Читать книгу Hexenzirkel 3: Das Lied des auferstandenen Gottes - R.A. Salvatore - Страница 12
Der Feind meines Feindes
Оглавление»Bleibt zusammen«, mahnte Tamilee, was sich aber eher an sie selbst richtete als an ihre beiden lebenslangen Freunde, die Brüder Asef und Asba. Sie waren als Nachbarn in dem kleinen Fischerdorf Carrachan-Bucht aufgewachsen, hatten ihr Leben zusammen verbracht, hatten gejagt, gefischt, gespielt, ihre Grenzen ausgelotet, ihre Hoffnungen und Ängste miteinander geteilt.
Tamilee liebte die beiden wie Brüder – nein, sogar noch mehr. Sie stellte sich oft vor, wie es wohl wäre, mit einem der beiden eine Familie zu gründen. Sie wusste, dass sie in den Armen von beiden ihr Glück finden würde. Sie ähnelten sich so sehr. Sie sahen sich mit ihren verlängerten Schädeln, die nur einen Buckel hatten, den braunen Haaren, den im gleichen Stil geschnittenen Bärten und den stechend blauen Augen – im ganzen Dorf besaß niemand abgesehen von Tamilee ähnlich blaue Augen – sogar zum Verwechseln ähnlich. Asef war schlanker und schneller, aber Asba gehörte zu den stärksten Männern im Dorf.
Und nun, da ein Großteil der Dorfbewohner abgeschlachtet und das Dorf selbst zerstört worden war …
»Sie sind überall«, erwiderte Asba leise und Asef nickte zustimmend.
Die drei gehörten einer Gruppe von über zwanzig Flüchtlingen an, die sich am dünn bewaldeten Westrand des Bergkraters entlangbewegte – des Kraters, der einmal ein See gewesen war, über den sie und alle anderen gesegelt waren, um der gewaltigen Invasion der Ungeheuer mit den seltsamen Gesichtern zu entkommen. Seit sie an Land gegangen waren, hatten sie keinen einzigen der Eroberer zu Gesicht bekommen, aber sie wussten, dass sie da waren. Sie alle wussten es.
Die Ungeheuer waren überall.
»Wir hätten auf dem See bleiben sollen«, flüsterte Asef und trat zwischen die beiden anderen. »Es war dumm, nach Westen abzubiegen.«
»Nur die schnellen Boote haben es geschafft«, rief ihm Tamilee ins Gedächtnis. »Wir waren überladen und langsam.«
Asef wollte etwas darauf erwidern, schloss den Mund jedoch rasch wieder und nickte. Was hätte er auch sonst tun sollen? Welche Argumente hätte er vorbringen können? Ihr Boot war für ein Dutzend Personen gedacht, aber es waren doppelt so viele an Bord gewesen. Deswegen hatte es tief im Wasser gelegen und war nur mühsam vorangekommen. Sie hatten das Massaker, das sich hinter ihnen abspielte, mit angesehen: die Explosionen am gegenüberliegenden Ufer und das Auftauchen des großen Seeungeheuers. Sie hätten die Boote, die auf das Nordufer von Loch Beag zusteuerten, nur einholen können, wenn sie die Hälfte der Leute über Bord geworfen hätten. Doch die wären dann entweder ertrunken oder gefressen worden.
Also hatten sie genau wie viele andere Boote das Westufer des großen Sees angesteuert, waren dort an Land gegangen und hatten sich die ganze Nacht aus Angst vor Explosionen und brennenden Steinen, die durch die Luft flogen, versteckt. Ein Energiestrahl, der vom Fireach Speuer herabgeschossen war, hatte die magische Katastrophe ausgelöst. Er hatte einen Großteil des Gebirges, das den See im Osten eindämmte, vernichtet und eine Kluft geschaffen, die mehrere Hundert Meter hinabführte, in die Wüste der Schwarzen Steine – eine Wüste, die dank des durch diese Lücke im Gebirge ausgelaufenen Loch Beag zu einem gewaltigen See geworden war.
So unvermittelt hatte sich ihre ganze Welt verändert.
»Wir sollten nach Norden gehen, nicht nach Süden«, schlug Asba vor und das nicht zum ersten Mal. Die Leute aus ihrem Boot waren noch vor Sonnenaufgang aufgebrochen und nach einigem Hin und Her hatten die Ältesten unter ihnen entschieden, dass sie nach Süden gehen würden, zum Dorf Car Seileach, und auf dem Weg dorthin die Flüchtlinge mitnehmen würden, deren Boote in der Nähe gestrandet waren.
»Wir müssen zu den anderen und den Bewohnern von Car Seileach stoßen, damit wir gemeinsam zurückschlagen können«, sagte Asef, aber Asba schüttelte unablässig den Kopf, während sein Bruder sprach.
»Wir drei sollten nach Süden gehen«, sagte Tamilee und stimmte damit den Argumenten zu, die Asba bei der Versammlung am frühen Morgen vorgebracht hatte. »Nur wir drei, nicht alle. Allein kämen wir schneller voran.«
»Wir wären vor allem leiser«, warf Asba ein.
