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Der Einfluss von Übergewicht auf die Entstehung und den Verlauf spezieller Karzinomerkrankungen

Die Vorstellung, Gewichtsabnahme sei ein mögliches Frühwarnzeichen für Krebs, ist schon lange widerlegt. Nur selten gehen Karzinomerkrankungen im Frühstadium mit einer Gewichtsabnahme einher. Hierzu kommt es in der Regel erst im fortgeschrittenen Krankheitsstadium.

Kommentar: Übergewicht bedeutet nicht Gesundheit, erst recht nicht Krebsfreiheit! Im Gegenteil! Starkes Übergewicht ist ein Krebspromotor, der die Entstehung, den Verlauf und die Prognose negativ beeinflusst. Der Krebs verläuft häufig aggressiver. Eine Gewichtszunahme bedeutet keine Gewähr für Rezidivfreiheit.

Starkes Übergewicht als Mitursache verschiedener Krebserkrankungen (XXX = eindeutige Hinweise, XX = wahrscheinlicher Einfluss, X = wenige oder keine zuverlässigen Daten):

Mundhöhle:X
Kehlkopfkrebs:X
Speiseröhrenkrebs (Plattenepithelkarzinom):X
Speiseröhrenkrebs (Adenokarzinom):XXX
Magenkrebs (oberes Drittel):XXX
Magenkrebs (mittleres Drittel):X
Bauchspeicheldrüsenkrebs:XXX
Enddarmkrebs:X
Dickdarmkrebs:XX
Leberkrebs:XXX
Gallenblasenkrebs:XX
Gallengangskrebs:XXX
Gebärmutterkrebs:XXX
Gebärmutterhalskrebs:X
Brustkrebs (nach den Wechseljahren):XXX
Brustkrebs (vor den Wechseljahren):X
Eierstockkrebs:XX
Lungenkrebs:X
Blasenkrebs:X
Hodenkrebs:X
Prostatakrebs:X
Nierenkrebs:XXX
Schilddrüsenkrebs:XX
Leukämien, Lymphome:X
Multiples Myelom:X

Mundhöhlen- und Rachenkrebs

Übergewicht hat nach bisherigen Erkenntnissen keinen Einfluss auf die Entstehung dieser Krebserkrankung. Patienten mit Mundhöhlenkrebs sind – wahrscheinlich infolge des Nikotinabusus – zumeist eher untergewichtig. Während starker Alkohol- und Tabakabusus – bei gleichzeitiger schlechter Mundhygiene – die häufigste Ursache für Krebs in der vorderen Mundhöhle ist, verursachen HPV16-Infektionen häufiger Karzinome in der hinteren Mundhöhle und im Rachen.

Kommentar und Empfehlungen: Ein möglicher Grund für die starke Zunahme von Karzinomen in der Mundhöhle und im Rachen ist das heutzutage liberalere Sexualverhalten (Oralsex). HPV-Impfungen im jugendlichen Alter können HPV-Infektionen in Mundhöhle und Rachen verhindern, und damit einer bösartigen Entartung vorbeugen.

Kopf-Hals-Bereich (Kehlkopfkrebs)

Übergewicht hat keinen Einfluss auf die Krebsentwicklung. Betroffene haben, infolge des häufigen Tabakabusus, eher Unter- als Übergewicht. Zentraler Risikofaktor ist der Tabak- und Alkoholkonsum.

Speiseröhrenkrebs

Übergewicht beeinflusst nicht die Entstehung der im oberen und mittleren Abschnitt der Speiseröhre auftretenden Plattenepithelkarzinome. Tabak- und Alkoholabusus sind hier die häufigsten Ursachen. Klinische Epidemiologen äußern sogar die Vermutung, dass Übergewichtige seltener an Plattenkarzinomen in der Speiseröhre erkranken.

Anders verhält es sich mit den im unteren Drittel der Speiseröhre auftretenden Adenokarzinomen (Vaughan et al 1995). Übergewicht ist hier sehr häufig die Ursache. Das liegt an dem oftmals chronischen Rückfluss von Magensaft bei stark Übergewichtigen. Er führt zu einer chronischen Schleimhautentzündung, die die Entstehung von Krebs begünstigt (Lagergren 2011). Der Säurereflux (Barrett Ösophagus) muss allerdings lange bestehen, damit es zur Krebsbildung kommt (Chow et al 1998). Krebsfördernd sind auch die – häufig vom Bauchfett ausgehenden – Entzündungsmediatoren sowie die Insulinresistenz.

Kommentar und Empfehlungen: Bei starkem Übergewicht und chronischem Sodbrennen sollten regelmäßig endoskopische Spiegelungen der Speiseröhre zur Früherkennung von Adenokarzinomen durchgeführt werden. Einige konservative Maßnahmen helfen dabei, den Säure-Rückfluss zu verhindern (Delbrück 2007). Die prophylaktische Einnahme von Protonenpumpenhemmern (Magenschutzpräparate) hilft zwar, ist als Langzeitprophylaxe jedoch umstritten. Es gibt Verdachtsmomente, dass sie die Magenkrebsentstehung sogar begünstigen. Besteht die Entzündung trotz konservativer Maßnahmen weiter, so sollte man eine Antireflux-Operation oder eine bariatrische Operation) in Erwägung ziehen, um den Rückfluss von Magensäure zu hemmen.

Magenkrebs

Gesicherte und vermutete Risiken für die Entstehung von Magenkrebs (im Vergleich zur Normalbevölkerung)

Fortgeschrittenes Altergesichert
Genetische (angeborene) Risikengesichert
Krankheitssyndrome: wie z. B. Lynch-Syndrom, Peutz-Jeghers-Syndrom, familiärer Brustkrebsgesichert
Adenome > 2 cm im Magengesichert
Intestinale Metaplasie in der Magenschleimhautgesichert
Atrophische Gastritisgesichert
Starkes Übergewicht (für Kardiakarzinom)gesichert
Ernährung, z. B. gepökeltes Fleischgesichert
Immunologische Risiken und Einflüssegesichert
Chronische Helicobacter-Infektionengesichert
Hormonelle Einflüssevermutet
Mikrobiom = Dysbiosenicht gesichert
Demographische Einflüssegesichert
Sozioökonomische Benachteiligungvermutet
Medikamentöse und strahlenbedingte Einflüssevermutet
Langzeit-Einnahme von Protonenpumpenhemmern vermutet
Vor- und Begleiterkrankungengesichert
Zustand nach bestimmten Magenoperationengesichert
Bewegungsarmutvermutet
Starker Alkoholkonsum, besonders bei gleichzeitigem Tabakabusus gesichert
Wenig Obst und Gemüsegesichert
Salzreiche Ernährunggesichert
Umwelteinflüsse, Risiken am Arbeitsplatznicht gesichert
Psychenicht gesichert

Die Häufigkeit von Magenkarzinomen hat in letzten Jahrzehnten signifikant abgenommen. Entscheidend dafür waren vor allem die besseren hygienischen Bedingungen und die Verbreitung des Kühlschranks. Vitaminhaltiges Frischgemüse ist nun ganzjährig verfügbar und Fleischwaren müssen nicht mehr – wie zuvor – durch Pökeln und Räuchern konserviert werden.

Zu den Risikofaktoren zählen eine mögliche familiäre Vorbelastung und Infektionen mit dem Helicobacter-pylori-Bakterium. Die Infektion mit H. pylori induziert eine chronisch –aktive Gastritis. Bei vielen Patienten entsteht das Karzinom über eine atrophische Gastritis. Ob die Eradikation dieses Keims das lebenslange Erkrankungsrisiko für familiär vorbelastete Menschen reduziert, ist nach wie vor umstritten. Viele Studien sprechen dafür (Choi et al 2020).

Starkes (nicht leichtes oder mittleres) Übergewicht ist ein Risiko für eine Krebsbildung im oberen Magendrittel. Die Erkrankungsgefahr ist 2,9mal höher als bei Normalgewichtigen. Ursache ist der häufigere Rückfluss von Magensäften (Reflux) und die dadurch verursachte chronische Entzündung (Labenz et al 2015, Kubo et al 2006, Whiteman et al 2008, Engel et 2005, Behrens et al 2018). Ist man im jugendlichen Erwachsenenalter bereits stark übergewichtig und leidet zudem unter Sodbrennen, so erhöht sich das Erkrankungsrisiko um ein Vielfaches (Petrick et al 2017, Whiteman et al 2008, Sjödahl et al 2008, Labenz et al 2015).

H.- pylori-Infektionen, stark gesalzene Mahlzeiten, geräucherte, gepökelte und gegrillte Speisen gelten als Risiko für Tumore im mittleren und unteren Magenabschnitt. Verantwortlich sind die zum Pökeln verwendeten Nitrat- und Nitritsalze. Aus ihnen entstehen bei Erwärmung Kanzerogene.

Ein frühes Erkrankungsalter, das Vorliegen eines diffusen Magenkarzinoms und eine familiäre Häufig sind Hinweise auf eine mögliche autosomal-dominante Erbanlage. Träger der Mutation haben ein etwa 40 – 80 %iges Lebenszeitrisiko für ein Magenkarzinom.

Kommentar und Empfehlungen: Die H.-pylori-Eradikation sollte bei Risikopersonen mit dem Ziel der Prävention durchgeführt werden.

Bei fortbestehendem Sodbrennen infolge sehr starken Übergewichts wird nach erfolglosen konservativen Therapien u. a. auch ein operativer Eingriff empfohlen, sei es in Form einer bariatrischen Operation, sei es in Form einer Korrektur am Schließmuskel von der Speiseröhre zum Magen.

Kommentar zur Relevanz der Krebsvorsorge-Früherkennung: Gesetzliche Krebsvorsorge-Früherkennungsmaßnahmen gibt es nicht.

Bei starkem Übergewicht und chronischem Sodbrennen sollten regelmäßig Magenspiegelungen vorgenommen werden, um Krebsgewebe am Übergang vom Magen zur Speiseröhre (Kardiakarzinome) frühzeitig zu entdecken und gegebenenfalls zu behandeln. Mit einer virtuellen Chromoendoskopie lassen sich verdächtige Läsionen besser erkennen.

Bauchspeicheldrüsenkrebs

Risiken für Bauchspeicheldrüsenkrebs, im Vergleich zur Normalbevölkerung (X = wahrscheinlich erhöht, XX = doppelt so hoch, XXX = mehr als doppelt so hoch, XXXX = sehr hohes Risiko)

Träger von Keimbahnmutationen ATM, BRCA1, BRCA2, CDKN2A, PALB2, PRSS1, STK11, TP53, CDKN2A, MSH6, MSH2, MSH1.XX
Erbliche Krankheitssyndrome (z. B. Peutz-Jeghers Syndrom, hereditäres nicht polypöses kolorektales Karzinom, Lynch Syndrom, von Hippel-Lindau Syndrom, 1MEN) Syndrom, FAMMM-Syndrom,XXXX.
Zwei erkrankte Verwandte mit Bauchspeicheldrüsenkrebs (einer erstgradig):XXXX
Ein erstgradig Verwandter, der im Alter von < 60 Jahren an Bauchspeicheldrüsenkrebs erkrankt ist:XXX
BRCA2-Genträger:XXXX
BRCA1-Genträger:X
Chronisch vererbte Bauchspeicheldrüsenentzündung:XXXX
Vorstufenzellen Pancreatic Intraepithelial Neoplasia (PanIN) und Intraductal Papillary Mucinous Neoplasia (IPMN):XXXX
An Bauchspeicheldrüsenkrebs erkrankter Ehepartner:X
Langjährige, chronische Bauchspeicheldrüsenentzündung (z. B. infolge chronischen Alkoholkonsums):XX
Zysten(?)
Starker Tabakkonsum:XXX
Passivrauchen:XX
Mäßiger Alkoholkonsum:X
Alkoholmissbrauch:XX
Frühere Magenoperation:X
Steinleiden:X
Starkes Übergewicht in und seit der Jugend (BMI > 35):XXX
Bewegungsarmut:XX
Enorme Körpergröße:X
Diabetes Typ 2:XX
Insulinresistenz:XXX
Körperliche Inaktivität:XX
Hoher Nüchternblutzucker-Spiegel:XXX
Langzeit-Einnahme von Protonenpumpenhemmern:X
Risiken am Arbeitsplatz:(X)

Weltweit haben sich die Neuerkrankungen und Todesfälle im Zeitraum von 1990 bis 2017 mehr als verdoppelt. Als Ursachen hierfür nimmt man die höhere Lebenserwartung, den Anstieg des Körpergewichts sowie die geringere körperliche Aktivität an. Ein Zusammenhang mit Übergewicht wird besonders in den wohlhabenden Ländern diskutiert.

Männer mit einem Taillenumfang von mehr als 120 cm – bzw. Frauen mit einem Umfang von mehr als 110 cm – sind besonders bedroht (Kim et al 2009). Die relative Risikoerhöhung (im Vergleich zu Normalgewichtigen) beträgt bei stark Übergewichtigen (BMI > 30 kg/m2) 36 % (Behrens et al 2018). Die Krankheit verläuft bei ihnen auch ungünstiger (Richter 2008, Siegel et al 2010, Aune et al 2011, Arslan et al 2010). Das niedrigste Krebsrisiko besteht bei einem BMI um 21 mit geringem Bauchumfang (WHtR), das größte Risiko hingegen bei einem BMI von > 35 und großer Taillenweite (Arslan et al 2010, Aune et al 2011).

