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Die Versöhnung
ОглавлениеWenn einer der beiden Gegner den Wunsch nach einer Versöhnung ausdrückte, dann tat er dies, weil dieser Wunsch nach einem friedlichen Miteinander tief in ihm selbst schlummerte. Da dieser Wunsch auch tief im Innern des anderen Gegners schlummerte, lenkte dieser ein, wenn auch nicht unmittelbar, so doch schon bald danach.
Sie alle lernten von klein auf, dass sie das Recht hatten, ihre Standpunkte geltend zu machen und diese zu vertreten, doch dass es keine Auseinandersetzungen gab, ohne dass danach wieder Frieden geschlossen wurde.
Seit undenklich vielen, unvorstellbar langen Zeitaltern gehörte die Versöhnung zur ureigenen Lebensart der Leute aus Urmütterchens Sippe, so dass tief drinnen in ihrem Innern ein Bedürfnis danach schlummerte. Ein Bedürfnis nach einem friedlichen Zusammenleben.
Die Lehre der Versöhnung war das Vermächtnis aller Urmütter aus vergangenen Zeiten, das sie eine jede an ihre Kinder weitergegeben hatten, so dass sie alle dieses tief in ihnen innewohnende Bedürfnis wahrnehmen und auch ausleben konnten.
Wie so vieles, das die Lebensart der Leute aus Urmütterchens Sippe betraf und ausmachte, so war auch die Versöhnung etwas, wofür sie zwar ein natürliches Bedürfnis und auch die Veranlagung dazu in sich trugen, wozu sie jedoch zusätzlich das dazugehörige lebendige Verstehen lernen mussten, um diese Fähigkeit so anwenden zu können, wie sie ihrer ureigenen Art entsprach, um sich selber artgemäß zu erleben und auszuleben.
Es gab viel Wissen in Urmütterchens Sippe, das die Erwachsenen an die Kinder weitergaben, und zwar seit einer derart unvorstellbar langen Zeit, dass die Anwendung dieses uralten Wissens für ihre Entfaltung als diejenigen, die sie aufgrund der Entwicklungszeit ihrer eigenen Art waren, unabdingbar war. Denn, solange innere Veranlagungen bereits in ihren Ahnen vorhanden gewesen waren, genauso lange war auch das dazugehörige Wissen an jedes Kind der Sippe weitergegeben worden. Nur das Erlernen dieses so wichtigen Wissens ermöglichte es ihnen, sich als ganze Lebewesen zu entfalten und ihrer eigenen Lebensart gemäß zu leben, denn ihre inneren Bedürfnisse waren so tief in ihnen verankert, dass sie nicht umfassend zufrieden werden konnten, wenn sie diese nicht erfüllten.
Alles Wissen um ihre eigene Menschlichkeit, wozu die Versöhnung gehörte, lernten die Kinder von den Müttern, die dieses Wissen wie ihre eigenen Mütter und alle Mütter vor ihnen an die eigenen Kinder und an die aufgenommenen, jugendlichen Frauen weitergegeben hatten, denn die Frauen aus Urmütterchens Sippe waren schon immer die Hüterinnen der Menschlichkeit gewesen, solange es Menschenwesen gegeben hatte.
Im großen weiten Wald gab es viele unterschiedliche Tierarten. Die einen von ihnen schlüpften aus Eiern, die anderen wurden von ihren Müttern lebend geboren. Einige von ihnen trugen alle Naturtriebe in sich, um nach einer kurzen Zeit des Aufwachsens und Lernens bereit dafür zu sein, in der Wildnis des Waldes überleben zu können.
Andere, wie die Leute aus Urmütterchens Sippe, wuchsen als Kinder nur sehr langsam heran. Während vieler Jahre wurden die Kinder und die Jugendlichen erst von ihren Müttern und dann als Jugendliche auch von den anderen Sippenangehörigen aufgezogen. Sie waren nicht nur sehr vielseitige, sondern auch vielschichtige Lebewesen, die, verglichen mit anderen Tieren des Waldes, eine verhältnismäßig lange Zeit brauchten, um aufzuwachsen und erwachsen zu werden.
Dazu kam, dass sie kaum alleine im Wald überleben konnten. Es waren nicht nur ihre gefährlichen Feinde und die Gefahren des Waldes, die ihnen ein Überleben ganz auf sich gestellt für längere Zeit verunmöglichten, sondern auch die Gefahr von Verletzungen, die zum Tod führten oder aber die seelische Vereinsamung, die von ihnen am schwersten zu ertragen gewesen wäre, denn sie waren gesellige Sippenwesen und brauchten den freundschaftlichen Umgang mit anderen.
