Читать книгу Die Ordnung der Worte - Pål H. Christiansen - Страница 7
ОглавлениеJemand war in der Wohnung gewesen. Ich merkte es am Geruch. Eine unbestimmte Mischung aus Schweiß, Mundspray und irgendetwas noch Schlimmerem. Hatte die Verrottung meines eigenen Körpers jetzt ernsthaft eingesetzt? Darauf wartete ich schon seit meinem vierzigsten Geburtstag.
Die Unordnung war ansonsten schlimmer als gewöhnlich: Überall standen Stapel aus Bücherkisten, die Bettwäsche lag in einem Knäuel auf dem Boden. Es sah aus, als ziehe jemand gleichzeitig ein und aus. Und das Sofa, wo war das hin?
Ich suchte überall, ohne Erfolg, stolperte dabei aber reichlich über die Bücherkisten. Einige hundert Exemplare von Der Brief waren an der Wand entlang nebeneinander aufgestellt, vor dem Bett lehnte Harry war nicht ganz bei Sinnen, während Auf Abwegen in einer einsamen Kiste unter dem Küchentisch lag. Die Bücherkisten waren ebenso von Nutzen wie höchst lästig, um es mal so auszudrücken. In der Küche konnte ich alles Heiße darauf abstellen, im Badezimmer über sie drüberlaufen, wenn der Fußboden nass war.
Hatte ich Besuch, dienten die Kisten als Hocker.
»Es geht doch nichts darüber, den Arsch auf ein ordentliches Stück Poesie zu betten«, sagte Higgins immer, bevor er furzte, so als wollte er der hochfliegenden Poesie einen Hauch des Weltlichen verleihen.
Ich setzte mich an den Schreibtisch und konzentrierte meine Gedanken auf das Schreiben. Der erste Schritt im komplizierten Ritual des Schaffens war normalerweise, die samtene Rauchjacke anzuziehen, aber die hatte ich schon seit ein paar Wochen nicht mehr gesehen. Schritt zwei, das eigentliche Nachdenken, erledigte ich für gewöhnlich auf dem Sofa. Verflixt! Das mit dem Sofa war ein derber Schlag ins Gesicht.
Also: Mein neuer Roman sollte von jemandem handeln, der seinen Traum verwirklichte, nämlich die perfektesten Nistkästen zu bauen, die die Welt je gesehen hat. Er brauchte Jahre seines Lebens, um das Handwerk zu erlernen. Dann fertigte er einen Kasten nach dem anderen, um sie anschließend im Wald anzubringen. Würde er es schaffen? Oder nicht? Es war zu früh, etwas darüber zu sagen.
Oder muss ich den Schluss schon jetzt wissen? dachte ich. Sollte ich meinen Helden so gut kennen, dass ich wüsste, wie es enden und ob er seine Träume komplett in die Tat umsetzen würde?
Die Antwort war: nein. Eine Geschichte aufzuschreiben, deren Schluss der Autor schon kannte, war doch witzlos. Das war meine Meinung dazu, und an ihr hielt ich fest.
So weit, so gut. Es war Zeit, sich in die richtige Stimmung zu versetzen, und so leitete ich Teil drei des Rituals ein, indem ich an das Bücherregal ging und a-has Hunting High and Low herauszog. Gewöhnlich hörte ich mir Morten Harket mit »Take On Me« als Auftakt zu einer beseelten und inspirierten Schreibphase an. Der Mann hatte ein gottbegnadetes Talent, das war klar, und wenn er sich in »Take On Me« zum Falsett aufschwang, dann musstest du dich einfach hingeben und alle irdischen Pflichten wie AUFRÄUMEN oder WÄSCHE WASCHEN oder alten Bekannten POSTKARTEN SCHREIBEN vergessen. Dann musstest du einfach drauflos dichten, bis der Bleistift zerbarst und du alle warst.
Ich hielt vor dem Regal an. Hier war seit dem letzten Mal etwas passiert! Mein alter Plattenspieler war durch eine mächtige CD-Anlage ersetzt worden, mit großen Lautsprechern und bunten Knöpfen. Und meine alten Vinylscheiben waren nirgendwo zu sehen.
Nicht zum ersten Mal stieß ich auf Widerstand. Tatsächlich war ich an Widerstand gewöhnt. Wenn Widerstand adelt, bin ich mindestens schon Graf, dachte ich und setzte mich wieder an den Schreibtisch und griff nach meinem letzten Strohhalm: dem Bleistiftanspitzer.