Starkes Übergewicht in der Jugend wirkt sich besonders ungünstig auf die spätere Erkrankungsentwicklung aus (Meydan et al 2018). Als gesichert gilt, dass ein hoher BMI-Wert im mittleren Alter eher ein Erkrankungsrisiko mit sich bringt als ein hoher BMI-Wert bei Senioren (Jacobs et al 2020). Levi et al (2018) wiesen – unter Bezugnahme auf dreißig Jahre währende Verlaufsuntersuchungen bei Wehrpflichtigen – nach, dass weniger das Körpergewicht zum Zeitpunkt der Krebsentdeckung als vielmehr das Gewicht in jungen Jahren ausschlaggebend ist.

Ob Langzeitanwender von Protonenpumpenhemmern ein erhöhtes Risiko haben, wird diskutiert (Brusselaers et al 2019).

Zum möglichen Wirkmechanimus von Übergewicht auf die Krankheitsentstehung gibt es nur Hypothesen. So diskutiert man einen Zusammenhang mit der Insulinresistenz (Halle und Schoenberg 2009). Einige Ernährungswissenschaftler vermuten Zusammenhänge mit einer gestörten Darmflora (Dysbiose), andere mit Bauchfett (Adipozyten) (Berrington et al 2006).

Kommentar und Empfehlungen: Zu unterscheiden sind von der Drüse und von der Papille ausgehende Karzinome (Papillentumore). Letztere befinden sich an der Einmündungsstelle der Gallen- und Bauchspeicheldrüsengänge in den Zwölffingerdarm (Papilla Vateri). Ursachen, Beschwerdesymptomatik, Therapie und Prognose differieren in beiden Fällen. Oftmals ist jedoch eine Gelbsucht das erste Symptom – sowohl bei den Papillentumoren als auch den vom Bauchspeicheldrüsenkopf ausgehenden Malignomen.

Der Verzicht auf Tabak- und Alkoholkonsum, die Reduzierung von Übergewicht und Erhöhung der körperlichen Aktivität sind die wesentlichsten Vorbeugemaßnahmen. Wichtig ist, dass man diese Empfehlungen schon im jugendlichen Erwachsenenalter (< 50 Jahre) beachtet, da ansonsten angeborene Krebsgene aktiviert und eventuelle Krebs-Vorläuferzellen zum Wachstum angeregt werden. Sicher ist, dass dem Bauchspeicheldrüsenkrebs eine sehr viel längere Vorlaufzeit vorausgeht als der relativ aggressive Krankheitsverlauf vermuten lässt.

Die meisten Zysten sind gutartig, einige können sich aber zu einem Karzinom entwickeln. Etwa 4 % der chronischen Pankreasentzündungen gehen in ein Karzinom über.

Kommentar zur Relevanz der Krebsvorsorge-Früherkennung: Für Bauchspeicheldrüsenkrebs gibt es bislang kein gesetzliches Krebs-Früherkennungs-Programm, gleichwohl man den Krebs – gute Untersuchungsbedingungen vorausgesetzt – wahrscheinlich lange vor Beschwerdebeginn erkennen könnte. Ergebnisse aus Untersuchungen mit Bluttests (Liquid biopsy) lassen hoffen, dass zukünftig ein vorzeitigeres Erkennen möglich sein wird (Cohen et al 2017).

Bei einer familiären Disposition sollten ab dem 50. Lebensjahr Vorsorge-Früherkennungsmaßnahmen durchgeführt werden.

Relativ häufig wird bis zu 3 Jahre vor der Krebsdiagnose ein hoher Blutzucker festgestellt. Menschen, die in hohem Alter an Typ-1-Diabetes erkranken, haben ein erhöhtes Erkrankungsrisiko. Bei ihnen sollte man eine Bauchspeicheldrüsenkrebs-Erkrankung ausschließen.

Leberkrebs

Risiken für Leberkrebs, im Vergleich zur Normalbevölkerung (X = wahrscheinlich erhöht, XX = doppelt so hoch, XXX = mehr als doppelt so hoch, XXXX = sehr hohes Risiko)

Leberzirrhose:XXXX
Chronische B- und C-Hepatitis:XXXX
Nicht alkoholisch bedingte Fetthepatitis (NASH):XXX
Starker Alkoholkonsum:XXX
Morbus Wilson:XXX
Eisenspeicherkrankheit (Hämochromatose):XXX
Autoimmunhepatitis:XXX
Chronische Erkrankungen der Gallenwege:XX
Budd-Chiari-Syndrom:X
Aflatoxin-verunreinigte Lebensmittel:XXX
Parasiten:XX
Übergewicht (Body-Mass-Index > 30):XXX
Bewegungsmangel:XXX
Tabakabusus:XX
Hepatische Porphyrie:XX
Typ-2-Diabetes:XX
Längerfristige Einnahme von Androgenen:XX
Mangel an Alpha-1-Antitrypsin:X
Kindliche Tyrosinämie:X
Ionisierende Strahlen:X
Thorotrast:XXX
Vergiftungen mit Vinylchlorid und Arsen:XXX

Übergewicht mit begleitender Fettleber (NASH/NAFLD) sowie die chronische Hepatitis B und C mit oder ohne Zirrhose zählen zu den häufigsten Krebsverursachern in den westlichen Ländern. In Osteuropa, Asien und Afrika – wo Leberkrebs wesentlich häufiger vorkommt – dominieren andere Risiken, nämlich die chronische Hepatitis B, Alkohol und Nahrungsmittel-Verunreinigungen, z. B. mit dem Pilzgift Aflatoxin.

NASH/NAFLD ist eine komplexe Erkrankung, für die es nicht nur ein Krankheitsgen gibt. Vielmehr spielen die Interaktionen verschiedener angeborener Gene sowie epigenetische Faktoren bei der Entstehung eine Rolle.

Statistisch gesehen haben übergewichtige Westeuropäer ein mehr als doppelt so hohes Erkrankungsrisiko als ihre normalgewichtigen Landsleute: RR = 1,29 – 1,77 (Welzel et al 2011, Caldwell et al, 2004, Borena et al 2012). In England sind Zusammenhänge besonders auffällig Bei jedem vierten bis fünften Leberkrebspatienten soll dort ein Zusammenhang mit Übergewicht vorliegen, behauptet die Stiftung Cancer Research in Großbritannien. Epidemiologen in Deutschland gehen hingegen nur von einer relativen Erhöhung des Erkrankungsrisikos um 83 % aus. Bei dauerhaftem Übergewicht im jugendlichen Erwachsenenalter ist generell die Gefahr größer (Behrens et 2018).

Übergewicht ist häufig mit einer Fettleber (NASH und NAFLD) verbunden, die gelegentlich in eine Fetthepatitis, eine Zirrhose und schließlich Krebs überzugehen droht. Genetische Faktoren (z. B. PNPLA3), die die Entwicklung einer Fettleber ohne Zirrhose (NASH) beeinflussen, können indirekt auch die Karzinomentwicklung begünstigen. Hartnäckig halten sich Vermutungen, dass der hohe Gehalt industriell hergestellter Fruktose in Softdrinks zur Entstehung des „Risikofaktors Fettleber“ mit beiträgt.

Eine wesentliche Ursache der Krebsförderung sollen Entzündungsfaktoren sein, die im Fettgewebe und in der Fettleber gebildet werden. Die Therapieforschung arbeitete deshalb intensiv an der Entwicklung entzündungshemmender Einflüsse. Blutplättchen scheinen an den Entzündungsprozessen beteiligt zu sein.

Kommentar und Empfehlungen: Körperliche Inaktivität, Übergewicht und Alkohol beschleunigen den Übergang einer Fettleber in eine Fibrose und Zirrhose, die schließlich in Krebs übergeht (Caldwell et al 2004). Nehmen Adipöse ab, so verbessern sich bei ihnen die Biomarker für eine nicht alkoholische Fettlebererkrankung (NAFLD). Gleichzeitig verbessert sich bei ihnen der Blutzucker- und Fettstoffwechsel (Baumeister et al 2018, Schwimmer et al (2019); die Leberkrebsgefahr sinkt dann.

Leberzirrhose-Patienten sind extrem gefährdet. Sie sollten alle sechs Monate sonographisch überwacht werden.

Zur Vorbeugung gegen Hepatitis B steht seit 1982 ein hoch wirksamer Impfstoff zur Verfügung. Impft man Säuglinge erkrankter Mütter unmittelbar nach der Geburt, verhindert dies eine Infektion.

Hepatitis B Erkrankte sollten zur Vermeidung von Infektionen des Partners bei Sexualkontakten Kondome benutzen; ungeschützter Geschlechtsverkehr ist eine häufige Infektionsursache.

Impfungen gegen eine Hepatitis-C-Infektion befinden sich noch in der Entwicklungsphase. Vorbeugend sollten alle Schutzmaßnahmen eingehalten werden, die eine Infektion durch Blut-zu-Blut-Kontakt verhindern. Dazu zählen der gemeinsame Spritzengebrauch, die gemeinsame Benutzung von Nagelscheren, Rasiermessern und Zahnbürsten.

Metformin soll bei Typ-2-Diabetikern das Leberkrebsrisiko reduzieren (?).

Das Pilzgift Aflatoxin verursacht Leberkrebs. Schon lange ist bekannt, dass die hohe Leberkrebsrate in Westafrika mit dem Aflatoxinbefall sonnengetrockneter Erdnüsse zusammenhängt. Durch neueingeführte künstliche Trocknungsverfahren erreichte man dort eine deutliche Häufigkeitsabnahme aflatoxinbedingter Leberkrebserkrankungen.

Kommentar zur Relevanz der Krebsvorsorge-Früherkennung: Für Leberkrebs gibt es kein gesetzliches Krebs-Früherkennungs-Programm, obwohl man isolierte Krebsherde im – häufig zirrhotisch veränderten – Lebergewebe sonographisch relativ frühzeitig erkennen und erfolgreich entfernen kann. Hauptgrund hierfür ist wahrscheinlich die Angst vor einer Überdiagnostik. Sinnvoll sind Ultraschall- Screening-Untersuchungen der Leber bei Risikopatienten mit Leberzirrhose chronischer Hepatitis B und C sowie bei einer chronischen Fetthepatitis.

Gallengangskarzinom (Cholangiokarzinom)

Starkes Übergewicht zählt zu den Risikofaktoren für ein in der Leber entstehendes (intrahepatisches) Gallengangskarzinom. Das relative Risiko beträgt, im Vergleich zu Normalgewichtigen, RR = 1,49 (Kyrgiou, M et al; BMJ 356: 477, 2017). Als weiteren Risikofaktor diskutiert man die B und die C-Hepatitis.

Gallengangsentzündungen (primär sklerosierende Cholangitis) sowie ein Reflux der Bauchspeicheldrüsensäfte sind Risikofaktoren für außerhalb der Leber entstehende Gallengangskarzinome.

Gallenblasenkarzinom

Neben Gallensteinen, einer chronischen Gallenblasenentzündung sowie entzündlichen Darm- und Lebererkrankungen (Primär sklerosierende Cholangitis) zählt starkes Übergewicht zu den bedeutendsten Risikofaktoren (World Cancer Research Fund International 2015, 2018). Metaanalysen von Studien zeigen eine relative Risikoerhöhung um 67 % (Behrens et al 2018). Als Ursache vermutet man chronische Entzündungen im Zusammenhang mit Gallensteinen (unter denen Übergewichtige häufig leiden). Sie verursachen narbige Veränderungen und einen ständigen Wachstumsreiz auf die Schleimhaut.

Kommentar und Empfehlungen: Gewichtsreduzierende Maßnahmen schützen sowohl vor Gallensteinen als auch vor Gallenblasenkrebs. Die Gallenblasenentfernung bei chronischen Entzündungen dient auch zur Krebsprophylaxe.

Kommentar zur Relevanz der Krebsvorsorge-Früherkennung: Bei stark Übergewichtigen werden regelmäßige Lebersonographien empfohlen.

Die Entfernung der Gallenblase (Cholezystektomie) wird prophylaktisch bei Patienten mit einer primär sklerosierenden Cholangitis und Gallenblasenpolypen mit 8 mm Durchmesser empfohlen.

Darmkrebs

Risiken für Darmkrebs, im Vergleich zur Normalbevölkerung (X = wahrscheinlich erhöht, XX = doppelt so hoch, XXX = mehr als doppelt so hoch, XXXX = sehr hohes Risiko; modifiziert nach: Delbrück 2015)

Familiäre adenomatöse Polyposis:XXXX
Hereditäres kolorektales Karzinom:XXXX
HNPCC = Lynch-Syndrom:XXXX
Angehörige ersten Grades, die im Alter von < 50 Jahren an Darmkrebs erkrankten:XXX
Angehörige ersten Grades, die im Alter von > 55 Jahren an Darmkrebs erkrankten:XX
Angehörige zweiten Grades:X
Mindestens ein Adenom > 10 mm < 20 mm:XXX
Mindestens ein Adenom > 20 mm:XXXX
Starkes Übergewicht in der Jugend (BMI > 30):XXXX
Starkes Übergewicht als Erwachsener (BMI > 30):XXX
Bewegungsarmut, körperliche Inaktivität:XXX
Weit überdurchschnittliche Körpergröße und ausgeprägtes Bauchfett:XXX
Rotes und verarbeitetes Fleisch:XXX
Hoher Alkoholkonsum (> 70 g täglich):XXX
Typ-2-Diabetes, der mit Insulin behandelt wird:XXXX
Typ-2-Diabetes (nicht mit Insulin behandelt):XXX
AIDS (unbehandelt):XX
Pancolitis (chronische Entzündung des gesamten Darms):XXX
Colitis ulcerosa (linke oder rechte Darmhälfte):XX
Colitis ulcerosa (auf den letzten Darmabschnitt begrenzt):XX
Rauchen:XX
Vitamin-D-Mangel:X
Dysbiom (gestörte Darmflora):XX
Niedriger sozioökonomischer Status:XX
Häufige Antibiotikatherapien in der Jugend:X
Häufige Wechsel- und Nachtschicht-Arbeit:X

Bei den Risikofaktoren steht – neben der erblichen Disposition und einem Typ-2-Diabetes – der Lifestyle mit an der vordersten Stelle. Neben Bewegungsarmut – und noch vor Nikotin, rotem Fleisch und Alkohol – gilt Übergewicht unter den Lifestylerisiken als der größte Risikofaktor.

