konzentrierte und nicht gehört hätte, was Helle sagte. Eine gute Technik, für alle brenzligen Situationen empfehlenswert. Und so weit von der Wahrheit entfernt war ich auch gar nicht, denn gerade jetzt wurde über den Fall Hubbing berichtet, der uns beide schon länger interessierte. Ein Neugeborenes war im Wald gefunden worden, verlassen und halb versteckt unter altem Laub. Die Polizei hatte überall nach der Mutter gesucht, aber es gab keine Spur in irgendeine konkrete Richtung. Die Mutter, die zweifellos unter enormem Druck gestanden haben musste, forderte man dringend auf, bei der Polizei Hilfe zu suchen, wo sich eine Armada von nicht ausgelasteten Psychologen, Psychiatern, Geistlichen und Soziologen versammelt hatte, um ihr die notwendige Unterstützung zu bieten.
Die andere Topmeldung des Tages handelte von einem Krimiautor, der nicht schreiben konnte, weil seine Katze ausgerissen war. Er lag den ganzen Tag auf seinem Sofa, dachte an die Katze und brachte kein einziges Wort zu Papier. Ein Mitarbeiter des Verlags forderte die Zuschauer auf, nach der Katze Ausschau zu halten, da der neue Krimi, der eben noch nicht abgeliefert war, das Hauptbuch im Buchclubprogramm und längst fertig sein sollte.
Helle schwieg noch einen Augenblick, als die Nachrichten vorbei waren, dann wiederholte sie ihre Frage.
»Wann nochmal, was hast du gesagt?« fragte ich.
»Ich hab noch gar nichts gesagt«, sagte Helle.
»Ja, dann ist es wohl nicht so dringend?« sagte ich.
»Passt Donnerstag nicht vielleicht ganz gut?« fragte Helle.
»Warum ausgerechnet Donnerstag?« fragte ich.
»Mama und Papa fahren Sonnabend los«, sagte Helle.