Читать книгу Das Volk das auf den Bäumen lebte - Priska Lenherr - Страница 5

Der Wald

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Hoch oben in den Lüften kreiste ein graubraun gefiederter Adler, dessen ausladende Schwingen mit weißen Bändern gesäumt waren. Vom warmen Aufwind ließ er sich höher und höher hinauftragen, schraubte sich in den Himmel hinauf, so hoch, wie kein anderer Vogel hinaufsteigen konnte. Sein Gefieder wurde vom hellen Licht der aufsteigenden Morgensonne von unten beleuchtet, so dass die halbkreisförmige Zeichnung seiner Schwingen vor dem Hintergrund des endlosen Himmels voll zur Geltung kam.

Wie er so seine Kreise zog, war der Gefiederte prächtig anzuschauen. Sein ausgebreitetes, mächtiges Flügelpaar war auf den nach hinten und außen gerichteten, dunklen Flugfedern von drei verschieden breiten, weißen Bändern durchzogen, die von einer Flügelspitze bis zur anderen reichten und über die ganze Flügelspannweite einen dunkel gebänderten, weißen Halbkreis ergaben.

Um seinen gleichmäßigen Gleitflug zu bewahren, bewegte der Adler die Flugfedern einzeln, ähnlich langen Fingern, und glich damit jede noch so kleine Abweichung in der Luftströmung aus. Auch seine gespreizten Schwanzfedern, mit denen er seinen Flug zusätzlich zu steuern vermochte, waren von zwei weißen Bändern durchzogen, die einen kleineren, zweiten Halbkreis in seinem Erscheinungsbild ergaben. Je höher sich der Raubvogel in die Lüfte tragen ließ, desto mehr verblasste die Zeichnung seines Gefieders. Den Kopf nach vorne und die Beine nach hinten gestreckt, ließ sich der Adler von der warmen Luftströmung fast lautlos im Aufwind höher und höher hinauftragen, bis er für die Augenpaare in den Ästen der Bäume weit unter ihm nur noch als kleiner, dunkler Umriss vor dem unendlichen blauen Himmel, auf dem sich einige Wolken bauschten, sichtbar war.

Nur der Kronenadler selbst konnte das kaum hörbare, leise Rauschen des Flugwindes hören, als er weit oben durch die Lüfte glitt. Unter ihm lag, so weit sein scharfer Blick reichte, unermesslich und endlos, der immergrüne Wald, der die Landschaft mit ihren Hügeln und den dazwischen liegenden Tälern fast lückenlos bedeckte. Die Form des Geländes unter dem grünen Bewuchs der unzähligen Baumkronen, die sich eine an die andere anschlossen, ließ sich nur erahnen, doch galt das Augenmerk des Greifvogels vor allem den Bewegungen von Tieren, die er in den Baumkronen zu erspähen suchte.

Dem Gefiederten gefiel es hoch oben in den Lüften. Hier oben fühlte er sich wohl in der Weite des Himmels, allein mit sich und der Welt.

Die Bäume des Waldes, welche die Landschaft weit unter ihm fast lückenlos mit ihrem unregelmäßigen Bewuchs bedeckten, zeichneten sich nicht nur durch all die verschiedenen Grüntöne aus, sondern sie hatten alle auch unterschiedliche Wuchshöhen erreicht und waren in ihre eigenen, unverwechselbaren Formen hineingewachsen.

Die einzigen Lücken im unendlichen grünen Blättermeer waren Lichtungen und die Wasserflächen der verschiedenen Gewässer, die hier und dort verstreut im Wald eingebettet waren. Von so weit oben sahen die vielen nebeneinander stehenden Baumkronen aus wie eine Ansammlung von großen Blütenköpfen, deren Blütenstände mit den vielen Blüten erst im Ansatz entwickelt und noch geschlossen waren. All die unterschiedlichen Grüntöne der rundlichen Gewächse, die eng beieinander standen, wurden nur hier und dort, wo ein Baum in Blüte stand und rundum von Blüten überzogen war, mit Tupfen von Rosa, Weiß, Rot, Lila, Gelb, Orange oder Ocker gesprenkelt.

Der Raubvogel stieß einen gebieterischen Schrei aus, der bis hinunter in die Baumkronen drang. Damit verkündete er, dass dieses Gebiet ihm gehörte und dass er auf der Jagd war. Waldtiere, die Im Geäst der Bäume lebten, hörten den gellenden Schrei, der augenblicklich ihre Wachsamkeit weckte. Einige Äffchen, die sich in den obersten Ästen eines mit Früchten behangenen Baumes tummelten, fuhr der Schreck in die Glieder und sie suchten Schutz unter dem Blätterdach, indem sie einige Äste hinunterkletterten. Jedes Mal, wenn dieser Raubvogel seine Jagd ankündigte und sie mit seinem Schrei bedrohte, erschraken sie innerlich zutiefst und hatten das Bedürfnis, zu flüchten.

Der Greifvogel war einer ihrer ärgsten Feinde und trachtete ihnen das ganze Jahr über nach dem Leben, denn sein Hunger trieb ihn dazu. Hatte er sie einmal erspäht und ihre Wanderrichtung ausgemacht, fehlte nicht mehr viel, dass er sie zu seiner Beute erkor. Wenn es erst einmal so weit war, nützte es den Äffchen nicht mehr allzu viel, wenn sie sich unter dem Blätterdach zu versteckten versuchten, denn er war ein schlauer Jäger, der sich zu helfen wusste. Doch bestand in diesem Augenblick keine wirkliche Gefahr. Der Adler ließ sich noch weiter in die Lüfte hinauf tragen und die Äffchen waren in Sicherheit, da er sie nun nicht mehr beobachten konnte.

Von all den Vögeln des Waldes flog der Kronenadler am allerhöchsten in den Himmel hinauf. Er liebte es, auf seinem gleitenden Rundflug von dort oben den Wald zu überblicken, soweit sein Auge reichte. Auch wenn sein Gesichtskreis keine Rundschau ermöglichte, so wurden für ihn durch die Kreise, die er einen nach dem anderen in den Himmel hinauf zog, alle Bilder, die er sah, in seiner Vorstellung zu einem großen zusammenhängenden Bild zusammengefügt.

Es war ein Bild des endlosen Grüns unter ihm und des endlosen Blaus über ihm, mit ihm mittendrin, so dass er sich als ein Teil der ihn umgebenden Ewigkeit empfand. Kurz geriet er in den Schatten einer vereinzelten Wolke, die über ihm durch den Himmel fuhr, doch schon bald darauf flog er wieder im hellen Licht der Morgensonne.

Obwohl der Adler von dort oben weit, ja sehr weit sehen konnte, so konnte er dennoch den Rand des Waldes nicht sehen. Denn der Wald, der war noch viel größer als der riesige Teil davon, den der Gefiederte sehen konnte.

Noch nie in seinem Leben war er bis an den Rand des Waldes geflogen, auch wenn er ein großes Gebiet sein eigen nannte. Es dürstete ihn nicht, fortzufliegen und die Welt zu erkunden. Es wäre ihm niemals in den Sinn gekommen, dass es noch eine andere Welt geben könnte als diejenige des Waldes. Hier war seine Heimat. Hier gab es alles, was er für ein erfülltes Leben brauchte. Hier zog er seine Kreise am Himmel, hier stieß er seinen unverwechselbaren Schrei aus. Und hier hatten seine Vorfahren seit vielen Zeitaltern gelebt.

