Читать книгу Die Burnout-Lüge: Ganz normaler Wahnsinn - Raimund Allebrand - Страница 13
Unsere tägliche Prominenz
ОглавлениеDie postmoderne Medienlandschaft soll uns dennoch auf den folgenden Seiten noch eine Weile beschäftigen. Eine seltsame Lust an der Demontage, die zuweilen masochistische Züge trägt, wird hier zum herausragenden Merkmal der elektronischen Medienkultur.
Einerseits werden im Reality-TV Alltagsvollzüge zum Event erhoben und durchschnittliche Leistungen als Erfolge gefeiert; so wird man etwa mit etwas Glück durch die Beantwortung von mehr als simplen Quizfragen zum Millionär. Der Zuschauer – wer wollte sich da ausnehmen? – quittiert dies mit dem bedauernden Gefühl, seine Teilnahme am Ratespiel versäumt zu haben: Diese Herausforderung hätte er ebenfalls mit Bravour gemeistert. Andererseits befleißigen sich manche Sender in einschlägigen Show-Formaten eines Umgangsstils und kommunikativen Niveaus, wie es im realen Leben bestenfalls als peinliche Entgleisung in alkoholisierter Umgebung vorkommen kann.
Unter dem Vorwand einer sogenannten Quiz-Comedy (Genial daneben seit 2003) präsentieren ganze Rateteams serienweise das pubertäre Verhalten einer pseudo-humoristischen Selbstbespiegelung und gegenseitigen Anfrotzelei unterhalb der Gürtellinie. Erfolgreiche Selbstdarsteller mit dem zum Markenzeichen avancierten Nonsens-Profil einer Hella von Sinnen oder eines Dirk Bach wissen Witzelsucht mit Blödelei erfolgreich zu kombinieren und setzen Maßstäbe eines respektlosen Umgangs – den es als normal zu akzeptieren gilt, weil er vor Millionenpublikum zelebriert werden darf.
Vermeintliche Prominenz, die auf inszenierter Berühmtheit beruht, wird hier zur Legitimation für alles und jedes. Weil man der eigenen Medienpräsenz ohne Seriosität gegenübersteht, darf man auch sein Gegenüber unter diesem Aspekt behandeln. Folglich zieht man das Publikum in einen Strudel unterdurchschnittlichen Klamauk-Verhaltens, das vor denkbaren Niederungen der Primitivität nicht halt macht und gleichwohl honoriert wird. Alles ist blöd!, lautet die Generalbotschaft – mein eigenes Niveau fällt da kaum noch auf!
Eine besondere Rolle in dieser illustren Umgebung spielt der zur Kultfigur stilisierte Entertainer Harald Schmidt. Vom Schauspiel und politischen Kabarett kommend, macht er sich durch jahrelange abendliche Präsenz als Comedian unentbehrlich (vor allem in seiner Late-Night-Show). Während die Sender wechselseitig um seine Gunst buhlen, perfektioniert Harald Schmidt das – zuvor im Angelsächsischen beheimatete und ihm nachträglich auf den Leib geschneiderte – mediale Profil eines standortlosen Zynikers, der sich bald geistreich, bald kalauernd, aber immer verbal souverän zu jedem Thema äußern darf, solange er die Grenze des strafrechtlich Relevanten nicht überschreitet.
Eine schrankenlose Selbstironie dient als Legitimation, alles nur Erdenkliche durch den Kakao zu ziehen. Trotz einer Hundertschaft an Ghost-Writern und Gag-Findern im Hintergrund, die den Sendeverlauf komödiantisch alimentieren, hinterlässt die stereotype Machart eines jahrelang zelebrierten Zynismus jedoch früher oder später einen humoristischen Kater, was auch die Leitungsetage von Sat1 erkannte und die Late-Night-Show aufgrund sinkender Quote ab Mai 2012 einstellte.
Schmidts intellektuelle Verbalbrillanz hebt sich allerdings vorteilhaft ab vom tumben Underdog-Gehabe seiner wechselnden Sparrings-Partner, die als Stichwortgeber des Meisters fungieren, um diese anfänglich undankbare Rolle als Sprungbrett einer späteren Solokarriere zu nutzen; schließlich ist man jetzt dank Harald ebenfalls prominent. Ein kalkulierter Kontrast, der den Zuschauer einladen will, uns zwischen beiden Extremen mehr oder minder bequem zu installieren. Gerne wäre man souverän in allen Lebenslagen wie der famose Harald, doch mit seinem physisch wie geistig zwei Köpfe kleineren Widerpart kann man es jederzeit aufnehmen. Aus jeder Late-Night-Show ging somit auch das Publikum als Sieger hervor.
