Читать книгу Schattenjagd - Rainer Heuberg - Страница 7
3. Wegstecken
ОглавлениеDer Minister sah asketisch aus und blickte durch uns hindurch, als wir Michaels Arbeitszimmer betraten. Der Herr Minister war mit seinen Gedanken ganz woanders. Er hatte hinter Michaels Schreibtisch Platz genommen. Die indirekte Beleuchtung gab dem Raum etwas Einschläferndes. Auf einer Zweiercouch, etwas weiter rechts, saß ein Mittdreißiger allein und nuckelte an einer Zigarette. Der Schein der Schreibtischlampe reflektierte auf den Gläsern seiner Nickelbrille. Der Minister hatte seine Hände vor sich auf die Platte gelegt. Ganz ruhig hielt er sie. Überhaupt, es war keine Bewegung in ihm.
»Das ist Thomas Herbst«, sagte Michael.
»Ich freue mich, daß Sie Zeit für mich haben, Herr Herbst«, sagte Axel Sand ohne jede Wärme in seiner Stimme.
»Dann werd’ ich mal wieder …«, sagte Michael.
»Vielen Dank, Dr. Thomsen«, sagte der Minister, »wir sehen uns nachher noch, wenn ich offiziell da bin.«
Michael nickte, und ich hörte in meinem Rücken das leise Klappen der Tür.
»Nehmen Sie Platz«, sagte der Minister.
Ich sah mich um, der Mann auf dem Sofa machte keinerlei Anstalten zu rutschen. Ich setzte mich in einen bequemen Ledersessel.
»Wer ich bin, wissen Sie ja bereits. Und das ist Dr. Mikat, mein persönlicher Referent. Er wird bei unserem Gespräch dabeisein. Das heißt, wenn es Sie nicht stört, Herr Herbst.«
»Stört mich nicht.«
Dr. Mikat neigte seinen Kopf, es sollte wohl zur Begrüßung sein, und verzog seine schmalen Lippen zu einem Lächeln. Gut sah das nicht aus. »Es ist wohl klar, daß unter uns bleibt, was wir hier besprechen.«
»Kommt drauf an«, sagte ich.
Dr. Mikat ruckte ein bißchen mit dem Oberkörper.
»Worauf?«, fragte der Minister.
»Wenn Sie mir zum Beispiel erzählen, daß es nachher regnen wird, sähe ich keinen Grund, es den anderen nicht zu sagen.«
Sands Arm schnellte hoch, als wollte er meine Worte wegwischen.
»Es wird nicht regnen, Herr Herbst. Auch nicht hier im Zimmer.«
Dr. Mikat ruckte zurück.
»Dann muß ich ja auch nichts sagen.« Ich zündete mir eine Zigarette an.
»Sie führen Ermittlungen durch?«
»Wer sagt das?«
»Ihr Freund, Dr. Thomsen. Ich habe ein persönliches Problem, und so fragte ich ihn, ob er jemanden wisse, der vielleicht helfen könne.«
»Und was ist das für ein Problem?«
»Es geht um meine Tochter.« Noch immer hielt er sich ruhig. Seine rechte Wange leuchtete gelb vom Schein der Schreibtischlampe. Sein Haar war ganz kurz geschnitten; durchzogen von vielen grauen Haaren, war es dennoch voll. Soweit ich sehen konnte, hatte er nicht ein Gramm Fett zuviel am Körper, bestimmt joggte er oder riß sich Ansätze von überflüssigen Pfunden in einem Fitness-Studio vom Leib.
»Was ist mit ihr?« fragte ich.
»Das ist eine lange Geschichte …«
»Fangen Sie am Anfang an.«
Ich sah das kurze Flackern in seinen Augen, mehr an körperlicher Reaktion gab er nicht von sich.
»Meine Tochter ist verschwunden, und ich möchte, daß Sie sie finden und nach Hause zurückbringen.«
»Wie alt ist Ihre Tochter?«
»Einundzwanzig Jahre …«
»Warum?«
»Warum, was?«
»Warum wollen Sie, daß ich sie finde und zurückbringe?«
»Sie ist meine Tochter …«
»Ach, kommen Sie. In diesem Alter wohnen die wenigsten Kinder noch zu Hause. Die Zeitungen sind voll mit den Sorgen der wenigen Eltern, deren Kinder sich noch nicht verabschiedet haben. Die machen sich Sorgen darüber, ob ihre Kinder noch normal sind.«
»Jutta ist normal.«
Dr. Mikat räusperte sich, und ich wußte nicht, ob er das als Kommentar zu den Worten seines Herrn meinte.