Ja, sie brauchten das gesellschaftliche Leben ihrer eigenen Art und die Freundschaften mit den anderen, um sich ganz als sich selbst entfalten zu können. So lernten sie während der vielen Jahre des Aufwachsens und Erwachsenwerdens alles, was sie für das Überleben im Wald und für ein reichhaltiges, erfülltes Leben innerhalb ihrer Sippe brauchten.
All das Wissen ihrer Altvorderen, das sie brauchten, um als menschliche Lebewesen heranzureifen und sich zu entfalten, wurde ihnen während vieler Jahre geduldig vermittelt, was ihnen dabei half, dieses mittels vieler eigener Erfahrungen letztlich zu verstehen und für ihre ureigenen Bedürfnisse anzuwenden. Eines dieser Bedürfnisse war die Versöhnung, so dass ein jedes Kind von klein auf lernte, sich nach einem Streit immer wieder zu versöhnen und niemals einen Tag im Streit zu beenden, denn Urmütterchens Sippe lebte in friedlicher Geselligkeit und beabsichtigte auch nicht, dies zu verändern.
Sie waren alle frei und hatten nicht nur das Recht sondern auch die Pflicht, sich selbst zu sein und sich frei zu denen zu entfalten, die sie waren, entsprechend ihres ureigenen Wesens. Sie konnten nach eigenem Gutdünken so viele gesellige Verbindungen zu anderen eingehen, wie es ihnen gefiel. Denn, letztendlich wollten und mussten sie alle ganz sich selbst sein. Dies war das Gesetz des Lebens und der Wildnis. Um sicherzustellen, dass sie sich alle frei entfalten konnten, hatte die Natur zum Schutz der Sippe die Streitbarkeit der Männer hervorgebracht, die genauso wichtig war wie das weitergegebene Wissen der Ahnen und das Wissen um die eigene Menschlichkeit, das von den Frauen gehütet wurde.
Die Männer fühlten sich auch nur dann wohl in ihrer eigenen Haut, wenn sie zu ihrer ganzen Kraft heranreifen konnten, um die Sippe letztlich mit Verstand und Können zu beschützen. Dazu gehörte auch das Streiten, das gelernt sein wollte. Doch war diese Art und Weise des Wettstreits unter den Männern nicht das, was im Mittelpunkt des gemeinsam gelebten Sippenlebens stand, denn das Wichtigste war die Geselligkeit, der Frieden und der Zusammenhalt untereinander. So konnten auch die Frauen nur wirklich zufrieden sein, wenn sie ihre Aufgaben zur Wahrung des Friedens und des Zusammenhaltes innerhalb der Sippe erfüllten.
Durch das friedliche, gemeinsame Zusammenleben im Sinne der Mütter entstand ihnen allen innerer Halt und damit auch Zugehörigkeit, Zufriedenheit und Geborgenheit, was sie um nichts in der Welt hätten missen wollen. Weder die Frauen noch die Männer.
Die Versöhnung war das geeignete Mittel, um nach einem wüsten Streit wieder zueinander und in die Gemeinschaft zu finden. Weil sie diesen dringenden Wunsch alle tief in sich selbst trugen, war es den Müttern aus Urmütterchen' Sippe ein leichtes, die lebendigen Werte der Versöhnung all ihren Kindern zu vermitteln und diese Lehre an sie weiterzugeben.
Diese eine Lehre der Menschlichkeit war schon seit fernen Urzeiten während unzähliger Lebensalter immer von den Müttern an die Kinder weitergegeben worden; schon so lange, dass tief im Innern bei ihnen allen ein völlig natürliches Bedürfnis vorhanden war, um miteinander in Frieden zu leben.
Wenn sich die beiden Gegner also fertig gestritten hatten und einer der beiden aufgab, kam bald darauf von einem von ihnen eine Geste zur Versöhnung, so, wie sie es gelernt hatten. Dabei spielte es keine Rolle, ob es sich um den Herausforderer oder den Verteidiger handelte. Ebenso war es unabhängig davon, ob er der Unterlegene oder der Überlegene war. Ein jeder konnte von sich aus so handeln, wie er es für richtig hielt. Sobald jedoch der eine der beiden einlenkte, begannen sie mit der Aufarbeitung ihres Streits und damit, sich einander wieder anzunähern und schließlich zu versöhnen.
Sollte es einmal so sein, dass es weder einen Unterlegenen noch einen Überlegenen gab, weil sich die beiden Streitenden ebenbürtig waren, so mischten sich ihre Mütter ein, sobald die beiden Gegner erschöpft und am Ende ihrer Kräfte angelangt waren, weil auch dann noch immer keiner von beiden nachgeben wollte.