Nicht nur die Krebsentstehung und der Zeitpunkt der Diagnose, sondern auch der Krankheitsverlauf und das Wiedererkrankungsrisiko werden durch Übergewicht negativ beeinflusst. In Metaanalysen, in denen man das Krebsrisiko von über- und normalgewichtigen Personen verglich, wurde das Erkrankungsrisiko bei Übergewichtigen um ein Drittel höher eingeschätzt (Behrens et al 2018). Ausgeprägtes Bauchfett ist ein separates Erkrankungsrisiko.

Frühes Übergewicht und ein Typ-2-Diabetes (in der Altersgruppe < 50 Jahren) haben einen wesentlich größeren Einfluss zu haben als bislang angenommen (Khan et al 2020). Der Darmkrebs hat in dieser Altersgruppe in den vergangenen Jahren um beinahe ein Drittel zugenommen. Hierfür wird das veränderte Lifestyleverhalten – und hier besonders der Anstieg des Übergewichts und geringere Bewegungsaktivität – verantwortlich gemacht (Zheng, R et al 2018, Marshall et al 2019, Koroukian et al 2019). Je länger man übergewichtig sind, desto größer ist die Gefahr (Schlesinger, S et al 2017). Ein BMI von 24 bis 29 ist bei über 65jährigen Menschen noch akzeptabel, bei Jüngeren hingegen schon ein Risikofaktor (Siegel et al 2010, Yanlei Ma et al 2013).

Während der Zusammenhang zwischen starkem Übergewicht (BMI > 30) mit Dickdarmkrebs eindeutig ist, lässt sich ein solcher beim Enddarmkrebs (Rektumkarzinom) „nur“ tendenziell feststellen (Laake et al 2010, Zhang et al 2019). Warum das so ist, bleibt unklar. Überhaupt ist der durch Übergewicht zu Krebs führende Wirkmechanismus Gegenstand unterschiedlicher Hypothesen. Als allgemein gesichert gilt jedoch, dass Übergewicht nicht zu Genmutationen führt, sondern - ähnlich wie körperliche Inaktivität und Diabetes - ein Tumorpromotor ist.

Hypothesen zum Wirkmechanismus von Übergewicht auf die Darmkrebsentwicklung

• Übergewicht ist ein Tumorpromotor, der nicht etwa strukturelle Erbgutveränderungen (Genmutationen) verursacht, sondern sich „lediglich“ funktionell auswirkt, d. h. die Aktivität und die Aggressivität von Krebszellen und -genen erhöht. Negative Einflüsse auf DNA-Reparaturmechanismen werden diskutiert.

• Je mehr rotes Fleisch (Rind-, Lamm-, Schweine- oder verarbeitetes Fleisch) konsumiert wird, desto höher ist das Risiko – sowohl für Übergewicht als auch Darmkrebs. Einige Virusforscher – so der Nobelpreisträger Harald zur Hausen – vermuten als Ursache, dass sich im roten Fleisch – speziell im Rindfleisch – virusähnliche Erreger (BMMF) befinden, die das Krebswachstum fördern.

• Konsumiert man viel Fleisch und zuckerhaltige Produkte, so kommt es zu einer Störung der Darmflora (Dysbiose), die die Entstehung sowohl von Übergewicht als auch Darmkrebs fördern soll (Stallmach et al 2017). Im Mausmodell soll ein Missverhältnis von Bacteroides mit anderen Darmbakterien zu Tumoren im Dickdarm führen (Thomas et al 2019). Für den Zusammenhang mit einer gestörten Darmflora spricht die Beobachtung, dass das Erkrankungsrisiko, nach längerer Einnahme von anaerob wirkenden Antibiotika, im oberen Dickdarmabschnitt, nicht aber im Enddarmbereich, erhöht ist.

• Man geht davon aus, dass bei Übergewicht – speziell bei ausgeprägtem Bauchfett – Hormone und Entzündungsfaktoren produziert werden, die die Zellbildung im Darm anregen (Siegel et al 2010, Kim et al 2009, Halle und Schoenberg 2009).

• Es ist bekannt, dass Darmpolypen bei ausgeprägtem Bauchfett häufiger entstehen. Schuld daran sollen im Bauchfett gebildete Entzündungsfaktoren sein. Dies könnte der Grund sein, weswegen Entzündungshemmer, wie Aspirin, das Wachstum von Cox-2-positiven Tumoren hemmen (Schlesinger al 2017). Dass übergewichtige Männer häufiger als Frauen an Darmkrebs erkranken, könnte im Zusammenhang mit dem beim männlichen Geschlecht häufiger ausgeprägten Bauchfett stehen.

• Insulin und Insulin-ähnliche Wachstumsfaktoren fördern das Zellwachstum. Ein hoher Glykämischer Index – also eine zur Hyperinsulinämie führende Ernährung – gilt als Risikofaktor für eine Wiedererkrankung (Morales-Oyarvide et al 2019).

• Bestimmte molekulare Subtypen von Darmkrebs (CTNNB1-negative Tumore, KRAS- oder BRAF-Wildtypen) sind bei Übergewicht besonders häufig (Morikawa et al 2013).

• Glukose-Fruktose-Mischungen verstärken im Mausversuch das Tumorwachstum im Dickdarm, nicht aber im Enddarm (Goncalves et al 2019, Aleksandrova et al 2017, Johnson et al 2019).

• Eine fettreiche Ernährung hemmt die körpereigene Krebsabwehr. Es kommt zu einer veränderten Aktivität natürlicher Killerzellen.

• Einige Forscher vermuten, dass Übergewicht und körperliche Inaktivität unabhängige Risikofaktoren sind. Zum Beweis führen sie die Sumo-Ringer an, die trotz erheblichem Übergewicht angeblich nicht stärker krebsgefährdet sind, weil sie körperlich aktiv bleiben. Überhaupt besteht der Eindruck, dass Übergewichtige, die regelmäßig körperlich aktiv sind, kein erhöhtes Darmkrebsrisiko haben (Lee et al. 1992). Bekannt ist auch, dass adipöse Frauen nur dann ein erhöhtes Erkrankungsrisiko haben, wenn sie körperlich inaktiv sind.

• Die meisten Lebensmittel, die zu einer Gewichtszunahme führen, wirken sich im Darm entzündungsfördernd (proinflammatorisch) aus und bewirken einen chronischen Reiz auf die Darmschleimhaut. Sie sollen das Krebsrisiko bei Männern um 44 % und bei Frauen um bis zu 22 % (relativ) erhöhen (Tabung et al 2018).

• Beobachtungsstudien zeigen einen gewissen präventiven, jedoch statistisch nicht signifikanten, Effekt des Grüntee-Inhaltsstoffes EGCD hinsichtlich der Adenom-Bildung.

Kommentar und Empfehlungen: Bekannt sind mehrere krebsfördernde Gensyndrome. Zusätzlich zu dem sehr häufigen Lynch-Syndrom (HNPCC =1/279) und der familiären Adeno Polyposis (FAP) kann man bei vielen Menschen hunderte winzige Genvariationen feststellen (SNPs). Ob sie in direktem oder indirektem Zusammenhang mit einem Krebsrisiko stehen, ist umstritten (Weigl et al 2019). Sicherlich bedarf es zusätzlicher Promotoren, damit sie aktiv werden. Zu ihnen gehören Lifestylefaktoren wie Übergewicht. Unterstützt wird die Hypothese von der Bedeutung der Lifestylefaktoren durch die Beobachtung, dass bei Halbgeschwistern von Darmkrebspatienten das Risiko, selbst zu erkranken, ebenso erhöht ist, wie bei „echten“ Geschwistern.

Versicherte zwischen dem 18. und 35. Lebensjahr haben Anspruch auf einen einmaligen Gesundheitstest (Check Up 35). Dieser schließt auch eine Beratung mit ein. Jugendliche Übergewichtige sollten bei dieser Präventionsberatung auf ihre höhere Krebsgefährdung und die Relevanz von Krebsvorsorge-Untersuchungen hingewiesen werden. Schließlich sind sie weit häufiger als allgemein angenommen von Darmpolypen betroffen (Giovannucci et al 1997, Brown et al 2009). Sie zählen zu den Risikopersonen – ebenso wie Menschen mit Lynch-Syndrom oder familiärer Adenopolyposis, –, die eine Vorsorge-Darmspiegelung vorzeitig durchführen lassen müssen.

Interessant und schwer erklärbar ist der krebsschützende Effekt einer Hormonersatztherapie bei Frauen nach den Wechseljahren. Bei anderen Organen erhöht eine Hormonersatztherapie nämlich umgekehrt eher das Erkrankungsrisiko.

Laien zählen häufig auch den Afterkrebs (Analkarzinom) zu den Darmkrebserkrankungen, obwohl sich Gewebeaufbau, Ursachen, Verlauf und Therapie deutlich unterscheiden. Die letzten Jahre haben weltweit eine dramatische Zunahme von Afterkrebs mit sich gebracht. Hauptursache sind Infektionen mit dem HP-Virus beim Analverkehr. Impfungen gegen HPV-Übertragungen beugen den Infektionen vor.

Schutzmaßnahmen zur Reduzierung des Darmkrebsrisikos

• Gewichtabnahme bei Übergewicht. Bariatrische Operationen führen zu einer signifikanten Gewichtsabnahme und einer Reduzierung des Darmkrebsrisikos (Bailly et al 2020) (wahrscheinlich)

• Dickdarmentfernung bei erblich bedingtem Darmkrebsrisiko (z. B. bei FAP)(gesichert)

• Verminderung des Anteils tierischer Fette in der täglichen Ernährung (sehr wahrscheinlich)

• Nur mäßiger Verzehr von rotem Fleisch (vermutet)

• Stärkung der unspezifischen Immunabwehr (nicht gesichert)

• Chemoprophylaxe (z. B. mit AspirinR) (gesichert)

• Chirurgische und/oder endoskopische Polypenentfernung (gesichert)

• Behandlung von Begleiterkrankungen (z. B. einer Colitis ulcerosa) (gesichert)

• Regelmäßige Darmspiegelungen und Entfernung von Krebsvorstufen (gesichert)

• Nicht rauchen (wahrscheinlich)

• Körperliche (sportliche) Aktivität. (gesichert).

• Verbesserung der Vitamin-D-Aufnahme (wahrscheinlich)

• Mediterrane Kost (wahrscheinlich)

• Hoher Anteil an Gemüse und Obst bei der Ernährung (wahrscheinlich)

• Nahrungsergänzungsmittel, Vitamine (nicht gesichert)

• Reduzierung des Alkoholkonsums (gesichert)

• Therapie eines Typ-2-Diabetes (gesichert)

• Geringe und gezielte Strahlenbelastung bei Prostata- und Enddarmkrebs (wahrscheinlich)

• Stabilisierung der Colitis-ulcerosa-Aktivität (gesichert)

Kommentar zur Relevanz der Krebsvorsorge-Früherkennung: Je mehr Risiken man hat, desto größer ist die Erkrankungswahrscheinlichkeit – und umso notwendiger sind die Vorbeugung und Krebs-Früherkennungs-Untersuchungen.

Die Tatsache, dass die Anzahl der Patienten mit aggressivem Darmkrebs in Deutschland seit Jahren kontinuierlich sinkt, ist dem Screening mit Stuhlbluttests, besonders aber der Vorsorgespiegelung – mit gleichzeitiger Entfernung von Krebsvorstufen – zu verdanken. Die Darmspiegelung und die prophylaktische Polypenentfernung ist eindeutig die beste Krebsvorsorge/Früherkennungs/Maßnahme. Bei einer noch häufigeren und frühzeitigeren Inanspruchnahme würde die Erkrankungs- und Sterberate voraussichtlich weiter sinken.

Schätzungen ergaben, dass Männer mit einem mittleren genetischen Risiko und einem durchschnittlichen Lebensstil, die keine Darmspiegelung wahrnehmen, ein 30-Jahres-Risiko für Darmkrebs von 7,4 Prozent haben. Anders ausgedrückt: Von hundert Männern mit diesem Risikoprofil werden sieben bis acht innerhalb der nächsten 30 Jahre an Darmkrebs erkranken. Bei Männern mit vergleichbarem genetischem Hintergrund, die jedoch gesünder lebten und eine Darmspiegelung wahrnehmen, liegt das Risiko lediglich bei 1,9 Prozent (Carr et al. 2020).