»Seit wann ist sie verschwunden?« fragte ich.
»Seit drei Monaten wohl …«
»Was heißt wohl?«
»So wie es aussieht, ist sie seit drei Monaten weg.
Ich weiß es aber erst seit 14 Tagen. Lassen Sie es mich erklären: Die Beziehung zwischen meiner Tochter und mir war nie besonders eng. Nachdem sie ihr Abitur gemacht hatte, wurde sie noch loser. Wir hören oftmals längere Zeit nichts voneinander. Vor 14 Tagen wollte ich etwas mit ihr klären und versuchte, sie zu erreichen. Sie lebt mit einer Freundin und Freunden in einer Wohngemeinschaft zusammen. Ich konnte sie nicht erreichen, denn man sagte mir, sie lebe schon seit drei Monaten nicht mehr in der Wohnung. Sie wäre ausgezogen, ohne eine Adresse zu hinterlassen, wo man sie erreichen könne.«
Ich zündete mir eine Zigarette an.
»Sie ist drogenabhängig«, sagte Dr. Mikat.
»Schon lange und was?« fragte ich.
»Ein, zwei Jahre vielleicht. Ich weiß es nicht.«
»Sie wissen es nicht?«
»Ich habe viel zu tun, und Sie wissen ja, wie die jungen Leute sind. Sie wollen unter sich sein und mit ihren Eltern nichts mehr zu tun haben. Wir plündern die Erde aus und machen überhaupt alles verkehrt. Auch wenn man sich Sorgen macht, sie lachen einen aus. Sie wollen nicht, daß man sich um sie kümmert, daß man fragt, daß man sich in ihr Leben einmischt, wie sie es nennen.«
Der Minister stand auf und begann in Michaels Arbeitsraum auf und ab zu gehen. Dr. Mikat folgte jeder Bewegung seines Chefs mit den Augen. Axel Sand blieb an einem Bücherregal stehen und fuhr mit seiner schmalen Hand über das Einbandleinen der Gesetzestexte.
»Erzählen Sie doch bitte einmal zusammenhängend.«
Er drehte sich um und sah durch mich hindurch. Ich* dachte an Paola.
»Vor gut zwei Jahren zog sie mit ihrer besten Freundin zusammen, ziemlich bald nach dem Abitur. Mit Simone ist Jutta seit dem Anfang ihrer Gymnasialzeit zusammen. Ein unzertrennliches Paar …«
»Und diese Simone, sie weiß nichts?« fragte ich.
»Nein«, er zog die Schultern hoch, »sagt sie jedenfalls.«
»Fräulein Bald ist eine sehr eigenwillige und exzentrische Persönlichkeit«, sagte Dr. Mikat.
»Simone Bald?« Ich zog mein kleines Notizbuch aus der Tasche.
Dr. Mikat nickte und nannte mir auch die Adresse. Beides notierte ich und legte dann das Buch auf den Beistelltisch.
»Vor etwa drei Monaten hörte ich auch tatsächlich das letzte Mal von meiner Tochter. Sie rief mich im Büro an und wollte mich sprechen/aber ich hatte leider keine Zeit …«
»Leider?« fragte ich.
Der Minister ignorierte meinen Einwurf und redete unbeirrt fort: »… und wir verabredeten uns für den Nachmittag des nächsten Tages. Wer allerdings nicht erschien, war meine Tochter. Ich war darüber nicht verwundert, denn das kommt häufiger bei ihr vor. Sie ist nicht gerade zuverlässig. Obwohl es ihr am Vortag noch wichtig schien, mich zu sprechen, tauchte sie nicht auf und meldete sich auch nicht. Ich ärgerte mich noch nicht mal besonders darüber, denn ich bin es schon gewöhnt, und außerdem habe ich zuviel zu tun, um darüber noch lange nachdenken zu können. Meine Zeit ist knapp genug, sie wird von meinem Stab wie Petersilie kleingehackt. Da bleibt nichts übrig, wenn Sie verstehen, was ich meine. «
Ich verstand es, und er schien sich über seinen Vergleich mit der Petersilie sehr zu freuen.
»Seit ihrem Anruf habe ich nicht mehr mit ihr gesprochen«, sagte der Minister. »Etwa vor 14 Tagen versuchte ich Fräulein Sand zu erreichen«, sagte Dr. Mikat, »weil Herr Sand sie zu sprechen wünschte, und da hörte ich, daß sie ausgezogen sei. Wir stellten Nachforschungen an, aber die verliefen im Sande …«
»Im Sande …?« fragte ich.
