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Statistischer Hintergrund

Nach den Kriterien der Weltgesundheitsorganisation sind in Deutschland fast zwei Drittel der Männer (67 %) und mehr als die Hälfte der Frauen (53 %) übergewichtig (BMI > 25 kg/m2). Ein Viertel ist stark übergewichtig (BMI > 30 kg/m2). 3,9 % der Männer und 5,2 % der Frauen sind sogar extrem übergewichtig (BMI > 35 kg/m2). Sie gelten als besonders gesundheitsgefährdet (Robert-Koch-Institut 2018, Car Michael 2004, Völzke et al 2015, S3-Leitlinien 2014, Schaeffer, D et al 2017, Universität Bielefeld 2016, Mons et al 2018, Dietrich et al. 2018). Zwar stagniert in Deutschland gegenwärtig die Zahl der Übergewichtigen (BMI > 25), doch steigt der Anteil der stark Übergewichtigen (BMI > 30 kg/m2) vehement an. Ihre Anzahl hat sich seit 1980 nahezu verdoppelt.

Laut der Nationalen Verzehrstudie ist der Anteil der Übergewichtigen (BMI > 25 kg/ m2) in Mecklenburg-Vorpommern und dem Saarland am höchsten. Den niedrigsten Anteil an Übergewichtigen verzeichnet hingegen Hamburg (Max-Rubner-Institut 2008).

In Saudi-Arabien, den USA und Australien ist Übergewicht ein besonders großes Problem. Den stärksten Anstieg der Dickleibigkeit verzeichnet aber Mexiko, das inzwischen sogar die USA als das Land mit den meisten Übergewichtigen abgelöst hat. In manchen Regionen – so in Polynesien und Mikronesien – hat die Fettleibigkeit epidemische Ausmaße erreicht. Der durchschnittliche BMI soll dort bei Männern 32,2 kg/m2 und bei Frauen 34,8 kg/m2 betragen.

Besonders besorgniserregend ist die Situation bei Kindern und Jugendlichen. Der Anteil extrem dicker Kinder und Jugendlicher hat sich in den vergangenen vierzig Jahren weltweit vervierfacht (WHO 2017). In Deutschland sind heute 15,4 % der Kinder übergewichtig, 4 - 6 % sogar adipös, also stark übergewichtig. In Südeuropa ist starkes Übergewicht verbreiteter als in Nordeuropa (Robert-Koch-Institut 2018, Kiggs Studie, COSI-Studie). Dicke Kinder und Jugendliche mit einem Body-Mass-Index über 30 und einer diabetischen Stoffwechsellage sind keine Seltenheit mehr. Kinderärzte berichten über eine erschreckende Zunahme von Zivilisationskrankheiten im Kindes- und Jugendalter.

Zunehmend erkranken jüngere Menschen an Krebs. Auffallend ist, dass bei ihnen gerade solche Krebserkrankungen zunehmen, bei denen man von einer Assoziation mit der Adipositas ausgeht. Bei Krebserkrankungen – bei denen keine Assoziation mit Übergewicht besteht – gibt es keine Verlagerung in jüngere Altersgruppen (Koroukian et al 2019).

Die Liste der Krebsarten, die nachweislich durch Übergewicht begünstigt werden, wird immer länger. Während Zusammenhänge bei Darm- und Brustkrebs schon lange bekannt sind, zeigen neuere epidemiologische Untersuchungen, dass starkes Übergewicht das Risiko vieler weiterer Karzinome erhöht. Das Deutsche Krebsforschungszentrum geht inzwischen davon aus, dass bei etwa 7 % aller Krebsneuerkrankungen in Deutschland ein enger Zusammenhang mit starkem Übergewicht (BMI > 30) besteht (Behrens et al 2018). Krebsepidemiologen anderer Länder schätzen den Prozentanteil noch höher ein (Pearson-Stuttard et al 2015, 2018). Die IARCC (International Agency for Research on Cancer) behauptet, Übergewicht sei eine (Mit)Ursache bei etwa 25 % der weltweit am meisten verbreiteten Krebserkrankungen (Vainio et al 2002). Übergewicht soll inzwischen den Tabak als wichtigste vermeidbare Krebsursache abgelöst haben. Es soll an der Spitze der vermeidbaren Krebsrisiken stehen, meinen viele Epidemiologen (Renehan 2008, Kyragio et al 2017). Die Lebenserwartung in den OECD-Ländern könnte sich insgesamt um fast drei Jahre verringern, wenn der Trend zu Übergewicht weiter anhält, betont die OECD.


