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4. KAPITEL

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Felix Dännicke war an diesem Morgen beim Verlassen seines Grundstückes in Blankeheide aufgeregt, aber in froher Erwartung auf seinen ersten spannenden Tag im Arbeitskreis Finanzkonsolidierung. Er konnte es kaum erwarten, seine Ideen darin einzubringen und dafür zu kämpfen, dass seine – und nur seine – Vorschläge in die Tat umgesetzt wurden. Seinen Boss Schuster hatte er bereits auf seiner Seite. Die übrigen Mitglieder des AK wollte er erst einmal in Ruhe kennenlernen, um sich dann auf eine bestimmte Strategie festzulegen, die ihn seinem Ziel näher brachte. Heute war in der nördlichen Elbestadt das erste Treffen angesetzt. Die Einladungen zu dieser Zusammenkunft wurden den Teilnehmern über ihre jeweiligen Parteien zugestellt – und waren geheim. Davon, dass Einzelne als Delegierte ausgewählt wurden, hatten nur die Vorstandsmitglieder der Parteien Kenntnis, da diese im Parlamentarischen Kontrollausschuss mit der Regierung die Zusammenstellung des AK beschlossen hatten. War der Arbeitskreis erst einmal gebildet und arbeitsfähig, agierte er absolut autark und losgelöst von den Parteien, dem Parlament und der Bundesregierung. Die Befugnisse der AK waren enorm, konnten sie doch ohne Weiteres Gesetze formulieren und auf dem kleinen Dienstweg der Regierung zum Beschluss vorlegen. Die meisten der seit 2017 beschlossenen Gesetze waren auf diesem schnellen, geheimen und undemokratischen Weg in Kraft getreten.

So sollte es auch diesmal werden!

Felix kannte die Aufgabenstellung bereits ziemlich genau, dafür hatte Schuster gesorgt. Diesem lag viel daran, dass sein Schützling besonders erfolgreich in dem AK auftreten konnte, ja vielleicht sein Vorschlag zum Gesetzentwurf wurde.

Als Felix die einspurige Behelfsbrücke überquert hatte, die die einst stolze Köhlbrandbrücke ersetzen musste, nachdem sie im vierzigsten Jahr ihres Bestehens mangels Wartungs- und Sanierungsmöglichkeiten gesperrt worden war, bog er in die Seitenstraße ein, in der Schuster wohnte und dieser vor seinem Haus auf Felix wartete.

„Moin, Schuster“, sagte Dännicke nach dem Öffnen der Autotür.

Die Anrede mit dem Nachnamen war nichts Ungewöhnliches und tat ihrem ansonsten guten Verhältnis keinen Abbruch. Sie wechselten je nach Stimmung zwischen dem Vor- und Nachnamen hin und her.

„Moin, Dännicke, Sie sind pünktlich da, das ist gut. Kennen Sie den Weg zu unserem Termin?“

Er war während der Begrüßung in das Auto eingestiegen und Felix Dännicke hatte den Wagen sogleich wieder in Bewegung versetzt.

„Ja, ich weiß, wohin wir müssen, musste schon mal Ihren Vorgänger hinbringen. Sonst haben wir da bisher keinen Zutritt gehabt.“

Er meinte eine Wohnung, die im Besitz der Bundesregierung stand und für geheime Zwecke konspirativ zur Verfügung gestellt wurde. Da der Arbeitskreis auf Betreiben der Regierung entstehen sollte, stellte die Wohnung kein Problem dar. Die eigentlich geplante Videokonferenz hatte Schuster spät abends abgesagt und stattdessen das Treffen im Stadtteil Schönefeld übermittelt. Auch die anderen Teilnehmer hatten diese Planänderung von ihren Parteien erhalten.

Sie fuhren weiter Richtung Schönefeld. Sie hatten nun noch ungefähr eine viertel Stunde zu fahren, als sich Schuster fragend an Felix wandte: „Dännicke, haben Sie eine Vorstellung von dem, was Sie da heute erwartet? Ich bin nur zur Einführung und Verifizierung dabei. Dann bin ich in anderer Sache unterwegs.“

„Ja. Ich habe etwas mitbekommen, als Sie die Aufgabenstellung einmal online hatten. Sorry, wollte nicht zu neugierig sein. Es geht um die Finanzkonsolidierung unseres Landes. Ich habe das ganze Memo gelesen. Ich hatte damals den Eindruck, dass Sie es zu diesem Zweck geöffnet hatten.“

