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Drachenträume

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Blau der Himmel

über weißen Wolken,

die sich wandeln in Drachen,

die lachend erwachen.


Ihr Leben

währt Äonen.


Feuer ist ihr Atem

in diesem kalten nassen Land.

Worte des Magiers


Niemand fragt nach dem Weg.

Nach welchem Weg?

Wohin?

Also antworte ich dir auch nicht: „Wie du hinkommst? Das ist die einfachste Sache der Welt. Wer suchet, der findet!“

Und so findet ihn Manfred irgendwann im Irgendwo.

Sieh an, schau da, sein Mund ist geschlossen. Erstarrt liegt er da - doch wirklich leblos, gänzlich tot?


Träumen Drachen?

Träumen Drachen von längst vergangenen Zeiten, von Drachen und all den Sachen, die Drachen miteinander machen?

Wartet der eine hier vor mir?

Worauf?

Dass ich die Worte spreche, die ihn zum Leben erwecken?

Gut, ich werde es tun. Schließe meine Augen und spre..., kein Menschenmund kann sie sprechen. Also denke ich dem steinernen Drachen Bilder zu, der da so gewaltig vor mir aufragt, dem winzigen, sitzend schwebenden Menschen.

Und tatsächlich, der Drache erwacht aus seinem steinernen Traum und öffnet seinen gewaltigen, vor Zähnen starrenden Mund.

Ich sehe ihn, ohne meine Augen zu öffnen - Lider statt Kinderhände, hinter denen ich mich verstecke?. Gedanken rasen: Aha! Jetzt wird es spannend und sich zeigen: Schnappt er zu oder kommt da gar etwas aus seinem gewaltigen Mund heraus? Zunge, Worte oder Feuer - das ist hier die Frage.

Ich öffne meine Augen.

Was geschah? Starb ich? Wurde ich wiedergeboren? Wo bin ich?

Schwebe nicht mehr, sondern stehe aufrecht auf der Erde, drehe mich einmal im Kreis und schaue mich um und sehe ihn nicht. Trete ein paar Schritte zurück und erkenne die Formen im Felsen vor mir: gewaltig, gigantisch, doch ohne Leben, in der Bewegung erstarrt, als hätte er einst Medusa erblickt, so ragt ein Jadedrache vor mir auf.

Ist es überhaupt ein Drache?, frage ich mich nun doch. Was sahen Menschen nicht alles schon in irgendwelchen Formen - Kanäle und ein Gesicht auf dem Mars - und schon war die Marszivilisation geboren, Leben, das es in bescheidener Form dort geben könnte, einst gegeben hat, wieder geben wird.

Also träumte ich nur, der Drache würde erwachen. Also tat ich noch nichts. Das muss irgendwie an diesem Nebelland liegen: nichts als Schäume und Träume.

Also stehe ich auf, hebe meine Arme und singe mit gewaltiger Stimme die magischen Worte.

Und eine zweite Stimme flüstert synchron andere Worte in mir und aus mir hinaus.

Und so ist es, als sei ich ein Vogel und könnte auf der Syrinx mich selbst begleiten.

Draußen aber ...


Schau an: es scheint, als verwandelten sich Manfreds Mund und Hals für einen Augenblick, in dem er die Worte singt, in den eines Drachen.


Rufe die Worte hinaus, die Drachen wecken. Sie lauten:

„Stein, wach auf!

Kehre ins Leben zurück!

Drache bist du!

DRACHE erwache!

Wach auf aus deinen Träumen!

Wach auf!“


Singe immer und immer wieder den Refrain: „Wach auf!“

Nichts geschieht.

Nun, einen Versuch war es wert. Hätte ja gelingen können. Setze mich wieder ins Laub, das ein kleiner Zauber trocknete. Jetzt hüllt mich wieder ein Bärenfell ein. Es ist kalt geworden.

