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Kapitel 4 - Aufbruch

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"Hast du alles?", fragte Laura zum gefühlten siebzehnten Mal. Petra rollte mit den Augen. Ferry auch, jedoch hinter Lauras Rücken, weil sie ihn sonst gleich wieder geknufft hätte. Sie mochte es nicht, wenn er mit den Augen rollte.

"Jaaaa…", bestätigte die kleine Rothaarige in besänftigendem Ton. "Alles da: Windeln, Milchpulver, Nuckelflaschen, Schmusedecken, Salbe, Puder, und zehn Tonnen anderes Material!" Sie hielt die Riesentasche hoch, die Laura gepackt hatte. "Ach ja, und zwei süsse Kinder!", fügte sie hinzu und nickte mit dem Kopf in Richtung des Doppel-Kinderwagens. "Alles gut, Laura, alles im Griff."

Laura seufzte, schaute noch einmal alles durch und gab sich schliesslich zufrieden.

Sie standen im Flur der Black'schen Wohnung an der Bertastrasse. Petra, Lauras Assistentin aus der Zentrale, hatte sich noch so gerne bereit erklärt, auf die Kinder aufzupassen. Sie war total vernarrt in die Zwillinge und diese mochten Petra ebenso. Tagsüber würden die Kinder bei Mario im Kinderhort sein und den Rest der Zeit würde Petra auf sie aufpassen.

Es hatte eine kurze Diskussion zwischen Ferry und Laura darüber gegeben, ob sie die Kinder mitnehmen wollten. Laura wollte die Kinder am liebsten um sich haben, und sie fand, dass sie möglichst viel Kontakt zu Annungach, dem grauen Baby der Königin haben sollten. Ferry fand, dass sie später noch lange genug mit Annungach würden spielen können. Für ihn war klar, dass diese Mission viel zu gefährlich war, um die Kinder mitzunehmen. Sie selbst wussten ja nicht einmal, was sie erwartete. Er hatte Laura vor die Wahl gestellt, mit den Kindern zu Hause zu bleiben, oder ohne die Kinder mitzukommen. Für Laura war jedoch klar, dass sie ihren Mann auf keinen Fall würde allein in eine fremde Parallelwelt reisen lassen. Also hatten sie schweren Herzens beschlossen, die Kinder in Petras Obhut in P0 zurückzulassen. Da sie nicht abschätzen konnten, wie lange sie fort sein würden, hatte Laura eine Milchpumpe eingepackt. Wenn sie zu lange nicht stillte, würde die Muttermilch sonst versiegen. Mit der Pumpe konnte sie die Produktion aufrecht erhalten, auch wenn sie sich dabei ein wenig seltsam fühlte.

Sie verabschiedeten sich ausgiebig von den Zwillingen. Sie waren sich bewusst, dass es vielleicht das letzte Mal sein würde.

Petra packte die Sachen und schob den Kinderwagen aus der Wohnung.

"Mami und Papi sind bald zurück!", winkte Laura ihren Kindern hinterher. Ferry sah, dass sie sich heimlich eine Träne aus dem Augenwinkel wischte. Auch er hatte ein mulmiges Gefühl bei der Sache, doch er spürte, dass es keinen anderen Weg gab. Was getan werden musste, musste getan werden.

Ferry umarmte seine Frau und vergrub seine Nase in ihren Haaren. Er sog ihren Duft ein. Seife und Puder, frisch wie immer.

"Bereit?", fragte er. Sie schaute zu ihm hoch.

"Ja, bereit. Lass uns gehen.", antwortete sie.

Sie traten in ihre geräumige Badezimmer-Toilette ein und Ferry schloss die Tür hinter sich. Sie stellten sich nebeneinander vor die gekachelte Wand hinter der Türe und drückten die Kacheln, hinter denen sich ihre Spinde verbargen. Schweigend holten sie ihre Uniformen heraus und zogen sich um.

Anschliessend fuhr Ferry die Systeme hoch und wandte sich dann der Toilette und dem Bidet zu, ihren beiden Rocket Stools, um sie vorzubereiten. Laura gab in der Zwischenzeit die Koordinaten für ihren Flug nach P1 ein.