„Stimmt. Ich wollte, dass Sie bereits frühzeitig mit dem Thema konfrontiert werden, weil ich Sie auf diesem Gebiet für kompetent halte. Sie wissen das. Konnten Sie mit der Hilfestellung etwas anfangen? Ich hoffe, ja. Dännicke, ich zähl’ auf Sie. Auch ich habe noch Karrieresprünge vor mir und ich brauche Vertraute um mich herum. Den allgemeinen Parteimob möchte ich nicht überall haben.“

„Danke. Weiß schon, dass ich da große Vorschusslorbeeren bekommen habe. Ich habe seit dem Lesen des Memos an fast nichts anderes mehr gedacht und brenne nun darauf, meinen Vorschlag einzubringen. Wie viele Mitglieder wird denn der AK haben?“

„Außer Ihnen sind noch elf andere bestellt. Am besten, Sie lassen es ruhig angehen. Verschießen Sie nicht zu früh Ihr ganzes Pulver. Immer schön taktisch denken und handeln. Halten Sie die anderen einfach für impulsive Trottel.“

„Leicht gesagt. Ich gebe mir Mühe und halte Sie auf dem Laufenden. In zwei Minuten sind wir da.“

Sie bogen in eine kleine Nebenstraße der Friedrich-Ebert-Allee und hielten in der Nähe der Hausnummer 19 f.

„Hier müssten wir richtig sein“, sagte Dännicke zu seinem Boss und dieser nickte kurz. Schuster wirkte auf einmal etwas wortkarg und verschlossen. Wahrscheinlich lag das an der Örtlichkeit, dachte sein Schützling und nahm es so hin. Sie gingen die letzten Schritte zu dem unauffällig gesicherten Eingangstor. Schuster nahm sein ID und sendete einen Code, den er zusammen mit der Nachricht zum Versammlungsort erhalten hatte, an den Bildschirm, der neben der gewöhnlichen Klingel in das Mauerwerk eingelassen war. Die Tür öffnete sich und beide betraten das Grundstück. Dännicke sah sich kurz um und stellte fest, dass es sich um ein verwahrlostes altes Gelass mit einer großen, ehemals sehr schönen Villa handelte. An vielen Stellen war Sicherungstechnik zu sehen. Er dachte: ‚Gar nicht so schlecht. Hier kann ich loslegen.‘

Schuster sendete an der Haustür erneut den Code und sie erhielten den Zugang in das Haus. Aus den Räumen hörten sie leises Stimmengewirr. Aus einem Zimmer kam ihnen eine junge Frau entgegen, die sie gleich persönlich ansprach: „Guten Tag, Herr Schuster und Herr Dännicke. Wir haben Sie bereits erwartet. Die übrigen Mitglieder sind bereits geprüft und warten. Bitte kommen Sie mit mir zum Administrator und erledigen Sie die Formalitäten.“

Sie folgten ihr und händigten dem Administrator ihre ID aus. Dieser prüfte mit seinem eigenen ID die Richtigkeit und nickte der jungen Frau kurz zu.

„Alles okay“, sagte er knapp.

Mit dem Abgleich der ID wurden notwendige Formalitäten im Vergleich zu früher deutlich vereinfacht. Es brauchten keinerlei Dokumente vorgelegt, ausgetauscht oder geprüft werden.

Die Empfangsdame bat erneut, ihr zu folgen, und sie betraten den eigentlichen Versammlungsraum, das ehemalige Wohnzimmer des Hauses. Es hatte eine stattliche Größe. Bis auf einen großen Konferenztisch mit zwölf Bürosesseln war es leer. Vor jedem Sessel lag ein großes Tableau, eine Weiterentwicklung der früher verwendeten Tablets. Mit diesen waren sämtliche Bürovorgänge zu erledigen: Präsentationen, Schriftstücke verarbeiten, Nachrichtenverkehr aller Art, Speicherung und anderes. Mit dem Einsatz dieser Hardware gab es kein einziges Stück Papier mehr.

Felix Dännicke war zufrieden und stellte sich vor: „Guten Morgen, meine Herren. Ich bin Felix Dännicke vom LBD. Das hier ist mein Boss Herbert Schuster.“

Der Erwähnte sah Dännicke von der Seite etwas unverständlich an, war er doch der Vorgesetzte und wollte die Einführung selbst übernehmen. Doch Dännicke fuhr unbeirrt fort: „Ich bin – genau wie Sie – in den AK berufen worden. Ich hoffe auf gute Zusammenarbeit und erwarte schon heute erste Ergebnisse.“

Seine forsche Art kam bei den übrigen Mitgliedern überhaupt nicht an.

