Читать книгу Die Ordnung der Worte - Pål H. Christiansen - Страница 5

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Nach der Scrabble-Partie am Abend vorher fühlte ich mich sprachlich derart gestählt, dass ich mich im Redaktionsbüro der Zeitung sofort an meinen Schreibtisch setzte. Vier, fünf Texte lagen bereit, und ich machte mich an einen Artikel über Oslos Kneipenszene, verfasst von einem erfahrenen Journalisten, der gerne damit prahlte, nie falsch zu schreiben.

Alle machen mal einen Fehler. Ja, es ist unnatürlich, nie den kleinsten Fehler zu machen, nie in der Eile einen Buchstaben zu vergessen oder eine Konjunktion oder Buchstaben zu vertauschen, so dass aus einem Wort wie BRANCHE BARNSHE wird oder GANG zu GNAG. Das sind ganz gewöhnliche Fehler im hektischen Journalistenalltag, für die man sich wirklich nicht übermäßig schämen muss. »Man wächst nur durch Peinlichkeiten«, sagte Holm immer auf unseren Seminaren. Aber wenn man aus seinen Fehlern nichts lernt, war man natürlich so dumm als wie zuvor.

Aber wie sorgfältig ich den Artikel auch las, ich fand keine weiteren Fehler, als dass AM ABEND zu AMABEND zusammengewachsen war, und das war ja kein sprachlicher Fehler im engeren Sinne, sondern konnte beispielsweise an einer ungehorsamen Tastatur gelegen haben oder schlimmstenfalls daran, dass der Mann für eine Zehntelsekunde gestört worden war.

Die nächste Sache war ein Artikel über a-ha, die ihre Talente wieder gemeinsam einsetzen wollten, um die Band erneut aufleben zu lassen, nachdem die einzelnen Mitglieder einige Jahre lang ihre jeweils eigenen Projekte verfolgt hatten: Morten Harket als Solokünstler, Magne Furuholmen mit bildender Kunst und Filmmusik und Pål Waaktaar mit seiner Familienband Savoy.

Ich muss sagen, das war eine gute Neuigkeit, sowohl für mich als auch für den Rest der Welt. Wie oft hatte ich nicht a-has anspruchsvolle und melancholische Popmusik zum Schreiben gehört? Wie oft hatte ich mich von Morten, Magne und Pål dazu inspirieren lassen, nach den Sternen zu greifen? a-ha war eine meiner Lieblingsbands und eine positive Kraft im kulturellen Leben Norwegens und auf internationaler Ebene. Dass sie sich jetzt nach Unstimmigkeiten, Reibereien und sinkenden Plattenverkäufen wieder zusammenraufen wollten, war eine Freudenbotschaft, die ihre Druckerschwärze wert war.

Der Artikel führte nicht näher aus, wer sich in den vergangenen Jahren worüber unstimmig gewesen war und wer sich an wem gerieben hatte. Aber es war kein großes Geheimnis, dass Morten Harket und Pål Waaktaar eine Zeitlang ein angespanntes Verhältnis zueinander gehabt hatten. Sie waren zwei starke Persönlichkeiten, die harsch aufeinanderprallen konnten. Dass sie jetzt wieder besser miteinander zurechtkamen, war einfach erfreulich. Dass eine neue Platte in Aussicht stand, war mehr als das.

Der Journalist hatte den Namen der Band abwechselnd mit und ohne Bindestrich geschrieben. Ich räumte damit auf, schickte den Artikel zurück an die Redaktion und beschloss, mir bei nächstbester Gelegenheit wieder einmal meine a-ha-Platten anzuhören.

Mittags ging ich in die Kantine, um mir etwas zu Essen zu holen. Redakteur Holm saß an einem Fensterplatz und besprach sich mit einigen Kollegen aus der Journalredaktion. Das überraschte mich, denn normalerweise wäre er bei einem Wetter wie diesem längst zum Golfplatz gerauscht.

Ich musste ein paar Runden um das Buffet drehen, um mich zu entscheiden. Vieles sah verlockend aus, aber ich war nicht der Typ, der sich von knackigen Salatblättern verführen ließ, ich versorgte mich lieber mit einem halben belegten Käsebrötchen und einer Tasse Kaffee und ging wieder.

Holm und die zwei anderen sahen zu mir herüber, als ich die Kantine verließ. Ich bekam das Gefühl, dass sie über mich geredet hatten, und ich erwog einen Augenblick lang, umzudrehen und mich zu ihnen zu setzen, um mit ihnen über den Fall Hubbing zu reden. Dann schlug ich mir das allerdings sofort wieder aus dem Kopf und ging zurück in mein Büro an den Schreibtisch. Dort nahm ich meinen Mittagsimbiss alleine ein und versuchte dabei, mich an den Titel eines Gedichts von Olaf Bull zu erinnern. Die erste Strophe lautete:

Hochsommer neigt sich zum Herbst

die Baumkronen beugen sich in Fülle

Oh, die dunkle Zeit erhebt die Stimme

bevor die Zweige sich vergolden

Mir war so, als müsste das Gedicht aus dem Zyklus Die Sterne von 1924 stammen, aber sicher war ich nicht. Es hätte auch aus Neue Gedichte sein können, der 1913 erschienenen Sammlung, die auch »Im Schnee« enthielt. Letztendlich rief ich Helle auf ihrem Handy an, um das Rätsel zu lösen, aber sie nahm nicht ab. Ich hinterließ ihr eine Nachricht auf der Mailbox und hoffte, dass sie so bald wie möglich zurückrufen würde.

Ich blieb sitzen, aß zu Ende und dachte dabei an meinen Roman. Die Einleitung hatte schon Form angenommen und ging so: Der Held kommt von einer langen Reise durch die Wüste zurück und stellt fest, dass etwas nicht stimmt. Alle Vögel sind verschwunden. In seinem Garten ist es völlig still, nicht einmal der kleinste Spatz zwitschert eingerostet vor sich hin. Der Mann klettert auf einen Baum, um das Geheimnis zu lüften. Aber es ist kein einziger Vogel zu sehen, in seinem Garten nicht und bei den Nachbarn auch nicht. Er bleibt den ganzen Tag lang in dem Baum sitzen und klettert erst spätabends wieder herunter, fest entschlossen, sein Leben der Aufgabe zu widmen, die Vögel zurückzulocken.

Die nächste Sache auf meinem Schreibtisch war der Leitartikel. Holm hatte ihn geschrieben und sich wie erwartet den Fall Hubbing vorgenommen. Er beschäftigte sich mit der Rechtssicherheit und der Rolle der Medien. Dass er den Leitartikel schon so früh am Tag fertig hatte, wies darauf hin, dass er auf dem Weg ins Grüne war. Darauf deuteten auch einige Tippfehler wie RECHSSTAAT, GESLELSCHAFT und mindestens eine verschollene Präposition hin. Wenn er nach dem Hole-in-one strebte, war er weit übers Ziel hinausgeschossen, um es wie ein Golfer auszudrücken. Über den Inhalt sann ich lieber nicht nach. Dann hätte ich den Rest des Tages darüber grübeln können.

Helle rief nach dem Mittagessen an.

»›Sommers Schiffbruche‹«, sagte sie, »steht in Neue Gedichte

»Mist«, sagte ich, »ich war mir sicher, dass es aus Die Sterne ist.«

»Verwechselst du es vielleicht mit ›Im Herbst‹?« fragte Helle.

»Kann sein«, sagte ich, »aber die erste Strophe wusste ich immerhin.«

»Trauriges Gedicht«, sagte Helle.

Die Ordnung der Worte

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