Im Rausch ihrer wütenden Gefühle waren die Männer auf ihre Mütter angewiesen, um sich wieder beruhigen zu können und sich anschließend zu versöhnen. Auch sie mussten lernen, einen anderen, ebenbürtigen Mann gelten zu lassen, was ihnen jedoch am Anfang nicht immer leicht fiel.
Ihre Mütter wussten, dass sich ihre Ebenbürtigkeit weder bis zum nächsten Tag noch bis zum nächsten Jahr verändern würde, so dass sie darauf achteten, dass ihre Söhne lernten, ebenbürtige Männer auch dann anzuerkennen, wenn sie diese nicht besiegen konnten. Es konnte nicht sein, dass sie ewig weiter stritten, nur um wieder erneut festzustellen, dass sie einander ebenbürtig waren.
Es gab nicht nur einen Mann in der Sippe, der zu den Stärksten gehörte, sondern ihrer viele. Die jungen Männer mussten lernen, damit zu leben, dass sie zwar zu den Besten gehörten, doch nicht der Beste für sich alleine waren, auch wenn ihre Natur sie dazu trieb, es sein zu wollen.
So waren es immer die Mütter, welche die Geschicke der Sippschaft in die richtigen Bahnen lenkten. Von ihnen lernten ihre Kinder, die anderen aus der Sippe so anzuerkennen, wie sie waren. Es waren die Mütter, die ihnen allen das Gefühl vermittelten, gut genug zu sein, auch wenn ihnen die Natur nicht dieselbe Kraft und Stärke geschenkt hatte wie einigen anderen von ihnen. Dennoch hatten sie alle einen Anspruch auf ihren eigenen, rechtmäßigen Platz im gemeinsamen Leben innerhalb der Sippe, unabhängig von der eigenen Kraft oder vom eigenen Geschlecht.
Damit waren es die Mütter, die den Zusammenhalt in der Sippe nicht nur schufen, sondern diesen auch immer wieder von neuem herstellten und diesen so auch gewährleisteten. Das Leben im Wald war nicht immer ein Zuckerschlecken, sondern oftmals hart und auch ein Kampf ums Überleben. Die Männer genossen viel Anerkennung. Dass sie ihre Aufgabe, die Sippe täglich zu beschützen, mit soviel Inbrunst erfüllten und sich dem Kampf ums Überleben mit ihrer körperlichen Stärke und ihrem schlauen Verstand stellten, wurde von allen sehr geschätzt.
Auch die Mütter genossen viel Anerkennung für ihr gemeinnütziges Werk für das gesunde und zufriedene Gedeihen der Sippe. Ihnen war so vieles zu verdanken, und es gab niemanden unter den Erwachsenen, denen dies nicht bewusst gewesen wäre. Und die Kinder, sie liebten ihre Mütter so oder so über alles. Denn es waren ihre Mütter, die ihnen die guten Gefühle vermittelten und sie behüteten, so dass sie sich frei entfalten konnten.
Das Überleben im Wald war nicht immer ein Kampf, sondern eher eine Kunst. Es ging nicht darum, gegen die Natur oder gar gegen die eigene Natur zu kämpfen, sondern vielmehr, einheimisch in der Natur zu sein und die Angebote, die sie bot, zu erkennen und zu nutzen. Das galt auch für die Angehörigen von Urmütterchens Sippe. Die Natur hatte sie mit allen nötigen Veranlagungen ausgestattet, um sich sämtliche Fähigkeiten anzueignen, damit sie im Wald überleben konnten.
Von ihren Müttern lernten alle von klein auf das dazugehörige, uralte Wissen. Es half ihnen dabei, die richtige Einstellung zu ihren angeborenen Fähigkeiten zu gewinnen und diese zu vervollkommnen. Auch dafür wurden die Mütter allseits anerkannt und über alles geschätzt.
Denn es ging nicht nur darum, zu lernen, sich in der Umgebung des Waldes zurechtzufinden, sich Nahrung und Wasser zu beschaffen und sich vor Wetter und Gefahren schützen zu können, sondern es ging auch darum, ein vielfältiges, bereicherndes und erfülltes Leben leben zu können. Für diejenigen, die das Wissen um die Kunst des Savoir-vivre - der Lebensart im Wald - hatten, war das Leben oft besonders lebenswert. Denn ein erfülltes Dasein ermöglichte ihnen allen, an sich selbst zu glauben, ein Urvertrauen in das Leben und in das eigene, innere Vermögen zu haben und immer wieder Dankbarkeit für den Reichtum der Natur zu empfinden.