Der bis zu diesem Zeitpunkt Wortführende antwortete ihm: „Guten Tag, Herr Dännicke. Mein Name ist Ostermann. Ich bin Delegierter der SDW.“

Die SDW – die Sozialdemokratische Wählervereinigung – stellte die Nachfolgeorganisation der Mitte der 2010-er Jahre aufgelösten Partei der Sozialdemokraten dar.

Nacheinander stellten sich nun auch alle anderen Anwesenden vor. Es waren insgesamt drei Mitglieder der christlich orientierten Partei, vier der PDZ – der Partei der Zuwanderer – und drei der SDW versammelt. Felix Dännicke sollte gemeinsam mit ihnen sowie mit der einzigen Frau in der Runde, die der Linksgrünen Partei angehörte, den Arbeitskreis zur Finanzkonsolidierung bilden. Alle Delegierten waren jung, hatten einen sehr guten Bildungsgrad und hohen innerparteilichen Rückhalt. Jede Partei hatte ihre hoffnungsvollsten Nachwuchskader gesandt. Es war dies der ausdrückliche Wille der Bundesregierung und sollte sicherstellen, dass nur die besten und fähigsten politischen Köpfe mit der Aufgabe betraut wurden.

Nachdem Schuster und auch die anderen Begleiter der Delegierten, die junge Angestellte und der Administrator das Haus verlassen hatten, befand sich der Arbeitskreis endlich unter sich. Es gab keine Tages- oder Rangordnung, die das weitere Vorgehen bestimmen könnte.

Dännicke erhob als Erster das Wort: „Also, ich glaube, wir sollten uns erst einmal auf ein grobes Konzept für unsere Vorgehensweise verständigen. Wahrscheinlich hat niemand von uns jemals in einem AK gearbeitet. Ich habe mir vorsorglich erste Gedanken gemacht und wir könnten uns darüber austauschen. Wer hat dazu Einwände?“

Ostermann, der Sozialdemokrat antwortete: „Nein, da gibt es sicher nichts einzuwenden. Jedoch sollte sich zusätzlich auch eine gewisse Struktur in unserem AK bilden. Einfach drauflos zu philosophieren halte ich nicht für zielführend.“

Er hatte die Gabe, sich äußerst korrekt und gewählt auszudrücken. In seinen Sätzen kamen niemals ein „Äh“, ein „Mhm“ oder andere Füllwörter vor, die auf Unsicherheit schließen ließen. Sprachlich war er top und Dännicke schon mit den ersten Sätzen überlegen.

Dieser erwiderte: „Okay. Wir sollten dafür nacheinander unsere Vorstellungen äußern, vielleicht Wahlvorschläge machen und daraus einen Vorsitz wählen. Ich selbst würde diese Funktion gerne übernehmen. Da ich mich nicht selber vorschlagen will, möchte ich Herrn Ostermann dafür nominieren. Keiner von uns sollte sich selbst zur Wahl vorschlagen.“

Die Eigendarstellung von Dännicke stieß bei den meisten der Anwesenden auf Verwirrung; ging es ihnen doch hauptsächlich um die Sache selbst. Natürlich war das auch bei Dännicke so, doch er wollte zusätzlich, dass seine Arbeit das größtmögliche Gewicht in der Runde bekam. Wer nahm schon irgendeinen Hinterbänkler für voll. Seine Devise war: Sofort in die Vollen. Nach außen mochte er etwas Sachlichkeit und Zurückhaltung vortäuschen, in Wirklichkeit wollte er jedoch der absolute Streber und „Klassenbeste“ sein.

Die übrigen Mitglieder des AK nahmen trotz ihrer Vorbehalte die Diskussion in der vorgeschlagenen Art und Weise auf. Stets war es Dännicke, der das Wort übernahm, Sichtweisen anderer interpretierte und sich langsam, aber sicher als dominierender Teilnehmer hervortat. Richtigerweise lenkte er den Dialog erst darauf, eine Hierarchie in die Gruppe zu bringen. Dabei ließ er jedoch unbedingt als oberste Priorität festhalten, dass alle Stimmen gleichberechtigt waren, die Rangordnung lediglich der organisatorischen Handhabe wegen notwendig war. Nachdem dieser Gesprächsteil zu seiner Zufriedenheit Fortschritte machte, steuerte er auf das Kernthema des AK hin. In einer gesicherten Datei auf den Tableaus der Regierung fanden die Teilnehmer eine genau ausformulierte Aufgabenstellung. Es wurden Eckpunkte definiert, Zeitrahmen abgesteckt und die in etwa zu erfüllenden Erwartungen definiert. Zusätzlich war darin festgelegt, in welcher Form der endgültige Vorschlag für die Gesetzgebung zu erfolgen hatte und wie die finanziellen Auswirkungen dieses Vorschlages darzustellen waren. Abschließend gab es vertragliche Regelungen für eine Prämierung der erfolgreichen Gesetzgebung, die abhängig vom finanziellen Ergebnis war.

