Читать книгу Pirmasens - Rainer Wieczorek - Страница 12

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SIE ZIEHT EINE ATEMSCHUTZMASKE ÜBER MUND UND NASE und lässt die Farbpigmente der Schnur auf den Bildträger schnappen. Eine schwarze Linie zeichnet sich ab, die dort staubt, wo der Faden aufprallt.

»Wie eine Gitarrensaite«, wird Wajaroff sagen, wenn sie wieder am Fenster stehen, und Danski wird ihn fragen, wie er auf das Thema seiner Arbeit gekommen sei. Er selbst sei Pfadfinder gewesen, wird Wajaroff antworten, Jungpfadfinder, um genau zu sein. Bis zum Hilfskornett der Sippe Bison habe er es gebracht. Einen Ledergürtel mit Pfadfinder-Schnalle, ein Fahrtenmesser mit Metallscheide, ein blaues Jungpfadfinder-Abzeichen und die schwarze Schlaufe des Hilfskornetts habe er getragen. Und das braune Hemd, vor dem die Kiosk-Besitzerin, Frau Pallmann, so erschrak, als er seine Kluft das erste Mal spazieren trug. Eigentlich sei es eher sandfarben gewesen, wüstenfarben, aber das konnte den Schreck nicht lindern. Dass man 1968 – und um dieses Jahr handelte es sich – Zwölfjährige, als sei nichts geschehen, in ein Braunhemd steckte, sei bezeichnend für die Entwicklung Deutschlands in den ersten Nachkriegsjahrzehnten gewesen, so Wajaroff. Und nach einer Pause: »Ich jedenfalls fand mich schick und erinnere mich noch bestens, wie ich mit jener Wandergitarre, die mir meine Eltern bei Kaplan Eberhard gekauft hatten, durch die Dunkelheit der Wintermonate zur Gruppenstunde ging: Die Zeit der Abgrenzung war gekommen. Christian Nestmann, mein Gruppenführer, ein sogenannter Rover (rotes Abzeichen), führte ein Ringbuch, in dem er selbstabgetippte Beatles-Texte aufbewahrte, mit allen Gitarren-Akkorden! Meiner Wandergitarre also und der grauen Schreibmaschine meines Vaters, einer Torpedo, gehörte die Zukunft. Zwischen der alten und der neuen Welt versuchte ich mich einzurichten. Die alte Welt war das Wohnzimmer meiner Eltern, in denen ich nun im Zweifinger-System die Worte tippte: Nothing you can do, that can’t be done – eine Sprache, die meine Eltern nicht verstanden. Die neue Welt, das war das Lagerfeuer der Pfingstfreizeit, als ich zum ersten Mal den Klang einer zwölfsaitigen Gitarre hörte, der mich verzauberte. Und wenn wir dann mit Kaplan Eberhard zusammen beim Abschiedslied sangen wir ruhen all in Gottes Hand, dann wussten wir uns auch außerhalb des Elternhauses geborgen, in Gottes freier Natur.«

»Die goldenen Zeiten von Pirmasens«, sagte Danski.

»Dass sich die Zeiten ändern, merkten auch die Pfadfinder. Bei der Nachtwanderung 1969 bekam ich mit den Worten Picon aus Paris eine Flasche gereicht. Kein Zweifel: Das war verboten – und ich griff zu. In den Ringbüchern der Gitarristen gab es neben den Liedern der Beatles jetzt auch jene Franz-Josef Degenhardts, die grifftechnisch schwieriger waren. Mit vierzehn dann mein erstes Degenhardt-Konzert, dreitausend Leute!«

»Davon eineinhalbtausend in Salamander-Schuhen!«

»Hochkonjunktur. 1969 hatte die Schuhproduktion in Pirmasens ihren Höchststand erreicht. Jetzt konnten die Arbeiter zum ersten Mal wirklich etwas für sich herausschlagen!«

»Den Farbfernseher.«

Wajaroff sah sich um. »Ich glaube, wir müssen runter. Hinten wird schon das Licht gelöscht.«

Pirmasens

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