Fliegt Zeit dahin, vergeht der Tag. Der Sonn versinkt so rot und groß hinter Büschen und Bäumen.

Nacht. Sterne strahlen über mir. Voller Sehnsucht schaue ich auf. Kein Nebel nirgendwo. Und auch die Volle Mondin scheint dort still zu stehen.

Werwolfzeit, Zeit der Morde, Zeit der Liebe, denke ich noch und ...


Manfred schläft. Nichts passiert.

Noch immer nichts.

Nichts - nichts - nichts - …

Jetzt aber ist da ein Fauchen, ein Hitzeschwall.

Ja, so erwachen Drachen und lachen.


Dieser Lärm! Springe auf und ziehe mein Schwert aus den Dimensionen, in denen es geborgen ruhte.

Sie falten sich wieder zu und behalten OM in sich.

Ach, diese lebenswichtigen Reflexe. Meist sind sie gut und richtig, doch jetzt und hier scheint mein Schwert der Meinung zu sein, dass ich es nicht brauche. Tja, so ist das mit denkenden Waffen.

Also bleibt mir nichts anderes übrig als zu verharren. Ich rieche, höre, fühle und weiß, was war, was ist, stehe da und schaue dem Drachen in die Augen, versuche, ihn zu bannen.

Seine Augen aber befehlen mir.

„Komm näher! Komm zu mir und wärme dich! Denn kalt ist die Nacht. Komm zu mir!“, flüstert seine Stimme in meinen Ohren, meinem Geist, in meiner Seele.

So muss ich denn gehorchen, gehe näher und näher an den Drachen heran, sehe es für den Bruchteil einer Sekunde auf mich zuschießen, denke einen letzten Gedanken: Feuer!


Schwärze.


Erwacht, frage ich mich: Starb ich? Bin ich nun tot - gegrillt, verkohlt, zu Staub zerfallen, längst gestorben, im Jenseits geborgen?

Ich lebe!

Wo lebe ich und wann?

Bin wohl wiedergeboren, denn mein Menschenkörper brannte, verbrannte. Daran erinnere ich mich und verstehe: Mein alter Körper blieb drüben - in der alten Welt zurück. Hier aber im Drachenland laufe ich die ersten Schritte auf allen Vieren zum Ufer hin, schaue in den spiegelnden See und betrachte still meinen Drachenkörper.

Sehe verwundert meine Hände an, die sich nirgendwo mehr spiegeln, denn da ist kein See vor mir. Das sind ja Menschenhände. Da waren doch eben noch Drach... Und da sind Menschenbeine, ein Menschenrumpf. Ich betaste meinen Kopf, auch der scheint ziemlich menschlich zu sein.

Diese Träume!, denke ich verwundert. Alles schien doch so real. Aber Träume sind Schäume. Träumte ich tatsächlich, als Drache zu erwachen! Wie kann das sein? Träumte ich, von Drachenatem verbrannt zu werden? Träumte gar, ein steinerner Drache erwachte?

Versuche, mich zu erinnern: Was sah ich noch in meinem Traum? Was nahm ich mit meinen Drachensinnen wahr?

Einen Augenblick lang sah ich die Drachen in ihren Höhlen liegen: Weit reichen ihre Sinne ins Nebelland hinaus. Rauch steigt aus ihren Nüstern auf, Rauch, der sich mit dem Nebel der feuchten Wiesen mischt. Und jetzt begreife ich, woraus die Wolken über dem Nebelland bestehen. Sie sind Wiesen-, Moor- und Drachenatem.

Ja, im Nebel wohnen die Drachen. Ich habe von Drachen geträumt!