Das Bleistiftanspitzen hatte so manch einem Dichter aus der Klemme geholfen. Nimm zum Beispiel Hemingway, niemand geringeren als Ernest Miller Hemingway, geboren 1899 in Oak Park, Illinois, USA. Hemingway musste eine bestimmte Anzahl fertig angespitzter Bleistifte vor sich liegen haben, bevor er morgens mit dem Schreiben anfing. Dabei konnte es sich, je nach Stimmung, um fünf bis siebzig Bleistifte handeln. Für einen kurzen Zeitraum, während er in Key West in Florida wohnte, soll er sogar jeden Morgen 133 Bleistifte angespitzt haben. Als es ihm wirtschaftlich besser zu gehen begann, hatte er natürlich seine Leute für die Sache mit den Bleistiften, aber in seiner Anfangszeit als junger und unbekannter Autor in Paris war das bestimmt eine ganz schöne Plackerei.
Eine Kuriosität an Hemingway war übrigens, dass er im STEHEN schrieb, fiel mir nun ein. Wie ihm so etwas Albernes in den Sinn gekommen war, wusste ich nicht, aber wenn es funktionierte, funktionierte es eben. Ich war nicht der Typ, der sich in die Arbeitsgewohnheiten von Kollegen einmischte.
Ich warf einen Blick auf das Bett. Da das Sofa weg war, könnte ich doch die Notlösung benutzen und mich aufs Bett legen? Es wirkte normalerweise genauso gut wie Hemingways Gestehe. Ich begab mich zum Bett und machte es mir unter der Decke bequem.
Das Telefon klingelte, bevor ich richtig in Gang gekommen war.
»Was treibst du so?« fragte Haagen.
»Genau in diesem Augenblick treib ich im Bett«, sagte ich, »falls dir diese Ausdrucksweise gefällt.«
»Du schläfst?« fragte Haagen.
»Nenn es, wie du willst«, sagte ich, »ich nenn’s schreiben.«
»Und sonst geht’s voran?« fragte Haagen.
Redete er jetzt von meinem Roman? Oder spielte er auf meinen Neujahrsvorsatz an, einige Eigenheiten der Sprache abzulegen, die ich seit meiner Kindheit mit mir herumschleppte, vor allem, wenn ich redete? »Ich habe vor, etwas zu tun«, zum Beispiel. Meistens reichte doch »ich habe vor« allein völlig aus.
»Du hast nicht zufällig meine a-ha-Platten gesehen?« fragte ich.
»Hast du unterm Sofa nachgeguckt?« fragte Haagen zurück.
Haagens Stimme klang etwas ausweichend, aber er hatte immerhin eine Idee, das sprach für ihn. Ich warf einen Blick dahin, wo das Sofa gestanden hatte. Da lagen einige einzelne, in Staub vergrabene Socken, und irgendetwas, das wie eine Scheibe Knäckebrot mit Ziegenkäse aussah. Oder doch eher mit Leberwurst? So was hatte ich nicht im Haus gehabt, soweit ich mich erinnern konnte, und ich wollte der Sache im Moment auch nicht näher auf den Grund gehen.
»Fehlanzeige«, sagte ich.
»Hast du dir Hubert & Die Hauskater angehört?« fragte Haagen, »die haben den Nerv der Zeit getroffen.«
»Ich halte mich an a-ha, bis das Gegenteil bewiesen ist«, antwortete ich.
»Ich muss auflegen«, meinte Haagen, »soll hier in drei Minuten ›Öppna landskap‹ spielen.«
»Viel Glück!« sagte ich.
»Wir sehen uns in Huk«, sagte Haagen.
Wie hatte Haagen Wind davon bekommen, dass sich jemand in Huk treffen wollte? Oder um es anders auszudrücken: FALLS ich überhaupt nach Huk wollte, sollte es zumindest ein kleines romantisches Stelldichein mit Helle sein und kein Pfadfinderausflug mit der ganzen Kompanie.
Es war ja nun nichts Neues, dass diese Stadt voller Tratsch und Gerüchte steckte. Das hatte ich persönlich schon einige Male erfahren können. Bekam ich in der Akersgate Schluckauf, konnte ich darauf wetten, dass Haagen oder Higgins vor Ablauf einer Stunde davon hören würden.
Ich schloss die Augen und sperrte die Welt einen Moment lang aus. Ich ließ mich von meinem Tagtraum einfangen und stellte mir den Augenblick vor, wenn meine Schaffenskräfte voll zuschlagen würden. Ich alleine ein ganzes Kraftwerk von Alta! Eine ganze Stadt erleuchten. Ein flatternder Kopf in einem Sturm aus Selbstvertrauen. Grüne Welle und ein Lächeln über beide Ohren.
Mittendrin würde ich dastehen, die Füße fest im Boden verankert und den Kopf halb im Himmel. Meine Texte würden brüllen und beißen wie Klapperschlangenmusik im Sonnenuntergang. Sie würden sich geschmeidig zwischen Baumstämme schmiegen oder aber barsch poltern, wenn das verlangt wäre.
Und das Publikum? Es läge mir zu Füßen, jung und alt wären mir auf den Fersen, wenn ich von Stadt zu Stadt reiste und mich in meinem Erfolg sonnte, während ich vor schnurrenden Frauen in den öffentlichen Bibliotheken des Landes las.