Wenn der Adler so hoch hinauf flog, wie er nur konnte, dann sah er manchmal in unendlich weiter Ferne bräunlichen Staub im hellen Licht über dem Erdrand in der Luft schweben. Zwar gab es über dem Wald nirgends bräunlichen Staub in der Luft, so dass er wusste, dass dort eine andere Welt sein musste, doch weckte dies seine Neugierde nicht weiter. Er hatte ja eine Heimat und er liebte seinen eigenen Lebensraum über alles, denn er war hier geboren und kannte nichts anderes. Hier lebte er und hier würde er mit seiner Gefährtin schon bald ein Junges aufziehen. All das genügte ihm für ein erfülltes Leben. Solange er nicht unfreiwillig vertrieben wurde, würden er und seine Nachfahren hier im Wald leben. Das war einfach so und schon immer so gewesen hier im endlosen Wald. Denn, nur wer in große Not geriet, machte sich auf in neue Gefilde, um ein besseres Leben zu suchen. So weit sein Auge reichte, war er von dem unendlich scheinenden Wald umgeben, der die Erdoberfläche mit unzähligen Bäumen überzog, ein jeder eine kleine Welt für sich.

Der Raubvogel ließ sich weiter durch die Lüfte gleiten, während seine Augen dem Lauf eines breiten Flusses folgten, der sich in großen Schleifen durch den Wald wand und aussah wie eine dicke, glänzende Schlange inmitten all des Grüns.

Die strömenden Oberflächen des Fliessgewässers glitzerten golden im Licht der aufsteigenden Sonne. Wo sich der Fluss hier und dort in verschiedene Arme aufteilte, die sich flussabwärts irgendwo wieder vereinigten, waren inmitten der träge fließenden Fluten des mächtigen Stromes Inseln entstanden, die aus Sandbänken bestanden, mit Schilfgras und Gebüsch oder gar mit Wald bewachsen waren.

Für den Raubvogel stellte der Fluss kein Hindernis dar, er konnte hinfliegen, wo auch immer er wollte. Sein Auge verweilte für einen langen Augenblick auf einer ausgedehnten Lagune, die vom Wasser des Flusses gespiesen wurde und deren stille Wasseroberfläche im Licht der schräg einfallenden Sonnenstrahlen schimmernd glänzte. Von so weit oben schien es dort, wo sich unzählige rosa gefiederte Wasservögel im seichten Wasser der Lagune niedergelassen hatten, als ob dieser Teil des Gewässers mit rosa Moos bewachsen wäre.

Der Raubvogel liebte diese Ausblicke auf den Wald. Je nachdem, auf welcher Höhe er flog, sah alles ganz anders aus. Immer wieder war er entzückt über die Schönheit der ihn umgebenden Natur. All die verschiedenen Bilder, die sie ihm vermittelte, verschafften ihm Tag für Tag Eindrücke, die er mit all seinen Sinnen erleben konnte.

Diese Welt des Waldes war wie gemacht für ihn und seinesgleichen und bescherte ihm genau das, was er eigentlich wollte, nämlich auf die eigene Stimme zu hören und sich selber voll und ganz auszuleben. Es gab soviel zu sehen in der weiten Welt über dem Wald und er genoss alle seine Flüge hoch oben in den Lüften.

Als die Lagune seinen Blicken entschwand, erspähte er die glitzernde Wasseroberfläche eines großen Sees, der in der Ferne am Fuße von bewaldeten Bergen eingebettet im großen grünen Wald lag. Während ihn die Kreise seines Steigfluges höher und höher hinauftrugen, schimmerten und glänzten hier und dort inmitten des unendlichen Waldes, der sich unter ihm in alle Windrichtungen ausdehnte, die stillen Wasseroberflächen von kleineren Seen, die sich im hellen Licht der Morgensonne spiegelten.

Je näher er den fahrenden Wolken kam, die über ihm im unendlichen Blau des Himmels schwebten, desto kleiner erschienen ihm die einzelnen Baumkronen unter ihm, ja sie waren kaum mehr als einzelne Bäume erkennbar.

Der Adler kreiste jeden Tag über dem Wald, mal hier, mal dort, so dass er in dem ausgedehnten Waldstück, das seine Heimat war und das er als sein Jagdgebiet beanspruchte, viel Abwechslung erlebte.

Außer gemeinsam mit seiner Gefährtin zu fliegen tat er nichts lieber als sich vom Aufwind in die luftigen Höhen tragen zu lassen, um sich alsdann wieder herunterzustürzen.

Seit seine Gefährtin brütete, flog er immer alleine los. Sie blieb weit unter ihm im gemeinsamen Horst zurück, der zwischen den dicken Ästen eines Urwaldriesen eingebettet war, die sich aus dem mächtigen Stamm gabelten und in die Höhe reckten.

Während der Zeit der Balz, als sie immer gemeinsam geflogen waren und auch nacheinander ihre Schreie ausgestoßen hatten, war es ihm oftmals ein Bedürfnis gewesen, der Gefährtin seine Flugkünste vorzuführen. Er hatte dies getan, indem er sich im Sturzflug in die Tiefe stürzte, um sodann mit der gewonnenen Geschwindigkeit wieder steil in die Höhe hinauf zu schießen und sich vom höchsten Punkt, den er erreichen konnte, wiederum in die Tiefe zu stürzen. Wie hatte er es genossen, dies mehrmals hintereinander zu tun, während der stolze Blick seiner Gefährtin auf ihm ruhte. Damit hatte er ihr seine Fähigkeiten für die Jagd vorgeführt, so dass sie sich sicher sein konnte, dass er sie während der vielen Tage, die sie beim Brüten zubringen würde, mit genügend Futter versorgen würde.

Der Adler dachte gern an diese Zeit des Werbens und der Begattung zurück, während der sie ihre Kreise in den luftigen Höhen gemeinsam gezogen hatten. Manchmal hatte er einem tief aus seinem Innern kommenden Bedürfnis nachgegeben und ihm dadurch Ausdruck verliehen, dass er sich während des Fluges auf seine Gefährtin gestürzt hatte, so dass sie sich auf den Rücken drehte und ihn an den Fängen griff. Dies hatte dazu geführt, dass sie sich beide in einem gemeinsamen Luftrad überschlagen hatten und sodann einige hundert Meter im freien Fall in die Tiefe gestürzt waren, bis sie sich wieder voneinander lösten.

Und dann, als er durch ihre herangewachsene, innige Verbundenheit spürte, dass seine Gefährtin bereit war, zu empfangen, hatte er sie während eines ganzen Tages immer wieder in den Wipfeln der Bäume begattet, indem er auf sie geflogen war und mit den Flügeln geflattert hatte, um das Gleichgewicht zu halten.

Wie schön war diese Zeit der Innigkeit und der zärtlichen Gesten gewesen. Ein gemeinsames Luftrad zu schlagen bedurfte großen fliegerischen Könnens. Manchmal hatte seine Gefährtin auch alleine ein Luftrad in der Luft vollführt. Es schien ihr genauso großen Spaß gemacht zu haben, ihm ihre Flugkünste vorzuführen, wie er dabei hatte, wenn er ihr die seinen vorführte. So hatten sie einander spielerisch die tiefe Verbundenheit gezeigt, die sie miteinander fühlten.

Es war schön und erfüllend gewesen, diese Gefühle zum Ausdruck zu bringen. Er hatte diese Augenblicke der innigen Verbundenheit geliebt. Sie waren es beide zufrieden, dass sie einander gefunden hatten, denn solange sie beide lebten, würden sie sich nicht mehr voneinander trennen. Ihre innige Verbundenheit verstärkte sich noch dadurch, dass sie wussten, dass sie ein Leben lang zusammenbleiben würden.

Als seine Gefährtin mit der Suche nach einem Nistplatz begonnen hatte, war er ihr überallhin gefolgt. Dann, nachdem sie einen Ort gefunden hatte, der ihr geeignet schien, hatten sie mit dem Bau des ausladenden Horstes begonnen. Sie hatte einen mächtigen Baum ausgewählt, der keine allzu ausladende Krone hatte sondern hoch und sehr stattlich war, denn dort, wo sich die dicken, emporstrebenden Äste aus dem umfangreichen Stamm gabelten, um weiter oben die belaubte Baumkrone zu tragen, bestand inmitten von ihnen genügend Schutz für einen geräumigen Brutplatz.

Da die hoch aufragenden Äste des Urwaldriesen, der den Wald überragte, erst viel weiter oben mit einem dichten Blätterdach bewachsen waren, war den beiden Raubvögel von ihrem Hochsitz aus eine freie Sicht auf den umliegenden Wald vergönnt, dessen Blätterdach sich ein gutes Stück weiter unten befand.

