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Kapitel III

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Im Atelier ließ Jacques Silvert sich völlig entgeistert auf einen Diwan fallen. Er sah aus wie ein kleines Kind, das von einem großen Gewitter überrascht worden ist. Man gab ihm also ein Zuhause, inmitten dieser Pinsel, Farben, Teppiche, Vorhänge, Möbel, dem Samt, den Vergoldungen und all der Spitze … Mit herabhängenden Armen schaute er sich all diese Dinge an und fragte sich dabei, ob all diese Dinge sich nicht in Luft auflösen und nur dunkelste Nacht hinterlassen würden. Seine Schwester hingegen, die es noch gar nicht zu glauben wagte, hatte sich auf dem Koffer mit der armseligen Kleidung der beiden niedergelassen. Sie krümmte ihren schmalen Rücken und wiederholte mit gefalteten Händen, von größter Ehrfurcht ergriffen, immerfort:

»Welch edles Geschöpf! Welch edles Geschöpf!« Dabei fehlte nicht ihr ewiger Husten, der dem Quietschen einer schlecht geölten Kutschenachse glich, ein Theaterhusten mit tiefen Brustnoten beim Finale jeden Anfalls.

»Ein bisschen aufräumen sollten wir aber schon«, fügte sie hinzu und stand entschlossen auf.

Sie öffnete den Koffer, holte das Bild mit den Schäfchen unter blauem Himmel hervor und ging es in einer Zimmerecke aufhängen. Jacques, plötzlich von einer unerfindlichen Rührung ergriffen, ging zu dem Bild und küsste es weinend.

»Siehst du, Schwester, mir war immer so, als würde mein Talent uns noch Glück bringen. Und du hast zu mir gesagt, es sei besser, den Mädchen nachzulaufen, als mit Kohle die Wände zu beschmieren.«

Marie lachte auf und stauchte ihr kurzes Rückgrat in ihre Schultern.

»Na komm! Als wenn deine Visage nicht genauso viel zählte wie die deiner blöden Schafe!«

Er musste unwillkürlich lachen; seine Tränen trockneten, und er murmelte:

»Du bist verrückt! Mademoiselle de Vénérande ist eine Künstlerin, das ist alles! Sie hat Mitleid mit den Künstlern; sie ist gut und gerecht … Ach! Die bedauernswerten Arbeiter würden nicht immerfort Revolutionen anzetteln, würden sie die Frauen von da oben besser kennen!«

Marie entfuhr ein bissiges Lachen. Sie blieb bei ihrer Meinung. Wenn sie an diese Frau von da oben dachte, stiegen ihr all die Szenen des Lasters, die sie erlebt hatte, in giftigen Dämpfen wieder in den Kopf, und die ganze Welt kam ihr dann so flach vor wie einst ihr Prostituiertenbett, nachdem der letzte Liebhaber fort war.

Jacques sinnierte mit etwas schleppender Stimme, die Gehör erheischt, vor sich hin, lief im Zimmer umher und verteilte die Waffen aus der Sammlung, die man bisher noch nicht hatte anbringen können. Alle Sessel schob er an die Wand, er hatte nie genügend Platz, um seinen Stolz als neuer Eigentümer spazieren zu führen.

Die Staffeleien aus Antillenholz platzierte er gesammelt in einer Ecke, in der schon eine ganz faszinierende Venus von Milo auf bronzenem Sockel emporragte. Er wollte die Büsten zählen und stellte sie der Göttin zu Füßen, so wie eine Grisette4 ihre Resedatöpfe in der Dachrinne aufreiht. Ab und zu stieß er kleine Freudenschreie aus, wenn er die Moosfrüchte in den Majolika-Keramiken oder die glänzenden Blätter der Palme streichelte, die aus einem Puff in der Mitte des Ateliers herausragte. Sogar die Schemel, die auf dem Fußteppich verteilt herumstanden, prüfte er, indem er mit der Faust darauf schlug oder sie hoch in die Luft warf.