Sie fuhren erschrocken herum, als es plötzlich an der Badezimmertür klopfte.

"Petra? Hast du etwas vergessen?", rief Laura und beeilte sich, die Türe zu öffnen. Sie prallte zurück, als ob sie gegen einen Baum gelaufen wäre.

"Was…?", stammelte sie und starrte entgeistert in den Flur.

Ferry war schnell neben sie getreten, um zu schauen, was im Flur vor sich ging. Sein Mund klappte auf, ohne dass ein Ton herauskam.

"Hallo! Dürfen wir reinkommen?", rief Dan Parker, der Australier, in breitestem Aussie-Englisch. Die Frage war vermutlich rhetorisch gewesen, denn er war bereits in die Toilette getreten und hatte die verdutzte Laura einfach zur Seite geschoben.

Hinter ihm folgten Jane McCarthy, Carla Suarez, Youssef El Kaouini und zuletzt Judy Grant.

"Schön habt ihr es hier!", meinte Jane fröhlich und sah sich um, als ob sie bei einer Hausbesichtigung wäre.

"Hola!", rief Carla, die aus Panama stammte, und fiel Laura um den Hals. Die Latinos und Latinas des Corps hatten schon immer ein besonderes Verhältnis zueinander gehabt. Egal, woher sie stammten, Latinos sahen sich immer als eine einzige, grosse Familie an.

Youssef, der Marokkaner, hielt sich wie immer dezent im Hintergrund. Er tat zwar so, als ob er die alten Armaturen des Bades interessant fände, doch Ferry wusste aus Erfahrung, dass sein eigenes Bad um einiges schöner und eleganter war.

"Hallo.", grüsste Judy knapp. Sie war kein Mensch der vielen Worte. Die Afro-Amerikanerin schien ein wenig zu erröten, als Ferry ihr die Hand zum Gruss reichte. Dann umarmte sie Laura. Die beiden waren gute Freundinnen.

"Was macht ihr hier?", fragte Ferry in autoritärem Ton, als sich die erste Begrüssungswelle gelegt hatte.

"Wir sind der Begleitschutz.", meldete sich ein Bass aus dem Türrahmen. Dort stand Master Paris mit finsterer Miene. Er sah nicht aus, als ob er eine Diskussion über ihr Auftauchen dulden würde.

"Paris!", riefen Laura und Ferry gleichzeitig.

Der grossgewachsene Schwarze trat ein, schloss die Tür hinter sich und verriegelte sie.

"Flieg los. Keine Diskussion. Wir sind alle erwachsen und wissen, was wir tun.", brummte er.

Ferry schüttelte nur stumm den Kopf in schierer Ungläubigkeit.

"Aber…", begann er, doch Paris unterbrach ihn mit einer Handbewegung.

"Ihr seid nicht die einzigen Sturköpfe des Corps, nur um das mal klarzustellen. Ausserdem muss man manchmal die Zeichen der Zeit lesen…" Paris machte ein wichtiges Gesicht und deutete mit dem Zeigefinger auf seine Schulter.

Jetzt erst fiel Ferry auf, dass alle ihre Uniformen trugen. Er fragte sich, ob sie so durch die Stadt gefahren waren. Das musste ein ulkiges Bild im Tram gewesen sein.

Er musste sich auf die Zehenspitzen stellen, um auf Master Paris' Schulter schauen zu können. Laura hatte sich zu Carla umgedreht, die etwas kleiner als sie selbst war und stiess einen kurzen Schrei des Erstaunens aus.

Auf Paris' Schulterpatte erkannte Ferry dasselbe runenartige Zeichen, welches er und Laura selbst trugen: den goldigen Bogen, das Zeichen der Grauen.

"Die Toilette hat uns ausgesucht.", meinte Paris knapp. "Heute morgen haben wir alle unsere Uniformen so in unseren Schränken gefunden. Die Leute haben mich kontaktiert, und wir sind uns schnell einig geworden, dass wir diesem Aufruf Folge leisten." Er schaute Ferry mit hochgezogenen Brauen an. Er wusste, dass Ferry an die Entscheidungen der Toilette glaubte und sie akzeptierte. Dieser konnte nur wieder ungläubig den Kopf schütteln. Er drehte sich im Kreis und vergewisserte sich, dass wirklich alle das Zeichen trugen.

