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Kapitel 5 - Die Zelle

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Als Ferry wieder zu sich kam, lag er in einer kleinen, dunklen Zelle. Sein ganzer Körper schmerzte, als ob er von einem Bus angefahren worden wäre. Er versuchte sich aufzurichten, musste aber feststellen, dass er angegurtet war. Breite Riemen zogen sich über seine Handgelenke, seinen Brustkorb und seine Beine. Er lag auf einer flachen Pritsche, die sich hart und kalt anfühlte. Das einzige, was er bewegen konnte, war sein Kopf. Er drehte diesen soweit er konnte nach allen Seiten, um sich zu orientieren und strampelte dabei mit Armen und Beinen, um sich von den Fesseln zu befreien. Er hasste es, gefesselt zu sein, er bekam Angstzustände, wenn er seine Arme nicht bewegen konnte. Doch das Strampeln half nichts. Die Riemen waren zu robust und sehr straff gespannt.

Schnell hatte er gesehen, was es zu sehen gab, nämlich gar nichts. Der Raum war vielleicht drei mal drei Meter gross und abgesehen von dem Schragen, auf dem er lag, komplett leer. Das spärliche Licht kam von einer Lichtkugel, die über seinem Kopf unter der Decke schwebte. Es gab keine Fenster und er konnte auch keine Türe ausmachen. Die Wände schienen absolut glatt zu sein. Glatt und dunkelgrau.

Panik stieg in Ferry hoch. Hatten ihn die Grauen etwa eingemauert, um ihn in diesem Verlies einsam verrecken zu lassen?

"Hilfe! Hallo! Hört mich jemand?", schrie er aus Leibeskräften. "Hilfeee! Was soll das?" Seine Stimme klang unnatürlich gedämpft und matt in der kleinen Zelle. Er lauschte in die Stille, doch auf sein Rufen kam keine Antwort. Es war absolut still, abgesehen von seinem eigenen Keuchen. Wieder riss er an den Haltegurten, doch ohne Ergebnis.

Ferry atmete tief durch und versuchte, sich zu beruhigen. Er musste die aufsteigende Panik unter Kontrolle bringen. Verzweifelt versuchte er sich zu erinnern, was passiert war. In seinem Kopf wummerte es und es war schwer, einen klaren Gedanken zu fassen.

Er war in Atlantis gelandet, das wusste er noch. Zuerst schien alles gut zu sein. Dann hatte irgend etwas die Grauen aufgescheucht. Zwei Typen mit Helmen waren gekommen, um mit Annunfala zu sprechen. Ja, das wusste er auch noch. Die Königin hatte ihn zu einem Rundbau gebracht. Sie hatte von Gefahr gesprochen. Von da an wurden seine Erinnerungen diffus. Ferry schloss die Augen und konzentrierte sich auf dieses Bild: Annunfala, die vor dem Gebäude stand und sie hineinwinkte. Sie? War da noch jemand gewesen ausser ihm? In seinem Kopf dröhnte es immer noch. Wütend hämmerte er den Hinterkopf auf die harte Platte, auf der er lag. Er konnte sich nicht erinnern! Verdammt! War er allein gewesen? Sein Kopf fühlte sich an, als ob er mit Watte gefüllt sei. Wieder atmete Ferry tief in sein Qì. Er musste sich beruhigen. "Denke! Denke! Denke!", raunte er sich selbst zu. Er atmete weiter, ganz tief und bewusst. Die Watte in seinem Kopf schien sich langsam zu verflüchtigen.

Er sah wieder die Königin vor dem Gebäude, die winkte. Und dann sah er sie, in seiner Erinnerung: Laura, wie sie in den dunklen Raum trat. Paris. Und die anderen. Laura!

"Laauuraaa!", schrie er. Adrenalin pumpte durch seine Adern. Plötzlich war er wieder hellwach. Wieder und wieder schrie er nach seiner Frau, bis sein Hals zu schmerzen begann. Er japste nach Luft, Schweiss rann über sein Gesicht. Jetzt konnte er sich wieder an alles erinnern. Eine zweite Toilettentür war neben ihrer aufgetaucht, eine CERN-Tür! Wer um alles in der Welt konnte damit gekommen sein? Welcher Idiot pfuschte so in ihre Operation hinein?