Die Fensterfront wies auf den offensten Teil des Boulevard Montparnasse hinaus, gegenüber von Notre-Dame-des-Champs. Über den Fenstern hatte man einen Baldachin aus grauem Satin angebracht, verziert mit schwarzem, goldbesticktem Samt. Die gesamte Wandbespannung griff diese Farbnuancen auf, und die mit lebhaften fremdartigen Motiven verzierten ägyptischen Türvorhänge erstrahlten vor diesem Frühlingswolkengrau ganz besonders.

Nach einer Stunde sah das Atelier fast aus wie das Mansardenzimmer in der Rue de la Lune, ohne die Fettflecken und die löchrigen Stühle, aber man spürte, dass diese Ergänzung nicht lange auf sich würde warten lassen. Marie beschloss, zwei eiserne Bettgestelle in die Garderobe für die Modelle zu stellen, denn in dem Atelier war mit breiten Vorhängen ein Halbkreis abgeteilt, vor dem ein rosa und blau lackierter japanischer Paravent stand. Man würde sich so gut es ging umkleiden und dann die beiden Behälter hinter den Paravent schieben. Ihr kam sogar in den Sinn, einen großen Spucknapf aus ziseliertem Kupfer als Abfalleimer zu verwenden. Sie dachten überhaupt nicht daran, die Türvorhänge, die sie zusammen mit den alten Waffentrophäen für einen Teil der Dekoration hielten, zur Seite zu schieben.

»Wir werden diese Töpfe abwaschen«, sagte Marie, ganz in ihrem Element, »dann haben wir günstiges Kochgeschirr. Schmorgerichte sind doch das Beste« – sie zeigte auf die Römerhelme, von denen ihr Bruder immer wieder einen aufprobierte.

»Ja, ja«, antwortete Jacques und setzte sich vor den Spiegel, der ihm den Glanz seines Paradieses vielfach zurückwarf, »mach, was du willst, aber übernimm dich nicht. Es wäre zu dumm, wenn du hier wieder Fieber bekämst … wir haben Wichtigeres zu tun. Fühl dich wie zuhause, kleckere Suppe auf die Sofas, wenn du magst. Ich bin doch der Hausherr, nicht wahr? Hör mal, ich muss an die Arbeit. Von den Blumen sind meine Finger ganz ungelenk geworden, ich muss sehen, dass sie flott wieder beweglich werden. Und dann … das Porträt der Tante, das Porträt ihrer Bedienten, wenn sie darauf besteht. Ich bin ja nicht undankbar … Ich würde alles tun für diese Frau. Entweder gibt es den lieben Gott nicht, oder sie ist einer. Ach ja, gleich schlägt unsere Uhr, pass mal auf!«

Die Standuhr in Form eines Leuchtturms, auf der oben eine Kugel schimmerte, schlug sechs, und plötzlich flammte die Kugel auf, ein opalenes Leuchten, das alles in köstlichem Dämmerlicht erscheinen ließ.

»Das ist doch nicht möglich«, rief Jacques, dem ganz schwindelig wurde von dieser neuerlichen Verwandlung, »es ist Zeit für das Licht, und das Licht kommt von ganz allein. Allmählich glaube ich, wir sind in einem Theaterstück im Châtelet.«

»Dafür reicht’s nicht an Lastern«, murmelte Marie als Antwort auf ihre schlüpfrigen Gedanken.

»Für die Uhr?«, erwiderte Jacques mit kindlicher Arglosigkeit.

In der Tat erlosch das Licht der Lampe nicht und verbreitete so erst das Laster. Die Vorhänge schillerten sanft in allen Farben und waren voller reizender Geheimnisse. Die chinesischen Figürchen spreizten ihre prallen Stoffbeinchen; die Terrakottanymphen schwangen sich ungreifbar aus einer Art schwebendem Dunst hervor, streckten wie lebendig die Arme und sandten ein menschliches Lächeln aus, und die Schneiderpuppen mit ihren verrenkten Gliedern machten zur keuschen Tunika der erhabenen Venus hin sehr rüde Gesten.

»Hör mal, ich habe noch vierzig Sous. Ich gehe Wein und italienischen Käse kaufen, ja?«

»Bei Gott, ich sterbe vor Hunger!«

In seinem Überschwang schob Jacques seine Schwester zur Tür, und kurz darauf verhallten ihre Schritte im Treppenhaus.