Anschließend hatte das Adlerpaar den Horst gemeinsam und mit viel Hingabe aus Ästen in der Gabelung der Baumkrone aufgeschichtet. Dafür waren die beiden Vögel unzählige Male ausgeflogen, um Äste für ihr großartiges Bauwerk aus dem darunter liegenden Wald auf den Baum hinaufzuschaffen. Mit jedem Ast, den sie mit viel Geduld und Eifer zu einem haltbaren Geflecht verkeilt hatten, war Ihr Horst, der viele Jahre überdauern würde und zu jeder erneuten Brutzeit wieder ausgebaut werden konnte, breiter und höher geworden.

Als seiner Gefährtin der ausladende Horst hoch genug erschienen war, hatte sie damit begonnen, diesen mit Gräsern, Blättern und Moos auszupolstern. Während der gesamten Bauzeit hatte er ihr alles nachgetan, so dass die beiden nach Fertigstellung ihres mächtigen Nistplatzes ihren Horst voller Stolz begutachten konnten. Er war nun derart gut geschichtet und ineinander verflochten, dass er jedem Sturm standhalten würde.

Der Ausblick über den umliegenden Wald war großartig, denn der Horst lag so hoch in der Gabelung der Äste des uralten Baumes, dass das Adlerpaar weit in die Ferne blicken konnte.

Als die gemeinsame Arbeit nach vielen Tagen beendet war, hatte seine Gefährtin das erste Ei gelegt. Jetzt bestand das Gelege aus zwei Eiern, die meistens von ihr bebrütet wurden, während er unterwegs war, um Futter für sie und sich selbst zu besorgen. Nur selten einmal löste er sie ab, damit auch sie sich für eine kurze Zeit bewegen konnte.

Wie der Adler weiter ununterbrochen hoch in den Lüften kreiste, indem er abwechselnd mit den Flügeln schlug und dann wieder im Gleitflug schwebte, stieß er in gewissen Abständen immer wieder seinen Schrei aus, während er mit seinen scharfen Augen jede Bewegung in den Baumkronen wahrnahm, obwohl sie so weit unter ihm lagen und aus dieser Höhe so klein wie Bodenpflanzen schienen, auf denen vereinzelt Insekten krabbelten.

Aus dem Meer von Bäumen ragten hier und dort große Urwaldriesen, die mit ihren gesamten Kronen und einem Teil der Stämme alle Kronen der jüngeren Bäume überragten, so dass sie ihre ganze Pracht entfaltet hatten und ihre großen Kronen vom Sonnenlicht durchflutet waren. Sie waren uralt, älter als jedes andere Lebewesen im Wald.

Im Gegensatz zu den Bäumen des Waldes, die inmitten von Nachbarbäumen standen und deren äußerste Zweigspitzen ständig durch die Bewegung der Äste im Wind abgebrochen wurden, konnten sich diese Urwaldriesen frei entfalten, denn im gleißenden Licht der Sonne und in der Brise, die über den Wald strich, standen sie für sich allein.

Im darunter liegenden Wald fügte sich Baumkrone an Baumkrone, die einen höher, die anderen niedriger. Einer neben dem anderen stehend, mit Blättern in den verschiedensten Formen und Grüntönen, bildeten die vielen verschiedenen Baumarten den Wald in seiner ganzen Vielfalt und Pracht. Weiter gar als das Auge reichte, wurde die Landschaft von Bäumen in schier unzähligen Grünschattierungen wie von einem unregelmäßigen Moosteppich bedeckt, der hier und da mit den kleinen Farbtupfern der blühenden Bäume gesprenkelt war, so, als wären es kleine, vereinzelte Blüten auf dem Moos.

Der einzige Unterschied zu richtigem Moos war derjenige, dass alle Pflänzchen eines Mooskissens zur selben Pflanzenart gehörten und die Bäume des Waldes, die dicht nebeneinander standen, vielen verschiedenen Pflanzenfamilien angehörten. Der Wald bildete ein fast geschlossenes Blätterdach bis zum sichtbaren Rand der Erde, das nur hier und dort von kleinen oder größeren Lichtungen und von unterschiedlich großen Gewässern durchbrochen war.

Weil die Bäume zu unterschiedlichen Jahreszeiten blühten, gab es im Wald das ganze Jahr über reife Früchte, doch waren es immer nur einzelne Bäume, die zur selben Zeit Blüten trugen, die sich zudem in Farbe und Form voneinander unterschieden.

Im Wald gab es zwei Jahreszeiten des Überflusses. Die meisten Früchte reiften nach den Regenzeiten heran, so dass sich das Nahrungsangebot für diejenigen Tiere des Waldes, die sich hauptsächlich von Baumfrüchten ernährten, nicht immer gleich üppig war.

Für das Adlerpaar machte es keinen großen Unterschied, um welche Jahreszeit es sich handelte, denn die Tiere des Waldes, die sie jagten, fanden das ganze Jahr über immer genügend Nahrung. Im großen, üppigen Wald gab es keine Zeit des Hungers. Der Wald war fürwahr ein Schlaraffenland.

Für den Adler gab es zudem verschiedene Möglichkeiten für die Jagd, doch kam es selten vor, dass er aus den Höhen der Lüfte keine Beutetiere in den Baumkronen ausmachen konnte. Es war vielmehr das Bedürfnis nach Abwechslung, das ihn dazu brachte, abwechselnd aus der Luft und aus den Bäumen Ausschau nach Beute zu halten.

Der üppige Wald, der sich unter dem kreisenden Adler in alle Windrichtungen schier endlos ausdehnte, war mit vielen Lebewesen bevölkert, die unterschiedlicher gar nicht hätten sein können. So gab es trompetende Waldelefanten, die das dämmriggrüne Laubgewölbe auf den Tunnelpfaden, die sie sich gebahnt hatten, ebenso durchstreiften wie Waldgiraffen und Waldbüffel, Rehantilopen und Warzenschweine, Echsen, Schildkröten und gefährliche Raubkatzen.

Im Astwerk der Bäume gab es viele unterschiedliche Lebewesen. Die einen kletterten zeitweise in die Bäume hinauf, die anderen verbrachten ihr ganzes Leben dort oben. Es gab Affenhorden, die durch die Baumkronen kletterten und sich in den hohen Bäumen, die in den Himmel hinauf wuchsen, von Ast zu Ast hangelten. Es gab große Gorillas, die den grünen Lebensraum auf dem Waldboden durchstreiften und auf Bäume hinauf kletterten, um Früchte zu schmausen. Und es gab die Leute aus Urmütterchens Sippe, die in die Baumkronen kletterten um zu schmausen oder zu schlafen und die im meist dämmrigen Licht am Waldboden durch den Wald wanderten.

Der Raum zwischen den Ästen der Baumkronen wurde von zahllosen herumfliegenden Vögeln bewohnt, deren Gefieder in vielen Farben schillerte. Unzählige Schmetterlinge in vielen Farbschattierungen mit wunderschönen Zeichnungen auf ihren zarten Flügeln flatterten und schwebten durch die Baumkronen, durch den im bläulichgrünen Licht schimmernden Raum des Waldgewölbes und durch das Unterholz unten am Waldboden.

Im Wald gab es auch unzählige Insektenarten. Fliegende, krabbelnde und kriechende Insekten mit schillernden Panzern, die in satten Farben glänzten oder mit kunstvollen Farbzeichnungen geschmückt waren, bevölkerten die Bäume, den Raum zwischen den Bäumen und den Waldboden.

Durch das Unterholz und das Astwerk der Bäume wanden sich Giftschlangen und in Wassernähe riesige Würgeschlangen, die sich gerne von den Ästen ins Wasser fallen ließen. Frösche und Kröten quakten in den Feuchtgebieten der Sümpfe, wo sich gefährliche Schlangen durch die Gewässer schlängelten.

