Читать книгу Die Ordnung der Worte - Pål H. Christiansen - Страница 8

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Das Lastenfahrrad von Kaufmann Herman lehnte an der Hauswand draußen vorm Laden und sah übel aus. Der Lenker war schief, und die Kiste vorne dran hatte einen mitgekriegt. Sogar dem handgemalten Schild an der Stange war etwas Unvorhergesehenes passiert, denn darauf stand offenkundig »Hermans Hande« und nicht Hermans Handel, so wie es sich gehörte.

Im Laden war es kühl, und ich bewegte mich langsam zwischen den Regalen hindurch. Normalerweise war ich ein Großabnehmer von 15-Watt-Glühbirnen und weißen Mäusen zum Selbstabwiegen. Aber diesmal stand Mittagessen auf dem Einkaufszettel. Ich hatte einen Bärenhunger und wollte Nudeln mit Tomatensoße, und zwar sofort. Und dann wieder kopfüber in die Literatur.

»Deine Sachen stehen hier«, hörte ich Herman von der Kasse her sagen.

»Ach, tatsächlich?« fragte ich überrascht.

»Grüß deine Frau und sag ihr, blaues Farris-Mineralwasser hatten wir nicht mehr«, verkündete Herman.

»Meine Frau?« fragte ich.

»Hab ich am Telefon vergessen, ihr zu sagen«, sagte Herman.

Erstaunlich, wie gut wir auf einmal miteinander bekannt waren, dachte ich. Woher hatte er das eigentlich, dass ich verheiratet wäre? Da wusste er mehr als ich, und ich hatte keine Lust, mit ihm darüber eingehender zu diskutieren. Ich wollte Dolmio Nudelsoße. Jetzt.

»Suchst du Dolmio?« fragte Herman.

»Ja,« antwortete ich.

»Kommt nächste Woche wieder rein«, sagte Herman.

Ich spürte Wut im Körper aufsteigen. Das war wieder das alte Lied. Kommt bald wieder rein. Kommt morgen wieder rein. Nächste Woche. Immerhin war er ehrlich genug, auf das Bluffen zu verzichten. Das musste man ihm lassen. Abgesehen davon konnte er seine Sachen packen und in die ewigen Jagdgründe der Kaufleute auf Lanzarote ziehen.

»Du willst bei dem schönen Wetter raus nach Huk und grillen, richtig?« fragte Herman, zog eine Tüte hinter der Kasse hervor und setzte sie auf das Band.

»Irgendjemand findet das wohl«, sagte ich.

»Macht 233 Kronen«, verkündete Herman.

Ich warf einen Blick in die Tüte. Darin befanden sich Würstchen unterschiedlicher Bauarten, Farris-Mineralwasser und ein Einweggrill inklusive praktischem Müllsack. Eine typische Tüte für einen Ausflug. Eine typische Huk-Tüte.

»Grüß deine Frau und sag ihr, dass ich kein anderes Farris mehr hatte«, sagte Herman.

»Hast du das nicht eben schon mal gesagt?« fragte ich.

»Sorry«, sagte Herman und wurde rot.

Ich musterte ihn genauer. Fress ich doch einen Besen, wenn er nicht ein Auge auf Helle geworfen hatte! Altes Ferkel.

»Willst du das Wechselgeld bar?« fragte Herman.

Herman ging mit mir die Treppe hoch und nach draußen. Er warf einen Blick auf den Himmel, nickte und zeigte auf das Fahrrad.

»Der Kleine hat sich damit heute auf die Nase gelegt«, sagte er.

Zweimal kurzes Hupen riss mich vom Stuhl hoch und holte mich ans Fenster. Aus dem Augenwinkel erkannte ich durch das Tor im Hinterhof einen blauen Müllwagen, gleich danach klingelte es an der Tür.

»Nimm ein Handtuch für Haagen mit«, sagte Helle durch die Gegensprechanlage.

»Warum das?« fragte ich.

»Beeil dich«, sagte Helle.

Ich setzte mich wieder an den Schreibtisch und sah mir meine Notizen an. Was hatte ich da bloß in den letzten Minuten zu Papier gebracht? Mit den Jahren war meine Handschrift vollkommen unleserlich geworden. Jetzt musste ich mich langsam mal zusammenreißen, sonst würde ich noch als Legastheniker enden.