Er ging zurück und warf sich auf den breiten Diwan hinter der Uhr. Einen Moment lang hatte sein ganzer Körper schon gekribbelt vor Verlangen nach der Seide, dieser Seide, die dicht wie ein Vlies fast alle Möbel des Ateliers überzog. Er wälzte sich herum, küsste die Quasten und die Polster, presste sich an die Rückenlehne, rieb seine Stirn an den Kissen und zog mit dem Zeigefinger die orientalischen Muster nach.

Toll wie eine Braut im Angesicht ihrer Aussteuer leckte er sogar durch die bunten Fransen hindurch die Rollen des Diwans.

Er hätte das Abendessen völlig vergessen, wenn nicht eine gebieterische Hand seine glückliche Raserei durchbrochen und ihn kräftig geschüttelt hätte. Er schnellte hoch und zitterte schon vor dem bitteren Hohn Maries, dieser ewig Unzufriedenen. Dann erkannte er Mademoiselle de Vénérande. Sie war lautlos eingetreten und hatte wahrscheinlich erwartet, den Künstler voller Bewunderung vor dem Sockel einer Statue zu überraschen. Oder sie hatte angenommen, der Pinsel sei schon eingetunkt, die Leinwand grundiert, die Vorzeichnung fertig … Sie traf ein Kind an, das sich mit neuem Schwung in Clownerien erging. Zuerst betrübte es sie … dann musste sie darüber lachen und dachte sich schließlich, dass es so doch genau richtig wäre.

»Jetzt aber«, sagte sie im kurzangebundenen Ton einer Hausherrin, die einen Befehl erteilt, »jetzt aber, versuchen Sie mal, ein vernünftiger Mensch zu sein, mein lieber Silvert; ich komme, um Ihnen zu helfen, das macht Ihnen ja wohl nichts aus.«

Sie musterte ihn.

»Was ist denn mit Ihrer Arbeitskleidung? Ich hatte gehofft, Sie wären von selbst imstande, sich angemessen zu kleiden?«

»Ach Mademoiselle, meine liebe Wohltäterin«, begann, dem Rat Maries folgend, der junge Mann, der aufgestanden war und sich mit den Fingern durchs Haar fuhr, »dieser feierliche Tag entscheidet über mein ganzes Leben; ich schulde Ihnen Ruhm, Reichtum, … «

Er hielt inne, eingeschüchtert von Raoules prachtvoll funkelnden dunklen Augen.

»Monsieur Silvert«, antwortete sie und imitierte dabei seinen Theaterton, »Sie sind ein Narr, das denke ich wohl … Sie schulden mir gar nichts … aber Sie besitzen nicht eine Spur gesunden Menschenverstand, und ich fürchte, Sie werden verdammt sein zu überaus steifbeinigen Schafen auf überaus zarten Wiesen. Ich bin ein Jahr älter als Sie, und in der Zeit, in der Sie eine Pfingstrose drehen, habe ich schon einen annehmbaren Akt gezeichnet. Ich darf mir also eine scharfe Kritik Ihrer Werke erlauben.«

Sie packte ihn an der Schulter und führte ihn durchs Atelier.

»So bringen Sie also Ordnung ins Chaos? Wo ist denn Ihr Sinn für das Schöne geblieben? Antworten Sie … Ich würde Sie am liebsten erwürgen.«

Sie schleuderte ihren Mantel auf einen Sessel und kam zurück, schlank und mit hochgestecktem Haarknoten, in einem hautengen schwarzen Kleid mit Schwalbenschwanz, das über und über mit Schnüren besetzt war.

Diesmal funkelte an ihr kein Schmuckstück, das diese fast männliche Garderobe hätte auflockern können. Nur am linken Ringfinger trug sie einen Siegelring mit einer Kamee, die in zwei Löwentatzen gefasst war.

Als sie Jacques’ Hand wieder ergriff, bekam er einen Kratzer ab. Unwillkürlich durchfuhr ihn ein Gefühl des Schreckens. Dieses Wesen war der Teufel.

Sie versetzte alles um sich herum in das schamloseste Treiben. Jacques verzog das Gesicht … Die Nymphen stützten sich auf den Rücken der chinesischen Satyrn ab, die Helme saßen auf den Büsten, die Spiegel kippten um und reflektierten die Decke, die Puffs rollten zwischen die dürren Beine der Staffeleien, und die Trophäen nahmen prahlerische Posen ein.