»Richtig. Und wir könnten sie einholen, bevor sie die Leute erreichen, die zum Nordufer gefahren sind«, fuhr Tamilee fort. Sie sah sich zu denen um, die neben, vor und hinter ihnen gingen. »Zu viele, zu laut, zu langsam.«
»Und die Sidhe mit den bemalten Gesichtern sind ganz in der Nähe«, sagte Asef. »Ich kann sie spüren.«
Kalte, nackte Angst legte sich auf Connebraghs Schultern. Sie wusste, dass sie nicht in der kleinen Höhle unter einigen freiliegenden Baumwurzeln bleiben konnte, aber wohin sollte sie gehen? Sie konnte nicht zu ihrem Stamm, den Usgar auf dem Berg, zurückkehren, denn ihre Leute waren abgeschlachtet worden.
Oder verdorben und versklavt worden, rief sie sich ins Gedächtnis, als sie an die anderen Frauen aus dem Hexenzirkel dachte, die wahrscheinlich immer noch um den Gottkristall herumtanzten und diesem schrecklichen Riesen-Sidhe mit trunkener Bewunderung huldigten.
Sie betrachtete ihren einzigen wertvollen Gegenstand, den Speer, der dem gefallenen Ahn’Namay, einem der Anführer ihres verlorenen Stamms, gehört hatte. Sie hatte ihn der Leiche abgenommen, die von den mit beängstigender Genauigkeit und Kraft geworfenen Speeren der Eroberer durchsiebt worden war.
Sie versetzte ihre Gedanken in die Kristallspeerspitze und suchte nach der Magie, nach dem Lied Usgars, das darin steckte. Sie hörte das Flüstern zweier Steine: jenes der grünen Sprenkel, die ihr Gewicht reduzierten und es ihr erlaubten, schnell über die unwegsamen Abhänge zu laufen, und das der winzigen, funkelnden Diamanten, die Licht und Dunkelheit hervorbringen konnten. Sie spürte auch den Wedstein – in jeden Usgarspeer war ein Stück dieses Heilsteins eingearbeitet, der auch den Schlüssel zu aller Magie darstellte –, aber der in diesem Speer war nicht sonderlich stark.
Sie fand keine Spur von Angriffsmagie, weder Blitz noch Feuer, was wohl auch besser war, denn sie hatte keine Ahnung, wie man einen Speer im Kampf einsetzte. Im Gegensatz zu den Seebewohnern erlaubten die Usgar nur Männern, Krieger zu werden. Nur Männern. Connebragh verzog das Gesicht, als sie an die Szene auf dem heiligen Plateau dachte. Die Eroberer mit den bemalten Gesichtern hatten Speere auf ihr Volk niederregnen lassen, was schreckliche Konsequenzen gehabt hatte. Sie war keine Kriegerin, aber spielte das überhaupt eine Rolle? Selbst wenn sie so kampfgestählt wie Tay Aillig gewesen wäre, hätte sie keine Chance gegen diese fremden Ungeheuer gehabt – und die, daran dachte Connebragh als Nächstes, waren nicht einmal ihr einziges Problem. Sie war nicht nur von Ungeheuern umgeben, sondern auch von feindlichen Uamhas, den Seevölkern, die von den Usgar regelmäßig überfallen, umgebracht und versklavt wurden. Die Schädel dieser Uamhas wurden von Geburt an verformt, sodass sie manchmal einen Buckel aufwiesen, der sich nach hinten und oben erstreckte, manchmal auch zwei und ab und zu sogar zwei unterschiedliche, die sich nach links und rechts neigten. Connebragh fand die Uamhas sogar noch abstoßender als die Eroberer.
Würden die Uamhas sie nicht ebenso sehr hassen?
Konnte sie die Uamhas überhaupt als Menschen betrachten?
Die Frau schloss die Augen und hörte erneut die Schreie, die durch die Nacht gellten, Schreie der Seebewohner, die von den Eroberern gejagt und getötet wurden. Sie hatte diese Morde nicht gesehen, aber gehört, und die Uamhas hatten so geschrien wie ein Usgar, hatten manchmal nach ihren Freunden gerufen oder ihrer Mutter.
Die Laute hatten sich in Connebraghs Herz und ihre Seele gebohrt und hatten in ihrem improvisierten Lager unter den Baumwurzeln einen Fluss aus Tränen hervorgebracht. Sie hatte jeden Tod deutlich gespürt.
Die Frau atmete tief durch, um sich zu beruhigen, und nahm ihren Speer fest in die Hand. Sie sah sich um. Wohin sollte sie gehen? Einen Moment lang dachte sie darüber nach, auf den Berg zurückzukehren, um nach weiteren Speeren, Magie und vielleicht sogar nach anderen Usgar zu suchen, doch sie schlug sich die Idee rasch aus dem Kopf, als sie einen Blick nach Südosten warf, zum riesigen Fireach Speuer, und dort den Lärm der Sidhe-Eroberer hörte, die scheinbar aus allen Richtungen heranströmten.
Sie beschwor die grünen Sprenkel, damit ihre Schritte leichter und schneller wurden, dann lief sie in Richtung Norden, huschte von Schatten zu Schatten, von Baum zu Baum.
