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Q
ОглавлениеDie Konferenz von Samos
(Herodot, Historien 9, 106)
(…) In Samos angekommen hielten die Hellenen Rat über die Räumung des ionischen Landes; sie erwogen, wo in Hellas, soweit man des Landes Herr sei, die Ionier angesiedelt werden könnten (…) Sie fanden es ganz unmöglich, dass die Hellenen Ionien dauernd unter ihrer Obhut halten sollten, und doch durfte man nicht hoffen, dass die Ionier ohne solchen Schaden sich ungestraft von Persien freimachen könnten. Da meinten denn die peloponnesischen Führer, man solle die Handel treibenden Hellenenstämme, die zu den Persern gehalten hatten, verjagen und ihr Land den Ioniern geben. Die Athener dagegen wollten nichts von einer Räumung Ioniens hören und nicht dulden, dass Peloponnesier über athenische Pflanzstädte befänden. Ihrem heftigen Widerstand gaben die Peloponnesier nach. So wurden die Samier, Chier, Lesbier und andere Inselbewohner, die sich dem hellenischen Heer anschlossen, in den hellenischen Bund aufgenommen.
(Diodor 11,37)
Leotychidas und Xanthippos segelten zurück nach Samos, machten die Ionier und Äoler zu Verbündeten und bemühten sich dann, sie dazu zu bewegen, Asien zu verlassen und ihre Wohnsitze nach Europa zu verlegen. Sie versprachen, die Völker zu vertreiben, die sich der Sache der Meder angenommen hätten, und ihnen ihr Land zu geben (…). Als die Äoler und Ionier diese Versprechungen hörten, beschlossen sie den Rat der Griechen anzunehmen und bereiteten sich vor, mit ihnen nach Europa zu segeln. Aber die Athener (…) rieten ihnen, zu bleiben, wo sie waren, und sagten, dass die Athener, wenn auch kein anderer Grieche ihnen Hilfe bringen würde, als ihre Verwandten dies tun würden. Sie dachten, dass, wenn die Ionier von den Griechen gemeinsam eine neue Heimat erhielten, sie nicht Athen als ihre Mutterstadt betrachten würden. Dies war der Grund, weshalb die Ionier ihre Meinung änderten und in Asien zu bleiben beschlossen.
Hintergründe des Hegemoniewechsels
Die Hintergründe dieses „Hegemoniewechsels“ werden von den Quellen unterschiedlich dargestellt. Nach Thukydides (1,95–96) und Plutarch (Aristeides 23) hätten sich die Bündnispartner von der arroganten Führung des Pausanias lossagen wollen und deshalb Athen die Führung angetragen. Die Spartaner seien mit dieser Entwicklung nicht unzufrieden gewesen. Denn sie empfanden den Seekrieg zunehmend als Last und fürchteten, dass sich ihre Feldherrn durch die lange Abwesenheit der Heimat entfremdeten. Herodot (8,3,2) und Aristoteles (Athenaion politeia 23,2 und 4) betonen demgegenüber die alleinige Initiative der Athener: Sie hätten die Unbeliebtheit des Pausanias genutzt, um die Ionier gegen den Willen der Spartaner zum Abfall vom Hellenenbund zu bewegen und den Hegemoniewechsel zu vollziehen.
Rolle der Athener
Die Mehrheit der Forscher hat die unterschiedliche inhaltliche Tendenz der Quellen betont, doch lassen sie sich durchaus miteinander vereinbaren. Dass die Athener jede sich bietende Chance zur Übernahme des |5|Kommandos zu nutzen versuchten und dass die Weiterführung des Seekrieges auch den Wünschen der kleinasiatischen Griechen entsprach, kann nach den Ereignissen bei der Gründung des Hellenenbundes und der Konferenz von Samos kaum bezweifelt werden. Die Athener werden freilich mit Rücksicht auf Sparta so geschickt gewesen sein, sich offiziell von den Kleinasiaten bitten zu lassen (Thukydides und Plutarch), während im Hintergrund Aristeides die Bündner zu diesem Schritt ermuntert hatte (Herodot und Aristoteles). Die beiden Quellengruppen repräsentieren also eine eher offizielle und eine inoffizielle Version. Sie treffen sich aber im entscheidenden Punkt, dem gemeinsamen Interesse Athens und der kleinasiatischen Griechen an der Weiterführung des Seekrieges gegen Persien.
Rolle der Spartaner
Auch der Dissens der Quellen bezüglich der Haltung der Spartaner lässt sich plausibel erklären, wenn man sich von der Vorstellung verabschiedet, dass die führenden Politiker und einflussreichen Familien Spartas eine einheitliche außenpolitische Linie verfolgten. Tatsächlich war dies zumal in einer Grundsatzfrage wie der des Hegemoniewechsels offensichtlich nicht der Fall: Der Historiker Diodor (11,50,1–6) berichtet, wie im Jahre 475 eine Mehrheit der jüngeren Spartiaten in der Volksversammlung darauf drängte, die Hegemonie zurückzuerobern und einen Militärschlag gegen Athen zu führen; dies würde ihnen Wohlstand sichern und Spartas Macht steigern. Dagegen argumentierte ein Mitglied des Ältestenrates, man solle den Athenern ruhig die hegemonia überlassen, weil es nicht im spartanischen Interesse läge, Anspruch auf die Seeherrschaft zu erheben. Diodor hat bei seiner Schilderung zwar Erfahrungen des 4. Jahrhunderts mit einfließen lassen, die Grundzüge der Diskussion dürften jedoch nach Überzeugung der meisten Gelehrten die Situation nach dem Hegemoniewechsel korrekt widerspiegeln: Auf der einen Seite stand die Erfahrung der Alten, die ihre Entscheidung an den realpolitischen Möglichkeiten und den langfristigen Interessen Spartas bemaßen. Oberste Priorität besaß für sie die Sicherung der spartanischen Stellung auf der Peloponnes, die sie durch eine Ausweitung der militärischen Kräfte auf die See und fern der Heimat gefährdet sahen. Wir sind dieser außenpolitischen Tradition schon auf der Konferenz von Samos begegnet, als Sparta sich weigerte, die kleinasiatischen Griechen in den Hellenenbund aufzunehmen, und können sie bis in das Jahr 500 v. Chr. zurückverfolgen, als der spartanische König den Bitten der ionischen Gesandten um Unterstützung gegen die Perser eine Absage erteilte. Gerade im Jahre 478/7 war die Sorge um die Machtstellung Spartas auf der Peloponnes nicht unbegründet. Denn man rechnete mit Unruhen unter den Heloten und registrierte, dass sich die Beziehungen zu Tegea und Arkadien verschlechterten. Hinzu kamen die immensen Kosten eines weiteren maritimen Engagements im östlichen Mittelmeer, die langfristig die materiellen Ressourcen Spartas und seines Bundes überfordert hätten. Schließlich bestätigte das Verhalten des Pausanias die von Thukydides überlieferte Sorge vieler Spartaner, die Fortführung des Krieges könne ihre Feldherren, also ihre Könige, der Heimat entfremden.