»Wir sind verloren«, dachte der Blumenmacher aus der Rue de la Lune.

»Jetzt kommen Sie aber; Sie müssen sich schon selbst anziehen, ich zweifle jedoch sehr an dem Erfolg.«

Raoule lachte spöttisch und sagte sich, dass man aus diesem plumpen Kerl nichts würde machen können.

Sie zog einen der Türvorhänge beiseite. Jacques schrie auf.

»Ah, ich verstehe! Auf den Gedanken eines Schlafzimmers sind Sie nicht gekommen: Das übersteigt Ihre Vorstellungskraft.«

Sie entzündete eine der Wachskerzen, die in den Kandelabern steckten, und ging Jacques voran in einen blassblau behangenen Raum. Darin stand ein Himmelbett, dessen grünschattierte venezianische Vorhänge von Flandrischer Spitze gerafft wurden. Die Stoffe, die bei der Einrichtung ihres Sommerzimmers übrig geblieben waren, hatte Raoule einfach den Tapetenwirkern geben lassen. Dahinter schloss ein kleines Bad mit einer Wanne aus rotem Marmor an.

»Schließen Sie ab, wir plaudern durch den Brokatell hindurch.«

Und in der Tat plauderten sie, jeder auf seiner Seite des Vorhangs, er plantschte im Wasser, welches er kalt fand, da es vor ihrer Ankunft bereitet worden war; sie lachte über seine Unwissenheit.

»Denken Sie bitte daran, dass ich ein Junge bin«, sagte sie, »ein Künstler, den meine Tante ihren Neffen nennt … und dass ich Jacques Silvert als Freund aus Kindertagen diene …

Sind Sie jetzt fertig? Oberhalb der Wanne finden Sie ein Parfum von Lubin, daneben einen Kamm. Ist er nicht lustig, der Kleine? Mein Gott, ist er drollig! … «

Jacques suchte nach Worten. Alles in allem musste die bessere Gesellschaft wohl freizügiger sein als die, die er kannte.

Und mit neuem Mut gab er Schlüpfrigkeiten von sich und fragte, ob sie auch wegschaue, das wäre ihm sonst natürlich unangenehm …

Dann schüttete er ihr sein Herz aus und erzählte, wie sein armer Vater in einem Räderwerk umgekommen war, in seiner Heimat Lille, als er einen über den Durst getrunken hatte; wie seine Mutter sie fortgejagt hatte, um sich mit einem anderen Mann einzulassen. Sie seien dann in sehr jungen Jahren nach Paris gegangen, Bruder und Schwester … Und seine liederliche Schwester wusste schon so einiges! Sie hätten sich ihr armseliges Brot selbst verdient … Von den Ausschweifungen Maries erzählte er nichts, aber er fing an, sich lustig zu machen, um diese traurige Wehmut loszuwerden, die ihm die Brust zusammendrückte: Man gab ihnen Almosen … Wie hätte er das unterscheiden können? Ach! Es war erniedrigend. Und er vergaß die verderbten Empfehlungen Maries, während er im schimmernden Wasser den Kratzer betrachtete, den ihm der Siegelring zugefügt hatte.

Schließlich gab es ein Rumpeln in der Wanne.

»Ich habe genug!«, rief er, plötzlich von der Scham verstört, dass er ihr sogar die Sauberkeit seines Körpers verdankte.

Er suchte nach einem Tuch, stand tropfend da, die Arme in der Luft. Ihm war, als zerre man am Vorhang.

»Wissen Sie, Monsieur de Vénérande«, sagte er pikiert, »selbst unter Männern gehört sich das nicht … Sie gucken! Ich frage Sie, wie Ihnen an meiner Stelle zumute wäre.«

Und er dachte, dass diese Frau unbedingt wollte, dass man über sie herfällt.

»Da täuscht sie sich um so mehr«, setzte er sehr verstimmt hinzu, mit von dem kühlen Bad ruhigen Sinnen, und zog sich einen Morgenrock über.