Der gesamte Vormittag wurde angestrengt mit Gesprächen verbracht. Nach einer einstündigen Mittagspause war bereits die vierte Stunde des Nachmittags angebrochen, als Ostermann und Dännicke gemeinsam beziehungsweise abwechselnd die Zusammenfassung des Tages vortrugen.

Dännicke begann: „Zuallererst möchte ich mich für das mir entgegengebrachte Vertrauen bedanken. Ich werde versuchen, mit dem mir übertragenen Vorsitz und meinem Stellvertreter, Herrn Ostermann, die Arbeit unseres AK ordnungsgemäß voranzubringen und ein gutes Endergebnis an unsere Auftraggeber, die Bundesregierung, zu übergeben. Die Aufgabenstellung wird in komprimierter Form von Herrn Ostermann noch einmal zusammengefasst. Bitte, Herr Ostermann.“

Der Angesprochene stand auf und ging an das Kopfende des Beratungstisches, an dem auch Dännicke saß. Er nahm die Gesprächsaufforderung an.

„Auch ich möchte mich für den uns entgegengebrachten Vertrauensvorschuss bedanken und mich denselben Zielen verpflichten, die Herr Dännicke prioritär vorgetragen hat. Unsere Aufgabenstellung in Kurzform: Die Bundesregierung hat einen Sachstandsbericht über die finanziellen Auswirkungen von Schwarzarbeit und Steuerschuld in unserem Land vorangestellt. Diesem ist zu entnehmen – bitte sehr vertraulich mit diesen Daten umgehen, sie sind nicht öffentlich zugänglich –, dass jährlich bis zu eintausendvierhundert Milliarden DEuro Steuergelder dadurch verloren gehen. Die bisher publizierten Größenordnungen gingen noch von siebenhundert bis neunhundert Milliarden aus. Diese Größenordnung ist für unser Sozial- und Gesellschaftssystem nicht mehr tragbar. Es gilt zu verhindern, dass Geldströme eines solchen Ausmaßes unserem Finanzsystem Jahr für Jahr verloren gehen, und sicherzustellen, dass wieder deutlich mehr Steuerehrlichkeit entsteht. Ob unsere Wählerinnen und Wähler dies erzwungen oder freiwillig vornehmen, ist dabei egal und sekundär. Das betone ich ausdrücklich!“

Bei diesen Worten sah er jedem Einzelnen in der Runde in die Augen und verlieh seiner Auffassung noch mehr Nachdruck.

Er fuhr fort: „Wir haben also die Aufgabe, ein Instrument zu erfinden oder zu schaffen, das kostengünstig den Bereich Schwarzarbeit, Schwarzgeldverkehr, Bestechung und Korruption sowie damit einhergehende Steuerhinterziehung eindämmt, bestenfalls sogar komplett vermeidet. Ich weiß, es haben vor uns schon mehrere Politikergenerationen versucht, diesen Missstand zu verbessern und Schwarzgeldgeschäfte auszutrocknen. Auch die haben es nicht geschafft. Umso mehr sind wir gefragt.“

Ostermann nickte zum Zeichen dafür, dass er seine Rede beendet hatte.

Ein Teilnehmer, er war Mitglied der PDZ warf nun ein: „Wir sollten uns heute noch austauschen, wann und wie oft wir uns hier treffen. Welche Ergebnisse oder Teilergebnisse erwarten wir das nächste Mal, wer führt diese zusammen, gibt es interne Gruppen, die einen gemeinsamen Weg beschreiten möchten? Und wann werden wir unser Endergebnis der Regierung präsentieren?“