Wut stieg in Ferry auf und löste die Panik ab.

Ja, das war das letzte gewesen, was er gesehen hatte, bevor es dunkel um ihn geworden war. Danach war nichts, bis er hier aufgewacht war.

Wieder bäumte er sich auf, um seine Fesseln zu sprengen, doch es war aussichtslos. Er stiess einen langen, unartikulierten Wutschrei aus.

"Es tut mir leid."

Ferry riss den Kopf herum.

"Annunfala!"

An seiner Seite stand tatsächlich die Königin und schaute ihn aus treuherzigen, grossen, schwarzen Augen an. Er hatte nicht gehört, wie sie hereingekommen war, und er fragte sich, wie und wo sie hereingekommen war. Die Wand hinter ihr war immer noch eine durchgehende Fläche. Ferry konnte keinerlei Öffnung oder Tür entdecken.

"Geht es dir gut? Hast du Schmerzen?", fragte Annunfala, respektive die Stimme in Ferrys Kopf.

"Scheisse, nein, es geht mir nicht gut! Mach mich sofort los! Wo ist Laura? Wo sind die anderen?" Ferry schrie fast, es fiel ihm schwer, sich zu beherrschen.

"Es tut mir leid.", wiederholte die Königin. In Ferrys Kopf rauschte und klopfte es. Es fühlte sich an, als ob etwas in seinem Schädel herumwackelte. Ein stechender Kopfschmerz zog sich von seiner Schläfe bis in den Nacken. Er stöhnte auf.

"Du musst ruhig bleiben, Ferry.", sagte Annunfala. Ferry riss die Augen auf und starrte sie an, obwohl ein neuerlicher Schmerz durch seinen Schädel zuckte. Was für eine saublöde Aussage! Wie konnte man einem Gefangenen sagen, er müsse ruhig bleiben! Er fand, dass er jedes verfluchte Recht hatte, sauer zu sein und sich aufzuregen! Er wollte wissen, wo Laura war und ob es ihr gut ging. Ein neuerlicher Schwall von Wut stieg in ihm auf. Er spürte, wie seine Ohren glühten.

"Wo… ist… Laura?", knurrte er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Seine Stimme hatte jetzt einen drohenden Ton angenommen. Er würde jeden verfluchten Grauen persönlich niedermetzeln, wenn ihr etwas passiert war.

"Laura geht es gut. Deinen Freunden auch. Du wirst sie bald wiedersehen. Es tut mir leid, dass wir euch fesseln mussten. Bitte glaub mir, wir wollen euch nichts Böses.", versicherte ihm die Königin eindringlich.

Ferry liess den Kopf auf die harte Platte fallen, auf der er lag und schloss die Augen. Er blies hörbar die angehaltene Luft durch den Mund aus. Laura ging es gut! Seinen Freunden ging es gut!

Falls Annunfala die Wahrheit sagte. Doch Ferry hatte das Gefühl, dass sie ehrlich geklungen hatte. Nur…

Irgend etwas war seltsam! Etwas, was Annunfala gesagt hatte. Wie sie es gesagt hatte. Wie sie geklungen hatte. Was er gehört hatte. Wie er es gehört hatte… Was war es bloss? Er konnte nicht den Finger darauf legen, doch irgend etwas war irgendwie… falsch! In seinem Kopf begann es wieder zu rauschen und zu pochen. Ferry wurde schwindelig. Erneut stöhnte er auf.

"Mach mich los! Mein Kopf…", keuchte er. Er wollte seinen Kopf in die Hände nehmen und zusammendrücken, die Handballen an die Schläfen drücken, auf die Augen pressen, die gerade aus ihren Höhlen zu treten schienen.

"Bleib ruhig, Ferry! Du musst dich ausruhen." Er spürte, wie Annunfala ihm ihre warme Hand auf seine Schläfe legte und dann sachte über sein Haar nach hinten strich. Als ihre Hand über eine Stelle an der Seite seines Schädels strich, holperte sie ganz leicht und ein stechender Schmerz durchzuckte Ferry.

"Au!", schrie er auf. Was war das? Hatte er eine Beule am Kopf? Hatten sie ihn niedergeschlagen? Mehr denn je hatte Ferry das Bedürfnis, sich an den Kopf zu fassen.