So halfen die Mütter auch ihren erwachsenen Söhnen nach einem wüsten Streit, sich soweit zu beruhigen, dass sie sich wieder versöhnen konnten. Denn keine Mutter würde es jemals zulassen, dass ihr Sohn einen Streit ohne Versöhnung beendete. Streitigkeiten waren bis zu einem gewissen Grad immer für alle eine Belastung, und die Mütter wussten, dass damit der innere Friede der Sippschaft auf dem Spiel stand, so dass sie nichts dem Zufall überließen. Schließlich teilten sie Tag und Nacht ihres Lebens, so lange sie in derselben Wandergruppe wanderten. Und weil sie innerhalb der einzelnen Wandergruppen gemeinsam lebten und erlebten, bekamen sie auch viel von dem mit, was sich zwischen den anderen abspielte. Es nützte also niemandem, einen Streit nicht beizulegen und wieder Frieden zu schließen.
Weil Söhne ein Leben lang mit der eigenen Mutter wanderten, nahmen ihre Mütter auch immer Anteil am Leben ihrer Söhne, noch ein kleines bisschen mehr, als dass sie Anteil am Leben der anderen nahmen. Nach einem Streit vermittelten sie so lange, bis einer der beiden Streitenden den Wunsch nach einer Versöhnung äußerte, denn so war es in Urmütterchens Sippe schon immer gewesen. Die Mütter brachten ihre Kinder so oder so dazu, sich zu versöhnen, da gab es keinerlei Ausnahme. Durch ihre gütige Anteilnahme halfen sie den Söhnen, von sich aus darauf zu kommen, dass es Zeit war, sich zu versöhnen. Auch das half den Söhnen dabei, über ihren Schatten zu springen, wenn sie meinten, es wäre ihr eigener Einfall. Wenn sie sich dann wieder beruhigt hatten, wussten sie jedoch wieder sehr wohl, dass es die Mutter gewesen war, die ihnen dabei geholfen hatte, wieder Frieden zu schließen. Doch war es sehr wohl die Art des Lernens in Urmütterchens Sippe, dass allen zugestanden wurde, selbst herauszufinden, wie es richtig für sie war.
Auch die hochrangigsten Männer in der Sippe wurden so durch ihre Mütter besänftigt und in ihrem Sinne gelenkt, wenn sie sich zu sehr in ihre Wut hineinsteigerten und selber nicht wieder herausfinden konnten, so dass der von allen erwünschte Frieden innerhalb der Sippe erhalten blieb. Solange es Urmütterchens Sippe gegeben hatte, solange waren die hochrangigen Mütter die Vermittlerinnen des Sippenfriedens gewesen. Diese Aufgabe war ihnen derart in Fleisch und Blut übergegangen, dass sie diese Fähigkeit für immer in sich tragen würden und von Natur aus wie geschaffen dafür waren, diese Aufgabe innerhalb des Sippenlebens stetig wahrzunehmen. Den Männern wäre es aufgrund des ihnen fehlenden, diesbezüglichen inneren Erbes nicht möglich gewesen, diese Aufgabe innerhalb der Sippe wahrzunehmen. Bei ihnen waren es mehr ihre Fähigkeiten zur Streitbarkeit, die zu ihrem inneren Erbe gehörten, auch wenn sie durchaus ebenso ein Bedürfnis nach Versöhnung und Frieden in sich trugen.
Wenn sich zwei Männer anschickten, sich wieder miteinander zu versöhnen, taten sie auch dies vor allem mit Rufen und Lauten und ebenso nach denselben Regeln wie beim Streiten, indem sie einander zuhörten und abwarteten, bis der andere fertig war, um selber loszulegen. Wenn die Mütter vermittelten, dauerte es manchmal eine Weile, bis sich die Männer genügend beruhigt hatten, doch wurden auch sie immer von den liebevollen Händen und Gesten der eigenen Mutter besänftigt, auch wenn sie noch so sehr aufgeregt waren, denn sie waren es sich seit ihrer Geburt gewohnt, von der Mutter beruhigt zu werden.
Der Wunsch, in Frieden miteinander zu leben, war auch bei den Männern größer als der Wunsch, zu streiten, auch wenn es immer mal wieder zum Streit kam unter ihnen. Denn sobald einer meinte, er wäre stärker als der andere und sich deswegen nicht mehr mit dem niedrigeren Rang als demjenigen des anderen begnügen wollte, forderte er ihn hinaus. Doch sobald sie ihre jeweiligen Standpunkte klar gemacht und bestimmt hatten, wer nun der Stärkere war oder ob sie beide gleich stark waren, versöhnten und vertrugen sie sich wieder. Ein Mann musste einfach wissen, woran er mit dem anderen Mann war.