In den Flüssen tummelten sich unzählige Fische, Herden von großen Flusspferden, gefährliche Krokodile und andere Tiere, die nur des Nachts an Land kamen.

Die Gewässer des Waldes waren von einer Vielzahl von den unterschiedlichsten Wasservögeln besiedelt, die sich für die Brutzeit zu riesigen Ansammlungen zusammenfanden.

Der Adler hatte nun schon seit geraumer Zeit eine Affenhorde beobachtet, die sich durch die Baumkronen in Richtung der aufsteigenden Sonne bewegte. Von so weit oben schienen sie wie kleine Läuse, die von einer Baumkrone in die nächste kletterten. Sobald sein Entschluss gefasst war, ließ er sich langsam immer tiefer gleiten, erst in Kreisen, dann immer weiter von der Sonne weg, weg von den unter ihm kletternden Affen mit dem schwarzen Fell und den weißen Gesichtern. Er wollte sie nicht beunruhigen.

Sein Gleitflug führte ihn ein Stück weit hinter die grunzende und schnatternde Gruppe der Weißnasen, bevor er umdrehte, um die Affenhorde nun gezielt zu verfolgen, ohne diese im Geringsten zu warnen. Dann setzte er zu einem atemberaubenden Sturzflug bis hinunter zum Blätterdach der Bäume an, um seinen schnellen Flug sodann knapp über den geschlossenen Baumkronen gut gedeckt fortzusetzen. So näherte er sich seiner Beute im Wipfelbereich von hinten an, ohne dass die ahnungslosen Affen etwas bemerkten. Doch der Gefiederte wusste genau, wo sie kletterten.

Mit unglaublicher Geschwindigkeit schoss er über das Blätterdach des Waldes, das unter ihm hinwegflitzte. Alle seine Sinne waren geöffnet und seine ganze Aufmerksamkeit galt der Jagd und dem verwegenen Flug.

Sobald er mit seinem feinen Gehör das Schnattern seiner Beute hören konnte, ließ er sich mit der großen Geschwindigkeit, die er durch den Sturzflug gewonnen hatte, durch Lücken zwischen den Ästen bis fast hinunter zum Waldboden gleiten, wo er weiterflog, um unmittelbar unter die Weißnasenaffen zu gelangen. Er war ein unglaublich geschickter Flieger.

Als er im Flug in Bodennähe zwischen dem Unterholz und dem Blätterdach der Baumkronen bis unter die Tiere gelangt war, stieß er senkrecht nach oben, durchstieß das Blätterdach und erbeutete so einen der Affen von unten her kommend. Er flog ganz nah an seinem Beutetier vorbei und schlug ihm die Krallen seiner kräftigen Fänge von oben in den Schädel, um sogleich frohlockend mit seiner gegriffenen Beute in den Fängen davonzufliegen.

Der Überfall war so schnell vor sich gegangen, dass erst nur ein heftiges Rascheln im Laub und dann der Aufschrei des geschlagenen Weißnasenaffen zu hören war; dann noch kurz das Rauschen seiner mächtigen Flügel beim Wegfliegen, und schon war der Raubvogel, die leblose, schlenkernde Beute in den Fängen, mit kräftigen Flügelschlägen in Richtung seines Horstes durch die Baumwipfel auf und davon geflogen. Seine heutige Beute war ungefähr gleich schwer wie er selber, doch war es ihm dank seiner riesigen Schwingen ein leichtes, sogar noch schwerere Tiere als sein eigenes Gewicht zu erbeuten und im Flug mit sich wegzutragen.

Sein gewandter, schneller Flug unterhalb des Blätterdaches der Baumkronen war fast unbemerkt geblieben, denn außer dem Rascheln der Blätter beim Anflug zu seiner Beute und dem Rauschen des kräftigen Flügelschlages beim Wegfliegen verursachte er keine Geräusche.

Weil ihm die Blätter der Bäume eine willkommene Deckung boten, bekamen es jeweils nur diejenigen Tiere in allernächster Nähe mit, dass er ein Beutetier geschlagen hatte.

Während er zum gemeinsamen Horst zurückflog, freute er sich auf die Begegnung mit seiner Gefährtin. Sie war sicher schon hungrig und würde sich über die Beute genauso freuen wie er.

Der Adler flog den Horst von schräg unten an, ließ sich im Schwung etwas höher als das an die zwei Meter breite Gefüge aus Ästen tragen und lehnte sich sodann leicht zurück, um seine Beute gleichzeitig mit der anmutigen Landung, die er mit kräftigen Flügelschlägen ausglich, vor sich ins Nest zu schwingen. Seine ausgestreckten, mit Krallen bewehrten Fänge waren kräftig und landeten sicher, als seine Beute direkt vor ihm in den Horst fiel.

Nachdem er seine Flügel zusammengefaltet hatte, packte er den leblosen, schwarzen Affen mit der weißen Schnauze mit seinem starken Schnabel und legte ihn seiner Partnerin, die ihn mit erfreuten Schreien begrüßt hatte, hin. Sogleich packte sie den toten Affen und begann, mit ihrem Schnabel hungrig Fleischstücke aus dem noch warmen Tier zu reißen, um sie zu verschlingen.

Der Adler schwang sich wieder in die Lüfte, um noch einmal, diesmal für sich selber, zu jagen. Er flog dicht über den Kronen der Bäume in die Richtung des Flusses, dem sein Blick zuvor gefolgt war. Als das schimmernde Licht, das sich auf dem strömenden Wasser spiegelte, durch die Bäume drang, kreiste er einige Male, um sich einen geeigneten Baum für seinen Ansitz auszusuchen.

Er wählte einen Wipfel aus, der die anderen Bäume überragte und ließ sich auf einem Ast nieder, um seine Umgebung und das Flussufer zu beobachten. Er hatte Zeit. Er war ein guter Jäger und würde nicht leer ausgehen, das wusste er.

Sein Blick fiel auf einige prachtvolle Flamingos, die sich geräuschvoll in die Luft erhoben und mit weit ausgreifenden Schritten ihrer langen Beine über das stille Wasser einer seitlich zum Fluss gelegenen Lagune rannten, bis sie von ihren ausgespannten Schwingen getragen und in die Luft gehoben wurden. Erst zeichneten sich grellrote, und dann, als sie flogen, ins zarte Rosa hinüber spielende Striche vor dem Hintergrund des Wassers ab, in dem sich der tiefblaue Himmel spiegelte.

Unter jedem der Vögel flog ein gespiegelter, genau gleich aussehender Vogel auf der Wasseroberfläche mit, als sie mit weit vorgereckten Hälsen und lang hinter sich ausgestrecken Beinen mit gleichmäßigen Flügelschlägen knapp über der Wasseroberfläche in den Fluss einschwenkten und flussabwärts davonflogen.

Noch immer glitzerte das Licht der schräg einfallenden Strahlen der aufsteigenden Morgensonne auf dem strömenden Wasser. Die Flamingos folgten dem Wasserlauf zu den Lagunen weiter flussabwärts, wo sich Tausende ihrer Art im seichten Wasser tummelten.

Auch vom Wipfel des Baumes aus gesehen, auf dem der Raubvogel saß, dehnte sich rundum, dem Blicke des Adlers unermesslich, der Urwald aus; ein schier unendliches Meer aus wogenden, mächtigen Bäumen, ein Laubgewölbe ohne Ende. Die Palette der grünen Farbtöne reichte von der schillernden hellen Smaragdfarbe bis zum tiefsatten schwärzlichen Meergrün. Am fernen Rand der Erde verblassten die Farbtöne zu einem pastellfarbenen Aquamarin und einem sehr fahlen Olivgrün, dort, wo sich die Farben im Dunst unter dem fahlen, türkisfarbenen Licht des Himmels langsam verloren.

Der Strom, der sich in weiten Schleifen und vielen Windungen durch den Wald. wand, gurgelte leise um einen umgestürzten Baumstamm, ansonsten verursachte das dahinströmende Wasser fast keine Geräusche.