Bereits kurze Zeit später war die Frau froh über ihre Vorsicht, denn sie entdeckte einige Sidhe, deren Gesichter in der Morgensonne rot und blau leuchteten. Sie bildeten eine Kolonne, die östlich von ihr nahe dem Rand des Beckens entlangmarschierte. Ihre Reihen und ihr Gleichschritt ließen auf Disziplin schließen. Das war eine große Streitmacht, die sich wie eine Einheit bewegte.
Connebragh eilte weiter und versuchte, einen Vorsprung zu ihnen aufzubauen, aber dann blieb sie neben einer Trauerweide stehen und spähte durch die herabhängenden Laubstränge, die sich in der Morgenbrise wiegten. Sie hatte eine Gruppe Uamhas entdeckt, vielleicht zwei Dutzend, die in Richtung Süden unterwegs waren.
Connebragh warf einen Blick zurück, in Richtung der näher rückenden Eroberer.
Diese Leute waren verloren.
Sie rief sich ins Gedächtnis, dass das Seebewohner waren, Uamhas, keine richtigen Menschen, die nur zu einfachen Sklavenarbeiten taugten. Waren sie besser als die Eroberer, die sie bald abschlachten würden?
Connebraghs Gefühle beantworteten die Frage, bevor ihre Gedanken zu ihnen aufschließen konnten.
Sie wandte sich gen Osten, blieb in den Schatten, lief aber schneller, während sie sich fragte, wie sie den Menschen eine Warnung zurufen sollte.
»Wir sollten die anderen zum Umkehren bewegen«, sagte Asef kopfschüttelnd. Die Gruppe hatte einige gestrandete Boote ihrer Verwandten und Nachbarn gefunden, aber keine anderen Flüchtlinge. »Das ist hoffnungslos. Ihr habt die Schreie aus Car Seileach doch draußen auf dem See gehört.«
»Ja und dort werden wir unsere Freunde finden«, erwiderte eine ältere Frau.
»Und diese Ungeheuer zurück über den Berg jagen«, stimmte ein Mann mittleren Alters zu.
»Und wenn die Stadt tot ist?«, wandte Tamilee ein. »Wenn die Sidhe sie ebenso überrannt haben wie Carrachan-Bucht und Fasach Crann? Wie kommt ihr auf die Idee, dass dort nicht das Gleiche passiert ist?«
»Pah!«, schnaubte der Mann. »Wohin würdest du denn gehen?«
»Nach Norden!«, erwiderten Asef und Tamilee gleichzeitig. Hinter ihnen nickte Asba zustimmend und seufzte.
Tamilee wollte den Streit fortsetzen, hatte aber kaum den Mund aufgemacht, da kam von Westen her etwas durch die Weiden auf sie zugeflogen. Alle Blicke folgten dem ihren, dann stoben die Menschen auseinander. Der Gegenstand sah wie ein armlanger Weidenast aus, der Blätter hinter sich herziehend durch den Himmel rauschte, so als hätte man ihn geworfen, oder besser gesagt, als würde er von unsichtbaren Winden getragen.
Die Menschen wichen aus, als er über ihnen innehielt und dann auf einmal zu Boden fiel.
»Ein Ast?«, meinte Asef verwundert.
»Lauft!«, schrie die Stimme einer Frau, die sich irgendwo zwischen den Weiden zu verstecken schien. »Lauft! Sie kommen! Lauft um euer Leben!«
»Was?«, fragte Asef.
»Was war das?«, wollte Tamilee wissen und starrte den Ast an, denn genau darum handelte es sich. Es war ein Weidenast, der aus den Bäumen herangeschwebt war, um ihre Aufmerksamkeit zu erregen.
»Magie«, knurrte der Mann mittleren Alters, während er seinen Speer hochhob und schüttelte.
»Usgar«, stimmte die alte Frau zu.
Die Gruppe teilte sich auf. Freunde, die einander vertrauten, kamen zusammen und bildeten sofort improvisierte Verteidigungslinien, allerdings waren sie verstreut und würden einem größeren Angriff nicht standhalten können.
»Sie sagte, wir sollen laufen«, rief Tamilee den anderen ins Gedächtnis und wich nach Norden zurück.
»Wer ist sie?«, fragten mehrere Leute gleichzeitig.
»Eine Usgar, die uns vertreiben will«, entgegnete die alte Frau.
»Warum sollte sie das tun?«, meldete sich Asba zu Wort. »Gibt es überhaupt noch Usgar? Die Ungeheuer sind doch über den Fireach Speuer gekommen, wie ein Schwarm auf allen Pfaden.«
»Vielleicht haben die Usgar sie geholt!«, sagte die alte Frau und wackelte mahnend mit ihrem krummen Zeigefinger.
Die drei jungen Freunde sahen sich unsicher an.
»Die Hälfte der Leute hier kann nicht kämpfen«, flüsterte Asef. »Man wird uns überrennen.«
»Was sollen wir deiner Meinung nach tun?«, fragte Tamilee.