"Mach mich los, bitte!", flehte er.

"Ich kann nicht. Wir müssen warten. Du musst dich jetzt ausruhen. Alles wird gut.", flüsterte Annunfala. Sie hob ihre Hand über die schmerzende Stelle an Ferrys Schädel und liess sie dort verharren. Ferry konnte eine angenehme Wärme spüren, die von der Hand ausging und in seinen Kopf eindrang. Augenblicklich wurde der Schmerz gelindert. Seine Gedanken schienen sich zu verlangsamen und die eindringende Wärme breitete sich erst in seinem Kopf aus, um danach in seinen Torso zu fliessen. Bevor er einschlief, wurde Ferry bewusst, dass die Königin einen mächtigen Energiestrom in ihn fliessen liess.

"Laura!"

Ferry schreckte aus dem Schlaf hoch und tastete um sich. Laura war nicht da! Es war auch nicht ihr Bett! Es roch anders. Es war bequem und warm, aber es war nicht ihr Bett. Ferry setzte sich auf, blinzelte und sah sich um. Er fühlte sich benommen, verkatert. Er hatte einen schlimmen Alptraum gehabt, in dem er gefesselt gewesen war und Schmerzen hatte. Er war gefangen gewesen in einer kleinen Zelle und Annunfala hatte mit ihm gesprochen, ihn aber nicht losgebunden. Er rieb sich die Augen und schüttelte sich, um wach zu werden. Noch einmal blickte er sich um. Dann dämmerte es ihm.

Er war noch immer in der kleinen, grauen Zelle, die keine Türen hatte! Die harte Pritsche war gegen ein bequemes Bett ausgetauscht worden, er war nicht mehr festgeschnallt, aber ansonsten war alles genau gleich! Er war immer noch eingesperrt! Es war kein Traum gewesen!

Er blickte hoch zur Decke. Ja, dort hing noch immer die kleine Lichtkugel und verströmte ein diffuses Licht. Wie ein kalter Wasserschwall kam die Erinnerung an den vermeintlichen Traum zurück.

Ferrys Hand schnellte hoch zu seiner Schläfe. Er tastete seinen Schädel ab. Da war sie, die Beule! Behutsam befingerte er die Stelle über seinem linken Ohr. Nein - das war keine Beule! Es war eine Narbe! Er konnte die geschwollene, verkrustete Oberfläche spüren! Eine Platzwunde! Hatten sie ihm so stark eins übergebraten, dass die Haut aufgesprungen war? Er konnte sich beim besten Willen nicht erinnern. Er befingerte die Wunde weiter. Um die Kruste herum war eine kleine Zone, in der er feinste Stoppeln spüren konnte. Die Stelle war rasiert worden! Vorsichtig befühlte er die Wunde weiter. Hatte man die Platzwunde genäht? Er konnte keine Enden von chirurgischem Faden spüren. Er drückte nun etwas stärker. Die Wunde tat nicht weh. Auch darum herum spürte er keinen Schmerz, auch wenn er etwas fester drückte. Das war seltsam. Wenn es eine Platzwunde von einem Schlag war, dann müsste der Bereich um die Wunde herum äusserst druckempfindlich sein? Ein mieses Gefühl stieg in Ferry auf. Hatten sie etwa an ihm herumgedoktert? War es vielleicht eine Narbe von einem chirurgischen Eingriff? Seine Nackenhaare stellten sich auf und er fühlte, dass seine Ohren zu glühen begannen.

Er liess den vermeintlichen Traum noch einmal Revue passieren. Fala hatte ihm die Hand aufgelegt und ihn mit einem starken Energiestrom ruhiggestellt. Sie hatte behauptet, dass es Laura und den anderen gut ging. Und irgend etwas an dem, was sie gesagt hatte, oder wie sie es gesagt hatte, war ihm fremd vorgekommen.

"Hallo Ferry. Geht es dir besser?", fragte die glockenhelle Stimme Annunfalas hinter ihm. Sie hatte sich schon wieder an ihn angeschlichen, ohne dass er etwas davon gemerkt hatte! Ferry fuhr herum.