Auf der im Lichte schimmernden Oberfläche der träge doch stetig dahin strömenden Fluten spiegelte sich der tiefblaue Himmel in einem leuchtenden dunkelblau. Die Spiegelung der Umrisse der Uferbäume in ihren eigenen Grüntönen wurde durch die Strömung des fließenden Wassers leicht verzerrt.

Der Fluss, der sich Schleife um Schleife durch den dichten, riesigen Wald schlängelte, trug umgestürzte Bäume und abgebrochene Äste, losgerissene Pflanzen und ganze Erdschollen, die mit dichtem Gras bestanden waren, mit sich, dem fernen Meere zu.

Die mächtige Wasserader war nur eine von vielen anderen mächtigen Wasseradern im unendlichen Wald, deren Geflecht sich in großer Ferne zu einem derart breiten Strom vereinigte, dass der Wald des jenseitigen Ufers mit bloßem Auge nur noch als schmaler grüner Strich zu erkennen war.

Die Flamingos waren mit gleichmäßigen Flügelschlägen an einigen Inseln vorbei geflogen, die, von dichtem, riesigem Schilfgebüsch bestanden, aus den Fluten ragten. Dann verschwanden sie hinter einer Flussbiegung und damit aus der Sicht des Adlers, der ihnen mit seinem Blick gefolgt war.

Der Greifvogel wandte den Blick ab und ließ ihn umherschweifen, indem er den Kopf leicht seitlich nach vorne neigte. Flussaufwärts glitt sein Blick über eine Herde Flusspferde, die sich im Wasser tummelten. Es waren vor allem Muttertiere, die ihre säugenden Jungen nah bei sich hatten. In der Herde waren sie ziemlich sicher, doch drohte im Fluss immer wieder die Gefahr von gefräßigen Krokodilen, so dass die massigen Muttertiere allzeit sehr wachsam waren.

Die Flusspferdmütter säugten ihre Jungen während drei Jahren sowohl unter Wasser als auch an Land, wenn sie des Nachts aus den Fluten stiegen, um das Ufergras zu fressen. Während dieser Zeit der Innigkeit bildete sich ein derart enges Band zwischen den Müttern und ihren Jungen heran, dass es fortan ein Leben lang bestehen blieb.

Von den zahllosen Fischen, die durch die Strömung schnellten, gerade wie es ihnen gefiel, sah der Gefiederte hier und dort einen in die Höhe springen, so dass sein beschuppter Fischleib kurz im Licht der Sonne aufblitzte, bevor er wieder zurück ins kühle Nass schnellte.

Der Adler konnte die Schreie von Vögeln aus dem Wald hören, während das strömende Wasser leise vor sich hingurgelte, dort, wo es um einen kürzlich umgestürzten Baumstamm floss, in dessen Krone noch Blätter hingen.

Am jenseitigen Flussufer lauerten ein Stück weit flussabwärts mehrere Krokodile träge in einer kleinen Lagune, so dass ihre braunen Leiber auf dem Wasser treibenden Baumstämmen ähnelten.

Während sich der Vormittag dahin zog, brannte die Sonne vom klarblauen Himmel hernieder, so dass sich in der bereits heißen Luft des immer höher steigenden Feuerballs die Mückenschwärme über dem Wasser zu auf und ab tanzenden Wolken ballten.

Der Blick des Gefiederten fiel nun auf eine Gruppe graubrauner Äffchen mit dichten braunen Schöpfen und langen, baumelnden Schwänzen, die sich diesseits des Flusses durch die lichte Krone eines Baumes hangelten und von Ast zu Ast sprangen.

Schlagartig wurde sein Jagdtrieb geweckt. In seiner Erregung stellte er sogleich die gespreizte, weißbraune Federkrone auf seinem Kopf auf, während seine Absicht zu töten in seinen Augen aufblitzte, denn mittlerweile war er sehr hungrig.

Er zögerte keinen Augenblick, duckte sich nach vorne und stieß sich mit seinen kräftigen Beinen schräg nach unten von dem Ast ab, auf dem er angehockt war. Er breitete seine Flügel aus und gewann mit einigen kraftvollen Flügelschlägen schnell an Geschwindigkeit, um sich sodann auf den ausgebreiteten Schwingen erst über die Baumkronen gleiten zu lassen, bevor er wiederum durch die Äste herunter stieß und seinen Angriff unter dem Blätterdach fortsetzte, wo er geschickt zwischen den Baumstämmen hindurch flog, immer wieder mit den kräftigen Flügeln schlagend, um an Geschwindigkeit zu gewinnen.

Die Blätter verschafften ihm die gewünschte Deckung, so dass er weder von den Tieren in den Bäumen, durch die er flog, noch von den Äffchen, die noch etliche Bäume entfernt waren, durch das schützende Grün der Blätter gesehen werden konnte.

Dann faltete er seine großen Schwingen oberhalb des Rückens zusammen und machte sich so schmal wie möglich, um zwischen zwei nahe beieinander stehenden Baumstämmen hindurch zu fliegen, so dass er ohne eine einzige Berührung hindurch gelangte. Er war ein ebenso geschickter wie verwegener Flieger, der sich auch zwischen den Bäumen ganz zu Hause fühlte.

Noch einmal nahm er mit einigen mächtigen Flügelschlägen mehr Geschwindigkeit auf, schoss sodann nach oben und griff sich in Sekundenschnelle einen kleinen Affen, der ihn nicht hatte kommen sehen außer im allerletzten Augenblick, als der Gefiederte ihm bereits die Fänge in den Kopf mit dem rostbraunen Haarschopf schlug und sein Schreckensschrei ganz plötzlich verstummte.

Schon wenige Augenblicke nach dem Angriff flog der Adler mit anmutigen, kräftigen Flügelschlägen und dem leblosen Tier, das in seinen Fängen baumelte, zwischen den Wipfeln zurück zu seinem Horst.

Der Angriff hatte so schnell stattgefunden, dass die erschrockenen Äffchen, die zurückblieben, sich nur noch damit abfinden konnten, dass es wieder einmal geschehen war, dass eines der ihren in die Fänge eines Greifvogels geraten war. Sie würden noch eine Weile um das Opfer trauern, denn sie waren mitfühlende Lebewesen. Solange sie sich erinnerten, würde ihnen das so unmittelbar aus dem Leben gerissene Familienmitglied fehlen.

Die gewaltsamen Überfälle der gefiederten Raubvögel gehörten zu ihrem Leben, und das Leben ging trotzdem weiter. Sie konnten nichts dagegen tun außer ständig wachsam zu sein. Doch auch dann würde es immer wieder einmal passieren, auch wenn sie für eine lange Zeit verschont geblieben waren.

Es war ihnen dennoch ein Trost, dass das Opfer nicht lange gelitten und vom Tod fast nichts mitbekommen hatte. Sie würden weiter mutig durch die Baumkronen des Waldes klettern, immer auf der Suche nach reifen Früchten, von denen sie sich nebst Blättern und anderem ernährten.

Der Adler war in seinen Horst zurückgekehrt, wo er mit seinem starken Schnabel Stück um Stück Fleischfetzen aus dem noch warmen Körper herausriss und sie gierig herunter schlang, um seinen Hunger zu stillen.

Am Ort des verhängnisvollen Überfalls deutete nichts darauf hin, dass hier vor wenigen Augenblicken ein Tier gestorben war, um ein anderes zu ernähren. Alles Leben im Wald nahm weiter seinen Lauf. Die Rufe der Vögel hallten weiterhin durch das Geäst, als wäre nichts gewesen. Die Wildnis im uralten Wald war ein gefährlicher Ort. Alle Lebewesen, die dort lebten, mussten um das Überleben kämpfen. Es war ein Fressen und gefressen werden.

Vom jenseitigen Ufer des Flusses ertönte ein Trompeten, als ein Stück flussaufwärts eine große Elefantenkuh aus dem Wald trabte. Sie verlangsamte und hielt kurz inne, um ihre Augen ans gleißende Sonnenlicht zu gewöhnen. Dann verkündete sie ihre Ankunft am Fluss noch einmal mit einem lauten Trompeten. Zielstrebig trabte sie über den abfallenden Uferstreifen hinunter ans Flussufer, wo sie mit beiden Vorderbeinen im seichten Wasser stehen blieb und sogleich mit ihrem langen Rüssel Wasser schöpfte, um sich daran zu laben.