»Wir können sie nicht im Stich lassen«, sagte Asef. »Sie werden sterben.«
Jemand an der Spitze der Gruppe schrie etwas, was die Unterhaltung beendete. Als die drei Freunde sich umdrehten, bestätigten sich ihre schlimmsten Befürchtungen. Durch die Bäume kamen die Fremden mit den blau und rot leuchtenden Gesichtern, mit tödlichen Speeren in der Hand und auf dem Rücken von grün-goldenen Kragenechsen, die mit zuckender Zunge galoppierten, während ihr langer Rücken bei jedem Schritt von einer Seite zur anderen schaukelte.
»Kämpft!«, schrie der Mann mittleren Alters.
»Lauft!«, brüllten Asba und Tamilee gleichzeitig über ihn hinweg, denn sie wussten, dass sie gegen diese Streitmacht keine Chance hatten.
»Wir können sie nicht im Stich lassen«, sagte Asef. Er hob seinen Speer und sprang an ihnen vorbei, doch im gleichen Moment schossen die Angreifer die erste Salve ab.
Ein todbringender Regen aus Speeren.
Fast die Hälfte der Seebewohner ging zu Boden, unter ihnen auch Asef. Er drehte sich, während er vor Schmerzen knurrend stürzte. Oberhalb seiner rechten Hüfte steckte ein Speer.
Tamilee erreichte ihn als Erste und warf sich auf ihn, damit er sich nicht zur Seite drehte und den Speer noch tiefer in seinen Körper drückte. Sie zwang ihn, sich auf den Rücken zu legen, und während Tamilee noch nach seinem Bruder rief, packte sie den Speer und riss ihn zusammen mit einem Blutschwall und verknoteten Eingeweiden heraus.
Wie laut der arme Asef schrie!
Asba wich entsetzt zurück und Tamilee zog ihr Hemd aus, warf sich auf die Wunde, drückte die Eingeweide wieder hinein und versuchte, die Blutung zu stillen.
Asba riss sich rasch zusammen, packte seinen Bruder am Arm, warf ihn sich über die breiten Schultern und lief davon. Tamilee war dicht hinter ihm.
Die anderen Leute flohen Hals über Kopf, die meisten in Richtung Norden, einige nach Osten, aber die drei schlugen die entgegengesetzte Richtung ein und liefen nach Westen, wo die warnende Stimme erklungen war. Sie bahnten sich ihren Weg durch die Weiden, froh über die Deckung, rannten, stolperten, taumelten und liefen einfach nur weg, ohne auf die Richtung zu achten.
Nur weg.
Hinter ihnen gellten Schreie, anfangs mehrere gleichzeitig, dann nur vereinzelt, und sie stellten sich die letzten Momente der Dorfbewohner vor, ihrer Freunde, bevor ewige Dunkelheit sie umfing.
Asba und Tamilee warfen nicht einmal einen Blick zurück, weil sie dafür langsamer hätten laufen müssen. Sie waren in ihrem Entsetzen gefangen, rannten um ihr Leben und um Asefs Leben, das bei jedem Schritt blutrot aus ihm herausfloss.
Sie wussten nicht, wie weit sie gekommen waren, wie viel Strecke sie hinter sich gebracht hatten, doch die nun nur noch gelegentlich ausgestoßenen Schreie schienen inzwischen weit entfernt zu sein.
Der Untergrund wurde rauer, es gab mehr Steine und weniger Bäume, und Asba ging taumelnd auf ein Knie.
»Wir müssen weiter«, sagte Tamilee eindringlich. Er nickte nur, weil er zu stark keuchte, um zu antworten, und kam mühsam wieder auf die Beine.
Sie führte ihren Freund noch weiter vom Schlachtfeld fort, hielt aber fluchend inne, als der Boden vor ihnen abfiel und sich in eine bis dahin verborgene Schlucht verwandelte, so wie man sie oft auf dem zerklüfteten Ayamharas-Plateau vorfand. Tamilee suchte nach einem Weg nach unten und entdeckte tatsächlich einige steile Pfade, aber würden sie es heil bis nach unten schaffen, solange Asba Asef auf der Schulter trug? Sie warf einen Blick auf ihre Freunde und versuchte zu erkennen, wie stark Asef noch blutete, und ob sie eine Chance hatten, den Abstieg zu bewältigen. Sie drehte sich um und wollte Asba nach seiner Meinung fragen, doch die Worte blieben ihr im Hals stecken.
Sie waren nicht entkommen.
Sie entdeckte den auf einer Echse reitenden Eroberer, der von der Seite auf sie zukam, nur deshalb, weil der Schwanz der Echsen hinter einem Baum hervorragte. Die Echse steuerte direkt auf Asba zu. Ihr kam der Gedanke, dass der Reiter sie nicht bemerkt hatte.
Asba drehte sich rasch um und duckte sich, wobei er den stöhnenden Asef von seiner Schulter zu Boden gleiten ließ.