Und du, liebe(r) LeserIn glaubst, es gäbe die Drachen der alten Sagen und Märchen nicht mehr, die hätte es nie gegeben? Vielleicht glaubst du den Biologen, die dir sagen, dass Drachen gewaltige Warane waren oder Saurier, Relikte aus den alten Tagen der Größe, als unsere Vorfahren noch Spitzmäuse waren? Oder dass einige Dinos bis in die ersten Tagen der Menschheit, Vormenschheit überlebt und sich ins kollektive Gedächtnis eingebrannt hätten. Andere kennst du, die erzählen von Drachen, auf denen Menschen reiten wie auf Pferden, Drachen, die nichts anderes als Flugsaurier sind? Drachen wären nicht aus Fleisch und Blut, meinen wieder andere. Welches Wesen kann schon Feuer speien? Drachen wären die Raumschiffe der Götter gewesen, die einst die Erde besuchten?, schrieb einer einst.

Wenn du dies oder jenes glaubst, dann irrst du dich gewaltig - drachengewaltig! Denn alles ist falsch. So sind Drachen nicht, sind sie nie gewesen. Aber sie sind , sie waren , sie werden sein - sie existieren! Wenige Menschen gibt es heute noch, die sie sehen können. Und selten ist da einer, der ihnen begegnet. Denn Drachen leben in anderen Dimensionen, in Räumen neben unserem Raum, in Zeiten neben unserer irdischen Zeit. Ja, hier in diesem versteckten Nebeltal könnten sie existieren. Du denkst an vergessene, verlorene Welten, an Tepuis und Saurier, Atlantis und Caprona. Dort jedoch ist Manfred nicht, jetzt und hier weilt er im Nebelland .


Worte zerbrechen die Stille, klingen wie Glocken, als kämen sie von weit, weit her, als wären sie vor langer Zeit in uralter Sprache gesprochen und hallten noch immer und immer wieder wider. Und nun haben sie auf ihrem langen Weg endlich dieses Tal und meine Ohren, meinen Geist meine Seele, mich - ihr Ziel? - erreicht:

„Schau mich an!“, spricht nicht der versteinerte, sondern der andere Drache jenseits/neben/über mir.

Ich gehorche und ... begrüße ihn mit einem wahren Schwall von Worten, höre nicht auf zu quatschen. Reden lenkt von der Angst ab und verwandelt sie doch nicht in Mut, denke ich uns spreche: „Hallo, Herr Drache, ach ... Verzeihung, diese Geschlechterverwechslung passiert mir ja ständig. Also noch einmal: Guten Tag, Frau Drachin. Welche Pracht und so chinesisch! Ganz entzückt von ihrer Gestalt. Wahrhaftiges Sinnbild der Einheit von Wasser und Land, Himmel und Erde, Geist und Materie, Gut und Böse ... Aber was rede ich da? Sie sind doch echt! Oder etwa nicht?“

Ich verschnaufe und rieche nicht ihren dampfenden Atem, der mich nun umbläst. Denn ich habe nur noch Augen für ihr goldenes Haupt. Und erst ihre Augen aus Kristall, ihre träumenden, leuchtenden Augen!

Was ist das? Bin ich nähergerückt oder weshalb sind sie plötzlich so groß?

Und was schlängelt sich da in ihnen durch Schwärze?

Das ist ja ein leuchtender Pfad, ganz wie der meine. Er ist es ja! Habe ich ihn wieder einmal erblickt: meinen Weg zu mir. Ich schaue ihn an, mein Blick folgt ihm tief hinein in Drachenaugen, Drachengedanken und Drachenträume.

„Schau!“, spricht der magische Blick der Drachin noch immer.

Ich tue es ja, tue es noch immer, bin längst gebannt, gefangen in ihren Augen, finde mich wieder in einem ungeheuren Raum und begreife, was mein Schwert OM mir schon zeigen wollte: Hier im Drachenland ist all meine Magie ohne Wirkung.

Das aber weiß die Drachin längst. Lächelnd - ja, auch Drachen können das, doch nicht so wie Menschen, denn Drachen haben keine Menschengesichter, es ist ein Lächeln von Weisheit und Erleuchtung - lächelnd treten ihre Gedanken in mich ein.