Gesetzlich Krankenversicherte haben einen Anspruch auf zwei Darmvorsorge-Spiegelungen. Ergibt die erste Untersuchung keinen krankhaften Befund oder werden hier lediglich Adenome mit niedrigem bzw. mittlerem Risiko entfernt, so ist eine weitere Untersuchung erst in zehn Jahren notwendig. Relevante Befunde (2,8 %) sind in der Zwischenzeit nämlich bei Menschen ohne erhöhtes Erkrankungsrisiko relativ selten. Nur bei einer Entfernung von Adenomen mit hohem Risiko (größere Adenome oder Adenome mit erheblichen Zellveränderungen) oder in besonderen Risikofällen wie z. B. bei einer familiären Vorbelastung bzw. starkem Übergewicht) wird zu einer vorzeitigen Folgeuntersuchung geraten (Cross et al 2020).

Die Vorsorge-Koloskopie bietet mehr Sicherheit als Stuhltests, obwohl sich deren Spezifität und Sensitivität mit der Einführung immunologischer Stuhltests (FITs) verbessert haben. Es ist bemerkenswert, dass Stuhltests – trotz ihrer geringen Empfindlichkeit sowie der vielen falsch negativen und falsch positiven Befunde, mit entsprechend teuren Folgekosten – weiterhin im Rahmen der gesetzlichen Krebsvorsorge-Früherkennung empfohlen werden. Endoskopische Untersuchungen sind wesentlich aussagekräftiger. Allerdings ist die Sigmoidoskopie auch nur beschränkt aussagekräftig, da bei ihr nur ein begrenzter Teil des krebsgefährdeten Dickdarms eingesehen wird. Die endoskopische Koloskopie des gesamten Dick- und Enddarms ist eindeutig der Goldstandard in der Darmkrebsvorsorge-Früherkennung. Aufgrund ihrer geringen Spezifität und der Strahlenbelastung kommt die virtuelle Koloskopie nur in Ausnahmefällen in Frage.

Ein genetisches Risiko für Darmkrebs muss in Betracht gezogen werden, wenn mehr als zwei Verwandte ersten Grades daran erkrankt waren (sind) bzw. mehr als ein Verwandter bis zum Alter von < 50 Jahren an einem Darmkarzinom litt (leidet). Bei multiplem Polypenbefall sollten die direkten Angehörigen des Betroffenen ebenfalls Genuntersuchungen in Erwägung ziehen, um die Anlage für eine familiäre adenomatöse Polypose (FAP) auszuschließen. Werden FAP-Gene festgestellt, müssen die Betroffenen sich alle ein bis zwei Jahre einer endoskopischen Untersuchung unterziehen.

Asymptomatische HNPCC-Träger sollten alle zwei Jahre eine Vorsorgekoloskopie in Erwägung ziehen. Trägern von MCH1- und MsH2-Mutationen wird eine solche ab dem 25. Lebensjahr empfohlen, Trägern von MSH5- und PMS2-Mutationen ab dem 35. Lebensjahr.

Da Männer früher und häufiger als Frauen an Darmkrebs erkranken, genehmigen ihnen die Krankenkassen die erste Vorsorge-Darmspiegelung bereits mit 50 Jahren, den Frauen hingegen erst ab dem 55. Lebensjahr. Da korpulente und gleichzeitig bewegungsarme Frauen ebenfalls stärker gefährdet sind, sollte bei ihnen die erste Vorsorge-Koloskopie auch vor dem 50. Lebensjahr durchgeführt werden. Dies bedarf allerdings der Genehmigung der gesetzlichen Krankenkasse. Personen mit einem erhöhten Risiko wird empfohlen, mit ihrem Arzt die individuelle Gefährdung zu besprechen und – daran angepasst - den Zeitpunkt und die Intervalle bei den Vorsorge-Vorbeugemaßnahmen anzupassen.

Neue Forschungsergebnisse zeigen weitreichende Geschlechterunterschiede beim kolorektalen Karzinom. Dabei gibt es nicht allein Unterschiede bei der Wirkung von Chemo- und Immuntherapien, sondern auch bei der Erkrankungshäufigkeit und dem Erkrankungsalter. Da Frauen später als Männer erkrankten, müsse der Vorsorgezeitraum für Frauen über das 75. Lebensjahr hinaus verlängert werden, fordern Experten.

Schilddrüsenkarzinom

Stark Übergewichtige haben ein höheres Risiko für einen papillären, follikulären oder anaplastischen Gewebetyp – nicht aber für ein medulläres Schilddrüsenkarzinom. Die Tumore sollen aggressiver verlaufen als bei schlanken Frauen: RR = 1,25 bis 1,5 (Harari, A et al 2012, Echmid et al 2015). Metaanalysen, die das Krebsrisiko bei adipösen und normalgewichtigen Frauen verglichen haben, zeigen einen Häufigkeitsunterschied von 29 % (Behrens et al 2018).

Kommentar und Empfehlungen: Es bleibt unklar, ob das erhöhte Krebsrisiko durch die Adipositas selbst bedingt ist oder ob die erschwerten Untersuchungsbedingungen an der späten Krebserkennung – und damit schlechteren Prognose – schuld sind.

Ein hoher Prozentsatz der Tumore ist latent und bereitet keine Beschwerden. Einige Autoren behaupten, bei über 70 % der entdeckten Karzinome handle es sich um Überdiagnosen.

Eine Bestrahlung des Halsbereichs erhöht das Erkrankungsrisiko für ein papilläres Schilddrüsenkarzinom. Kinder reagieren dabei um ein Vielfaches empfindlicher als Erwachsene.

Brustkrebs

Gesicherte, wahrscheinliche und vermutete Risiken für Brustkrebs – im Vergleich zur Normalbevölkerung

familiäre Belastung (für Krebs vor den Wechseljahren)(gesichert)
erbliche Belastung (BRCA1 und BRCA2-Gene)(gesichert)
Eierstockkrebserkrankung(gesichert)
Lynch-Syndrom(gesichert)
Dichter Drüsenkörper(gesichert)
Vorhergehende Krebserkrankung in der anderen Brust, an den Eierstöcken, in der Gebärmutter oder im Darm(gesichert)
Diabetes Typ 2(gesichert)
Ausgeprägte Mastopathie Grad III(gesichert)
Frühe erste Regelblutung (< 11 Jahre) (vermutet für Krebs nach den Wechseljahren)
Spätes Einsetzen der Wechseljahre (> 54 Jahre)(vermutet)
Spätgebärend (erstes Kind > 30 Jahre) (für Krebs nach den Wechseljahren) (gesichert)
Kinderlosigkeit (für Krebs nach den Wechseljahren(gesichert)
Frühes Abstillen, kurze Stilldauer (für Krebs vor und nach den Wechseljahren wahrscheinlich)
Hormonersatztherapie (für Östrogene und Progesteron) (für Krebs nach den Wechseljahren.(gesichert).
Verhütung mit der Pille (für Krebs vor den Wechseljahren vermutet)
Starkes Übergewicht (für hormonempfindlichen Krebs nach den Wechseljahren (gesichert)
Starkes Übergewicht (für Hormonrezeptor negativ bzw. tripel negativen Krebs vor den Wechseljahren(gesichert)
Bewegungsmangel (für Krebs nach den Wechseljahren gesichert, vorher wahrscheinlich)
Ernährung, die reich an tierischen Fetten ist (für Krebs nach den Wechseljahren vermutet)
Alkoholkonsum, (für Krebs nach den Wechseljahren gesichert, vorher wahrscheinlich)
Tabakkonsum (für Krebs vor den Wechseljahren wahrscheinlich)
Strahleneinwirkung in der Jugend (z. B. Mammographien, häufige Röntgen-Lungenaufnahmen, Bestrahlung in Kombination mit Chemotherapie (Anthracycline) der Brustregion, angeborene Herzfehler) (gesichert)
Nachtschichtarbeit(vermutet)

Die Ergebnisse vieler retrospektiver Studien sprechen für einen krebsfördernden Einfluss von Übergewicht. Bei stark übergewichtigen Frauen (BMI > 30) ist das Erkrankungsrisiko (nach den Wechseljahren) um etwa 20 bis 30 % höher als bei gleichaltrigen, normalgewichtigen Frauen (Neuhauser 2015, Sparano et al 2012, Van Gils et al 2005, Behrens et al 2018). Vor den Wechseljahren ist der Einfluss weniger eindeutig. Ja, es gibt sogar Studien, die von einem Schutzfaktor für hormonempfindliche Tumore (Rezeptor-positive Tumore) bei Übergewicht ausgehen (RR = 0,8 (Anderson et al 2015).

Laut Untersuchungen der Epidemiologen des Deutsches Krebsforschungszentrum waren 9 % aller Brustkrebspatientinnen (nach den Wechseljahren) zehn Jahre vor Ausbruch der Krebserkrankung übergewichtig (Behrens et al 2018). Während und nach der Erkrankung nehmen etwa 60 % der Erkrankten noch mehr an Gewicht zu. Die Rate der Übergewichtigen steigt von 48 % auf 67 % (Ee, C et al 2020)

Als gesichert gilt, dass nicht nur die Krebsentstehung, sondern auch der Krankheitsverlauf durch Übergewicht negativ beeinflusst wird. „Entzündliche“ (inflammatorische) und Rezeptor-negative Tumore sind häufiger. Sie sprechen schlechter auf die Therapie an (James et al 2009, Monninkhof et al 2007, Siegmund-Schultze 2009, Baer et al 2010, Hauner et al 2011, Chan et al 2014).

In den letzten Jahren wurden zahlreiche genetische Risikofaktoren für Brustkrebs identifiziert. Am bekanntesten sind mutierte BRCA1 und BRCA2-Gene, die das Risiko für verschiedene Krebserkrankungen, speziell aber für Brust- und Eierstockkarzinome, erhöhen. Während etwa 8 % aller Frauen in der Allgemeinbevölkerung bis zu ihrem 75. Lebensjahr an Brustkrebs erkranken, beträgt die Erkrankungswahrscheinlichkeit für BRCA-Mutationsträgerinnen 45 bis 60 %. Bei jungen Brustkrebspatientinnen (<40 Jahre) sind BRCA-Mutationen häufiger als bei älteren Patientinnen (Kuchenbaeker et al 2017).

Neben den BRCA1- und BRCA2-Genen gibt es noch weitere Gene, deren Mutationen das Brustkrebsrisiko erhöhen (z. B. ATMBARD1, CDH1, CHEK2, PALB2, PTEN, SNPs, TP53). Noch ist unklar, ob Lifestyle-Maßnahmen – wie die Reduzierung von Übergewicht – die Erkrankungs- und Sterberate bei diesen erblich belasteten Frauen senken. Mit Spannung wartet man auf die Ergebnisse einer großen deutschlandweiten Studie, die sich mit der Frage befasst, ob übergewichtige Trägerinnen mit einem angeborenem Erkrankungsrisiko von Life-Style-Einflüssen wie z. B. Übergewicht beeinflusst werden (LIBRE-Studie II, www.brca-netzwerk.de) (Zeinomar et al 2019).

Die doppelseitige Brustentfernung reduziert bei BRCA1-Mutationsträgern das Erkrankungs- und Sterberisiko. Bei BRCA2-Trägerinnen und bei den anderen vererblichen Krebsgenträgerinnen ist das weniger eindeutig.

Relatives Sterberisiko für Brustkrebspatientinnen nach den Wechseljahren (RR) (Chan, D et al 2014)

• starkes Übergewicht (BMI > 30): RR = 1,41

• starkes Übergewicht vor den Wechseljahren (BMI > 30): RR = 1,75

• starkes Übergewicht nach den Wechseljahren (BMI > 30): RR = 1,34

• mittleres Übergewicht (BMI 25 bis 30): RR = 1,07

• Untergewicht (BMI < 18,5): RR = 1,1

Hypothesen, die das erhöhte Krebsrisiko bei übergewichtigen Frauen erklären

• Die Erfahrung, dass besonders übergewichtige Frauen nach den Wechseljahren gefährdet sind und mehrheitlich hormonempfindliche Tumore entstehen, spricht für hormonelle Einflüsse.

• Auf die Entstehung von Krebsvorstufen (DCIS und CLIS) hat Übergewicht – wenn überhaupt – nur einen geringen Einfluss. Eher wird der Übergang von Krebsvorstufen zu invasiven Karzinomen gefördert und/oder die Invasionsbereitschaft des Gewebes (Microenvironment) für Krebs erhöht.

• Es kommt zu einer erhöhten Aktivierung von Onkogenen (z. B. Ras-, MAPK- und PI3K-Signalweg).

• Übergewichtige Frauen bewegen sich nur wenig und haben allein schon deshalb schon ein erhöhtes Erkrankungsrisiko. Korpulente, , jedoch körperlich aktive Frauen haben kein erhöhtes Krankheitsrisiko

• Fettgewebe wirkt wie ein latenter Entzündungsherd, der zu einer ständigen Zellstimulation führt.

• Fettgewebe ist eine Quelle für Aromatase und Östrogene, die – bei Frauen nach den Wechseljahren – hormonabhängiges Krebswachstum fördern. Der Östrogenspiegel ist bei korpulenten Frauen nach den Wechseljahren um 50 bis 100 % höher als bei schlanken Frauen (Key et al 2003).

• Fettgewebe ist ein Produktionsort von proinflammatorischen Zytokinen, wie Interleukin6, TNF alpha oder Leptin, die die Tumorprogression unterstützen.

• Fettdepots begünstigen eine Insulinresistenz, die kompensatorisch zur Bildung insulinähnlicher Wachstumsfaktoren führt. Zwischen Insulin und dem Fettstoffwechsel bzw. Östrogenspiegel bestehen Wechselwirkungen (Kabat et al 2009).