Tamilee sprang vor, um einzugreifen. Sie wusste, dass sie zu langsam war, deshalb packte sie den Speer in ihrer Verzweiflung an seinem stumpfen Ende und schwang ihn herum wie einen Schläger. Pures Glück sorgte dafür, dass sie den richtigen Zeitpunkt erwischte. Der Reiter tauchte in dem Moment vor ihr auf, als der Speer herumschwang. Er streifte ihn nur und wurde kaum langsamer, aber er traf den Reiter genau am Hals und die scharfe Spitze schlitzte die goldene Haut auf. Dann schlug der Speer gegen den Stamm einer Weide und wurde Tamilee aus den Händen geprellt.
Der Reiter keuchte, griff nach seiner Kehle und drehte sich halb zu ihr um. Dabei verlor er den Halt und rutschte aus dem Sattel, sodass er auf der von Tamilee abgewandten Seite der Echse zu Boden ging.
Tamilee sah sich um und unterdrückte einen Schrei, damit nicht noch weitere Feinde angelockt wurden. Entsetzt bemerkte sie, dass die Echse ihren Angriff auf Asba fortsetzte. Die scheußliche Kreatur brauchte dafür wohl keinen Befehl.
Asba warf sich nach rechts, preschte in Richtung der Schlucht und winkte heftig, um die Echse von seinem Bruder abzulenken. Als Tamilee erkannte, was er vorhatte, erholte sie sich von dem Schreck und griff nach ihrem Speer.
Sie hob ihn auf und fuhr herum, weil sie ihn werfen wollte, aber dann stockte ihr der Atem, denn ihr wurde schlagartig bewusst, dass sie keine Zeit mehr hatte.
Die Echse stieß sich ab und sprang auf Asba zu, der mit einer solchen Geschicklichkeit nicht gerechnet hatte.
Sie flog durch die Luft und Asba versuchte auszuweichen, stolperte jedoch auf dem unebenen Untergrund und ging auf ein Knie. Er versuchte, seinen Speer rechtzeitig hochzureißen, um damit das lebende Geschoss, das unaufhaltsam auf ihn zukam, abzuwehren.
Tamilees verzweifelter Gesichtsausdruck – und auch Asbas – verwandelte sich in Verwirrung, als die Echse den Bogen, den sie mit ihrem Sprung beschrieb, nicht vollendete, sondern auf einmal mit ausgestreckten Klauen, die kein Ziel fanden, in der Luft zu schweben schien, so als hätte eine unsichtbare Hand sie gepackt. Die Echse wand sich und schlug um sich. Doch sie konnte ihren Kurs nicht beeinflussen, sondern schwebte weiter an Asba vorbei und über den Rand der Schlucht hinweg. Dort blieb sie in der Luft hängen und zischte Asba wütend an.
Dann stürzte sie in die Tiefe, so als hätte die unsichtbare Hand sie einfach losgelassen.
Asba drehte sich zu Tamilee um, die nur mit den Schultern zuckte und den Kopf schüttelte, denn sie konnte ihm keine Erklärung anbieten. Als Asba zu seinem Bruder zurücklief, ging sie zu dem reglos am Boden liegenden Angreifer, stellte sich über ihn und richtete ihren Speer auf seine Kehle.
»Wer bist du?«, fragte sie scharf.
Der Fremde starrte sie hasserfüllt und schweigend an, mit blauen Augen, die sich am Rand der blau gefärbten Bereiche auf seinem Gesicht befanden. Der rote Streifen in der Mitte zog sich über seine Nase.
»Das ist keine Kriegsbemalung«, sagte Asba, der neben sie trat, während Tamilee und der Fremde sich gegenseitig musterten. »Eine Tätowierung?«
Er ging in die Hocke und schüttelte den Kopf. »Nein«, sagte er sichtlich angewidert. »Ich glaube nicht. Ich … ich glaube, das ist seine Haut.«
»Wer bist du?«, wiederholte Tamilee.
Der hilflose Mann versuchte, etwas hervorzubringen, anscheinend einen geknurrten Fluch, aber bei der Bewegung floss noch mehr Blut aus seiner Wunde, also erwiderte er einfach Tamilees Blick mit hasserfüllter Miene.
»Wir müssen weg«, sagte Asba zu ihr.
Tamilee betrachtete das verzerrte Gesicht des Fremden ein letztes Mal, dann drückte sie ihren Speer nach unten, zwischen die Finger an seinem Hals und durch die Kehle hindurch. Sie verlagerte ihr Gewicht von einer Schulter auf die andere, um die breite, ins Holz eingelassene Speerspitze zu drehen.
Der Fremde schlug nur kurz um sich, dann zitterte er einige Herzschläge lang, seine letzten Herzschläge. Schließlich rührte er sich nicht mehr.
»Ich weiß«, sagte Tamilee zu ihrem Freund.
Die beiden nickten sich grimmig zu, bevor Asba zu seinem Bruder lief, ihn sanft hochhob und Tamilee folgte, die zur Schlucht ging. Sie spähte über den Rand und entdeckte die Echse am Grund. Sie lebte noch, lag jedoch zerschmettert und sich windend auf dem Rücken.
Tamilee versuchte, sich für einen Weg in die Schlucht zu entscheiden, und blickte dann zurück zu Asba, der näher kam.
Asef blutete erneut.
Asef lag im Sterben.