Ich blieb noch etwas sitzen, lauschte auf das Rauschen in den Ohren und überlegte, ob ich es sein lassen sollte, rauszugehen. Ob ich einfach so tun sollte, als ob nichts wäre, und weiterarbeiten – da ich es nun endlich einmal geschafft hatte, mich dafür hinzusetzen, ohne Sofa, ohne Schreibjacke, ohne rotierende a-ha-Platten auf meinem Plattenspieler.

Es klingelte noch einmal. Ich hab doch dieses hübsche Notizbuch, dachte ich plötzlich. Das hatte ich vom Redakteur Holm zu Weihnachten bekommen. In Kunstleder mit dem Namen der Zeitung, Verdens Gang, in leuchtender Goldschrift und einem kleinen Anhängeschloss. Wenn ich das mit einsteckte, könnte ich immerhin zwischen den Würstchen ein paar Szenen skizzieren.

Als ich nach draußen kam, saß Helle im Auto und plauderte mit Higgins. Sie schienen gerade mitten in einer angeregten Diskussion zu stecken, über die Freuden und Nöte des Pausenbrots, mit besonderem Augenmerk auf das Butterbrotpapier. Ich setzte mich ins Auto und ließ sie ihre Unterhaltung fortführen, während wir nach Bygdøy fuhren.

»Wenn 800 Schüler an fünf Tagen in der Woche jeder einen halben Meter Butterbrotpapier verbrauchen, was kommt dabei raus?« fragte Higgins.

»Exakt zwei Kilometer«, antwortete Helle, »aber da vergisst du ein paar wichtige Details.«

»Was denn?« fragte Higgins.

»Zunächst einmal haben viele Schüler Brotdosen«, sagte Helle, »einige legen allerdings trotzdem Papier zwischen die Brote in der Dose, aber immerhin.«

»Und außerdem?« fragte Higgins.

»Viele Schüler haben überhaupt kein Pausenbrot«, sagte Helle, »sie kaufen sich in der großen Pause Cola und Brötchen oder Muffins.«

»Moment mal«, sagte ich, »kann ich mal was fragen?«

»Ja?« meinte Helle.

»Hast du dein Scrabble mit?« fragte ich.

»Hab ich hier drin«, antwortete Helle und klopfte auf ihre Strandtasche.

Higgins war durch mit dem Butterbrotpapier und fing mit Autos an. Als hart arbeitender Bildhauer hatte er schon seit längerem das Fehlen eines Fahrzeugs beklagt. Da er aus allem, was er an Müll und Überresten der modernen Wegwerfkultur fand, Kunst herstellte, schien ein Müllwagen keine schlechte Investition. Jetzt hatte er endlich das richtige Gerät, um seine ambitionierten Träume zu verwirklichen.

»Was sagst du dazu?« fragte er und sah mich an, als wir auf der Bygdøy Allé im Feierabendstau standen.

»Total Klasse«, sagte ich enthusiastisch, »gute Sitze, schöne Linien und nicht zuletzt viel Platz.«

Ich war nicht der Typ, der einen aufstrebenden norwegischen Künstler mit schlechten Schwingungen herunterzog. Der einzige kleine Haken war der Geruch. Mir schien, als zöge eine schwache Ausdünstung von Müll aus Richtung des Fahrersitzes zu mir herüber. Möglicherweise hatte Hirschs feine Nase etwas aufgespürt, das uns anderen entgangen war.

»Was verbraucht er auf hundert?« fragte ich.

»Wie meinst’n das?« sagte Higgins und ging in Habacht-Stellung.

»Er will wissen, wie viel Benzin er auf hundert Kilometer verbraucht«, erklärte Helle.

»Verarschst du mich jetzt oder was?«, sagte Higgins, »das is’n Diesel.«

Helles Handy klingelte. Haagen befand sich am äußersten Rand des Frognerparks und wollte mitgenommen werden. Higgins wuchtete den Wagen aus der Schlange und fuhr eine der Seitenstraßen hinauf.

Wir fanden Haagen in der Halvdan Svartes Gate. Er stand am Christian-Krogh-Denkmal und wartete. Was die beiden sich zu sagen hatten, war nicht leicht zu erraten. Krogh saß da auf seinem dicken Hintern und sah hochgeistig aus, während Haagen herumstand, in seinem schwarzen Anzug schwitzte und das Saxophon unterm Arm trug. Er musste »Öppna landskap« in Rekordzeit gespielt haben und dann wie der Wind hierher gerannt sein.

Die Ordnung der Worte

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