Starr stehe ich, Manfred der Magier, winziges Wesen, noch immer in meiner Menschengestalt - worin sonst!? Doch nackt, nun ohne Bärenfell - vor ihr.

Und lautlos schießen ihre Feuer auf mich zu, hüllen mich ein ...

Draußen sehe ich meinen Magier-Menschenkörper verglühen Geschah das nicht alles schon einmal?, frage ich mich noch.

Draußen habe ich meinen Körper verloren.

Das ist geschehen, Vergangenheit.

Jetzt lebe ich in den leuchtenden Augen der Drachin und sehe mit ihnen, wie ein Wirbel von Luft, Atem aus ihren/meinen Nüstern, die Asche meines Menschenkörpers fortbläst.

Weißt du eigentlich, wie die Welt entstand, wie unsere Welt entstand?, denkt sie mir zu, der ich nun in ihr bin.

Ach, ich höre es ja in dir. Du weißt es nicht. Nun gut, ich sage es dir. Lausche meinen Gedanken!

Und die Drachin erinnert sich. Ihre Gedanken wandeln sich zu Worten in meiner Seele: Am Anfang teilte sich das Weltenei in Leichtes und Schweres, in Yang und Yin, denn P’an-ku, der Weltenschöpfer war gewachsen. Als aber der Drachenköpfige mit dem Leib einer Schlange starb, bildete sich aus seinem Körper die Vielfalt der Erde: Flüsse wurden aus seinen Tränen, aus seinem Haar und seinen Augenbrauen entstanden Sterne und Planeten, sein Schweiß verwandelte sich in Regen und die in seinem Haar nistenden Flöhe wurden Menschen. Und nun fragst du noch immer, wer wir sind?

Wir sind die Herrscher von Himmel, Unterwelt und Wasser.

Dies hier aber ist unsere Welt inmitten eurer Welt, der du den Namen Nebelland gabst.

Dann Schweigen.

Schließlich kommt die Antwort auf die nie gestellte Frage: Es gibt solche und solche Drachen, denkt die Drachin, in der ich nun wohne, mir zu. Ist es nicht auch so bei Magiern und Menschen, bei Raben und Spinnen, bei allen Wesen?

So ist es, antworte ich im Geist.

Unter den Drachen der Finsternis, die das Dunkel lieben, gibt es solche, die liebend dort leben. Sie haben ein schwarzes Herz und es ist gut. Und solche gibt es dort, die ein weißes böses Herz besitzen und ihre Kräfte gebrauchen, um andere Wesen zu quälen, mit Feuer zu foltern und langsam zu töten.

Und so ist es auch bei den Drachen des Lichts, die im Tag wohnen: manche haben schwarze böse Herzen und missbrauchen ihre Macht. Die anderen mit den weißen guten Herzen lieben das Leben, wie wir, wie ich, wie DU!

Verwundert sehe ich in ihr auf:

Bin ich denn ein Drache?

Da dachte ich doch immer, ich wäre nur ein Mensch mit magischen Kräften, der die Körper anderer irdischer Wesen annehmen kann, doch niemals den eines Drachen.

Wie ist dein Name, Große Drachin?

Wir tragen viele Namen, so wie Menschen Kleider tragen, wie auch dir viele Namen gegeben wurden. Doch erinnere dich und nenne mir einfach den Namen deiner Mutter!

Und ich stammle Silben, die sich zu Worten verbinden und weiß nicht, woher ich sie weiß und spreche/denke ihr zu: „Meine Mutter ... hieß ... heißt für alle Zeit ‘Smorré-Aié’.“

Ja, das ist der Name deiner Mutter. Das ist mein Name!, höre ich sie in mir lachend sprechen.