• Übergewicht ist häufig mit dem Risikofaktor Typ-2-Diabetes assoziiert.

• Da korpulente Frauen (zumeist aus Scham) seltener an Krebsvorsorge-Untersuchungen teilnehmen, wird der Krebs bei ihnen oft erst in einem fortgeschrittenen Stadium entdeckt.

Kommentar und Empfehlungen: Übergewicht sollte bereits in der Jugend und im jugendlichen Erwachsenenalter vermieden werden, denn „schlafende Krebszellenbefinden sich lange vor Ausbruch der Erkrankung im Brustgewebe, die bei Übergewicht „geweckt“ werden und sich viele Jahre später zu einer Brustkrebserkrankung entwickeln.

Eine Reduzierung des Body-Mass-Index von 30 auf 27 senkt das Krebsrisiko bereits merklich (Parker u. Folsom 2003).

Speziell nach den Wechseljahren sollten Frauen ihren Alkoholkonsum reduzieren.

Alle Arten einer längeren Hormonersatztherapie (HRT) gehen bei Einsetzen der Wechseljahre mit einem zusätzlichen Krebsrisiko einher. Hormonersatztherapien (HRT) sollten daher – laut Europäischer Arzneimittel-Agentur (EMA) - nur kurzzeitig und niedrig dosiert eingesetzt werden. Antihormone, wie Aromatasehemmer und Tamoxifen, werden hingegen bei Frauen nach den Wechseljahren erfolgreich zur Krebsprophylaxe eingesetzt. Sie hemmen die Bildung von körpereigenen Östrogenen.

Frauen mit einem angeborenen genetischen Erkrankungsrisiko sollten über die verschiedenen Behandlungsalternativen aufgeklärt werden. Eine umfassende, individuelle und strukturierte Beratung gibt es in Zentren für Familiären Brust- und Eierstockkrebs. Diese Zentren sind im Deutschen Konsortium für Familiären Brust- und Eierstockkrebs organisiert (www.brca-netzwerk.de).

Kommentar zur Relevanz der Mammographie-Krebsvorsorge-Früherkennung

Obwohl Empfehlungen für ein Mammographie- Screening- weiterhin den Standard der Versorgung darstellen, haben Studien aus den USA und anderen Ländern, einschließlich Australien, den Niederlanden und Norwegen, ihren Wert in Frage gestellt. Sicher ist, dass der Nutzen des Mammographie-Screenings allgemein überschätzt wird. Vorteile sind nicht in allen Altersstufen erkennbar. Vor dem 40. Lebensjahr überwiegen die gesundheitlichen Nachteile. Anstatt einer Mammographie sollte in diesem Lebensabschnitt – wenn überhaupt – eine Sonographie zur Früherkennung durchgeführt werden. Sie ist bei einer dichten Brust wesentlich aussagekräftiger und hat keine strahlenbedingten Nebenwirkungen. Eine in der Mammographie dichte Brust stellt einen eigenständigen Risikofaktor dar.

Zwischen dem 40. und 50. Lebensjahr ist der Nutzen routinemäßiger Mammographien fraglich. Die europäischen Leitlinien sehen erst ab dem 45. Lebensjahr einen Nutzen. Zwischen dem 50. und 75. Lebensjahr überwiegen eindeutig die Vorteile. Das Mammographie-Screening sollte dann alle zwei Jahre durchgeführt werden – im Alter von 70 bis 74 Jahren alle drei Jahre.

Empfindlicher (sensitiver) als die Mammographie ist die Kernspin-Untersuchung, die gerade biologisch aggressives Gewebe gut erkennt

Die digitale Tomosynthese, die als eine “bessere Mammographie“ beworben wurde, ist mit einer etwas höheren Strahlenbelastung als die normale Mammographie assoziiert.

Frauen mit angeborenem Herzfehler sowie Frauen, die auf dem Brustkorb bestrahlt wurden sowie BRCA-Trägerinnen sind Hochrisikopatientinnen. Bei ihnen sollten ab dem 25. Lebensjahr routinemäßig MRT-Untersuchungen (Kernspin) vorgenommen werden. Sie sind aussagekräftiger – und auch nebenwirkungsärmer – als die Mammographie.

Zunehmend äußern Experten Zweifel am Wert des Brustkrebsscreenings und schlagen vor, staatlich geförderte Screening-Untersuchungen abzubrechen, da sie die Brustkrebssterblichkeit nicht verringern. Der Rückgang der Brustkrebssterblichkeit sei nicht dem Screening, sondern dem verstärkten Einsatz adjuvanter Therapien zu verdanken, sagen sie. Studien, die Überlebenszeiten ausschließlich nach diagnostischen Maßnahmen wie der Mammographie nachweisen, sind in Anbetracht der Einflüsse von adjuvanten und curativen Therapien von fraglichem Wert.

Kriterien für eine Analyse der BRCA1 und BRCA2- Gene

• Die Wahrscheinlichkeit für eine vererbliche Anlage (genetische Mutation) liegt bei mindestens 10 %.

• Mindestens drei Frauen in der Familie haben (hatten) Brustkrebs (unabhängig vom Alter).

• Mindestens zwei Frauen in der Familie haben (hatten) Brustkrebs (eine von ihnen vor dem 51. Geburtstag).

• Mindestens zwei Frauen in der Familie haben Eierstockkrebs (unabhängig vom Alter).

• Mindestens eine Frau in der Familie hat Brustkrebs vor dem 36. Geburtstag.

• Mindestens eine Frau in der Familie hat beidseitigen Brustkrebs (dabei liegt die erste Krebserkrankung vor dem 51. Geburtstag).

• Mindestens ein Mann in der Familie hat Brustkrebs und eine Frau Brust- oder Eierstockkrebs (unabhängig vom Alter).

• Mindestens eine Frau in der Familie hat triple-negativen Brustkrebs vor dem 50. Lebensjahr.

Eierstockkrebs

Gesicherte, wahrscheinliche und vermutete Risiken für Eierstockkrebs, im Vergleich zur Normalbevölkerung

Hormon-Ersatztherapie in und nach den Wechseljahrenwahrscheinlich
Hormonelle Stimulationstherapie bei einer Infertilitätsbehandlungvermutet
An Eierstockkrebs erkrankte Verwandte ersten Gradesgesichert
Lynch-Syndromgesichert
Li-Fraumeni-Syndromgesichert
BRCA1-Mutationgesichert
BRCA2-Mutationgesichert
RAD51C- und RAD51D sowie BRIP1- Mutationengesichert
BARD1 und PALB2vermutet
vorhergehende Brustkrebserkrankunggesichert
Diabetes Typ 2gesichert
Borderline-Tumore der Eierstöckegesichert
Starkes Übergewichtgesichert
Deutliche Gewichtszunahme in der Jugendvermutet
Hochgewachsengesichert
Kinderlosigkeitwahrscheinlich
An Brust- oder Darmkrebs erkranktgesichert
Frühe Periode, später Eintritt der Wechseljahregesichert
Späte erste Schwangerschaftvermutet
Ernährung, die reich an tierischen Fetten istvermutet
Endometriosewahrscheinlich
Polyzystische Ovarienwahrscheinlich
Keine bzw. nur kurze Stilldauervermutet
Frühere Bestrahlung im Beckenbereichgesichert
Tabakabususvermutet
Starker Alkoholkonsum (nach den Wechseljahren)vermutet
Bewegungsmangelvermutet
Europäische Abstammungvermutet
Asbestgesichert
Talkumvermutet

Je stärker das Übergewicht, desto höher ist das Erkrankungsrisiko (Huang et al 2018). Vor den Wechseljahren ist Übergewicht ein größeres Risiko als danach. Ein BMI > 30 kg/m2 zeigt bei Frauen vor den Wechseljahren ein zwei-bis dreifach erhöhtes Risiko.

Maßnahmen, welche die Anzahl der Eisprünge im Leben einer Frau verringern, sind Schutzfaktoren. (Antibabypille, mehrere Schwangerschaften und Stillzeiten. Demgegenüber haben Frauen, die nie schwanger waren, ein erhöhtes Risiko).

BRCA1-Genmutationen werden mit einer statistischen Krebswahrscheinlichkeit von 50 Prozent an die Nachkommen weitergegeben. Eine Mutation im BRCA1-Gen geht mit einem bis zu 44 % höheren, relativen Erkrankungsrisiko einher. Bei einem mutierten BRCA2-Gen beträgt es „nur“ bis zu 17 %. Darüber hinaus gibt es weitere Risikogene (z. B. RAD5IC, BRIPI, MSH6), die aber viel seltener auftreten. Bei ihnen bedarf es – neben den erwähnten, angeborenen Risikogenen – noch weiterer Einflüsse, um die „Krebsgene“ zu aktivieren. Körperliche Aktivität und Übergewicht könnten dazu gehören.

Wenn BRCA1- und BRCA2-Mutationen nachgewiesen wurden, ist die beidseitige Entfernung der Eierstöcke mit Eileitern das einzig wirksame Vorgehen, um das Erkrankungsrisiko zu senken. Sie soll das relative Erkrankungsrisiko um mehr als 80 % senken.

Kommentar und Empfehlungen: Die Einnahme der Antibabypille soll eine Senkung des relativen Erkrankungsrisikos um bis zu 40 % bewirken. Je länger die Empfängnisverhütung vorgenommen wurde, umso größer ist der Schutzeffekt. Einige Studien berichten auch über eine Schutzwirkung der Spirale (Intrauterinpessar). Schwangerschaft und Stillen sollen ebenfalls das Erkrankungsrisiko reduzieren. Eine umfassende, individuelle und strukturierte Beratung erhalten Hilfe suchende BRCA-Trägerinnen in den Zentren für Familiären Brust- und Eierstockkrebs. Diese sind im Deutschen Konsortium für Familiären Brust- und Eierstockkrebs organisiert ( www.brca-netzwerk.de).

Kommentar zur Relevanz der Krebsvorsorge-Früherkennungs-Untersuchungen: Die bislang praktizierten Krebsvorsorge-Früherkennungs-Maßnahmen bieten keine Vorteile. Sie verbessern nicht die Heilungschancen. Im Gegenteil, die vaginalen Ultraschalluntersuchungen und Bestimmungen des Tumormarkers 12-5 führten häufig zu falsch positiven Befunden und unnötigen Operationen mit körperlichen sowie hormonellen und psychischen Folgestörungen (Wegwarth et al 2018). Bei rund einem Drittel der Verdachtsfälle sollen wegen des durch Ultraschalluntersuchungen ausgelösten Fehlalarms unnötig die Eierstöcke entfernt worden sein.

Gebärmutterhalskrebs (Zervixkarzinom)

Erkrankungsrisiken für Gebärmutterhalskrebs (X = fraglich erhöht, XX = doppelt so hoch, XXX = mehr als doppelt so hoch, XXXX = sehr hohes Risiko)

Chronischer Infekt mit humanen Papillomviren (HPV):XXXX
Früher Beginn sexueller Aktivität:XXX
Häufig wechselnde Sexualpartner:XXXX
Mangelhafte Genital- und Sexualhygiene des Partners:XXX
Rauchen:XX
Geschwächtes Immunsystem:XX
Sexuell übertragbare Krankheiten (z. B. HIV-, Herpes-Simplex- oder Chlamydien-Infektion der Genitalschleimhaut):X
Längerfristige Empfängnisverhütung mit der „Pille“:X?
Niedriger sozioökonomischer Status:X
BewegungsarmutX

Übergewicht zählt nicht zu den Erkrankungsrisiken, gilt allerdings als prognostisch ungünstig. Der mögliche Grund hierfür ist, dass adipöse Frauen – wahrscheinlich aus Scham – seltener bzw. später die Krebsvorsorge-Früherkennungs-Untersuchungen nutzen und der Krebs daher zu spät behandelt wird (Clark et al 2017). Zur schlechten Prognose trägt auch das höhere Operationsrisiko bei starkem Übergewicht bei (Clark et al 2017, Modesitt et al 2005).

Kommentar und Empfehlungen: Bessere Sexualhygiene (vor allem beim männlichen Geschlechtspartner), reduzierte Partnerwechsel, Vorsorge-Früherkennungs-Untersuchungen, vor allem aber die Impfung gegen HPV zählen zu den wichtigsten Maßnahmen zur Krebsvermeidung. Der HPV-Impfstoff schützt vor sieben HPV-Typen, die zusammen für etwa 90 % aller Erkrankungen verantwortlich sind. Die Impfung muss allerdings vor dem ersten Kontakt mit HP-Viren erfolgen.

Der männliche Geschlechtspartner ist Hauptüberträger der Papilloma-Viren, weshalb Impfungen bei Männern einen großen Einfluss auf die Erkrankungsrate der Frauen haben. Die Männer selber profitieren ebenfalls von der HPV-Impfung, da diese auch vor Krebs am Penis, am After und im Mund-Rachen-Raum schützt. Die Ständige Impfkommission am Robert-Koch-Institut empfiehlt die HPV-Impfung daher seit 2018 auch für Jungen. Für beide Geschlechter gilt: Die Impfung sollte vor dem ersten Geschlechtsverkehr erfolgen – also zwischen dem 9. und 14. Lebensjahr. Die Kosten werden von den Krankenkassen übernommen.

Kommentar zur Relevanz der Krebsvorsorge-Früherkennung: Frauen zwischen dem 20. und 34. Lebensjahr haben einmal im Jahr Anspruch auf einen PAP-Test. Frauen ab dem 35. Lebensjahr haben alle drei Jahre Anspruch auf ein kombiniertes Screening aus PAP- und HPV-Test.