"Wir sind alle freiwillig hier.", sagte Jane eindringlich, mit ihrem starken schottischen Akzent. "Niemand hat uns gezwungen, diesem Zeichen zu folgen. Paris hat uns ausdrücklich die Wahl gelassen!"

"Also ich bin froh, dabei sein zu dürfen!", rief Dan. "Endlich wieder etwas zu tun! In dem Verein stirbt man ja vor Langeweile!" Er brach in lautes Gelächter aus. Ferry war sich sicher, dass er es so meinte, wie er es sagte. Dan kannte keine Furcht. Obwohl diese vielleicht ratsam gewesen wäre, in dieser Situation.

"Ich glaube, ich schulde euch noch was. Es ist mir eine Ehre, dabei sein zu dürfen.", meldete sich Youssi. Er spielte wohl darauf an, dass er Laura und Ferry beinahe abgeschossen hätte bei ihrer Rückkehr aus Atlantis. Ferry drehte sich zu dem drahtigen, zähen Araber um und drückte seine Hand. Youssef war ein erfahrener Pilot und Ferry war froh, ihn dabeizuhaben.

"¡Unidos, lo haremos!", rief die zierliche Frau aus Panama und stiess die Faust in die Luft. Zusammen werden wir es schaffen! Sie hatte ganz rote Bäckchen, die hervorragend zu den rosa Streifen auf ihrer silbrigen Uniform passten. Die meisten Piloten belächelten die Pink Squad als die Barbie-Squad, doch Carla hatte sich nie daran gestört. Sie war offensichtlich stolz, dass gerade sie von der Toilette ausgesucht worden war. Laura nahm die junge Pilotin in den Arm und drückte sie fest.

"Habt ihr die Queen dabei? Nur für den Fall…", fragte Judy. Sie stand in der Ecke und schien ein wenig verlegen. Sie mochte es nicht, dass um sie ein grosses Tamtam gemacht wurde. Sie war mehr der Typ Arbeitsbiene. Nicht fragen, einfach machen, das war ihr Motto. Ferry wusste aus Erfahrung, dass sie nebst Laura die vermutlich beste Kampfpilotin des Corps war. Sie hatte ihm bereits einmal das Leben gerettet im Einsatz. Er würde sich alle Mühe geben, sich zu revanchieren. Er drehte sich zu ihr um und lächelte sie an, dabei klopfte er auf seine Brusttasche.

"Selbstverständlich." Er spürte, wie der Roh-Saphir an seiner Brust pochte und vibrierte. Die Queen war bereit. Nach einem kurzen Zögern holte er den zigarrenförmigen Edelstein heraus und reichte ihn Laura. Sie schaute ihn fragend an.

"Ich glaube, es ist besser, wenn ihr zwei die Queen fliegt. Ich fühle mich wohler in meiner Lady. Ich bin zu alt für dieses High-Tech.", sagte er.

Mit leicht gekräuselter Stirn nahm Laura den Stein entgegen und verstaute ihn in der Seitentasche der Uniformhose. Ferry konnte sehen, dass ihr eine spitzte Bemerkung auf der Zunge lag, doch sie schien sie sich zu verkneifen. Ihnen beiden war bewusst, dass Ferry nicht mehr so schnell war wie in jungen Jahren. Es wäre dumme Verschwendung gewesen, ein so starkes und schnelles IFO wie die Queen an einen Piloten zu verschwenden, der das Potential nicht mehr ausnützen konnte. Laura schaute ihn mit treuherzigen Augen an, als ob sie ihn trösten wollte, doch er erkannte, dass sie ihm zustimmte. Er lächelte seine Frau an, denn er brauchte keinen Trost. Er war nicht mehr der Jüngste, aber er wusste, er war immer noch gut.