Dicht hinter ihr folgte ihr ein fast ausgewachsenes Kalb. Sie hatte das Flussufer noch nicht erreicht, als schon die zweite Elefantenkuh aus dem Wald trabte. Auch ihr folgte ein Kalb, das viel kleiner war als dasjenige der Anführerin. Während sich die Leitkuh das geschöpfte frische Nass mit ihrem Rüssel bereits ins Maul rinnen ließ, indem sie den Kopf leicht nach hinten hob, traten noch drei weitere Kühe aus dem Wald. Auch ihnen folgten ihre Kälber.

Die Elefantenmütter, allesamt Schwestern, stellten sich mit ihren Vorderbeinen so ins Wasser, dass zwischen ihnen genügend Raum blieb für ihre Kälber, von denen keines die gleiche Größe hatte. Sie waren alle zu unterschiedlichen Zeiten geboren worden, denn es war die Natur selbst, die bestimmte, wann eine Elefantenkuh empfangen konnte, so dass sie sich mit einem Elefantenbullen paarte. Alles in der Natur hatte seine ganz eigene Zeit.

Im hellen Sonnenlicht senkten die Kühe ihre Rüssel ins sanft strömende Wasser und schöpften von dem erfrischenden Nass, denn sie alle waren durstig. Es war Stunden her, seit sie das letzte Mal getrunken hatten. Auch die Kälber taten es ihren Müttern nach und tranken durstig. Sie waren es sich gewohnt, zwischen ihren Müttern und Tanten zu trinken, wenn sie ans Wasser gelangten, denn sie wussten, dass ihre Mütter nicht wollten, dass sie sich alleine am Wasser herumtrieben, dazu waren die Flussufer viel zu gefährlich.

Im seichten Wasser bestand kaum Gefahr vor den gefräßigen Krokodilen, doch die Mütter hielten es immer gleich mit ihren Kälbern, wenn sie ans Wasser traten. So waren es sich die Kleinen gewohnt, zwischen ihren Müttern und Tanten zu bleiben, denn sie waren noch zu klein, um Gefahren richtig abschätzen zu können. Sie hatten genügend andere Gelegenheiten, um ein wenig herumzustromern, auch wenn sie sich von sich aus nie sehr weit von ihren Müttern entfernten.

Nur das Größte der Kälber konnte die Vorsicht der Mutter gut verstehen, weil es schon eine gefährliche Erfahrung am Flussufer gemacht hatte. Ein Krokodil hatte sich in den Rüssel seiner Mutter verbissen und versucht, sie unter Wasser zu ziehen. Die Elefantenkuh hatte sich wieder befreit, indem sie den Kopf hin und her, vor und zurück geworfen und mit ihrem ganzen Gewicht nach dem Krokodil getreten hatte, so dass es hatte loslassen müssen.

Das Kalb wusste noch nicht, dass sich ein Krokodil im seichten Wasser, wie es hier wegen des sanft abfallenden Flussgrundes vorkam, weder ungesehen annähern noch sich am Grund beim Flussufer verstecken und auf Beute lauern konnte.

Die Elefantenkühe fächelten mit ihren großen Ohren und wedelten mit den kleinen Schwänzen. Immer wieder schöpften sie sich genüsslich Wasser ins Maul. Vor ihnen lag ein großes, seichtes Becken sanft dahinströmenden Wassers, das außerhalb der Hauptströmung in der Flussbiegung lag. Die Leitkuh genoss die frische Brise, die um ihren Kopf wehte. Während sie im seichten Wasser weiter hinaus stapfte, ließ sie die sonnengetränkte Luft in ihre Lungen strömen. Als ihr das Wasser gerade einmal die Knie bedeckte, blieb sie stehen und begann, sich Wasser auf den Rücken zu prusten.

Beim Aufenthalt hier im Freien unter der heißen Sonne begann die dicke Haut auf ihrem Kopf zu prickeln und die Elefantenkuh spürte, wie sich ihre Sinne ganz dem Sonnenlicht öffneten. Sie liebte es, aus dem dämmrigen grünen Licht des Waldes ins Sonnenlicht hinauszutreten und dieses zu spüren und einzuatmen. Sobald sich ihre Augen daran gewöhnt hatten, ließ sie sich genüsslich davon durchströmen.

Es fühlte sich an, als würde ein Teil von ihr erwachen, der im dämmrigen Licht des Waldes schlummerte. Sie wusste, dass sie die Kälber so lange hier im seichten Wasser spielen lassen würde, bis sie sich durch und durch von dem hellen Sonnenlicht angefüllt fühlen würde.

Eine nach der anderen folgten ihr die ausgewachsenen Kühe mit ihren Kälbern ins kühle Nass. Sie alle genossen nicht nur das Sonnenbad sondern auch das Wasser des Flusses, das ihnen in der Hitze des Vormittags eine angenehme Erfrischung bescherte, so dass sie prusteten und sich selbst und ihre Kleinen ausgiebig mit dem frischen Nass besprühten. Dabei ließen sie sich viel Zeit, denn sie liebten es über alles, zu baden und sich zu sonnen.

Als sich eine der Kühe auf die Seite legte, um ganz ins Wasser einzutauchen, taten es ihr die Kälber übermütig nach. Dem Kleinsten von ihnen gelang es gar, ganz unterzutauchen, nur um sogleich prustend wieder auf die Beine zu kommen. Es war noch ungeübt im Umgang mit dem kühlen Nass, doch liebte es das Spiel im Wasser über alles.

Die Elefantenmütter ließen ihre Kälber übermütig spielen, da sie keine unmittelbare Gefahr erkennen konnten. Auch wenn es hier tief genug für Krokodile war, hätten sie diese doch gesehen, falls sie sich näherten. Eine nach der anderen von Ihnen legte sich auf die Seite, um den ganzen, massigen Körper zu baden.

Die Kälber versuchten weiter, unterzutauchen und die Luft zum Atmen mit ihren Rüsseln zu bekommen, indem sie diese über Wasser hielten. Jedes Spiel der Kleinen war dazu gedacht, das zu lernen, was sie als erwachsene Tiere täglich brauchten, um zu leben und zu überleben. So verging die Zeit, während die Sonne höher stieg und sodann ihren Scheitelpunkt erreichte.

Nach dem erquickenden Bad trompetete die große Leitkuh und stapfte ins tiefere Wasser, auf die Flussmitte zu. Dort, wo der Flussgrund steil abzufallen begann, stapfte sie vorsichtig und gemächlich Schritt um Schritt vorwärts, bis ihre Augen vom Wasser bedeckt wurden, so dass sie den Kopf anhob und den Rüssel aus dem Wasser hob, um zu sehen und zu atmen. Dann schwamm sie auch schon zielstrebig dem anderen Ufer zu, dicht gefolgt von den anderen.

Im tiefen Wasser blieben sie immer eng beieinander, eine hinter der anderen, ihre Kälber an ihrer Seite, und hielten ihre Rüssel immer wieder als Schnorchel über die Wasseroberfläche. Als sie alle schwammen, ragten nur noch die dunklen Oberseiten ihrer Köpfe und Rücken aus dem Wasser.

Sobald die Leitkuh wieder Grund unter den Füssen hatte, watete sie auf dem Grund des Flusses weiter, bis dieser wieder anstieg und sie aufs gegenüberliegend Flussufer steigen konnte, das hier viel steiler war als auf der anderen Seite des Flusses.

Ihr eigenes Kalb und die anderen Kälber der Herde waren alle schon groß genug, um selbst schwimmen zu können, so dass die Herde alle Flüsse überqueren konnte. Mit der Hilfe seiner Mutter hatte auch das kleinste Kalb keine Schwierigkeiten, durch den Fluss zu kommen, denn die Mutter bewahrte es davor, von der Strömung abgetrieben zu werden, indem sie es auf der der Strömung zugewandten Seite neben sich schwimmen ließ und es mit ihrem massigen Körper schützte.