Während die PAP-Krebsvorsorgeuntersuchung die Entwicklung invasiver Karzinome verhindert, schützt die HPV-Impfung bereits vor der Infektion – und auch vor der Entstehung von Krebsvorstufen.

Werden die Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (STIKO) zur HPV-Impfung bei allen Mädchen und Jungen konsequent befolgt, so besteht die Chance, dass diese – ehemals häufigste – Krebserkrankung zukünftig zur Seltenheit wird. In Australien glaubt man, im Falle einer funktionierenden Primärprävention beim Gebärmutterhalskrebs sowie einer Impfrate von über 80 %, klassische gynäkologische Untersuchungen zur Früherkennung mittelfristig ganz einstellen zu können. Die WHO glaubt, der Gebärmutterhalskrebs könnte mittels einer Durchimpfungsrate von mehr als 90 %, in Kombination mit Screening, langfristig völlig ausrottet werden.

Gebärmutterkrebs (Endometriumkarzinom)

Erkrankungsrisiken für Gebärmutterkrebs (Endometriumkarzinom), nach Delbrück 2017 (XXX = hohes Risiko, XX = mittleres Risiko, X = vermutetes Risiko)

Starkes Übergewicht:XXX
Alleinige Östrogentherapie:XXX
Kinderlosigkeit:X
Frühe erste Regelblutung (Menarche):XX
Letzte Regelblutung (Menopause nach dem 55. Lebensjahr):XX
Positive Familienanamnese:X
Lynch-Syndrom Typ 2 (HNPCC):XXX
Cowden-Syndrom:XXX
Bluthochdruck (Hypertonie):X
Typ-2-Diabetes:XX
Polyzystische Eierstöcke:XX
Vorangegangene Strahlenbehandlung im Becken:XX
Bewegungsmangel:XX
Tamoxifen-Therapie:XX
künstliche Befruchtung (in vitro Fertilisation)?X

Zusammenhänge mit starkem Übergewicht sind eindeutig. Laut Untersuchungen der Epidemiologen des Deutschen Krebsforschungszentrums waren mehr als ein Drittel aller Gebärmutterkrebspatientinnen zehn Jahre vor ihrer Krebsdiagnose übergewichtig. Die Erkrankungswahrscheinlichkeit korreliert mit der Höhe des Übergewichts. Übergewichtige und adipöse Frauen haben ein zwei- bis dreifach erhöhtes Risiko, bei schwer adipösen Frauen (BMI > 40) ist es sogar auf das Sechsfache erhöht. Die Häufigkeit korreliert jedoch nur mit der des Typ-I Karzinoms (endometroides Karzinom), was sich mechanistisch gut mit östrogenabhängigen Karzinogenese erklären lässt (Dedes und Fink 2015, Behrens 2018, Buskaran et al 2014, Setiawan et al 2013). Frauen, die bereits in jungen Jahren adipös waren, erkranken durchschnittlich zehn Jahre früher als normalgewichtige Frauen (Lu et al 2011).

Hinsichtlich des Wirkmechanismus diskutiert man mehrere Hypothesen. So nimmt man u. a. an, dass es im Falle einer Adipositas zu einem relativen Östrogenüberschuss im Vergleich zu Progesteron und einer Überstimulation der Schleimhautzellen kommt. Nach den Wechseljahren erkranken übergewichtige Frauen häufiger, weil ihre Eierstöcke kein „schützendes“ Progesteron mehr bilden, während das Fettgewebe mehr Östrogen produziert.

Eine weitere Hypothese bezieht sich – ähnlich wie beim Darmkrebs – auf die häufig mit Übergewicht assoziierte Hyperinsulinämie, die das Zellwachstum stimuliert.

Fettsucht führt zu einem chronischen Entzündungszustand, bei dem Wachstumsfaktoren freigesetzt werden, die das Zellwachstum anregen.

Beobachtungen sprechen dafür, dass starkes Übergewicht in der Jugend mit einem erhöhten Erkrankungsrisiko für endometrioide Karzinome einhergeht (Nevadunsky NS et al 2014). Es kommt früher zur ersten Regelblutung, weshalb sich die Gesamtzahl der Zyklen und die Östrogenexposition erhöht.

Kommentar und Empfehlungen: Eine intensive Aufklärung über die Krebsgefährdung bei Übergewicht ist notwendig. Versagen die klassischen Methoden zur Gewichtsabnahme, dann sollte man im Falle von starkem Übergewicht auch eine bariatrische Operation in Erwägung ziehen (Anreden et al 2017).

Kombinationspräparate sollen die Schleimhaut der Gebärmutter schützen, denn es hat sich herausgestellt, dass eine ausschließliche Östrogen- Behandlung Wucherungen der Gebärmutterschleimhaut auslöst. Gestagene können vor solchen Wucherungen schützen.

Mit Tamoxifen behandelte Brustkrebspatienten sollten über ihr erhöhtes Krebsrisiko aufgeklärt werden.

Kommentar zur Relevanz der Krebsvorsorge-Früherkennung: Für Gebärmutterkrebs gibt es keine speziellen „gesetzlichen Krebsvorsorge-Früherkennungs-Untersuchungen“. Der Abstrich bei der üblichen gynäkologischen Krebsvorsorge-Untersuchung hat keine Aussagekraft. Vielen Frauen ist auch nicht klar, dass eine Ultraschall-Untersuchung (Vaginalsonographie) lediglich unspezifische Hinweise auf eine unregelmäßig aufgebaute Gebärmutterschleimhaut geben kann.

Schamlippenkrebs (Vulvakrebs)

Ein Zusammenhang mit Übergewicht ist nicht bekannt. Zu den Risikofaktoren zählen Humane Papilloma-Viren (HPV) und chronisch entzündliche Hauterkrankungen im Genitalbereich. HPV-assoziierten Karzinome betreffen eher jüngere Patientinnen.

Lungenkrebs

Risiken für Lungenkrebs (im Vergleich zur Normalbevölkerung), modifiziert nach Delbrück 2016 (X = wahrscheinlich erhöht, XX = doppelt so hoch, XXX = mehr als doppelt so hoch, XXXX = sehr hohes Risiko):

An Lungenkrebs erkrankter Verwandter ersten Grades < 50 Jahre:X
An Lungenkrebs erkrankte eineiige Zwillingsgeschwister:XX
An Lungenkrebs erkrankter Verwandter ersten Grades (Raucher):XXX
Lebenslanger Tabakabusus:XXXX
Exraucher:XXX
Tabakabusus (Pfeife):XX
Tabakabusus (Zigarre):XX
Tabakabusus (Wasserpfeife):XXXX
E-Zigaretten?
Alkoholkonsum (Männer) > 50 g täglich:X
Alkoholkonsum (Frauen) > 30 g täglich:X
COPD/Emphysem:XXX
Aids:XXX
Lungenemphysem:XXX
Chronische Bronchitis:X
Idiopathische Lungenfibrose:XXXX
Multiple Sklerose:X
Ehemals Tuberkulose:X
Angeborener Herzfehler:XX
Asbestexposition (weicher Asbest):XXXX
Silikose, silikotische Narben:XX
Raucher bei Silikose:XX
Raucher bei starker Radonexposition:XX
Raucher und gleichzeitiger BRCA2-Genträger:XXX
Kein Rauchabzug in der Küche:X
Übergewicht im jugendlichen Erwachsenenater:XX
Zentrales Bauchfett:XX
Körperliche Inaktivität:XX
Passivraucher:X
Nichtraucher, der sich mehr als zehn Jahre in stark verräucherten Arbeitsräumen aufgehalten hat:XX
Erhöhte Luftschadstoffkonzentration, Feinstaubbelastung:XX
Dieselrußexposition:XX
Radon-belastete Wohnbereiche:XXX
Niedriger sozioökonomischer Status:X
Hormonersatztherapie bei Frauen (in und nach den Wechseljahren):X
Beta-Carotin-Nahrungsergänzungsmittel (bei Rauchern):XX
Längere Einnahme von hoch dosiertem Vitamin B12 und B9:X

Radon zählt, neben Tabakkonsum und Asbest, zu den Hauptursachen für Lungenkrebs. Das radioaktive Edelgas ist in der Erde enthalten und kann durch den Untergrund in Gebäude eindringen. Die hierdurch verursachte Strahlenbelastung lässt sich durch die Einhaltung der heutigen Bauvorschriften reduzieren.

Die Feinstaubbelastung wird allgemein als wesentlicher Risikofaktor angesehen. Gesichtsmasken schützen zwar etwas, bieten jedoch letztlich ein falsches Sicherheitsgefühl, da sie die in der Luft befindlichen, krebserregenden Feinstaub-Schadstoffe kaum filtern.

Die COPD ist ein starker Risikofaktor bei Nichtrauchern. Sie wird häufig durch Rauchen ausgelöst, kann aber auch andere Ursachen haben; so z. B. einen Alpha-1-Antitrypsinmangel oder Chemikalien und Schadstoffe wie Feinstaub, denen manche Menschen am Arbeitsplatz ausgesetzt sind.

Asbest kann Lungen- und Rippenfellkrebs (Mesotheliom) auslösen. Asbest wurde in der Vergangenheit häufig als Baumaterial, zum Brandschutz und zur Isolation verwendet. Seit 1993 ist die Nutzung von Asbest in Deutschland weitgehend verboten. Dennoch stellt die Asbestbelastung nach wie vor ein hohes Risiko dar. In älteren Gebäuden findet sich noch viel Asbest als Dämm- und Isolationsmaterial. Bei der Entsorgung alter asbesthaltiger Materialien, beim Abriss oder Umbau älterer Gebäude werden die gefährlichen Fasern freigesetzt.

Bei Rauchern und Kindern mit angeborenen Herzfehlern (ebenfalls eine Hochrisikogruppe) lassen sich bereits Jahre – ja, Jahrzehnte – vor Ausbruch der Krebserkrankung, überproportional häufig Krebsvorstufen oder Mikrokarzinome feststellen. Möglicherweise werden sie bei einer zusätzlichen Insulinresistenz bzw. bei Übergewicht zum Wachstum angeregt.

Obwohl Nikotin den Stoffwechsel bei Rauchern anregt, und diese meist eher unter- als übergewichtig sind, zählt „Übergewicht“ zu den Erkrankungsrisiken. Entscheidend für das erhöhte Krebsrisiko ist allerdings weniger der BMI als die Körperfettverteilung; der Bauchumfang ist bei Rauchern häufig groß. Im Vergleich zu Personen mit hohem BMI und normalem Taillenumfang besteht bei niedrigem bis normalem BMI, aber großem Taillenumfang, ein erhöhtes Erkrankungsrisiko (Yu et al 2018). Nicht nur die Krebsentstehung wird durch das „viszerale Bauchfett“ negativ beeinflusst, sondern auch der Krankheitsverlauf. Die Krebserkrankungen sind aggressiver (Smith et al 2012, Jeffreys et al 2004, Gray et al 2011, Marshall et al 2019). Ein weiteres Argument für die Krebsgefährdung ist die Beobachtung, dass übergewichtige Kinder und Studenten später unverhältnismäßig häufig an Krebs – auch an Lungenkrebs – erkranken.

Kommentar und Empfehlungen: Die IARC/WHO geht davon aus, dass 90 % aller Lungenkarzinome vermeidbar sind (Ferlay et al 2018). In einem „Deutschland ohne Tabak“ wären 2018 nur 7000 Menschen an Lungenkrebs erkrankt, sagt das DKFZ. Tatsächlich waren es 53.000!

Die Anzahl der Raucher unter den Lungenkrebserkrankten – einschließlich der Tabak Kauer und Schnupfer – hat merklich abgenommen. Die Risikoreduktion ist speziell bei Frauen und bei Jugendlichen deutlich. Zuvor hatte es bei ihnen, eine stetige Zunahme der Krebserkrankungen gegeben. Erfreulicherweise wurde inzwischen auch in Deutschland ein Werbeverbot für Tabakprodukte, das ab 2021 schrittweise umgesetzt werden soll.

E-Zigaretten werden weltweit zur Entwöhnung vom Tabakkonsum eingesetzt, sind aber umstritten. Namhafte Mediziner stehen E-Zigaretten kritisch gegenüber. E-Zigaretten reduzieren ihrer Ansicht nach zwar das Lungenkrebsrisiko, gehen dafür aber mit anderen gesundheitlichen Risiken einher.

Nahrungsergänzungsmittel – einzeln oder in Kombination eingenommen – verringern nicht das Erkrankungsrisiko. Im Gegenteil: einige Vitaminpräparate erhöhen das Risiko sogar. So erhöht Vitamin A das Lungenkrebsrisiko bei Rauchern und bei Menschen, die Asbest ausgesetzt sind. Die Einnahme von Vitamin H (Biotin) kann Laborergebnisse verfälschen.

Kommentar zur Relevanz von Krebsvorsorge-Früherkennungs-Untersuchungen:

Für Lungenkrebs gibt es kein gesetzliches Krebs-Früherkennungs-Programm, gleichwohl ein solches immer wieder propagiert wird. Das liegt daran, dass der Nutzen sehr kontrovers eingestuft wird.

Man ist sich dahingehend einig, dass regelmäßige Sputumuntersuchungen und konventionelle Röntgen-Lungen-Aufnahmen wenig aussagekräftig sind – und man auf sie deswegen zum Screening verzichten sollte.