"Übrigens…", tönte der Bass von Paris durch die Stille. Ferry drehte sich zu ihm um und schaute ihn fragend an. "Paddy wollte auch kommen. Er hat das Zeichen auch bekommen. Ich habe ihn aber nicht gelassen.", erklärte Paris. Damit meinte er Paddy Ram, Ferrys besten Freund. Ferry war schon fast ein bisschen enttäuscht gewesen, dass Paddy nicht dabei war. Er machte eine fragende Handbewegung.

"Paddy ist Taufpate von Lisa Moana. Da konnte ich nicht zulassen, dass er mitkommt.", sagte Paris ungewöhnlich leise. Er schien sich mehr Sorgen um den Ausgang der Mission zu machen als Ferry.

"Und er hat sich einfach so abhalten lassen?", fragte dieser erstaunt. Das klang so gar nicht nach dem Iren. Paddy war ein absoluter Sturkopf, schlimmer als Ferry. Paris grinste ein spitzbübisches Grinsen.

"Nein, nicht einfach so. Ich hab ihn K.O. geschlagen und einsperren lassen." Wieder klappte Ferrys Mund auf. Ja, das war vermutlich der einzige Weg, seinen Freund von dieser Mission abzuhalten. Er war Paris dankbar dafür. Sein Mentor hatte sich als wahrer Master gezeigt und weiter gedacht als er selbst. Er schloss den Mund und dankte Paris mit einem angedeuteten Kopfnicken.

"Dann lasst uns losfliegen.", sagte Master Black. "Letzte Chance, auszusteigen." Niemand regte sich. Also gab er Laura das Zeichen zum Abflug. Sie drückte ein paar Knöpfe, drehte die Wasserhähne auf, setzte sich auf den einen Pilotensitz, nahm den Joystick in die Hand und drückte ihn sachte nach vorn. Eine feine Vibration fuhr durch die Toilette. Sie waren unterwegs.

"Wohin fliegen wir eigentlich?", wollte Jane wissen.

"Atlantis-P1.", meldete sich Laura sachlich aus dem Pilotenstuhl. "Wird einige Minuten dauern. Macht es euch doch bequem!"

Sie verteilten sich auf den verbleibenden Pilotensitz, die Badewanne und das kleine Möbel, in dem die Blacks die Handtücher aufbewahrten. Judy war in der Ecke stehengeblieben. Dort schien es ihr am wohlsten zu sein. Ferry liess den Blick über die bunte Truppe schweifen. In den Gesichtern der Kameraden las er Aufregung, Freude und Anspannung, jedoch keine Angst.

"Atlantis. Cool! Hätte nie gedacht, dass ich da mal hinkomme!", murmelte Dan.

Ferry biss die Zähne zusammen und wiegte den Kopf hin- und her. Es knackte, doch im Rauschen der fliegenden Toilette war es kaum zu hören. Er hätte sich auch nicht träumen lassen, dass er noch einmal nach Atlantis kommen würde. Er schaute auf den Monitor. Der Countdown für den Landeanflug hatte begonnen. Diesmal würden sie nicht auf der Bergspitze landen, sondern mitten in Atlantis City, der Hauptstadt der Grauen in P1.

Im Gegensatz zu seiner Bruchlandung in Atlantis vor über einem Jahr, legte Laura eine vorbildliche Landung wie aus dem Lehrbuch hin.

"Willkommen in Atlantis. Wir hoffen, sie haben den Flug genossen.", säuselte sie mit der imitierten Stimme einer Stewardess. Sie war aufgedreht, vermutlich wollte sie ihre eigene Nervosität mit dem Getue überspielen. Ihre Passagiere begannen frenetischen Beifall zu klatschen, wie bei einem billigen Charterflug. Ferry musste laut herauslachen. Was für eine Truppe von Kindsköpfen! Es war schön, nicht allein auf dieser Mission zu sein, doch Ferry fühlte auch ein gewisses Unbehagen bei dieser überraschenden Veränderung. Er war der Leiter dieses Unterfangens und damit verantwortlich für diese Leute.

Er checkte kurz den Bildschirm, der das direkte Umfeld der Transferkapsel zeigte und entriegelte dann die Tür.