Die Kälber folgten ihren Müttern sonst immer auf dem Fuße, doch hier im Fluss schwammen sie wegen der Strömung neben den Müttern her, die stetig darauf achteten, dass sie nahe beisammen blieben. Wie alle jungen Elefanten liebten die Kälber das Schwimmen und das Tauchen und auch das wilde Kämpfen gegen die Wellen und waren viel zu sehr abgelenkt vom Wasser selbst, als dass sie genug darauf geachtet hätten, nah bei der Mutter zu bleiben, so dass sie ohne die fürsorgliche Aufsicht der Mütter schnell hätten abgetrieben werden können.

Die Leitkuh war froh, wieder Grund unter den Füssen zu haben. So sehr sie das Schwimmen und das Wasser liebte, so wusste sie doch um die Gefahren des Wassers. Langsam stieg sie aus dem tiefen Fluss ins seichtere Wasser, besprühte sich und ihr Kalb noch einmal ausgiebig und schaute sich dabei um. Sie ließ ihre Blicke über ihre Schwestern und die Kleinen schweifen und wartete ab, bis alle an dieses Flussufer gelangt waren.

Währenddessen war auch die Letzte der Herde aus dem tiefen Wasser gestiegen, gefolgt von ihrem fast ausgewachsenen Bullenkalb, das bereits ein geübter Schwimmer war und ganz ohne ihre Hilfe schwimmen konnte.

Auch sie war eine Schwester der Leitkuh, die im seichten Wasser stehen geblieben war, um das Gewässer zu überschauen, sich zu sonnen und die Reihe ihrer Gefährtinnen mit deren Kälbern zu betrachten, bis die ganze Herde den Fluss eine nach der anderen durchquert hatte.

Auch dann wartete die Leitkuh noch eine Weile, bis alle damit fertig waren, sich und ihre Kleinen noch einmal ausgiebig zu besprühen und das Sonnenlicht zu genießen. Dann trompetete sie kurz, stapfte aus dem Wasser und lief fast lautlos durch das niedergetrampelte Uferschilf auf einen Tunnelpfad zu, der in das hohe Laubgewölbe des Waldes hineinführte. Die anderen folgten ihr auf dem Fuße und es vergingen nur wenige Augenblicke und die ganze Herde war vom Wald verschluckt.

Das Sonnenlicht war so grell gewesen, dass die Leitkuh für einige Augenblicke fast blind war, als sie in das dunkle Gewölbe des Waldes trottete. Sie blinzelte. Langsam gewöhnten sich ihre Augen an das grünlich-dämmrige Licht unter den Bäumen, wo nur wenige gedämpfte Sonnenstrahlen bis auf den Waldboden fielen.

Dann, als sich ihre grünlichen Augen an das neue Licht gewöhnt hatten, empfing sie der geliebte Wald mit all seiner Schönheit. Hier in der Nähe des Flusses wuchsen die Bäume des Waldes nicht so hoch und dicht wie auf höheren Lagen. Wegen der alljährlichen Überschwemmungen der Regenzeiten blieb der Boden in der Umgebung des Flusses oftmals für längere Zeiten feucht und es entstanden viele kleinere und größere sumpfige Stellen, so dass den Bäumen die nötige Festigkeit des Bodens fehlte, um zu mächtigen, uralten Baumriesen heranzuwachsen.

Bei heftigen Gewitterstürmen wurden immer wieder größere Bäume in Flussnähe entwurzelt, da diese im feuchtem Untergrund schnell den Halt verloren und einfach umfielen, so dass es ein junger, lichter Wald war, durch den der Elefantenpfad führte. Dennoch wuchsen die Bäume in unmittelbarer Nähe des Pfades dicht beieinander, denn die Elefanten des Waldes legten ihre tunnelartigen Pfade seit jeher mit Bedacht auf festem Grund an, um an die Flüsse und damit das lebensnotwendige Trinkwasser zu gelangen. Sie konnten es sich nicht leisten, im Sumpf stecken zu bleiben, denn zu groß war die Gefahr, in einem sumpfigen Loch zu versinken und sich wegen des großen Gewichtes nicht mehr selber befreien zu können.

Auf dem Pfad kam die Herde schnell voran und es dauerte nur einige Stunden, bis sie die grosse Flussebene durchquert hatten und in noch dichteren Wald gelangten, der auf dem höher gelegenen, festen Grund der Hügel wuchs. Hier fielen noch weniger Sonnenstrahlen bis auf den Waldboden als im lichteren Uferwald, in dem es wegen der umgefallenen Bäume viele Lichtungen gab.

Uralte, knorrige Lianen wanden sich wie riesige Schlangen durch das Unterholz und hinauf in die hohen Bäume. Von moosbewachsenen Ästen hingen Luftwurzeln herunter bis zum Waldboden. Ein Gewirr aus Kletterpflanzen reichte hier und dort vom Waldboden bis hinauf in die Baumkronen, wo die Ranken im Sonnenlicht blühten und Früchte trugen.

Alle Schattierungen, alle Tönungen, alle Grade von Grün gab es in diesem unendlichen Laubgewölbe. Die Luft war weich und kühl im Gegensatz zur Hitze der Sonne unter freiem Himmel am Fluss und roch ganz anders. Der wabernde Geruch verfaulter Pflanzen des nassen Sumpfes in der Flussebene vermischte sich mit den modrigen Düften des Waldbodens und den süßen, blumigen Düften, die aus farbenprächtigen Blütenkelchen strömten.

Das Gemisch der Düfte des dichten Waldes war kein unangenehmer Geruch sondern ergab einen erdigen, stimmigen Zusammenklang. Der Geschmack der Luft war uralt und weckte in den Waldelefanten viele Erinnerungen an fetten Lehmboden in tiefen, schattigen Urwäldern mit Riesenbäumen und grünem Blätterdach, durch das Sonne und Licht nur gebrochen hindurch kamen.

Das Gedächtnis der Leitkuh war voller Erinnerungen aus ihrem langen Leben in den Tiefen des Waldes. Erinnerungen, die sie erfüllten und ihr Sein prägten, denn das uralte Geschlecht der Wald-Elefanten vergaß seine Erinnerungen nicht.

Auf dem Waldboden wuchsen Farne und niedrige Blattpflanzen, die bei der kühlen Luft wunderbar gediehen. Hier und dort leuchteten die satten Farben von wunderschönen Blüten, die mit ihrer Farbenpracht entzückten.

Die jungen Bäume allerdings, die mit aller Macht versuchten, nach oben ans Licht zu drängen, wurden von den riesigen Urwaldbäumen, die so hoch waren, dass ihre Wipfel vom Boden aus durch all die Blätter nicht gesehen werden konnten, abgeschirmt, denn kaum ein Sonnenstrahl drang durch die ausladenden Kronen bis zu ihnen hinunter. Sie fristeten ihr Dasein in einer Art Halbschlaf und harrten aus für eine Zeit des Wachstums, wenn einer der großen Bäume umfiel und mehr Licht zu ihnen dringen würde.

Während die Elefanten fast lautlos vorbeitrabten, lauerten hoch oben im Astwerk der Baumkronen flinke Echsen auf vorbeisummende Insekten und Schwärme von bunten Papageien kreischten und krächzten ohrenbetäubend. Unzählige kleine und größere Vögel in schillernden Farben flatterten in den luftigen Höhen von Ast zu Ast, suchten nach Nahrung und zwitscherten ihre Lieder auf den sonnenbeschienenen Zweigen der Baumkronen, die von unten nicht gesehen werden konnten. Das Gezwitscher und Gekrächze, das von weit oben in den Bäumen bis auf den Waldboden hinunter drang, war unten nur noch gedämpft zu hören, so weit entfernt war der Schirm des Waldes vom Waldboden.