Einiges spricht für die Vorteile eines Screenings mit einer Niedrig-Mehrschicht-Computertomographie. Dafür spricht die bessere Erkennung peripherer Lungenherde. Vor allem Frauen haben solche peripher lokalisierten Krebsherde. Die bei Männern dominierenden Krebsherde im Lungenmittelfell (Mediastinum) sind im CT hingegen schwerer zu erkennen.

Gegen das CT-Screening spricht die Gefahr einer Überdiagnostik und -therapie. Zwischen gut- und bösartigen Herden, besonders denjenigen im Lungenmittelfell - kann die Computertomographie nur schwer unterscheiden. Beinahe ein Viertel der computertomographisch gestellten Verdachtsdiagnosen stellt sich bei der Operation als gutartig heraus (falsch positive Befunde). Ein nicht geringer Prozentsatz der Karzinome wird nicht erkannt (falsch negative Befunde) (Smith 2018). Ein weiterer Nachteil des CT-Screenings ist das erhöhte Krebsrisiko durch die Strahlenbelastung. Mehr als die Hälfte der in den USA mit „niedrig dosierten Computertomografien“ untersuchten Patienten soll effektiven Dosen (EDs) oberhalb der empfohlenen Grenzwerte ausgesetzt sein, heißt es.

Bei einer feingeweblichen Untersuchung verdächtiger Herde durch eine Feinnadelbiopsie besteht das Risiko einer „Abklatschmetastase“ am Brustfell besonders dann, wenn der biopsierte Herd sich nahe am Brustfell befindet.

Blasenkrebs

Risiken für Blasenkrebs, im Vergleich zur Normalbevölkerung (X = wahrscheinlich erhöht, XX = doppelt so hoch, XXX = mehr als doppelt so hoch, XXXX = sehr hohes Risiko):

Genträger von BRCA2, MSH2, BRCA1, CHEK2:XXX
Starker Tabakkonsum:XXXX
Passivrauchen:X
Aromatische Amine, wasserlösliche Azofarbstoffe:XXX
Exposition mit krebsfördernden Schadstoffen:X
Medikamente (z. B. Cyclo-phosphamid, Phenazetin):XX
Strahlenbehandlung im kleinen Becken:XXX
Chronische Blasenentzündung:XX
Frühere Strahlentherapie im kleinen BeckenX
Bilharziose (Risiko für Plattenepithelkarzinom):XX
Risiken am Arbeitsplatz: früher XXX, heuteX
Verbrennungsprodukte in Gaswerken, Großfeuerungsanlagen, im Straßenbau: früher XXX, heute X

Die bisherigen Erfahrungen sprechen gegen einen signifikanten Einfluss von Übergewicht.

Der wichtigste Risikofaktor ist das Rauchen. Experten schätzen, dass sich etwa 30 bis 70 % der Tumore auf Tabakkonsum zurückführen lassen. Im Tabakrauch befinden sich etliche chemische Kanzerogene, die über die Lunge ins Blut gelangen und über die Niere in die Blase ausgeschieden werden. Männer sind etwa doppelt so häufig betroffen wie Frauen; wahrscheinlich eine Folge des unterschiedlich häufigen Zigarettenkonsums, aber auch der stärkeren Exposition von Schadstoffen am Arbeitsplatz. Bei Männern kommt als Erkrankungsrisiko auch der drohende Harnrückstau einer vergrößerten Prostata in Frage, da dieser zu einer chronischen Blasenreizung führen kann.

Eine potentielle Gefahrenquelle in Afrika und Asien ist die Bilharziose, eine dort vorkommende endemische Wurminfektion in der Blase. Der Erreger, ein Parasit begünstigt die Entstehung eines Plattenepithelkarzinoms.

Als besonders krebsverursachend gelten die sogenannten „aromatischen Amine“. Zwar sind sie inzwischen aus der Produktion der chemischen Industrie (sowie der Gummi-, Leder-, Textil- und Farbstoffverarbeitung) verbannt worden, doch noch immer werden in Regionen der ehemaligen Farben- und Chemikalienherstellung vermehrt Blasenkarzinome festgestellt.

Zwischen der Krebsentstehung und dem Eintritt der Beschwerden können bis zu vierzig Jahre liegen, denn der Blasenkrebs gehört zu den Tumoren, die zu Beginn sehr langsam wachsen. Erwachsene, die in der Kindheit übergewichtig waren, sollen ein erhöhtes Risiko haben (Sorensen et al 2020).

Kommentar und Empfehlungen: Nichtraucher erkranken seltener an Blasenkrebs. Nach einem erfolgreichen Raucherentzug wachsen Blasenpolypen langsamer, das Wiedererkrankungsrisiko nach einer Krebsoperation sinkt.

Prostatakrebs

Risiken für Prostatakrebs (im Vergleich zur Normalbevölkerung) (X = wahrscheinlich erhöht, XX = doppelt so hoch, XXX = mehr als doppelt so hoch, XXXX = sehr hohes Risiko)

Ein Angehöriger mit Prostatakrebs < 50 Jahre:XXX
Zwei oder mehr Angehörige ersten Grades < 55 Jahre, die an Prostata- oder Brustkrebs erkrankt sind/waren:XXXX
Genveränderungen auf den Chromosomen 8q24, 17q12:XXXX
Angeborene Genveränderungen (z. B. HPC1, MSR1, ELAC2):XXXX
Träger einer BRCA1-Mutation:XX
Träger einer BRCA2-Mutation:XXX
Fusionsgen TMPRSS2/ERG:XX
Ein eineiig erkrankter Zwillingsbruder:XXXX
Ein zweieiig erkrankter Zwillingsbruder:XX
Afroamerikaner:XX
Hochgradige „Prostatische Intraepitheliale Neoplasie“:XXXX
Atypische „Acinare Proliferation“ (ASAP):XXXX
Steigender PSA-Spiegel > 2,5 ng/ml bei 40 bis 49jährigen:XXX
Steigender PSA-Spiegel > 3,5 ng/ml bei 50 bis 59jährigen:XX
Steigender PSA-Spiegel > 4,5 bei > 60jährigen:XXXX
Zufällige Entdeckung eines (latenten) Prostatakarzinoms:XX
Chronische Prostatitis:XX
Adipositas (BMI > 30):XX
Übergewicht (BMI 27 bis 30 bei gleichzeitiger Insulinresistenz)X?
Ausgeprägtes Bauchfett:XX
Fleisch- und fettreiche Ernährung:XX
Scharf gewürzte Speisen:X?
Nahrungsergänzungsmittel mit hoch dosiertem Vitamin E:XXX
Starker Alkoholkonsum:X
Hoher Konsum von Milchprodukten:X?
Körperliche Inaktivität und Bewegungsarmut:XX
Frühere Bestrahlung des Enddarms:XX
Häufige Ct- oder PET-Untersuchung des kleinen Beckens:X
Tabakabusus:X
Niedriger sozioökonomischer Status:X
Zeugungsunfähigkeit:X
Erhöhter PSA-Wert in der 5. Lebensdekade:XX

Zusammenhänge von Übergewicht mit der Entstehung von Prostatakrebserkrankungen sind nicht eindeutig bzw. umstritten. Eindeutig ungünstige Einflüsse gibt es nur bei ausgeprägtem Bauchfett sowie bei sehr starkem Übergewicht in der Jugend (BMI > 32) (Richter 2008).

Vieles spricht allerdings für einen ungünstigeren Verlauf bei einer Gewichtszunahme während des Krankheitsverlaufs (Troesdel et al 2020). Auch das Wiedererkrankungsrisiko soll bei einer Gewichtszunahme höher sein (Khan et al 2017, Pischon et al 2008, Brown et al 2009, Hayashi, N et al 2014, Richter 2008).

Je häufiger direkte Angehörige – etwa die Brüder oder der Vater – erkrankt sind, desto höher ist das eigene Erkrankungsrisiko. Eindeutige, auf eine Vererbbarkeit hinweisende, molekulargenetische Abweichungen gibt es allerdings nur für das mutierte BRCA2-Gen. BRCA2-Träger erkranken häufig an einem aggressiven Prostatakrebs (Chakraborty et al 2019).

Der Anteil jugendlicher Prostatakrebspatienten (< 40 Jahre) hat in den letzten Jahren signifikant zugenommen. Angeborene „Krebsgene“ könnten der Grund hierfür sein. Möglicherweise werden bei zusätzlichen Einflüssen (etwa genitalen Infektionen, Übergewicht und Bewegungsarmut) diese angeborenen und latenten Krebsgene und -zellen aktiviert.

Mäßiger Alkoholkonsum hat scheinbar eher einen schützenden als krebsfördernden Einfluss (Downer et al 2019). Starker Alkoholkonsum gilt hingegen als Risikofaktor.

Überraschend und schwer erklärbar sind die Ergebnisse mehrerer Beobachtungsstudien, wonach Typ-2-Diabetiker seltener an Prostatakrebs erkranken (Khan et al 2017, Baradaran et al 2009, Hemminki et al 2010). Dies steht völlig im Gegensatz zu den Erfahrungen bei anderen Krebserkrankungen.

In prospektiven Kohortenstudien zeigte sich konsistent eine Verbindung zwischen dem Konsum von Milchprodukten und Prostatakarzinomen. Die Risikoerhöhung erklärt man mit dem hohen Insulin-like-Growth-Factor-1-Spiegel in der Milch

Hypothesen zum Einfluss von starkem Übergewicht auf den Verlauf einer Prostatakrebserkrankung:

• Das Gewebe ist bei übergewichtigen Männern aufnahmefähiger für die Invasion und Ausbreitung von Krebszellen.

• Übergewicht beeinflusst den Testosteronspiegel.

• Übergewicht geht mit oxydativem Stress für die Prostatazellen einher.

• Die assoziierte Insulinresistenz führt zu einer kompensatorischen Vermehrung Insulin-ähnlicher Wachstumsfaktoren (IgF1).

• Die im Fettgewebe produzierten Adipokine und Signallipide fördern das Zellwachstum (Hoda et al 2010).

• Übergewichtige sind oft körperlich inaktiv (Bewegungsarmut gilt als Krebsrisikofaktor).

• Die Radikalität der Operation und die Dosierung der Strahlentherapie werden erschwert, weshalb es häufiger zu einer Wiedererkrankung kommt.

• Hormon- und Chemotherapie lassen sich schwerer dosieren.

Kommentar und Empfehlungen: Untersuchungen zum Einfluss von Übergewicht, Alkoholkonsum und Typ-2-Diabetes auf das Erkrankungsrisiko haben sehr widersprüchliche Ergebnisse erbracht. Die methodische Vielfalt – und daher schwierige Vergleichbarkeit – von Studien kann hier einer der Gründe sein. So werden in manchen Arbeiten latente Karzinome nicht von fortgeschrittenen und aggressiven Tumoren unterschieden. Ja, häufig wird der Einfluss auf die Krebsentstehung mit dem Einfluss auf den Krankheitsverlauf und die Sterblichkeit in „einen Topf geworfen. Ob die Prostatakrebserkrankung selbst oder Begleiterkrankungen die Todesursache waren, lässt sich häufig nur schwer feststellen.

Übereinstimmend wird in vielen Arbeiten auf das erhöhte Risiko von Übergewicht im jugendlichen Erwachsenenalter hingewiesen. Ein BMI von 25 bis 29 ist demnach bei älteren Männern (> 65 Jahre) nicht besorgniserregend; bei jüngeren Menschen (< 45 Jahre) hingegen ein Erkrankungsrisiko (Behrens et al 2018).

Experten meinen, Übergewicht im jugendlichen Erwachsenenalter wirke sich ungünstig auf die klinische Manifestation von Prostatakrebs im fortgeschrittenen Altem aus (Giovannucci et al 1997, Brown et al 2009). Besonders krebsgefährdet sollen jüngere Männer mit „Bauchfett“ sein (Pischon et al 2008, Giovannucci et al 1997, Brown et al 2009). Je länger das Bauchfett vorhanden ist, umso größer ist die Krebsgefahr.

Umstritten ist die Schutzwirkung von Finasterid. Sicher ist, dass es neben der fraglichen Schutzwirkung bei der Einnahme von Finasterid zu sicheren Nebenwirkungen kommt, so etwa einer sexuellen Dysfunktion. Einige Experten sehen eine höhere Aggressivität der – trotz Einnahme von Finasterid – entstehenden Tumore. Ein „verbessertes Haarwachstum“ gilt als positive Nebenwirkung!

Kommentar zur Relevanz der Krebsvorsorge-Früherkennung (Delbrück 2015): Ab dem 45. Lebensjahr haben Männer Anspruch auf eine jährliche Tastuntersuchung der Prostata. Deren Relevanz ist allerdings höchst umstritten. Selbst Experten können oft nicht unterscheiden, ob es sich bei ertasteten Knoten um gut- oder bösartige Befunde handelt.

Die laborchemische Bestimmung von PSA ist zwar empfindlicher (sensitiver) und genauer (spezifischer) als die Tastuntersuchung, aber ebenfalls unzuverlässig. In verschiedenen Studien ergaben sich hinsichtlich der Sterblichkeit keine Unterschiede zwischen den Studienteilnehmern, die am PSA-Screening teilnahmen, und denjenigen, die keinen PSA-Test vornehmen ließen. Überdiagnosen sind häufig beim PSA-Screening. Viele Männer würden aufgrund eines verdächtigen PSA-Wertes unnötig einer invasiven Diagnostik (Prostatabiopsie) und Therapie (Operation und Bestrahlung) ausgesetzt, meinen Kritiker. „Bislang sei weder durch Screening-Tastuntersuchungen noch regelmäßige PSA-Bestimmungen ein eindeutiger Einfluss auf Lebenszeit und Sterblichkeit nachzuweisen, sagen sie. Nachteile in der Lebensqualität sind hingegen eindeutig. Der Schaden der PSA-basierten Vorsorge-Untersuchungen ist größer als der Nutzen“, fasst IQWIG die Ansicht der Skeptiker zusammen.