"Gleich werdet ihr zum ersten Mal ganz viele Graue von nahem sehen. Auge in Auge. Wir wissen, wie sich das beim ersten Mal anfühlt. Also immer schön ruhig bleiben, ja?", ermahnte er die Truppe. "Sie erwarten nur Laura und mich. Vielleicht reagieren sie ein bisschen nervös auf so viele Besucher." Er blickte in die Runde. "Keine Waffen, egal, was passiert! Wir haben Frieden geschlossen mit den Grauen. Sie sind jetzt unsere Freunde, egal was früher gewesen ist. Ihr müsst das Vergangene ausblenden. Alles klar?"

Knappes, militärisches Kopfnicken allerseits bestätigte ihm, dass sie ihn verstanden hatten. Er öffnete die Tür.

Gleissendes Sonnenlicht brach herein. Ferry gönnte seinen Augen einige Sekunden, um sich daran zu gewöhnen, dann trat er, Hand in Hand, mit Laura hinaus.

Annunfala stand direkt vor der Toilette. Hinter ihr stand ein Trupp von bewaffneten Grauen, die Waffen steckten jedoch in den Gürteln, wie Ferry erleichtert bemerkte. Annunfala schien zu lächeln, aber so ganz wurde Ferry immer noch nicht schlau aus der Mimik der Grauen. Sie legte den Kopf schief, wie sie es immer zu tun schien, wenn sie angestrengt nachdachte. Sie schien an ihnen vorbeizuschauen.

"Ihr bringt Freunde.", klang es in Lauras und Ferrys Köpfen. Der Dolmetscher funktionierte tadellos. Leider konnte man dem unparteiischen Dolmetscher keine Stimmfarbe entnehmen. Ferry war sich nicht sicher, ob die Frage einen kritischen Unterton hatte. Er spürte, wie sich sein Körper anspannte. Laura blieb jedoch ganz locker und ging auf die Königin zu, um sie zu begrüssen.

"Ja. Sie haben ein Zeichen bekommen! Sieh nur!", sagte sie. Ferry bewunderte ihre Coolness. Laura hatte sich umgedreht und zeigte auf die Schulterpatten. Annunfala legte wiederum den Kopf schief und blinzelte. Paris, der direkt hinter Ferry und Laura stand, neigte sich nach vorne, damit die kleinwüchsigen Grauen seine Gradabzeichen sehen konnten. Ein Raunen ging durch die Reihen der Grauen, die hinter ihrer Königin standen. Offensichtlich schien das Zeichen wirklich etwas Bedeutungsvolles zu sein.

"Gut.", sagte die Königin. "Mehr Freunde gut. Mehr Hilfe gut." Der Dolmetscher war eine Riesenhilfe, aber Ferry hätte sich ein wenig mehr Finessen gewünscht. Auf jeden Fall war er froh, dass Annunfala ihnen die Überraschung nicht übelnahm. Er begann, sich zu entspannen.

Es folgte ein langwieriger Prozess, bei dem Laura und Ferry ihre Freunde der Königin vorstellten. In den Gesichtern ihrer Freunde konnte man eine Vielzahl von Emotionen ablesen: Neugier, Aufregung, Misstrauen, Furcht, Überraschung. Das war auch nicht weiter erstaunlich. Immerhin trafen sie zum ersten Mal auf die fremde Spezies, konnten sie aus der Nähe betrachten und sogar anfassen. Ferry hatte das Gefühl, das Adrenalin riechen zu können, welches gerade in rauhen Mengen ausgeschüttet wurde.

Als das Prozedere beendet war, traten fünf Graue vor, die mit den Neuankömmlingen die Installation des Dolmetschers durchführten.

Ferry schaute sich derweil um. Sie waren auf dem grossen Platz mitten in der Hauptstadt gelandet, die Laura und er bei ihrem ersten Besuch nur von weitem gesehen hatten. Die Bauten waren in der Tat beeindruckend. Der Turm, der wie eine gerollte Serviette aussah, war atemberaubend hoch. Ferry erstaunte jedoch, dass er nebst dem Empfangskomitee nirgends Graue entdecken konnte. Die Stadt schien komplett ausgestorben.

"Wo sind alle?", flüsterte Laura neben ihm. Sie hatte es auch bemerkt.