Und staunend begreife ich. Mutter!, stammle ich weinend in ihr und sehe alles: Du bist es, die einst vom Vater Sonn begattet und befruchtet wurde. Verstehe. Wie viele Jahrhunderte, Jahrtausende mögen seitdem vergangen sein, damals lichteten sich die Nebel für eine Sekunde nur, hier unten in dieser Dimension des Nebellandes. Das war der Lichtschrei von Sonn und Erde und mein Beginn.

Also weißt du, wer dein Vater ist.

Ja, jetzt erinnere ich mich, als wäre ich dabei gewesen, ich war ja dabei als Ei und Sonnensamenstrahl.

Mein Gott, wie kann ich mich an meinen Ursprung erinnern?

Das können doch weder Mensch noch Magier! Doch ein Drache, eine Drachenseele ...

Denn da ist noch mehr, sind auch noch die Erinnerungen an meine zweite Geburt, dem Schlüpfen aus dem Ei.

Und ich erinnere mich an meine dritte Geburt als Magier, das war einst vor langer Zeit am Beginn meiner Reise. Glaubte ich doch damals noch, als ich die Stadt verließ, als strahlend schöner Menschenheld dem Drachen zu begegnen, dem Drachenungeheuer, das meine Prinzessin bewacht, wollte den Drachen im heroischen Kampf besiegen, dann Siegfried gleich im Drachenblut baden, meine Liebe befreien und mit ihr für „immer und ewig“ zusammen sein. Welch irrealer Märchentraum das doch war!

Nun habe ich meine Mutter gefunden. Und sie ist eine Drachin!

Also bin ich kein Drachentöter, sondern ein Drache und weder Held noch Prinz noch Mensch. Und weit und breit ist da keine Prinzessin in Sicht, die ein Drache, die ich mir gar selbst einst raubte. Nairra ist nicht mehr, denn sie starb. Was aber ist mit Drefman, wenn er denn mein Bruder und meine dunkle, schwarze Seite ist, so wäre ja auch er ein Drache und Sohn vom Sonn und meiner Drachin-Mutter? Doch nein, das kann niemals sein, wo er doch schwärzer ist als schwarz, ein Kind der Unterwelt, das sich am wohlsten bei Nacht und in den Höhlen unter der Erde fühlt, wo Menschen Höllen vermuten, in eisiger Kälte an den Polen und in tiefsten Meerestiefen. Also kann er nicht mein Bruder sein, obwohl ich ihn einst so nannte und ihn als mein Spiegelbild sah!

Dann Stille - Strom, Fluss, Bach und Quelle versiegen.

Keine Worte.

Keine Gedanken.

Die Augen geschlossen - Verharren im Nichts, das alles ist.

Draußen wird es dunkel und Nacht, aber niemals völlig finster. Denn über den Bergen geht rund und voll, hinter Nebeln fast verborgen, schwach, verschwommen, klein und fern, die Volle Mondin auf.

Aus dem Schlaf gerissen, plötzlich erwacht stehe ich auf. Bin wieder allein. Keine Drachin weit und breit. Ist es Zeit, wofür?

Meine rechte Hand ergreift das Schwert, zieht es aus meiner linken Seite, wo es schlummernd ruhte. Nun rast es leuchtend im Halbkreis nach rechts und dann zur Mitte zurück. Ich halte es aufrecht vor mir. So wird Nacht zu Tag für Drachenaugen.

Doch da ist nichts und niemand weit und breit, was mir gefährlich werden könnte.

Der Feuerstrahl erlischt.

Betrachte mein Schwert nun einmal von nah. In Drachenrunen geschrieben, die niemals bei Tag, sondern nur im Mondinlicht leuchten - deshalb also wachte ich auf -, steht da sein Name, der auch einer meiner Namen ist. Weißblau strahlen die geheimnisvollen Zeichen, die Magie und Worte sind. Es ist ein Geschenk meiner Mutter Smorré-Aié. Ich aber erinnere mich an mehr. Kenne dieses Schwert, sein rotes Glühen, das leuchtend blaue Bild des Drachen am Griff. Als Menschenmagier gab ich ihm den Namen OM. Es ist mein Schwert aus alten Zeiten. Jetzt aber in Drachenhänden - denn ich habe noch immer einen Drachenkörper und stehe doch aufrecht, ganz nach Dinomenschen-Art, so wandelten sich meine Vorderbeine und Zehen in Arme mit Händen, die halten das Schwert - ist es kein Menschenschwert mehr. Jetzt trägt es einen anderen Namen, meinen Drachennamen Drachensohn.