Nun ergriff Felix Dännicke erneut das Wort und antwortete: „Sie haben natürlich recht mit Ihren Fragen. Zunächst sollten wir uns zweimal im Monat hier einfinden und den jeweiligen Stand auswerten. Wir haben dafür auch Zwischenberichte zu verfassen, was Herr Ostermann und ich übernehmen werden. Für unsere nächste Zusammenkunft würde ich bitten, dass jeder Einzelne oder eventuell gebildete Gruppen bereits den endgültigen Vorschlag vorstellen. In den Folgeterminen sollten diese dann im AK genau geprüft, verfeinert oder verworfen werden. Sämtliche Folgetermine sollten nur dazu dienen. Es gilt also, beim nächsten Mal bereits ganze Arbeit geleistet zu haben. Das wird sicher etwas mehr Zeit in Anspruch nehmen als einen Tag. Deshalb sollten wir uns zwei volle Tage dafür einplanen. Über die Gruppen stimmen wir noch ab. Gemäß unserer Aufgabenstellung haben wir als Endtermin den 31. Januar nächsten Jahres einzuhalten. Bis dahin kommen wir also auf sieben Termine. Das sollte zu schaffen sein.“

Er sah Ostermann erwartungsvoll an. Dieser hatte zwar keine weiteren Ergänzungen, fragte die Runde aber mehrfach, ob sie bezüglich der Bildung von Gruppen Wünsche hätte. Man einigte sich darauf, dass sechs Mitglieder einen gemeinsamen und die restlichen fünf jeweils einen Einzelvorschlag einbringen sollten. Nun entbrannte eine hitzige Diskussion darüber, wie die Stimmenverteilung dazu erfolgen konnte. Die Mitglieder mit Einzelvorschlägen bestanden darauf, dass die Gruppe nur eine Stimme hatte. Ansonsten wäre die Chancengleichheit von Beginn an nicht existent; die Sechsergruppe würde alle anderen überstimmen.

Das mussten nach eineinhalbstündigem heftigem Schlagabtausch auch diese Gruppenmitglieder anerkennen, und es wurde abschließend festgelegt, dass jeder Vorschlag eine Stimme hatte und dabei für den eigenen nicht selbst gestimmt werden durfte. Das war das größtmögliche Maß für eine gleichberechtigte und faire Stimmabgabe. Ostermann und Dännicke wollten natürlich jeder einen eigenen Vorschlag abgeben.

Gegen Ende des Abends schrieb Dännicke eine Kurzfassung des Gesprächsverlaufes in sein Tableau und legte es für alle zugänglich ab. Nach außen konnten die Daten nicht gelangen. Der Administrator hatte ein eigenes geschlossenes Netzwerk angelegt, das nur dem AK selbst und den Mitgliedern des Parlamentarischen Kontrollausschusses zugänglich war. Geheimer konnte dieser Arbeitskreis nicht arbeiten. Immerhin durften die Mitglieder die Tableaus mit nach Hause nehmen. Allerdings mussten sie dafür auf ihrem ID eine persönliche Haftungserklärung bestätigen. Sollten Daten nach außen gelangen oder die Geheimhaltungspflicht verletzt werden, sah diese drastische Strafen vor.“

Felix Dännicke war zufrieden, als er auf seinem Weg nach Hause war. Er hatte es vorerst geschafft, im AK eine führende Stellung zu beziehen, und er konnte seine Konkurrenten auf nur fünf Gegenvorschläge reduzieren. Den ganzen Tag über hatte er unbemerkt seine Beobachtungen der anderen Teilnehmer notiert, etwa auffallende Eigenschaften, Schwächen, Vorlieben oder die vermutete Herkunft und persönliche Eigenarten. Er wusste nicht konkret, wie er diese Informationen zu seinem Vorteil nutzen konnte, nahm sich aber vor, Mittel und Wege zu finden, seine Konkurrenten genauer unter die Lupe zu nehmen und ein möglichst großes Detailwissen über sie zusammenzutragen.

Seit der Einführung der ID war es nicht mehr möglich, mit dem eigenen Mobiltelefon, also im Internet mit Hilfe der früher üblichen Suchmaschinen Namen, Anschriften und andere persönliche Informationen über Personen herauszufinden. Die Suchmaschinen wurden im Zuge der Internetrestriktion ab dem Jahr 2015 gesperrt – waren damit nicht mehr existent. Überhaupt wurde das Internet ab diesem Zeitpunkt dermaßen streng überwacht und eingeschränkt, dass es inzwischen unmöglich war, einfach einen Namen zu scoogeln, wie es früher gang und gäbe war. Die Mitglieder des AK kannten sich faktisch nicht und hatten auch keine Möglichkeit, jeweils gegenseitig tiefgründigere Daten zu erhalten.

Felix Dännicke jedoch würde es trotzdem versuchen.

2022 – Unser Land

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