Ob das Probase-Programm – d. h. die angebliche Erkennung von Hochrisikopatienten durch Basisbestimmungen des PSA-Wertes in der 5. Lebensdekade – tatsächlich zu einer erhofften Lebensverlängerung und geringeren Lebensqualitätseinbußen führt, wird erst in einigen Jahren erkennbar sein.

Genauer – aber auch nicht spezifischer und vom IQWiG für überflüssig gehalten – sind Kernspin-Untersuchungen (multiparametrische Magnetresonanztomografien (mpMRT). Die Fusion der MRT-Bilder mit den Echtzeit-Ultraschallbildern soll nach Auffassung der urologischen Fachgesellschaft eine gezieltere Biopsie verdächtiger Areale ermöglichen.

Neben den diagnostischen Biomarkern, die die Therapieentscheidung erleichtern, gibt es prognostische Marker. Sie ermöglichen eventuell eine Aussage darüber, welche Patienten einer Behandlung bedürfen und welche „nur“ überwacht werden müssen (surveillance).

Hodenkrebs

Gesicherte und vermutete Risiken, im Vergleich zur Normalbevölkerung (X = wahrscheinlich erhöht, XX = doppelt so hoch, XXX = mehr als doppelt so hoch, XXXX = sehr hohes Risiko)

Hodenhochstand (Kryptorchismus):XXXX
Angeborene Genmutationen, z. B. CHEK2 Mutationen?
Häufigere Hodenkrebserkrankungen in der Familie:XXXX
Angeborene Chromosomen-Anomalien, z. B. Klinefelter-Syndrom:XXXX
Der Vater hatte Hodenkrebs:XXX
Der Bruder hatte Hodenkrebs:XXXX
Europäische Abstammung:X
Vorläuferzellen in einer Gewebeprobe TIN-Zellen:XXXX
Verschiebung des Hormongleichgewichts in der Schwangerschaft, z. B. durch Einnahme hormonhaltiger Substanzen, etwa der Pille:XX
Angeborene Fruchtbarkeitsstörung: wenig Spermien in der Samenflüssigkeit = Azoo- oder Oligospermie:XXX
Mikroverkalkung:XXXX
Unterentwicklung des Hodens: Hodenatrophie:XX
Hodenhochstand, GleithodenXXXX
Orchidopexie bei Hodenhochstand:XXX
Tumor im gegenseitigen Hoden:XXXX
Hypospadie (vermutet):X
Starkes Übergewicht der Mutter in der Schwangerschaft:X
Männer > 1,90 m (wahrscheinlich):XX
DDT-Exposition in der Embryonalphase (vermutet):X
Entzündungen (vermutet):X
Cannabis-Konsum (vermutet):X
Verletzungen (vermutet):X
Handystrahlung (vermutet):X

Kommentar: Aus noch ungeklärten Ursachen ist in den letzten Jahrzehnten die Anzahl der Neuerkrankungen gestiegen. Ob dies mit der kalorienreicheren Ernährung, der Zunahme von Übergewicht und/oder dem veränderten Lifestyle zusammenhängt, ist noch unklar (Nigam et al 2015).

Kommentar zur Relevanz der Krebsvorsorge-Früherkennung: Für Hodenkrebs gibt es kein gesetzliches Krebs-Früherkennungs-Programm. Es wird von den meisten Experten auch nicht für notwendig erachtet.

Empfohlen werden regelmäßige Eigenuntersuchungen, im Hinblick auf die Entstehung eventueller Knoten und Verhärtungen.

Peniskarzinom

Zusammenhänge mit Übergewicht sind nicht bekannt. Zu den Risikofaktoren für das relativ seltene Krebsleiden zählen HPV-Infektionen, Tabakkonsum, schlechte hygienische Verhältnisse und eine chronische Entzündung (BXO).

Nierenkrebs

Tabakkonsum, Bluthochdruck und vor allem Übergewicht zählen zu den bedeutendsten Risikofaktoren. Laut dem Deutschen Krebszentrum liegt bei fast der Hälfte aller Nierenkrebserkrankungen ein Zusammenhang mit früherem Übergewicht vor (BMI > 25 kg/m2) vor (Behrens et al 2018, Canioto et al 2017, Landberg et al 2019). Metaanalysen gehen bei Übergewichtigen von einem bis zu 77 % höheren relativen Erkrankungsrisiko aus, verglichen mit Normalgewichtigen (Canioto et al 2017, Behrens 2018). Übergewicht als Risiko wird in seiner Gefährlichkeit nur noch vom Tabakkonsum und dem Hippel-Lindau-Syndrom übertroffen.

Übergewicht im jugendlichen Erwachsenenalter hat, laut Analysen der Tauglichkeitsuntersuchungen bei 238.788 schwedischen Rekruten zwischen 1952 und 1960 einen Einfluss (Landberg 2019). Danach sollen 6 % mehr Nierenkrebserkrankungen bei den bei der Eingangsuntersuchung übergewichtigen Wehrpflichtigen später aufgetreten sein.

Alkoholkonsum, Diabetes und Bewegungsarmut sind weitere nachweisbare Risikofaktoren, die aber bei weitem nicht so eindeutig sind wie Übergewicht.

Kommentar und Empfehlungen: Warum es bei Übergewichtigen besonders häufig zur Entstehung eines klarzelligen Gewebetyps kommt (Lowrance et al 2009) und wieso übergewichtige Frauen stärker gefährdet sind als Männer, bleibt unklar.

Kommentar zur Relevanz der Krebsvorsorge-Früherkennung: Nierenkarzinome haben bei Übergewichtigen zugenommen. Einige Experten meinen allerdings, es handle sich hierbei nur um eine scheinbare Häufigkeitszunahme, da man die Karzinome im Fettgewebe der Niere bei der heute allgemein routinemäßig praktizierten Ultraschalluntersuchung besser erkenne (Colli et al 2009, Tsivian et al 2017).

Viele der zufällig entdeckten Nierentumore sind latent, wachsen langsam und haben ein geringes Malignitätsrisiko. Zur Vermeidung einer Überbehandlung wird bei kleinen Tumoren eine aktive Überwachung (avtive surveillance) empfohlen, der allerdings eine bioptische Abklärung vorausgehen sollte.

Leukämien, Lymphome, Myelome

Übergewicht ist ein Erkrankungsrisiko für nahezu sämtliche bösartigen Blut- und Lymphdrüsenerkrankungen, die dann auch ungünstiger verlaufen. Die Epidemiologen des DKFZ gehen davon aus, dass bei etwa 10 % aller Leukämiepatienten (sowohl bei akuter als auch chronischer Leukämie) ein ursächlicher Zusammenhang mit Übergewicht (BMI > 25kg/m2) besteht (Behrens 2018). Rückfälle und Therapiekomplikationen sind bei Übergewicht häufiger, Krebstherapien sind weniger wirksam (Meenan et al 2018, Abar et al 2019).

Kinder mit hohem Geburtsgewicht erkranken häufiger an akuter lymphatischer Leukämie (Groves, F.D. et al 2018). Laut dem kanadischen Krebsregister sollen Übergewichtige grundsätzlich – unabhängig von der Bösartigkeit – ein deutlich höheres Risiko für Non-Hodgkin-Lymphome und Myelome haben: (HR = 1,62) (Marinac et al 2018).

Kommentar und Empfehlungen: Dass Zytostatika bei dicken Kindern schlechter wirken, könnte an der ungleichen Fettverteilung und dem daher niedrigeren Zytostatikaspiegel im Blut liegen. Fettlösliche Chemotherapeutika lassen sich deshalb auch schwerer dosieren.

Hautkrebs

Gesicherte und vermutete Risiken für den schwarzen Hautkrebs „Melanom“ (X = wahrscheinlich erhöht, XX = doppelt so hoch, XXX = mehr als doppelt so hoch, XXXX = sehr hohes Risiko)

Ein wiederholter Sonnenbrand, speziell im Kleinkindesalter:XXX
Hellhäutige Menschen mit blondem und/oder rotem Haar:XX
Eine hohe Anzahl von Mutter- oder Pigmentmalen am Körper (mehr als 40). Je größer sie sind, desto höher ist das Erkrankungsrisiko:XX
Starkes Übergewicht für den weißen Hautkrebs:XXX
Übergewicht für den schwarzen Hautkrebs:X?
Atypische Pigmentmale (unregelmäßige Form und unscharfer Rand, verschiedenfarbig und fleckig):XX
Veränderung der Größe, Farbe, Form und Dicke von „Muttermalen“:XXXX
Familiäre Häufung:XX
Starker Alkoholkonsum (> 20 g/Tag), besonders für Weißwein bei weißem Hautkrebs (HR = 1,23, Rivera, A et al):X?

Die gefährlichste Form von Hautkrebs ist das Melanom (auch schwarzer Hautkrebs genannt). Wesentlich häufiger – aber weniger gefährlich –sind der weiße Hautkrebs (Basalzellkarzinom und Spinaliom/Stachelzellkarzinom). Sie entstehen vorwiegend auf Hautpartien, die den UV-Strahlen ausgesetzt sind. Melanome entwickeln sich dagegen oft auch an Körperstellen, die dem Sonnenlicht weniger ausgesetzt sind.

Für das Melanomrisiko sind vorrangig Sonnenbrände – speziell in der Kindheit – ein hoher Risikofaktor.

Ob Übergewicht und Körpergröße – neben der Einwirkung von UV-Strahlen – ein Risikofaktor für den schwarzen Hautkrebs sind, wird von Experten unterschiedlich gesehen (Sergentanis et al 2012, Mc Quade et al 2018). Für den weißen Hautkrebs bedeutet starkes Übergewicht ein hohes Risiko.

Kommentar und Empfehlungen: Die Arbeitsgemeinschaft Dermatologische Prävention warnt, dass das Melanomrisiko für Menschen unter 35 Jahren um 60 % steige, wenn sie pro Monat einmal ins Solarium gehen. Wer vor seinem 25. Geburtstag Solarien frequentiert, erhöht sein Risiko für weißen Hautkrebs um mehr als 100 % (Behrens 2018).

Die wichtigste Vorbeugung ist der Schutz vor UV-Strahlen. Kinder und Jugendliche sowie Menschen mit krankheits- oder medikamentös bedingter Immunschwäche sind besonders gefährdet. Bestimmte Medikamente (z. B. Tetracycline, Akne-Mittel und Immunsuppressiva) erhöhen die Gefahr.

Schatten, Kopfbedeckungen, lichtdichte Kleidung und Sonnenschutzmittel reduzieren das Hautkrebsrisiko. Nützlich sind Sonnenschutzmittel mit einem Lichtschutzfaktor von 15 bis 25. In den Bergen ist ein noch stärkerer Sonnenschutz (LSF 50+) notwendig. Die Cremes sollten auch auf die bekleideten Partien aufgetragen werden. Die präventive Wirkung von Sonnenschutzmitteln ist - im Gegensatz zum weißen Hautkrebs - hinsichtlich der Entstehung des malignen Melanoms noch weitgehend ungeklärt und keinesfalls so sicher wie allgemein behauptet.

Nach skandinavischen Studien führt eine signifikante Gewichtsabnahme nach einer bariatrischen Operation zu einer Reduzierung des weißen Hautkrebsrisikos (Taube et al 2020).

Kommentar zur Relevanz der Krebsvorsorge-Früherkennung: Die gesetzlichen Krankenkassen bieten Frauen und Männern, die älter als 35 Jahre sind, alle zwei Jahre eine standardisierte Untersuchung (Hautkrebs-Screening) an. Die Auflichtmikroskopie / Dermatoskopie ist kein Bestandteil dieser -Früherkennungs-Untersuchung, da sie angeblich die Früherkennung nicht verbessert. Die Kosten hierfür werden deswegen von den Krankenkassen nicht erstattet.

Seit 2008 (dem Jahr der Einführung der gesetzlichen Hautkrebsvorsorge) ist die Anzahl dokumentierter weißer Hautkrebs-Neuerkrankungen in Deutschland von 144.000 auf 224.000 (2015) gestiegen. Diese Erfahrung spricht gegen die in der Bevölkerung herrschende Vorstellung, dass Vorsorge-Untersuchungen Krebs verhindern. Das Gegenteil kann zumindest bzgl. der dokumentierten Krebsfälle der Fall sein.

Ob Hautkrebs-Vorsorge-Untersuchungen die Sterblichkeit verringern, kann kaum beurteilt werden, da der weiße Hautkrebs sehr selten tödlich verläuft. Was den wesentlich bösartigeren schwarzen Hautkrebs betrefft, so verläuft dieser – auch unbehandelt – sehr unterschiedlich. Seit einigen Jahren gibt es wirksamere Medikamente gegen diese Krebsart, gegen die man früher machtlos war. Ob die Medikamente heilsam bei einer Früherkennung wirken, muss noch abgewartet werden.

Sicher ist, dass die Situation in der Hautkrebs-Vorsorge symptomatisch ist für die Forderung, der Krebs-Vorbeugung eine stärkere Bedeutung beizumessen als es momentan in Deutschland der Fall ist.

Übergewicht und Krebs

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