"Keine Ahnung. Vielleicht haben sie Angst und verstecken sich?", flüsterte er zurück.

Er machte ein paar Schritte auf eine Seitenstrasse zu, um sich etwas umzusehen. Sofort lösten sich zwei Graue aus der Formation und stellten sich ihm in den Weg, die Hände auf ihre Waffen gelegt.

"Gach!", zischte der eine Ferry an. "Fremder!", tönte es in seinem Kopf. Es hatte nicht freundlich geklungen.

Hinter ihm fuhr die Königin herum und fauchte die Wachen mit schnell gesprochenen Worten an. Der Dolmetscher lieferte dafür keine Übersetzung. Doch die zwei Grauen verkrümelten sich blitzartig wieder in die Formation. Ferry tauschte einen Blick mit Laura. Es schien, dass es auch bei den Grauen gemischte Gefühle über ihr Auftauchen gab. Ferry konnte es ihnen nicht verübeln. Sie würden vorsichtig sein und gut aufpassen müssen.

Die Justierung der Dolmetscher-Software schien abgeschlossen. Annunfala meldete sich zu Wort.

"Heute hier essen, schlafen, sprechen. Morgen unsere Welt sehen. Grosses Tor gehen."

Den erstaunten Gesichtern entnahm Ferry, dass ihre kleine Kampftruppe verstanden hatte, was die Königin gesagt hatte.

Annunfala ging voran, auf den grossen Turm zu.

Doch plötzlich kam Aufruhr in das Empfangskomitee der Grauen. Aus einem Gebäude an der Südseite des Platzes kamen zwei Graue angehastet. Sie steuerten direkt auf die Königin zu und als sie sie erreicht hatten, begannen sie, wild gestikulierend, auf diese einzureden. Ferry konnte leider nicht hören, was sie zu besprechen hatten, doch sie zeigten immer wieder auf die Toilettentür, mit der die Besucher angekommen waren. In Ferrys Bauch begann sich ein ungutes Gefühl auszubreiten.

Laura ergriff seinen Arm und drückte ihn. Er konnte in ihrem Gesicht lesen, dass sie ebenfalls beunruhigt war. Ein Blick zu ihren Freunden liess Ferry erkennen, dass auch sie die Unruhe wahrgenommen hatten. Dans Hand lag wie zufällig auf seiner Waffe. Jane hatte sich breitbeinig hingestellt und sah sich unauffällig um. Carla und Youssef flüsterten miteinander. Judy kam langsam zu ihnen hinübergeschlendert, doch Ferry konnte sehen, dass jeder Muskel in ihrem athletischen Körper gespannt war. Paris stand nur da und verfolgte das Gespräch der Grauen mit ihrer Königin. Doch aus Paris' Mimik liess sich selten etwas ablesen.

Einer der Grauen tippte mit einem knubbeligen Finger an den Helm, den er trug. Beide trugen einen schlanken, silbernen Helm, im Gegensatz zu den Grauen, die sie empfangen hatten. Vorne an dem metallisch glänzenden Helm, der ihrer Kopfform perfekt angepasst schien, lugte ein Teil heraus, das wohl ein Mikrofon war, denn es endete direkt vor dem Mund seines Trägers.

Die Königin drehte sich zu der Besuchertruppe um. Den Gesichtsausdruck, den sie trug, hatte Ferry bisher noch nie gesehen. Wut? Angst? Fassungslosigkeit? Gab es diese Gefühle überhaupt in ihrem Repertoire?

"Gehen! Schnell! Gefahr!", dröhnte es ihn ihren Köpfen. Annunfala zeigte nun in eine andere Richtung, auf eins der kleineren Gebäude, das neben dem Turm stand. Es war ein Bau mit rundem Grundriss und einer kleinen Domkuppel. Es schimmerte bläulich in der Nachmittagssonne. Sie ging mit schnellen Schritten auf das Gebäude zu und drehte sich kurz um, um ihnen zu winken, dass sie ihr folgen sollten.

Genau wie seine Kameraden, war auch Ferry dabei, den Horizont mit Blicken abzusuchen.