Auch die Stars einer seriösen Fernsehunterhaltung unterscheiden sich längst in markanten Punkten von den Moderatoren früherer Jahrzehnte. Die Informations- und Entertainmentprogramme des öffentlich-rechtlichen Fernsehens zielten vor dem Auftreten der Privatsender nicht selten auf ein kulturelles Segment, das für manche Zuschauermilieus kaum erreichbar war. Als Bildungsfernsehen wiesen sie über das mutmaßliche Durchschnittsniveau hinaus; dieses Programmangebot oberhalb sozialer Realitäten hat sich allerdings nach und nach in sein Gegenteil verkehrt.
Traditionelle Unterhaltungskönige wie Hans-Joachim Kulenkampff (in Erinnerung durch seine langjährig erfolgreiche Quizserie Einer wird gewinnen) brachten ein persönliches Profil auf den Bildschirm, das der Zuschauer als vorbildlich erlebte. Als Schauspieler in Unterhaltungsstreifen wie in seriösen Bühnenrollen bereits weithin bekannt und beliebt, steigerte »Kuli« diese Popularität durch eine Fernsehpräsenz, die elegantes Auftreten mit intellektueller Konversation zu verbinden wusste. Damit firmierte er in seinen besten Zeiten keineswegs als Kumpel zum Anfassen, sondern als brillanter Grandseigneur, dessen Niveau man sich vielleicht wünschte, ohne die Chance, es zu erreichen.
Demgegenüber treten heutige Präsentatoren, dem allgemeinen Trend zum Upgrading des Durchschnitts folgend, als Allround-Moderatoren in Erscheinung, die Sportreporter, Talkmaster und Meisterkoch in einer Person verkörpern. Somit erleben wir in einem Zugabteil der Schweizer Bundesbahn einen Herrn, der uns mit gemütlich-rheinischem Dialekt durch die graubündische Bergwelt führt und zu diesem Zwecke manch kurzweilige Erläuterung auf Lager hat. Diesen mit auffälligem Schnauzbart ausgestatteten Hobbyreporter, der seine Aufgabe nicht tierisch ernst nimmt und simple Reiseinformation mit ausgiebiger Selbstdarstellung zu verbinden weiß – hat man ihn nicht schon anderweitig gesehen und in anderer Eigenschaft? Richtig, es handelt sich um den durch WDR und ZDF bekannten Fernsehkoch Horst Lichter (Kann denn Butter Sünde sein?), der neuerdings mit der Serie Lichters Reise erneut sein Publikum gefunden hat. Und jetzt die Schweiz oder Italien so bereist, wie wir es alle tun, und die Ewige Stadt so vorstellt, wie wir es zweifellos weniger originell auch könnten.
Gewiss erwartet man längst vom Prominenten generell, dass er Bücher publiziert (wenn schon nicht selbst schreibt), und man befürchtet insgeheim, dass er sich demnächst auch als Sänger profiliert, vor großem Publikum, versteht sich. Weniger die herausragende Leistung in einem bestimmten Metier, das ein Fernsehstar beherrscht, weil es ihm auf den Leib geschrieben ist, sondern die einmal erreichte Medienpräsenz legitimiert den Einsatz auch in anderen Sparten, die dann gleichsam nebenher recht und schlecht abgedeckt werden, ausgewiesen durch nichts anderes als Prominenz. Es schlägt die Stunde der Dilettanten. An die Stelle von Leistung und Eignung tritt eine über das Massenmedium inszenierte Berühmtheit als Qualifikationsnachweis für alles und jedes (Rietzschel 2012). In der heutigen Castinggesellschaft wird diese Medienprominenz längst schon selbstreferenziell erzeugt, ohne spezifische Sachkompetenz, soziale Funktion oder herausragende Begabung (Pörksen/Krischke 2010).
Erfolgreiche Vertreter eines zeitgemäßen Moderatorentyps und anerkannte Könner wie Günther Jauch, Johannes B. Kerner oder Frank Plasberg sind beinahe jeden Abend auf Sendung, nicht selten gleichzeitig auf mehreren Kanälen (die elektronische Aufzeichnungstechnik macht es möglich). Ungeachtet dieser Vielseitigkeit verbinden sie sympathisches Auftreten mit alerter Sprachgewandtheit und souveräner Informiertheit, ohne abgehoben zu wirken. Mit dem Charme eines netten Jungen von nebenan vermitteln sie auch bei kontroversen Themen jenes Kuschelgefühl, das den Rahmen allgemeiner Egalität nicht sprengt, sondern unsere Ahnung bestätigt: Auch Menschen, die beinahe alles können, befinden sich durchaus auf meiner Ebene – oder wir uns auf ihrer Höhe, sofern uns dies lieber ist. Durch ihr Image zum Anfassen verringern sie unsere gefühlte Distanz zum Medienstar und laden uns in aller Bescheidenheit ein, neben ihnen Platz zu nehmen: Allein ihre Bildschirmpräsenz rückt auch uns als Publikum näher an die eigene Prominenz.
Neben einer Tendenz zur Aufwertung des Durchschnittlichen vergoldet die gegenwärtige Medienkultur allerdings unseren aufhaltsamen Weg zum Burnout durch eine weitere Dimension, der das folgende Kapitel gilt.