Ich stecke das Schwert in meine Drachenhaut zurück, mit der es verschmilzt, denn wir beide sind eins.

Die Zeit des Wartens ist zu Ende. Es gibt kein Zögern mehr, keine Furcht vor dem lauernden Tod im Dunkel.

„Eisdämonen“ sind es, die da in den Tiefen des Nebellandes das Totenlied für alle Lebewesen singen. Ihr Ruf friert alles ein, hält Leben frisch für lange Zeit.

Tiere und Menschen mögen sie töten, Magier vielleicht, doch niemals Feuerwesen wie Drachen!

Was also kann mir schon geschehen!?

Nichts!

Ich breche auf.


Träumend und lautlos erhebt sich der Drache. Drachensohn überfliegt das Nebelland.


Unter mir kriechen die Eisdämonen aus ihren Höhlen, geweckt vom Rauschen meiner Flügel.

Jetzt greifen sie empor mit ihren eisigen Klauen.

Ich aber öffne meinen Mund und hauche mein Feuer über sie.

So schmelzen sie brodelnd und schreiend dahin, platzen spritzend auseinander.

Ein Weilchen kreise ich und genieße die Abkühlung von unten - oder habe auch ich ein böses weißes Herz, das nach Vergeltung/Rache für den Tod so vieler Lebewesen schreit?

Dann fliege ich weiter, lasse Wasserlachen unter/hinter mir zurück.


Lachend schwebt Drachensohn, dessen Flügel zu beträchtlicher Größe angewachsen sind - Quetzalcoatlus“, flüstert eine Stimme tief in ihm -, bis zur östlichen Grenze des Nebellandes. Ein weiter Weg ist dies - unüberwindbar für Menschenfüße, doch nicht für diese Drachenflügel.

Und während er durch den Raum gleitet, geschieht das Wunder - durch ihn allein, weil er es immer schon wollte und nicht konnte, weil er jetzt nicht daran denkt? - oder mit Hilfe seiner Drachenmutter und all der anderen weißen Drachen?

Niemals als Mensch, doch als Drache kann er es tun: nicht ihren toten Körper zum Leben erwecken, sondern ihre Seele zu neuem Leben.

So wird Nairra andernorts durch Drachenmagie wiedergeboren.

Jenseits des Nebellandes aber, niemals im Tal, doch an den Grenzen im Osten dort oben auf dem Plateau wehen die Westwinde über Stein, über Sand und Gräsernes Meer . Wahnsinn wehten und webten sie in Menschenhirne. Menschenseelen bliesen sie aus Menschenkörpern, nähmen die leeren Hüllen hinfort, wehten leere Körper übers Land - wenn es denn dort Menschen gäbe.


Das sind die Worte, die irgendwer spricht, das ist das Bild tief in mir, der ich nun nach meiner Landung hier unten am äußersten östlichen Rand des Nebellandes stehe, nicht oben, sondern am Fuß der Felsenwand, die kilometerweit hoch in die Himmel zu reichen scheint und noch immer wächst - oder erscheint es mir nur so, weil ich vom gewaltigen Drachen zum winzigen Menschen schrumpfe?

Nun stehe ich also hier, mit einem Fuß noch im Nebelland und mit dem anderen schon in der Schlucht, drehe mich im Kreis, drehe mich im Wind, von Ost nach Süd nach West nach Nord nach Ost. Dann verharre ich und nur mein Auge ist es, das adlergleich in Kreisen mit dem Aufwind nach oben steigt und dort auf Wolken und Wind reitend sich weiter im Kreise dreht.