Insekten summten und brummten schwirrend im Waldgewölbe mit seinem blaugrün schimmernden Licht umher. Sie krabbelten auf den Bäumen und am Waldboden herum. Blau und grün schillernde Libellen schwirrten durch die Baumkronen, wohin sie flogen, um sich von ihren Flügen über stehende Gewässer auszuruhen und um die Nacht zu verbringen.

Eine große Anzahl von Schmetterlingen mit prächtigen Zeichnungen in verschiedenen Farbschattierungen auf den zarten Flügeln flatterte, segelte und schwebte im Raum zwischen den berankten Bäumen umher, flog in die Baumkronen hinauf und suchte am Waldboden nach Nährstoffen, während Mäuse und anderes Kleingetier durch das weit ausholende Wurzelwerk der Bäume und durch das dichte Unterholz huschten.

Gefleckte Leoparden, schwarze Panther und die um einiges kleineren, gefleckten Goldkatzen schliefen tagsüber irgendwo im tief gelegenen Astwerk der Bäume, denn sie streiften nur des Nachts umher, um im Dunkeln auf ihre Beute zu lauern.

Flinke Hörnchen kletterten auf den Baumstämmen geschwind in atemberaubende Höhen hinauf und sprangen dort oben von Ast zu Ast oder gar von einem Baum zum anderen, indem sie einfach ins Leere sprangen, um sich sodann am nächstbesten Ast festzuklammern und weiterzuklettern.

Im Astwerk schliefen gefährliche Schlangen, wenn sie nicht auf Beute lauerten. Sie schlängelten sich auch über den Waldboden und durch das Unterholz. Weil das Trampeln der schweren Dickhäuter eine geringe Erschütterung des Waldbodens in der näheren Umgebung auslöste, begegneten sich Schlangen und Elefanten fast nie, denn die Schlangen flüchteten beim geringsten Beben des Bodens sogleich ins schützende Dickicht.

Die Flussläufe des großen Waldes waren an vielen Stellen von Sumpfwald gesäumt, weil die Überschwemmungen der Regenzeiten das umliegende Land unter Wasser setzten und dieses dann stellenweise für einen längeren Zeitraum nicht mehr abtrocknete und versumpfte. Doch dies war nicht überall so. Alle Flüsse blieben an vereinzelten Stellen auf festem Grunde zugänglich. Dort war es, wo sich die Waldelefanten schon seit jeher enge, tunnelartige Trampelpfade durch den Wald gebahnt und das hoch stehende Schilfgras der Ufer niedergetreten hatten, um an die Flüsse zu gelangen und damit zur Tränke und zum Bad zu wechseln.

Schon seit Urzeiten bestand ein ausgedehntes Netz von Elefantenpfaden im Wald, die auch von den anderen Waldtieren rege genutzt wurden, weil das Vorankommen auf diesen Wegen viel einfacher und schneller war als im Unterholz.

Auch fanden sich entlang der Trampelpfade die von vielen Tieren begehrten mineralischen Salzleckstellen, die von den Dickhäutern angelegt worden waren, weil sie die lebenswichtigen Minerale der Erde zum Überleben brauchten.

Für viele andere Tiere des Waldes waren die Mineralsalze genauso lebensnotwendig wie für die Dickhäuter, so dass sie den Elefanten nicht nur wegen ihrer massigen Größe sondern auch wegen deren Versorgung vieler Waldtiere mit den begehrten Mineralien Achtung und Respekt entgegengebrachten.

Im dichten Wald, der auf dem festen Grund des höher gelegenen Geländes gedieh, wuchsen inmitten der vielen Bäume hier und dort uralte Baumriesen in den Himmel hinauf und überragten all die anderen Baumkronen. Verglichen mit der Vielzahl der Bäume des Waldes waren es nur ganz wenige der Bäume, die so alt wurden und sich zu ihrer vollen Pracht entfalteten. Sie standen nur vereinzelt inmitten der anderen Bäume, doch schon viel länger als dieselben.

Diese Baumriesen wuchsen schon seit vielen Jahrhunderten oder gar schon länger als tausend Jahre aufrecht im unendlichen Wald. Ihre mächtigen Stämme wurden von hohen, sternförmig um den Stamm angeordneten Brett-Wurzeln gestützt, die zusammen mit den unterirdischen Wurzeln für die Standfestigkeit dieser mächtigen Urwaldbäume sorgten. Im Laufe der Zeiten hatten sie schon unzählige Stürme überdauert und standen weiter Tag für Tag einfach da.

Doch je älter diese Baumriesen wurden, desto näher rückte auch ihr Ende. Irgendwann würde ihnen ihr eigenes Gewicht zum Verhängnis werden und der Zeitpunkt wäre erreicht, wo sie in einem Sturm keinen Halt mehr fanden und einfach umfielen.

Der Umfang ihrer mächtigen Stämme stand in keinem Vergleich mit den sie umgebenden Bäumen, auch wenn diese schon hundert Jahre alt waren. Ein einzelner Baum brauchte nur einige Jahrzehnte, um die stattliche Höhe des Blätterdaches der anderen Waldbäume zu erreichen, doch viele Jahrhunderte, um sie allesamt zu überragen.

Um die einen dieser riesigen, viele Meter dicken Stämme der Urwaldriesen ringelten sich grüne, junge Schlingpflanzen oder uralte und knorrige, sich um sich selbst windende Lianen in die Höhe. Die knorrigen dieser Schlingpflanzen waren ebenso hunderte von Jahren alt. Sie hingen von den mächtigen Ästen, die sich weit oben aus den Stämmen verzweigten, als dicke, verholzte Gewächse herunter, die weit unten im Waldboden verwurzelt waren und oben in den Kronen der Bäume blühten und Früchte trugen. Auch ihr Gewicht, das an den großen Baumkronen hing, konnte der Auslöser dafür sein, dass ein Urwaldriese nachgab und umkippte.

Die Baumkronen dieser riesengroßen Bäume überragten alle anderen Bäume in ihrer Umgebung, so dass das Geäst von morgens bis abends vom Licht der Sonne beschienen wurde. Die besonnten, ausladenden Äste dieser uralten Bäume waren von frischem, dichtem Grün und prächtigen Orchideen in vielen Farben überwuchert, eine jede Baumkrone eine ganz eigene Welt für sich.

Es gab auch solche Baumarten, von deren Ästen in großer Höhe viele Luftwurzeln hinunter hingen, sodass ein Gewirr von vielen Luftwurzeln im freien Raum des Waldgewölbes hing oder gar bis hinunter auf den Waldboden reichte.

Im großen weiten Wald stand ein Baum neben dem anderen. Sie unterschieden sich in Wuchsform und Blütezeit, der Form ihrer Blätter, in Farbe und Beschaffenheit. Es gab eine riesige Anzahl von verschiedenen Baumarten, ja an die tausend von ihnen standen im weiten Wald. Und nur ganz wenigen Baumarten war es in all der Zeit, in der es den Wald schon gab, gelungen, eine beisammen stehende Gruppe von ihrer eigenen Art zu bilden. Von allen anderen Bäumen standen fast nie zwei derselben Art beieinander, so dass der Wald ein riesiger Hort der Vielfalt war.

Die alte Leitkuh hörte oben in den Baumkronen das Gekreische einer Affenhorde, die durch das Astwerk der hohen Bäume streifte. Sie hangelten sich von Ast zu Ast, sprangen geschickt von einem Baum zum anderen oder kletterten im Lianengewirr hinauf oder hinunter. Sie verbrachten fast ihr ganzes Leben oben in den Bäumen, denn sie waren leicht und konnten sich auch an den dünneren Zweigen festhalten, um sich fortzubewegen, ohne dass diese abgebrochen wären.

Für die Waldelefanten war die Welt der Baumkronen ein großes Geheimnis. Die meisten der Tiere, die dort oben lebten, konnten sie öfter hören, als dass sie diese jemals hätten sehen können, denn der Blätterwald verbarg das Meiste vor den Augen der anderen.

Das Volk das auf den Bäumen lebte

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