Wie angewurzelt stand Mademoiselle de Vénérande hinter dem Vorhang, sie sah ihn, ohne sich bewegen zu müssen. Der schwache Schein der Kerze fiel träge auf seine helle Haut, die wie ein Pfirsich über und über mit Flaum überzogen war. Er hatte sich zur Rückseite des Bads gedreht und spielte die Hauptrolle in einer Szene bei Voltaire, die eine Kurtisane namens Rotmund in allen Details schildert.

Sein Rückgrat lief in einem der Venus Kallipygos würdigen Halbrund aus und hob sich dann hervor, fest und fleischig, wie zwei Halbkugeln aus Parischem Marmor, durchscheinend wie Bernstein. Die Oberschenkel waren nicht ganz so kräftig wie die einer Frau, doch so gerundet, dass sie keine Spur des Geschlechts aufwiesen. Die hohen Wadenansätze schienen die Beine fast anzuheben und das Gesäß den gesamten Rumpf hervorzudrücken, und diese Unverschämtheit eines Körpers, der sich seiner selbst nicht bewusst zu sein schien, machte ihn noch reizvoller. Die Ferse war so stark gewölbt und rundlich, dass sie nur auf einer einzigen, kaum wahrnehmbaren Stelle zu ruhen schien.

Die Arme hingen herab, und an den Ellenbogen sah man zwei rosige Löcher. Aus dem Spalt der Achseln, und sehr viel weiter darunter, kamen kräuselige goldene Löckchen hervor. Jacques Silvert hatte die Wahrheit gesagt, sie waren überall. Er hätte sich aber geirrt, hätte er beteuert, sie allein seien Zeichen seiner Männlichkeit.

Mademoiselle de Vénérande wich zum Bett zurück; ihre nervösen Hände vergruben sich in den Laken; sie knurrte wie ein Panther, den soeben die biegsame Gerte des Dompteurs gegeißelt hat:

»Du schreckliches Gedicht menschlicher Nacktheit, habe ich dich also endlich erfasst, ich, die ich zum ersten Mal erbebe, wenn ich dich mit meinen abgestumpften Augen zu lesen versuche. Der Mann! Das ist der Mann! Nicht Sokrates und die Erhabenheit der Weisheit, nicht Christus und die Majestät der Hingabe, nicht Raffael und das Strahlen des Genies, sondern ein Armer ohne seine Lumpen, doch in der Haut eines Tölpels. Er ist schön, ich habe Angst. Er ist gleichgültig, ich erzittere. Er ist verachtenswert, ich bewundere ihn! Und so, wie er da steht, wie ein Kind in einem kurz ausgeborgten Wickeltuch, umgeben von Spielzeug, das meine Willkür ihm bald wegnehmen wird, werde ich ihn zu meinem Herrn machen, und er wird unter seinem Körper meine Seele zerquetschen. Ich habe ihn gekauft, ich gehöre ihm. Ich bin es, die verkauft wurde. Ihr Sinne, ihr gebt mir ein Herz zurück! Ach! Dämon der Liebe, du hast mich zur Gefangenen gemacht, indem du mir die Ketten nahmst und mich freier machtest als meinen Kerkermeister. Ich meinte ihn mir zu nehmen, er bemächtigt sich meiner. Den Pfeil der Liebe habe ich verlacht, und er hat mich getroffen. Und seit wann brodelt Raoule de Vénérande, die selbst eine Orgie kalt lässt, der Schädel wegen eines Mannes, der schwach wie ein junges Mädchen ist?«

Und sie wiederholte: »ein junges Mädchen!«

Außer sich machte sie einen Satz zurück zum Türvorhang.

»Ein junges Mädchen! … Nein, nein … schneller Besitz, Brutalität, einfältiger Rausch und dann Vergessen … Nein, nein, möge mein unverwundbares Herz nicht teilhaben an diesem Opfer der Materie! Hätte er mich doch angeekelt, bevor er mir gefiel! Möge er sein, was die anderen waren, ein Instrument, das ich zerbrechen kann, bevor ich der Hallraum seiner Schwingungen werde!«

Mit einer herrischen Bewegung schob sie die Vorhänge beiseite. Jacques Silvert hatte sich eben erst abgetrocknet.

»Kind, weißt du, dass du wundervoll bist?«, sagte sie mit schamlosem Freimut.