»Geh!«, sagte Asba zu ihr und seine zitternde Stimme verriet ihr, dass ihm das ebenso bewusst war.
Tamilee konnte sich nicht vorstellen, dass es ihnen gelingen würde, Asef nach unten zu tragen, aber sie kletterte trotzdem zum ersten Vorsprung hinab, der sich nicht weit unter ihr befand. Von dort aus konnte sie Asba sehen und ihm herunterhelfen.
Tamilee glitt zur Seite, hockte sich hin, dass sie fast saß, und benutzte ihre Hände, um sich auf den nächsten Vorsprung fallenzulassen. Dieser war viel schmaler und abschüssiger und die losen Steine verrutschten so sehr unter ihren Füßen, dass sie sich nur dank ihrer Hände, die sich am Gestein über ihr festhielten, aufrecht halten konnte.
Sie verlor jedoch ihren Speer, der zuerst über den Abhang rutschte und dann in die Schlucht fiel.
»Wie sollen wir das schaffen?«, fragte Asba, der nicht wusste, wie er zu ihr gelangen sollte.
Es war unmöglich. Er musste ihr Asef anreichen, aber selbst das war problematisch, da sie hier unten keinen festen Stand hatte. Er ließ Asef sanft von seinen Schultern gleiten, hielt ihn an den Armen fest und versuchte, ihn bis zu Tamilee auszustrecken.
Doch als sich Asef streckte, riss seine Wunde weiter auf. Blut schoss heraus und seine Eingeweide kamen wieder zum Vorschein.
Asef schrie und Asba zog ihn zurück auf den oberen Vorsprung. Tamilee kletterte rasch nach oben, um ihrem verwundeten Freund zu helfen.
»Lasst mich zurück. Lasst mich zurück«, sagte Asef wieder und wieder. Er brachte jedes Wort unter Qualen hervor.
»Nein! Niemals!«, sagte Asba.
»Geht! Lauft!«, flehte Asef ihn an. Er brachte die Kraft auf, sich auf einen Ellenbogen zu stützen und griff mit einer Hand nach Asbas Kragen. »Geht!«
Er sank sogleich wieder stöhnend zu Boden, flüsterte aber weiter: »Ich bin doch schon tot. Geht … lauft.«
Tamilee sah Asba an, der ihren Blick entsetzt erwiderte, weil ihm endgültig klar geworden war, dass sie Asef nicht den Abhang hinunterbringen konnten.
»Wir müssen einen anderen Weg finden«, sagte Asba fest, aber als er den Satz beendete, hörten sie, wie sich weitere Feinde näherten. Sie waren nicht weit entfernt.
Asba bewegte sich schlitternd über den schmalen Vorsprung und warf einen Blick in die Richtung, aus der sie gekommen waren. Dort entdeckte er eine Bewegung, nicht weit weg, und wollte nach seinem Speer greifen, duckte sich dann aber, als er die Person besser erkennen konnte. Das war kein buntgesichtiger Fremder, aber trotzdem ein unerwünschter Anblick.
Tamilee kauerte auf dem unteren Vorsprung und beobachtete, wie ihr Freund den Rücken an die Felswand presste. Er schwitzte stark, als er sie ansah und die Lippen bewegte: Usgar!
»Lasst mich zurück«, rief Asef mit aller Kraft, die noch in ihm steckte, und die Anstrengung brachte einen weiteren Blutschwall aus seiner furchtbaren Wunde hervor. Er krümmte sich zusammen.
Asba lief zu ihm und fiel neben seinem Bruder auf die Knie.
»Geht! Ihr müsst gehen!«, flüsterte jemand scharf, aber diesmal war es nicht Asef. Tamilee und Asba sahen auf und entdeckten sie: strohfarbenes Haar, ein Kopf, der nicht durch Einwickeln geformt worden war. Eine Usgar, die einen tödlichen Speer mit Kristallspitze in der Hand hielt, das verhasste Wahrzeichen des Stamms.
Asba kam auf die Beine oder wollte es wenigstens, denn als er sich erhob, rutschte er auf dem Dreck und den losen Steinen aus und schlitterte den Abhang hinunter.
Tamilee wollte ihn festhalten, doch sein Gewicht und ihr schlechter Stand sorgten dafür, dass sie beide den abschüssigen Vorsprung hinabrutschten, dann fielen und schwer auf dem Vorsprung darunter landeten. Dort konnten sie sich festhalten. Sie waren zerkratzt und zerschlagen, aber nicht schwer verletzt. Als sie einen Blick nach oben warfen und Asefs Füße über den obersten Vorsprung hängen sahen, fragten sie sich einen Moment lang, wie sie zu ihm gelangen sollten. Doch dann tauchte der Kopf der Usgar neben diesen Füßen auf und ein Arm, der sie mit hektischem Winken zur Flucht aufzufordern schien.
Ein Speer zischte über ihr durch die Luft.
Tamilee und Asba hatten keine Wahl. Sie flohen nach unten, und zwar so schnell sie konnten. Tamilee stieß Asba vor sich her, damit er sich beeilte und nicht zurückblickte. Tamilee drehte sich jedoch ein einziges Mal um und sah, wie die Usgar über den obersten Vorsprung kam.