»Na ja, sehen Sie, Herr Herbst, das ist natürlich eine sehr diffizile Angelegenheit …«
Er sagte tatsächlich diffizil.
»Was soll das heißen?« fragte ich. Der Minister nahm wieder seine Wanderung auf. Die Luft im Raum wurde langsam stickig, und ich hätte gern etwas getrunken. Ich sah mich um und entdeckte in der Schrankwand eine Tür, die sehr nach Kühlschrank aussah.
»Schauen Sie doch bitte mal hinter der Tür nach, vielleicht versteckt sich da etwas Trinkbares.« Axel Sand öffnete die Tür, und das Licht ging an. Dr. Mikat sprang auf, um seinem Chef zur Hand zu gehen. Beim Einschenken fuhr Dr. Mikat fort: »Mit diffizil meine ich, daß die Tochter eines Ministers eben die Tochter eines Ministers ist, und daß man …«
»Ich habe berechtigten Grund zu der Annahme, daß meine Tochter nur für mich nicht erreichbar ist. Sie ist nicht tot, und sie ist auch nicht entführt.« Der Minister seufzte.
»Holt sie ihr monatliches Geld noch bei der Bank ab?«
»Nein.«
»Wovon lebt sie wohl?« fragte ich mehr mich selbst. Der Minister war seinem Referenten einen Blick zu und sagte: »Es gibt da die mehr private Mitteilung eines Drogenfahnders, daß Jutta sich Geld auf dem Strich besorgt.«
»Hui«, sagte ich, »nichts Offizielles?«
»Nichts Offizielles.«
»Könnte ich mit dem Mann sprechen?« fragte ich.
»Das läßt sich arrangieren, der Mann heißt Peter Ganz. Er arbeitet im Kiezgebiet.«
»Geben Sie mir lieber seine Telefonnummer, ich mach’ das nach meiner eigenen Methode. Sie können ihm aber meinen Namen nennen und ihm grünes Licht geben.«
Dr. Mikat zog ein Notizbuch hervor und nannte mir die Telefonnummer des Drogenfahnders.
»Aber wenn Ihre Tochter auf den Strich geht, dann braucht sie doch einen Bockschein.«
»Keine Meldung«, sagte Dr. Mikat.
»Keine Meldung«, wiederholte ich.
Dr. Mikat sah mich durchdringend an, während der Minister wieder am Schreibtisch Platz nahm.
»Und was sagt die Mutter dazu?«
»Nichts«, sagte der Minister.
»Und warum nicht?« fragte ich.
»Sie weiß es nicht, sie lebt seit fünf Jahren in einem Sanatorium. Sie ist hochgradig schizophren, und Hoffnung auf Besserung besteht nicht. Meine Familienverhältnisse sind wohl nicht ganz so, wie man sie sich vielleicht bei einem Minister vorstellt.«
Ich schwieg.
»Werden Sie Jutta suchen, Herr Herbst?«
»Ja.«
»Vielen Dank.« Axel Sand stand auf und schaltete die Schreibtischlampe aus.
»Da wäre noch eine Kleinigkeit …«
»Über die Gelddinge sollten Sie mit Dr. Mikat sprechen. Er hat jede Vollmacht. Am besten jetzt gleich, ich geh’ noch mal kurz zur Party.« Wieder fuhr er mit dem Arm durch die Luft, als wollte er irgend etwas fortwischen.
»Das meine ich nicht«, sagte ich.
»Was meinen Sie denn?«
»Was soll ich machen, wenn ich Ihre Tochter gefunden habe?«
»Kein Aufsehen, vor allen Dingen kein Aufsehen, Herr Herbst.«
Er reichte mir seine Hand, sie war schmal und kühl. Für einen Moment sah er mich durchdringend an und sagte dann zu Dr. Mikat: »Draußen in zwanzig Minuten, keine Minute länger. Sie geben mir das Zeichen.« Dann war er verschwunden.
»Wieviel wollen Sie?« fragte der Referent und zog ein Scheckheft aus seiner Innentasche.
»Zwanzigtausend. «
Er zuckte nicht einmal mit der Wimper, als er den Scheck auszuschreiben begann.
»Außerdem sollten Sie mir Ihre Telefonnummer geben«, sagte ich, »vielleicht fallen mir ja noch ein paar Fragen ein.«
Als er mir den Scheck überreichte, sagte er: »Äußerste Diskretion, wenn ich bitten darf.«
Ich wedelte mit dem Scheck hin und her. Als er die Tür öffnete, sagte er: »Stecken Sie ihn bitte weg.«