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Reality oder Illusion?

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Unser kleiner Streifzug durch einschlägig bekannte Sendeformate eines Reality-Programms, wie es etwa seit dem Jahre 2005 in zahlreichen Varianten flächendeckend verbreitet ist, er ließe sich beliebig fortsetzen. Wir wollen uns freilich nicht länger langweilen, begegnen wir doch dabei wenig Neuem, sehen uns vielmehr zurückgeworfen auf den Umkreis einer sattsam bekannten und täglich erlebten durchschnittlichen Erfahrung, die unseren Horizont nicht erweitern kann. Eher schon bestätigt die mediale Inszenierung das täglich Gewohnte in seiner Durchschnittlichkeit. Weil es aber im Fernsehen kommt und ein Millionenpublikum erreicht, kann es ganz banal nicht sein: Abend für Abend wird der gewöhnliche Alltag auf dem Bildschirm zum Event.

Freilich, ein elektronisches Medium, das einerseits unterhalten will, seinen ebenfalls erhobenen Informationsanspruch aber fortwährend disqualifiziert, indem es längst Bekanntes zelebriert, macht sich damit seine Existenzberechtigung als Informationsquelle selbst streitig. Doch liegt hier ein entscheidender Vorteil: Eine verdoppelte Realität, die sich sozusagen gleichzeitig auf dem Bildschirm und vor dem Bildschirm abspielt, bestätigt uns in unserer Durchschnittlichkeit, die jetzt paradigmatisch wird.

Früher oder später werden sich alle Zuschauer in gleich welcher privaten Pose symbolisch auf der Mattscheibe abgebildet sehen: Beim Versuch, ein gebrauchtes Auto zu erwerben oder zu verkaufen, bei der Wohnungsanmietung, bei einer Kleiderprobe in der Boutique, in der Tiefkühlabteilung des Lebensmittel-Discounters etc. Wer da noch an sich und seiner Lebenssituation zweifeln mag, dem ist nicht zu helfen.

In den Erfolgsserien zurückliegender Jahrzehnte konnten die Zuschauer, ähnlich dem Genre Ärzteroman, ihr eigenes Leben in einem veredelten Ambiente wiederfinden und ihre Träume medial verwirklicht sehen. Wenn Professor Brinkmann seinerzeit in einem luxuriös umgebauten Schwarzwälder Bauernhaus vor der idyllischen Kulisse des Glottertals vom Herzinfarkt bedroht ist, während sein ebenfalls als Erfolgsmediziner eingeführter Sohn nicht helfen kann, weil er soeben nach einem dämlichen Streit mit dem Vater heimlich in Begleitung einer attraktiven Blondine mit einem Porsche voller Golfschläger nach Freiburg aufgebrochen ist (Mobiltelefone gibt es noch nicht), so konnten wir hier unseren emotionalen Schaltkreis direkt aktivieren.

Zwar sind wir im Regelfall nicht Professor der Schwarzwaldklinik (ZDF ab 1985), nennen kein entsprechendes Landhaus unser eigen und der betreffenden Blondine wären wir vermutlich zu alt oder zu jung, aber die Dramatik einer familiären Notlage, die das Vater-Sohn-Verhältnis betrifft, lässt uns nicht kalt. In einer traumhaften landschaftlichen Kulisse und erträumten sozialen Umgebung können wir unseren Gefühlen Raum geben, indem wir uns mit den dargestellten Figuren identifizieren und nebenbei symbolisch einen höheren sozialen Status erlangen: Chefarztgefühle sind attraktiver als jene eines Pförtners oder Sachbearbeiters, weil sie in der Regel von einer Chefarztvergütung alimentiert werden.

Ähnlich steht es, wenn man seine immer schon ersehnte Traumfrau nicht zufällig an einer Trambahnhaltestelle in Ostwestfalen kennenlernt, sondern auf einem Boot nach Capri, das soeben vom Traumschiff (ZDF ab 1981) abgelegt hat. Zwar ist der erste Fall nicht minder unwahrscheinlich als der zweite, aber wenn schon geträumt wird, können wir der attraktivsten Variante den Vorzug geben und uns mit strahlendem Sonnenschein, schicken Uniformen und luxuriösen Buffets einer Kreuzfahrt identifizieren. Warum eigentlich nicht – zumal bekannte Reedereien an der Ausstrahlung solcher Serien höchstes Interesse zeigen?

Im Gegensatz zu traditionellen Fernsehprojekten, die Traumwelten vor aufwendig konstruierter Kulisse präsentieren – sich damit dem Zuschauer als Projektionsfläche seiner Wünsche anbieten, aber klugerweise Bezüge zu dessen Realität offen lassen – dokumentiert das Reality-TV allerdings mit einfachsten Mitteln einen Alltagsvollzug, der sich selbst genügt. Mit seinem schmalen Ausstattungsbudget und seinen durchschnittlichen Protagonisten, die man an jeder Straßenecke sucht und findet, nimmt es uns jede Möglichkeit zum Träumen und wirft uns zurück auf die eigene Realität.

Bleibt die Glotterklinik auch für immer außer Reichweite und kann man sich nach Capri jedenfalls heute Abend nicht mehr einschiffen, so bleiben uns immer noch reichliche Fantasien, die über unsere eigene kleine Existenz hinausweisen. Die mittlerweile flächendeckend verbreitete Doku-Soap jedoch will uns weismachen, dass jenseits des medial symbolisierten eigenen Bauchnabels nichts mehr vorhanden sei: Darin liegt ihr narzisstischer Beitrag.

Wie kommt man aber von der täglich selbst erlebten Banalität zu einer erträumten Prominenz, die zur Steigerung des Selbstwertes beitragen kann? Den traditionellen Umweg über eine Identifikation mit exotischen Kulissen und teuren Accessoires kann man sich schenken, präsentiert man sich nur in richtiger Begleitung und im angesagten Medium.

Die Burnout-Lüge: Ganz normaler Wahnsinn

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