Sie hatte keine Ahnung, was sie von alldem halten sollte.
Allerdings wusste sie im tiefsten Inneren, dass Asef, ihr Freund, ihr lebenslanger Begleiter, mit Sicherheit tot war.
Connebragh war sich im Klaren darüber, dass sie keine Zeit hatte, und ihr war bewusst, dass sie den tödlich verwundeten Mann zurücklassen musste.
Doch das konnte sie nicht.
Sie sagte sich, dass er nur ein Uamhas war und dass er ihr egal sein sollte. Aber er war ihr nicht egal. Nach all den Schrecken der letzten zwei Tage, nach all den Umwälzungen und der Ankunft der buntgesichtigen Ungeheuer war ihr nichts geblieben. War ihr niemand geblieben.
Sie musste sich beeilen.
Sie ließ sich erneut in das Lied der Speerspitze fallen, in dieselben grünen Sprenkel, die sie benutzt hatte, um den Sprung der Echse zu verlängern und sie über den Rand in die Schlucht zu schicken. Nun reduzierte sie das Gewicht des verletzten Uamhas und zog ihn zu sich. Sie konzentrierte sich vollends auf das Lied, als er in ihren Armen lag, benutzte es, um sein und ihr Gewicht zu verringern, dann rutschten und glitten sie sanft auf den dritten Vorsprung hinab.
Doch die buntgesichtigen Sidhe-Ungeheuer waren inzwischen angekommen, das verrieten ihr die Geräusche von oben. Sie waren direkt über ihr und würden schon bald nach unten sehen.
Auf dem dritten Vorsprung gab es einen Überhang und unter den kroch Connebragh mit dem Verletzten. Die Usgar lenkte ihre Konzentration erneut auf die Speerspitze. Sie war körperlich und geistig erschöpft, aber sie durfte jetzt nicht scheitern. Sie brauchte die Magie.
Sie hörte, wie die Sidhe nach unten kletterten.
Eine Kugel aus Dunkelheit umgab Connebragh und den Mann. Er stöhnte und sie presste ihm die Hand auf den Mund.
»Ein Laut und wir sind beide tot«, flüsterte sie ihm zu und drückte fester zu, um ihn zum Schweigen zu bringen.
Allerdings änderte sie sofort ihre Taktik und brachte ein anderes Lied aus der magischen Speerspitze hervor, die schwächste der drei Magien. Der Wedstein sorgte dafür, dass man auf die Kräfte der Speere zugreifen konnte, und diente gleichzeitig der Heilung. Connebragh lockte seine Magie hervor, jedoch nicht mit aller Kraft, denn sie musste auch die dunkle Kugel aufrechterhalten.
Der Verwundete beruhigte sich sofort.
Connebragh konzentrierte sich und hielt den Atem an. Sie spürte die Sidhe über sich.
Dann waren sie direkt vor ihr auf dem dritten Vorsprung! Sie hörte sie nur wenige Schritte entfernt. Sie waren zu zweit, aber weiter oben gab es bestimmt noch mehr.
Sie merkte, wie der Mann sich anspannte, und wusste, dass auch er sie wahrgenommen hatte.
Aber er blieb genauso ruhig wie sie und irgendwie gelang es ihr, die eigenen Grenzen zu überwinden und sich an das magische Lied zu klammern. Ihre Verzweiflung war stärker als die Erschöpfung. Connebragh wusste, dass ihr Leben auf dem Spiel stand, und das brachte eine bisher verborgene Kraft in ihr hervor.
Sie hielt durch.
Die buntgesichtigen Ungeheuer zogen ab.
Kurz darauf schwand die magische Dunkelheit. Connebragh, die so erschöpft war, dass sie sich kaum noch bewegen konnte, kroch ein Stück unter dem Überhang hervor und sah sich um.
Es war still.
Hinter ihr stöhnte der Uamhas.
Connebragh seufzte. Sie war sich sicher, dass er sterben würde. Sie hatte keine Kraft mehr übrig und die Heilmagie in dieser Speerspitze war schwach, kaum der Rede wert. Sie dachte darüber nach, zu fliehen und diesen Ort des Todes weit hinter sich zu lassen.
Aber nein. Connebragh schüttelte trotzig den Kopf und kroch zurück zu dem Mann. Sie untersuchte die Wunde. Sie schob die Eingeweide zurück in den Körper.
Dann beugte sie sich über ihn und verlangte dem Speer alles ab, was darinsteckte.
Sie wusste nicht, ob sie das tat, um dem Mann das Leben zu retten, oder um den buntgesichtigen Ungeheuern diesen Sieg zu nehmen.
Das spielte keine Rolle. Wütend und entschlossen widmete sie sich der Wunde.
»Dann begrabe ich ihn eben«, knurrte Asba und Tamilee wich zurück. »Ich werde meinen Bruder nicht den Geiern überlassen.«
Tamilee verstand das und sie wollte ihren Freund nicht noch mehr aus der Fassung bringen. Die Geschehnisse hatten sie beide unglaublich mitgenommen. Sie hatten eine schlaflose Nacht im Wald verbracht und sich vor den Eroberern versteckt, die ihn durchstreiften. Doch selbst, als die Feinde abgezogen waren, hatten sie keinen Schlaf gefunden.