Zur Versöhnung riefen sie sich, wie beim Streiten, immer noch aus einiger Entfernung, Laute zu, die ihren Wunsch nach Versöhnung und Wiedervereinigung ausdrückten. Weil sie einander auch hierbei abwechselten und einander zuhörten und darauf warteten, bis der andere fertig war, bevor sie selber ihre Gefühle frei äußerten, war es ihnen auch beiden möglich, loszulassen. So unterbrach keiner den anderen, denn beide wussten, dass sie entweder zuhören oder etwas mitteilen konnten, weil beides miteinander für sie nicht möglich war.
So ging das dann für eine Weile hin und her, ohne vom Anderen unterbrochen zu werden, bis sie alles herausgelassen hatten, das sie plagte, so dass sie sich einander wieder annähern konnten. Doch erst, nachdem sie den Bann der Entfernung überwanden, konnten sie sich wieder vertragen. Wenn sie einander wieder anerkennen konnten, berührten und umarmten sie einander, denn es gab nichts, das ein einvernehmliches Zusammensein besser zeigen konnte als eine Umarmung. In diesen Augenblicken verspürten auch die Männer eine große Erleichterung darüber, dass das Streiten ein Ende gefunden hatte.
Auch unter den Frauen konnte es zu Streitigkeiten kommen, doch meistens waren die Frauen eher darum bemüht, sich gegenseitig zu vernetzen und so den Zusammenhalt der Sippschaft zu bilden, als sich miteinander zu streiten. Wenn sich zwei Frauen nicht mochten, so wanderten sie nicht gemeinsam, so einfach war das. Sie zogen es vor, ihre Zeit mit denjenigen zu verbringen, die sie gut mochten.
Es mochte daran liegen, dass die meisten von ihnen nicht wie die Männer gemeinsam aufgewachsen waren, sondern sich erst nach ihrer körperlichen Reife kennen gelernt hatten, als sie zur neuen Sippe gestoßen waren, so dass sie viel mehr aufeinander angewiesen waren als die Männer, die so oder so dazugehörten und in der Sippe schon immer heimisch gewesen waren.
Die Männer waren froh, dass ihnen so viele junge Frauen zuwanderten, denn sie wurden zu ihren Geliebten und Freundinnen. Sie hätten es niemals darauf angelegt, die Frauen auseinander zu bringen. Zu kostbar war ihnen allen das, was ihnen die Frauen boten.
In Urmütterchens Sippe war es Sitte, alle Streitigkeiten auszutragen, egal ob sie Männer oder Frauen waren. Das gab ihnen allen die Gelegenheit, den eigenen Standpunkt geltend zu machen, so dass sie einander so anerkennen konnten, wie sie waren. Allerdings stritten die Männer nur mit den anderen Männern, nicht mit den Frauen, denn sie waren es, die die Sippe verteidigten und die sich diese streitbaren körperlichen und geistigen Fähigkeiten aneignen mussten.
Die Männer aus Urmütterchens Sippe hatten gar keine Möglichkeit, sich jemals mit den Frauen zu streiten. Die Gesellschaft der Frauen vernetzte sich untereinander und hielt auch immer zusammen gegen jegliche Übergriffe seitens der Männer, denn es stand den Männern nicht zu, sich weder mit den Frauen zu streiten noch an ihren Aufgaben teilzuhaben.
Die Männer übten mit ihren Streitereien untereinander für ihren Umgang mit Bedrohungen von ihren Fressfeinden, die für Männer in ihren Gedanken immer als Feindbilder vorhanden waren. Mit der Versöhnung war die Angelegenheit wieder erledigt und die angewachsene Anspannung verschwunden, so dass sie weiter als Einheit gegen Außen auftreten konnten.
Die friedliche Welt der Frauen, in der sie ihre Kinder liebevoll aufzogen, unterschied sich maßgeblich von der Welt der Männer, die vom ständigen Wettbewerb untereinander geprägt war. Darum war es gut so, dass weder die Frauen noch die Männer Zugang hatten zur Welt des anderen Geschlechts, ganz einfach, weil sie nicht dazugehörten.
Es gab auch keinerlei Anlass dazu, dass die Männer die friedliche Welt der Frauen mit ihren Streitereien durcheinander gebracht hätten, denn auch sie waren sich darüber im Klaren, dass die Kinder die Zukunft der Sippe waren und mit allen Mitteln beschützt werden mussten, um in Geborgenheit aufwachsen zu können, damit sie groß und stark wurden. Auch die Männer selbst waren die geworden, die sie waren, weil sie in ebendieser Geborgenheit hatten aufwachsen können.