Plötzlich war ihm klar, was ihm falsch vorgekommen war. Er nahm die Stimme der Königin in seinen Ohren wahr. Nicht in seinem Kopf! Es war, als ob ein normaler Mensch mit ihm spräche! Kein Dolmetscher. Er hörte und verstand sie ganz einfach! Der Wortschatz des Dolmetschers war extrem beschränkt gewesen - und nun? Auf einmal hatten Annunfalas Sätze eine grammatikalische Ordnung, Verben wurden konjugiert, es gab Zeitformen! Ausserdem nahm Ferry die Stimmfarbe des Gesprochenen wahr: er konnte heraushören, ob die Königin leise, laut, bedächtig, traurig oder erregt klang! Wie konnte das sein? Er sprang mit einem Satz aus dem Bett und stellte sich vor Annunfala.

"Du hast viele Haare. Das ist hübsch. Es sieht lustig aus.", lächelte ihn die Königin an. Sie blinzelte.

Ferry war noch viel zu perplex, um darüber nachzudenken, ob es vielleicht nicht wichtigere Themen gab, über die es sich zu sprechen lohnte. Er griff sich ins Gesicht und spürte sein Bärtchen um die Mund- und Kinnpartie herum. Er fuhr sich über die Wangen, die vermutlich gerade rot wurden und bemerkte einen Dreitagebart. Das war seltsam, denn er hatte sich kurz vor dem Abflug rasiert gehabt. Er schaute an sich herunter. Er war nackt. Keine Uniform. Kein Pyjama. Nur nackte Haut - und Haare. Davon hatte er wirklich sehr viele am Körper.

Die Hände vor dem Schritt verschränkt, die Schamesröte im Gesicht, versuchte Master Black die Haltung zu bewahren.

"Wieso sprichst du plötzlich unsere Sprache so gut?", fragte er und sah sich dabei nach seiner Uniform um, oder irgend etwas, womit er sich bedecken konnte.

In Ermangelung einer besseren Alternative grapschte er nach der Bettdecke und schlang sie sich um die Hüften. Annunfala legte den Kopf schief. Sie schien nicht zu verstehen, was sein Gehabe sollte.

"Geht es dir gut? Fühlst du dich besser?", fragte sie besorgt und kam damit auf ihre ursprüngliche Frage zurück. Ferry versuchte sich zu konzentrieren.

"Ja, mir geht es gut.", brachte er schliesslich hervor. "Wo ist Laura? Und was ist passiert?", hakte er nach kurzem Überlegen nach.

"Gut.", konstatierte die Königin. Ferry sinnierte noch, wie er das nun zu verstehen hatte, als sie nachsetzte. "Die anderen warten. Wir sollten gehen." Sie drehte sich um und in der Wand öffnete sich eine Tür, die vorher nicht dagewesen war.

Ferry hob in einer ungläubigen Geste die Hände und die Bettdecke fiel zu Boden. Es war ihm egal. Was war hier los? Was sollte das? Zuerst nahmen die Grauen ihn gefangen, dann pfuschten sie an seinem Kopf herum, stahlen ihm die Uniform und nun sollte er das alles ignorieren und einfach der Königin nachdackeln, als ob nichts gewesen wäre? Nackt, obendrein? Nein, das würde er auf keinen Fall tun.

"Annunfala!", bellte er. Sie schreckte herum und sah ihn mit ihren grossen Augen an.

"Was ist passiert?", fuhr er fort. "Ich will sofort wissen, was passiert ist! Wo bin ich? Wo sind Laura und die andern? Geht es ihnen gut? Was habt ihr mit meinem Kopf gemacht? Wieso sprichst du plötzlich unsere Sprache? Wieso habt ihr mich gefesselt? Wer ist mit der zweiten Toilette gekommen?", er musste Luft holen. "Wo gehen wir hin? Wer wartet auf uns? Und wo, verdammt nochmal, ist meine Uniform?" Er liess sich auf das Bett fallen und vergrub sein Gesicht in den Händen. Sachte schüttelte er den Kopf und atmete dazu geräuschvoll. Ohne ein paar Antworten würde er sich hier nicht fortbewegen!

Er spürte, wie sich eine Hand auf seine Schulter legte.

"Ihr Anders-Menschen redet viel. Ihr solltet mehr denken und weniger reden. Wer denkt, bekommt mehr als nur eine Antwort.", sagte Fala. Sie schien erstaunt.