Schließlich lag Asef noch dort auf dem Felsvorsprung. Asef, der wahrscheinlich tot war.
Sie schlichen zurück in die Schlucht und gingen in Deckung. Denn dort oben entdeckten sie die Usgar, die auf dem obersten Vorsprung stand, ihnen den Rücken zudrehte und den Blick gen Osten richtete.
Asba hob entschlossen seinen Speer. Für einen Wurf war sie zu weit entfernt, mindestens zwölf Meter über ihnen, aber er suchte sich einen Weg nach oben und setzte sich leise in Bewegung. Tamilee folgte ihm.
Sie schlichen sich den steilen Hang hinauf, ohne die Usgar aus den Augen zu lassen, bis sie fast nahe genug herangekommen waren, um einen Speerwurf zu wagen.
Sie schüttelte den Kopf und drehte sich um, erspähte die beiden und sah, wie Asba seinen Speer schleuderte. Er kam ihr nicht einmal nahe, sondern bohrte sich in den Vorsprung unter ihr.
Tamilee preschte mit langen Schritten an ihm vorbei, sprang und versuchte, die Feindin anzugreifen, bevor die sich von ihrer Überraschung erholen konnte. Mit einem Sprung landete Tamilee auf dem dritten Vorsprung von oben und nahm erneut Anlauf.
Und bremste scharf ab.
Denn dort vor ihr, die Füße auf sie gerichtet, lag Asef.
Die Frau über ihnen brach in Tränen aus. »Ich habe es versucht«, sagte sie flehentlich. »Ich habe es versucht, aber ich …«
Tamilee taumelte vorwärts und fiel an der Seite ihres Freunds auf die Knie. Sie untersuchte die Wunde und sah, dass sie sich geschlossen hatte, auch wenn die Haut noch immer geschwollen und rot war. Sie richtete den Blick auf Asefs Gesicht, nannte ihn beim Namen und bat um eine Antwort.
Er war kalt.
Er war tot.
Tamilee stieß ein Schluchzen aus. Sie hatte natürlich damit gerechnet, aber so unmittelbar mit der Realität konfrontiert zu werden, war zu viel für die schockierte und mitgenommene Frau.
Hinter ihr erreichte Asba den Vorsprung und knurrte ungläubig.
»Ich habe es versucht«, sagte die Usgar über ihnen. »Meine Magie … sie konnte nicht …«
Asba sprang hoch, packte den Rand des zweiten Vorsprungs und griff nach seinem Speer.
Die Usgar über ihm sank schluchzend zu Boden.
Asba holte mit dem Speer aus, aber Tamilee fiel ihm in den Arm. »Usgar-Magie«, sagte sie und zeigte auf die Leiche, die unter dem Überhang lag, auf die freiliegende Wunde, die offensichtlich mit Magie geschlossen worden war.
»Ich glaube, dass sie es versucht hat«, flüsterte Tamilee.
Asba stürzte an ihr vorbei und warf sich auf seinen Bruder. Tamilee trat einen Schritt zurück und konfrontierte die Usgar.
»Wer bist du?«
»Connebragh …«
»Wieso bist du hier?«
»Alle tot«, antwortete die Frau. »Sie haben alle ermordet. Die buntgesichtigen Sidhe-Dämonen.«
»Dämonen wie die Usgar!«, erwiderte Tamilee.
Die Frau sackte mitleiderregend zusammen. Tamilee kam es so vor, als würde ihr Rückgrat schmelzen. Sie ließ die Schultern hängen, dann fiel ihr Gesicht in ihre Hände und ein Schluchzen ließ den ganzen Körper erbeben.
Tamilee umklammerte ihren Speer etwas fester. Sie hob ihn sogar, als wolle sie ihn auf die Frau werfen – sie hätte sie in diesem Moment mühelos töten können.
Doch dann ließ sie den Speer sinken.
Asba tauchte hinter ihr auf. Sein Gesicht war rot und verquollen, Tränen strömten über seine Wangen. Er sah zu der Usgar hinauf, dann zu Tamilee, die langsam den Kopf schüttelte.
»Dann komm herunter«, bellte Asba die Usgar an. »Komm runter und erzähle uns alles, sonst werden wir unsere Speere in dich bohren, dich herunterreißen und umbringen.«
Die Frau bewegte sich langsam, wie eine Gebrochene. Sie setzte sich auf und drückte den Rücken gerade weit genug durch, dass sie nach unten rutschen konnte. Ihren Speer ließ sie nicht los. Sie ließ den Vorsprung hinter sich und glitt halb schwebend zum nächsten herab. Dann rutschte sie auch zu dessen Kante und ließ sich erneut schwebend fallen. Sie landete vor Tamilee und Asba, hinter denen der tote Asef lag.
»Ich habe es versucht«, sagte sie schniefend und weinend. »Die ganze Nacht. Ich konnte es nicht. Ich konnte es nicht.«