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Der Sturz

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Dabei hatte es schon vor dem Gutachterbesuch ein Malheur gegeben: Gerda war schwer gestürzt. Ich war nicht wenig erschrocken, als sie eines Abends nicht am Wohnzimmertisch, sondern ziemlich verstört auf ihrer Bettkante saß. Ihre Haare waren blutverschmiert, auch auf dem Fußboden war viel Blut. „Mein Gott, was ist passiert, Mutti?“ „Ich habe mir den Kopf am Bett gestoßen!“ „Wie ist das möglich?“ Ich schaute sie ungläubig an. Ihr Bett war rundherum dick gepolstert, nirgends eine scharfe Kante. Aber woher kam das viele Blut auf ihrem Kopf und dem Fußboden? Aber gestürzt war sie, daran gab es keinen Zweifel. Und verletzt war sie auch. Daher gab es nur eins: Die 112 musste angerufen werden, um Gerda schnellstmöglich ins Krankenhaus zu schaffen. Die Sanitäter kamen auch sofort und wieder fuhren wir zusammen in die Klinik, dieses Mal allerdings ohne irgendwelche Einwände und Bedenken seitens meiner Mutter. Gottseidank war für mich schon Wochenende und ich konnte so lange bei ihr bleiben, bis sie vollständig versorgt war.

Das Warten auf eine Untersuchung nahm natürlich einige Zeit in Anspruch, da sie an diesem Abend – wie immer freitagabends – beileibe nicht die einzige Patientin in der Notaufnahme war. Da sie den Urin nicht so lange halten konnte, bis ein Arzt Zeit für sie hatte, und auch die zuständige Krankenpflegerin anderweitig beschäftigt war, ergab sich mit der Zeit ein immer stärker drängendes Problem. Auf Gerdas Wunsch hin machte ich mich schließlich selbstständig auf die Suche nach einer Lösung, indem ich mich in der nicht gerade kleinen Aufnahmestation auf Wanderschaft begab. Mit dem Ergebnis, dass ich in irgendeine Situation hereinplatzte, in der es wirklich um Leben und Tod ging. Hier fand ich die gesuchte Pflegerin. Ganz klar, dass sie über mein plötzliches Auftauchen an diesem unpassenden Ort ziemlich erbost war. Also wurde ich sofort von ihr angepflaumt und musste unverrichteter Dinge zu Gerda zurückkehren. Einerseits hatte ich Verständnis für die Beschimpfungen, die ich mir anhören musste. Andererseits wusste ich aber auch, wie sehr eine volle Blase schmerzen kann, und war ärgerlich, dass meine Mutter weiter warten musste.

Am Ende war alles gut: Gerda lag tags darauf zufrieden auf irgendeiner Station der Klinik im komfortablen Krankenbett. Zufrieden auch deshalb, weil sie hier endlich den Rundum-Service genießen konnte, den sie zuhause bisher so schmerzlich vermissen musste. Und auch ich war zufrieden, denn die Ärzte hatten bei ihr nichts Ernstes festgestellt: Der Kopf war sorgfältig untersucht und kein irreparabler Schaden festgestellt worden. Das Ergebnis dieser Untersuchung wurde später im Gutachten des MDK wie folgt zitiert: „…schwerer Sturz…mit Platzwunde am Hinterkopf und Schädelhirntrauma.

Zu unserer allgemeinen Verwunderung schien dieser schwere Sturz Gerda erstaunlich wenig ausgemacht zu haben. Weder klagte sie über Kopfschmerzen, noch machte sie nach ihrer Entlassung aus dem Krankenhaus einen lädierteren oder irgendwie verwirrteren Eindruck als zuvor. Tatsächlich konnten weder Petra noch ich selbst irgendeine wie auch immer geartete Wunde auf Gerdas Kopf entdecken, als sie wieder zuhause war. Die ganze Angelegenheit war für uns unerklärlich. Für mich, weil das Bett so gut gepolstert war, dass sich eigentlich niemand so daran verletzen konnte, dass Blut fließen musste. Und für Petra, weil sie auch bei genauerem Hinsehen überhaupt keine Verletzung am Kopf erkennen konnte. Weder eine Platzwunde, noch einen Beule, einen Bluterguss oder etwas Ähnliches.

Schließlich war es meine Frau, die mit der ihr eigenen Hartnäckigkeit das Rätsel endlich löste: Am Tag nach dem Klinik-Aufenthalt, als wir alle wieder einigermaßen zur Ruhe gekommen waren, entdeckte sie bei Gerda eine dem Anschein nach von der Klinik unbeachtete und unversorgte Risswunde an ihrem linken Handgelenk. Es folgte ein kurzes Rätselraten, und dann lag die Wahrheit offen zutage: Mutti war wohl auch mit dem Kopf gegen das Bett gestoßen, sie hatte sich aber offensichtlich nicht am Kopf verletzt, sondern am Handgelenk. Das Blut, das vermeintlich aus einer Platzwunde am Kopf stammen sollte, war in Wirklichkeit aus ihrem linken Arm geflossen. Sie musste sich mehrfach mit der Hand über ihren Kopf gegangen sein, sodass das aus dem Handgelenk austretende Blut ihre Haare verschmiert hatte. Unglaublich, aber wahr: Die Ärzte in der Klinik waren allein nach dem äußeren Anschein gegangen (blutige Haare) und hatten so – trotz des größtmöglichen denkbaren technischen Aufwandes (Röntgen und Computer-Tomografie) – haarscharf an den medizinischen Tatsachen vorbei diagnostiziert. Leider sollte das kein Einzelfall bleiben…

Tod einer Kassenpatientin

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