"Was zum Geier…?", hörte er Paris neben sich knurren.

"Rückzug?", fragte Jane.

"Wir hätten noch Zeit!", fiel Carla ein und zeigte auf die Toilettentür.

Ferry drehte sich zu seinen Freunden und hob die Hände.

"Ruhig Blut! Aufpassen und ruhig bleiben. Wir folgen Annunfala. Aber haltet eure IFOs bereit. Und Dan: lass sie stecken!" Er hatte gesehen, dass Dan den Halteriemen seiner Handfeuerwaffe gelöst hatte. Laura hatte sich an seine Seite gestellt.

"Wir wissen nicht was los ist, aber wir sind hier nur zu Gast. Die Grauen haben hier das Sagen... Folgen wir Fala!" Damit drehte sie sich um, und folgte der Königin.

Nach einem kurzen Zögern begann sich der Rest der Truppe in Bewegung zu setzen.

Ferry war mit wenigen Schritten bei Annunfala, die bereits vor dem Gebäude stand. Eine Tür, die Ferry vorher nicht gesehen hatte, war lautlos zur Seite geglitten. Im Innern des Doms war es dunkel. Ferry schaute kurz hinein, konnte aber nichts erkennen.

"Was ist los? Was für eine Gefahr droht?", fragte er die Königin in eindringlichem Ton. Annunfala legte den Kopf zur Seite. Sie schien ihn nicht verstanden zu haben, oder sie überlegte.

"Gefahr. Zwei Tore. Gach!"

Wieder dachte Ferry, dass der Dolmetscher einfach nicht genügte. Es war ja toll, dass sie mit einer fremden Spezies kommunizieren konnten, aber ein Bisschen mehr Details wären in diesem Moment sehr hilfreich gewesen. Gefahr war grundsätzlich klar, doch welcher Art und für wen? Zwei Tore konnte irgend etwas bedeuten. Bezog sich das auf die Gefahr? War es ein Fluchtweg? Gach bedeutete Fremder, fremd, mit negativem Beigeschmack. Doch es war nicht die Bezeichnung, die die Grauen für ihre Feinde benutzten. Es war die Bezeichnung für Menschen aus P0. Hatte sie ihn beschimpft? Glaubten die Grauen, dass eine Gefahr von den Menschen ausging? Es war nicht schlüssig zu beantworten. Ferry fluchte innerlich.

Fala schien nicht gewillt, näher auf ihre Ausführungen einzugehen. Sie zeigte mit der Hand in die Dunkelheit in dem Gebäude. Mittlerweile stand die ganze Truppe vor der Tür und wartete scheinbar auf Ferrys Kommando.

Ferry blickte zurück auf den Platz. Das Empfangskomitee hatte sich in einem Kreis um ihre Toilettentür aufgebaut, die Waffen im Anschlag. Was zum Teufel wollten sie mit seiner Toilettentür? Ferry konnte sich keinen Reim darauf machen.

Es war im nicht wohl dabei, doch er musste eine Entscheidung treffen.

"Rein da, schnell!", bellte er.

Er staunte, dass alle, ohne Ausnahme gehorchten. Laura ging als Erste. Paris folgte dicht hinter ihr. Dann die anderen. Als letzter ging Ferry hinein. Annunfala war draussen stehen geblieben. Ferry ging einen Schritt in ihre Richtung zurück.

"Annunfala! Kommst du?", rief er.

Doch sie drehte sich von ihm ab und schaute auf den Platz hinaus. Ferry machte noch einen Schritt auf die Tür zu und blickte ihr über die grazile Schulter.

Neben seiner Toilettentür stand jetzt eine zweite Tür. Nahtlos angereiht, sehr ordentlich, wie das Toilettentüren so an sich hatten. Es war eine Stahltür. Ferry kannte diesen Typ Türen… Sie trug das Logo des CERN!

Dann schloss sich die Eingangspforte des Gebäudes vor seiner Nase und plötzlich war alles dunkel um ihn herum.

Ein ganz mieses Gefühl stieg in seinem Inneren hoch und Ferry spürte, wie sich seine Nackenhaare aufstellten.

Die Begegnung

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