Jetzt habe ich den gewünschten Überblick: sehe unter mir die Nebel im Westen, eine winzige Gestalt und eine Schlucht, die in zahlreichen Windungen den schützenden Felsenring von West nach Ost durchquert.

Mein Blick fällt wieder hinab, kehrt zurück in meinen Menschenkörper.

Nun verstehe ich, was ich sah und was es für mich bedeutet: Die Schlucht, das ist der Weg des Wanderers, ein Weg, den wenige Wesen nur beschreiten. Denn nur die, die Nebel und Drachen und Eisdämonen überleben, nur sie gelangen hierher. Wie viele, wie wenige mögen das in den letzten Jahrtausenden gewesen sein? Es ist der einzige Weg durch die ruhenden Tafelberge hindurch, um weiter nach Osten in die großen Steppen zu gelangen. Es ist mein Weg.


Du aber wunderst dich schon wieder: Warum fliegt Manfred nicht einfach weiter. Flog er nicht eben noch als Drache durch die Lüfte? Und wenn es eine Grenze wäre für Drachen, vielleicht dann nicht für Raben. Könnte er nicht auch jetzt noch als Mensch hinaufschweben. Begann nicht seine Reise vor langer Zeit mit seinem Aufstieg ums Rathaus herum und seinem Flug aus der Stadt ?

Ja, vieles könnte anders sein und anders geschehen. Nichts ist vorhersagbar. Ein kleiner „Zufall“, und schon ... hat der Wind ihn gepackt und fortge...

Nein, noch nicht.


Jetzt wage ich den ersten Schritt, der immer der schwerste ist, setze einen Fuß in die Schlucht hinein und - es geht ja - auch den zweiten. So also verlasse ich das Nebelland, das ich wohl niemals wiedersehen, -fühlen, -erleben werde.

Wind bläst mir in den Rücken, treibt mich voran. Wind heult in meinen Ohren, dringt in meinen Geist ein. Wind heult mit meiner Seele!

Halte ich mir die Ohren zu?

Stehe ich aufrecht da mit erhobenen Armen und warte?

Nein. Ich falle auf alle Viere. Hebe meinen Kopf und schaue empor.

Voll geht die Mondin über mir auf - in einer nie erahnten Größe, noch sind da Farben für einen Augenblick, dann schon nicht mehr. Denn ich habe mich verwandelt. Heule sie an wie die anderen auch, falle zurück in andere Zeiten, bin Wolf unter Wölfen.

Dieses Heulen aber gebärt Höllen.

Oder sind es Erinnerungen an ferne Zeiten und Welten?

Bin der Schrei der Folter, Opfer von Feuer und glühender Eisen. Bin das Stöhnen der Henkersknechte, die wiedergeboren nun selber Opfer sind.

Weiter, immer weiter. Wirble hinab in tiefste Tiefen. Schon lange ist da kein Denken mehr, sondern nur Fühlen. Andere Visionen, Wahnsinn, Höllenträume, Höllenbilder, Höllenqualen packen mich.

Einer tritt mir entgegen, der ist wie ich und ist es doch nicht. Auch er kann Menschengestalt annehmen, jetzt aber ist er ein Rabe. Mal­phas ist sein Name. Einer der hohen Gebieter der Menschenhölle ist er, der mich jetzt mit heiserer Stimme anspricht.

Ich sehe und höre, doch verstehe ich ihn nicht, der in seiner Welt mächtig ist, aber nicht in meiner. Dort befiehlt er über 40 Legionen von Teufeln. Dort - doch nicht hier. Ich verstehe ihn nicht und verliere ihn aus dem Sinn. Schon ist er verschwunden.