Der junge Mann stieß einen verblüfften Schrei aus und zog den Morgenrock zusammen. Dann ließ er ihn bedrückt und blass vor Scham sinken, denn der Arme hatte nun verstanden. War da nicht seine Schwester und grinste hämisch aus einer Ecke? Na los, du Dummkopf, der du dich für einen Künstler hieltest. Los doch, du feile Beute, los, du kleiner Bett-Zeitvertreib, mach deine Arbeit.

Diese Frau hatte ihn aus seiner Kunstblumenbinderei herausgeholt, wie man aus echten Blumen ein merkwürdiges Insekt herauszerrt, das man als Schmuckstück auf ein Geschmeide setzen will.

Los doch, du frischer Fang! Mit einem Adelsfräulein gibt es keine Kameradschaft. Die Verderbten wissen zu wählen!

Er meinte, all diese Beleidigungen an seinem purpurroten Ohr säuseln zu hören, und seine blonde Jungfräulichkeit nahm dieselbe Färbung an, während die beiden Knospen seiner Brust, vom Wasser befrischt, hervortraten wie bengalische Feuer.

»Mir scheint, Antinoos ist einer deiner Vorfahren?«, murmelte Raoule, schlang die Arme um seinen Hals und lehnte sich, weil er so groß war, an seine Schultern.

»Ich habe ihn nie kennengelernt!«, antwortete der gedemütigte Sieger und senkte den Kopf.

Ach! All das Holz, das er für reiche Häuser gehackt, all die Brotrinden, die er aus der Gosse gesammelt, all das Elend, das er tapfer ertragen hatte trotz der niederträchtigen Ratschläge seiner Schwester, der Dirne! … Diese so gekonnt gespielte Arbeiterinnenrolle, diese lächerlichen kleinen Hilfsmittel, deren Beharrlichkeit sein Schicksal müde gemacht hatten, wo war das alles hin? Und wie viel besser das alles gewesen war! Ehrbarkeit war nicht seine Stärke, aber man hätte doch vollends gut sein können, ihm seine Illusionen und die Zeit lassen, ein Vermögen zu machen, um eines Tages alles zurückzuzahlen …

»Wirst du mich lieben?«, fragte Raoule und erschauerte beim Berühren dieses nackten Körpers, den das Grauen über den Fall bis ins Mark hatte erstarren lassen.

Jacques kniete sich auf die Schleppe ihres Kleids. Er klapperte mit den Zähnen. Dann brach er in Schluchzen aus.

Jacques war der Sohn eines Säufers und einer Metze. Sein Stolz wusste nur zu weinen.

Mademoiselle de Vénérande hob seinen Kopf empor; sie sah die heißen Tränen rollen und fühlte eine nach der anderen in ihr Herz dringen, jenes Herz, das sie hatte verleugnen wollen. Das Zimmer erschien ihr plötzlich wie von Morgenröte erfüllt, sie glaubte ein erlesenes Parfum zu riechen, das plötzlich die verzauberte Atmosphäre erfüllte. Ihr ganzes Wesen weitete sich ins Unendliche, umschloss sämtliche irdischen Empfindungen und alles himmlische Streben zugleich, und Raoule rief, bezwungen und stolz:

»Steh auf, Jacques, steh auf! Ich liebe dich!«

Sie zerrte ihn von ihrem Kleid, lief zur Tür des Ateliers und wiederholte immerfort: »Ich liebe ihn! Ich liebe ihn!«

Dann drehte sie sich um:

»Jacques, du bist der Herr hier … Ich gehe! Auf immer Adieu. Du wirst mich nie wiedersehen! Deine Tränen haben mich geläutert, und meine Liebe ist deiner Vergebung wert.«

Sie floh, im Wahn eines heillosen Freudentaumels, wollüstiger noch als die Lust des Fleisches, schmerzvoller noch als das ungestillte Verlangen, doch vollkommener noch als höchste Verzückung; jenem Freudentaumel, den man die Ergriffenheit von einer ersten Liebe nennt.

»Na also«, sagte Marie Silvert ganz ruhig, nachdem Raoule fort war, »der Fisch hat scheint’s angebissen … Alles wird laufen wie am Schnürchen, Sakrament noch mal!«

Monsieur Vénus

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