Statistiker haben berechnet, wieviel gesunde Lebensjahre Erwachsene (im Alter von 40 bis 75 Jahren) durch Übergewicht verlieren. Nach ihren Berechnungen sollen übergewichtige Männer und Frauen (BM 25 bis 30 kg/m2) 1,1 gesunde Lebensjahre verlieren. Schweres Übergewicht (Adipositas Grad I = BM 30 bis 34 kg/m2) soll Männern 3,9 und Frauen 2,7 gesunde Lebensjahre kosten. Bei schwerem Gewicht (Adipositas Grad II = BMI > 35 – 40 kg/m2) verlieren Männer 8,5 und Frauen 7,3 gesunde Jahre. Ein BMI von Grad III > 40 kg/m2 soll das Sterberisiko um 4 bis 12 Jahre vorverlegen (Nyberg et al 2018). Je höher das Gewicht, umso mehr Begleiterkrankungen und Risikofaktoren und umso höher das Sterberisiko! Ob Übergewichtige mit einem BMI von 25 bis 29 – also mittlerem Übergewicht – früher sterben als Normgewichtige ist nicht belegt. Ja, es gibt sogar Statistiken, wonach Menschen mit einem BMI von 25 bis 27 die höchste Lebenserwartung haben.

Je nach medizinischer Disziplin gibt es verschiedene Schwellenwerte, ab denen Übergewicht ein gesundheitlicher Risikofaktor ist. So weisen Kardiologen auf ein erhöhtes Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen schon bei leicht erhöhtem Übergewicht hin (also ab einem BMI > 25), während Onkologen von einem erhöhten Krebsrisiko erst ab einem BMI > 30 ausgehen. Letztere messen dem Fettgehalt und speziell der Fettverteilung eine größere Bedeutung bei als dem Körpergewicht. Sie verweisen auf Statistiken, wonach Menschen das höchste Krebs- und Sterberisiko bei gleichzeitig niedrigem Body-Mass-Index (BMI) mit hohem Bauchumfang haben (Pischon et al 2008).

Übergewicht, ein Risiko für (Begleit-)Erkrankungen

Fettreserven aufzubauen, war zu Zeiten der „Jäger und Sammler“ überlebenswichtig. Wer damals den Überschuss der Energien in Fettzellen abspeicherte, hatte in Notzeiten Vorteile, auch – entsprechend der Darwinschen Evolutionstheorie – Selektionsvorteile. Heute bringt Übergewicht Nachteile – und dies nicht nur in gesundheitlicher Hinsicht. Stark Übergewichtige sind auch beruflich und gesellschaftlich benachteiligt, ja werden teilweise gemobbt.

Viele chronische Erkrankungen stehen in ursächlichem Zusammenhang mit Übergewicht. Einige rühren von der Überlastung des Stützskelettes her, andere von überforderten und in ihrer Funktion gestörten Organen. Bei den Begleit- und Folgeerkrankungen liegt der Typ-2-Diabetes ganz vorne, gefolgt von Einschränkungen des Bewegungsapparates, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, einem höheren Risiko für Schlaganfall und nicht zuletzt auch Krebs (Vainio et al 2002). Die schwersten Verläufe von COVID-19 beobachtete man bei untrainierten, stark übergewichtigen Menschen, die hohen Blutdruck und Diabetes mellitus Typ 2 haben. Fettleibigkeit ist ein starker, unabhängiger Risikofaktor für einen ungünstigen Krankheitsverlauf bei COVID-19-Patienten.

Häufige Begleiterkrankungen bei starkem Übergewicht

• Einschränkungen des Bewegungsapparates (z. B. Rückenschmerzen, Arthrosen)

• Herz-Kreislauf-Erkrankungen (z. B. Koronare Herzerkrankung, Herzinfarkt, Herzinsuffizienz)

• Bluthochdruck (z. B. Schlaganfall, Arteriosklerose)

• Beeinträchtigungen der Lungenfunktion (z. B Schlaf-Apnoe-Syndrom, Asthma, Pickwick-Syndrom)

• Beeinträchtigung der Schlafqualität

• Entstehung von Magen-Darm-Erkrankungen (z. B. Gallensteine, Reflux-Erkrankungen, Fettleber, Leberzirrhose)

• Stoffwechselerkrankungen (z. B. metabolisches Syndrom, Typ-2-Diabetes, Gicht, Fettstoffwechselstörungen, Eisenmangel)

• Urologische Erkrankungen (z. B. Urininkontinenz, Prostatakrebs, Nierenkrebs)

• Psychiatrische Erkrankungen (Angststörungen und Depressionen)

• Krebserkrankungen (z. B. Karzinome des Dickdarms, der Leber, der Gallenblase, des Uterus, der Brust, der Eierstöcke, der Prostata, der Niere und der Bauchspeicheldrüse)

• Augenerkrankungen (z. B. Katarakt)

• Dermatologische Erkrankungen (z. B. Intertrigo, Dermatitis)

• Gerinnungsstörungen (z. B. Thrombosen und Thromboembolien, tiefe Beinvenenthrombosen)

• Vorzeitiger geistiger Verfall, bis hin zur Demenz (?)

• Funktionsstörungen (z. B. Zuckerstoffwechsel, Beeinträchtigung der Periode, unerfüllter Kinderwunsch, geringere Wirksamkeit der hormonellen Antikonzeption („Pille“)

• Schwerer Verlauf bestimmter Viruskrankheiten (z. B. COVD-19)

• Hohe Operationsrisiken und Therapiekomplikationen

Übergewicht und Krebs

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