Finde mich wieder in einer Nebelhölle, die sich wandelt in leeres Nebelland, also Land, fester Boden unter meinen Menschenfüßen, Rettung.

Erwacht in meinem Menschenkörper, schaue ich mich um. Da ist kein Nebel, da ist kein Wesen weit und breit. Hinter mir sehe ich die Pforte zur Schlucht, durch die ich ging.

Ich gehe weiter meinen schmalen Weg. Neben mir ragen die Wände aus Granit bis in die Wolken auf, die weder ziehen noch sich wandeln, sondern nur eine einheitliche graue Decke bilden. Dunkelheit am Tag und Schwärze bei Nacht. „Mordor“, fällt mir ein, welch seltsames Wort: „Mordor“. Düsternis und Trübsal überall, doch im Zentrum meiner Stirn brennt das Lebenslicht - Hoffnung. Daraus entspringt und windet sich hell und klar noch immer mein Leuchtender Pfad.


So schreitet Manfred zügig voran, Tag und Nacht und Nacht und Tag, denn sein Licht trägt er bei sich, das ihm den Weg zwischen den Steilwänden weist. Weder hungern noch dürsten muss er. Er trinkt aus seinen Händen das kühle Nass - winzige Bäche treten da aus Spalten zwischen den Felsen aus. Etwas von Wolf und Drache muss in ihm verblieben sein. Denn er fängt sich manche Maus mit Zähnen, auf Chamäleonart mit gewaltig verlängerter Zunge oder einfach nur mit seinen Händen. Was für ein Anblick/Laut/Geruch in den Sinnen der Ratten, die durch seinen Blick gebannt sitzen bleiben und darauf warten, von ihm verspeist zu werden. Dann wird er aufgehalten. Vor ihm liegen Berge von Geröll.


Ich schließe meine Augen und sehe in mir, was einst hier geschah:

Die Erde bebt. Die steinernen Wände erzittern. Felsen stürzen in die Schlucht und füllen sie meterhoch auf.

Ich bin Schlucht und werde von ihnen getroffen.

Ich bin Felsen und falle hinab, schlage unten auf und zerbreche in viele Teile.

Ich bin alles und sehe und fühle und - kehre zurück in meine Zeit und meinen Menschenkörper. Öffne meine Augen und sehe empor in den schwarzen Sternenhimmel - kein Grau, keine Wolken mehr - und breite meine Arme aus, die sich nun nicht wandeln in befiederte Schwingen, sondern Menschenarme bleiben. Doch noch immer spiegeln sie meine Sehnsucht emporzuschweben. Und nichts ist da mehr, was mich unten halten könnte. Nichts hält mich nun noch auf. So ziehen sie meinen Körper mit sich fort. Fast ist es so, als zöge sich Baron Münchhausen selbst an den Haaren aus dem Sumpf. Doch meine Hände halten keinen Körperteil. Lautlos schwebe ich im Strom der warmen Luft am Felssturz empor. Vielleicht bin ich ja federleicht geworden und werde vom Wind emporgetragen wie Löwenzahnsamen, wer weiß. Bald werde ich oben angekommen sein, dort, wo auf endlos scheinenden Ebene jeden Morgen im Osten der Sonn aufgeht und fern die höchsten Berge der Erde auf mich warten. Dann werde ich wieder festen Boden unter den Füßen haben.

In welchen Körpern werde ich dort wohnen?

Wie viele Jahre werde ich dort oben vorwärts schreiten, galoppieren oder fliegen - auf wie vielen Beinen und mit welchen Flügeln auch immer?

Welchen Wesen werde ich dort begegnen?

Und wann werde ich am Ziel meiner Reise sein? Wo wird das sein?

Tränen weine ich, denn ich weiß, wie das Ziel heißt. Es hat nur einen Namen - in welcher Sprache auch immer -, einen Namen für alle Lebewesen dieses Universums, die geboren werden.

Er lautet „Tod“.

Wandlungen der Drei

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