Ferry blickte zu ihr hoch. Ihm war gerade nicht nach schlauen Sprüchen. Trotzdem wollte er über das nachdenken, was sie gerade gesagt hatte. Vielleicht war es ja wichtig. Aber gerade jetzt konnte er nicht nachdenken, dazu war er viel zu verwirrt.

Er machte sich eine geistige Notiz, dass er über Annunfalas Worte nachdenken musste.

Dann machte er sich eine geistige Notiz, dass er weniger geistige Notizen machen sollte. Die Liste wurde immer länger und schien schon irgendwo in der Unendlichkeit zu verschwinden.

"Mir ist gerade nicht nach Denken. Ich will Antworten!", sagte er.

Fala legte ihren Kopf zur Seite. Lange sagte sie nichts. Sie schien wirklich angestrengt nachzudenken. Ferrys Augen hatten diejenigen der Königin fixiert. Er wollte Antworten. Jetzt. Er würde sich nicht mit Ausflüchten abspeisen lassen. Zum Zeichen seines Trotzes verschränkte er die Arme über der Brust. Sollte sich die Königin doch seine Haare ansehen! Und was es da sonst noch zu sehen gab.

Annunfalas Reaktion erstaunte Ferry. Sie setzte sich zu ihm aufs Bett und blies geräuschvoll Luft durch ihre Lüftungsklappen-Nase aus. Es klang ein wenig wie ein Seufzer. Sie war deutlich kleiner als Ferry und ihre Beine mit den verdickten Knien baumelten in der Luft. Sie liess sie wechselweise nach vorn und nach hinten schaukeln, wie ein gelangweiltes Kind auf einer Schaukel.

"Ein zweites Tor ist aufgetaucht. Meine Leute wussten nicht, wer da kommt und deshalb waren sie aufgeregt. Sie hatten Angst. Sie dachten, es wäre ein Trick von euch. Ein Angriff. Das Heer war nahe daran, euch zu töten. Es gab einen Tumult. Doch ich konnte sie zurückhalten. Sie haben euch nur betäubt. Es war die richtige Entscheidung. Wir brauchten Zeit, um herauszufinden, wer mit dem zweiten Tor gekommen ist." Sie pausierte. Mit Tor meinte Fala offensichtlich die Toiletten. Soweit konnte Ferry den Ausführungen folgen. Er verstand sogar, dass sie aufgeregt waren und Angst hatten. Er war selber mehr als erstaunt gewesen über das Auftauchen der CERN-Tür. Die Königin fuhr fort.

"Ihr wurdet zur Sicherheit in diese Zellen gebracht. Es sind Überlebens-Zellen. Der dunkle Riese ist zuerst aufgewacht. Er hat geschrien und um sich geschlagen. Ich habe versucht, ihn zu beruhigen, doch ich habe gemerkt, dass die Kommunikation unzureichend war. Er hat mich nicht verstanden." Wieder pausierte sie. Sie baumelte immer noch mit den Füssen. Ferry schaute zur Seite und signalisierte der Königin, dass er soweit verstanden hatte. Auch wenn er Mühe hatte, sich diese leeren Räume als Überlebens-Zellen vorzustellen. Gummizelle traf es eher.

"Dank des tragbaren Dolmetschers konnten wir miteinander sprechen. Doch es war unbefriedigend.", fuhr Fala fort. Ferry nickte sein volles Einverständnis.

"Die Kommunikationsgeräte, die ihr im Gehirn habt, sind sehr primitiv. Erste Generation, vielleicht zweite. Sie sind viel zu schwach und haben nicht genug Speicher, um das gesamte Dolmetscher-Programm aufzunehmen." Ferry machte grosse Augen. Er hatte immer geglaubt, dass die Implantate des Corps absolute Weltraumtechnologie waren. So etwas gab es in P0 nicht und würde es sicher für die nächsten zwanzig oder dreissig Jahre nicht geben! Was konnte Fala mit "erste Generation" meinen?

"Wir mussten eure Geräte auf unseren Stand bringen. Mit mobilen Transkriptoren ist das nicht möglich. Hier in den Zellen haben wir bessere Geräte. Es hat wunderbar funktioniert! Jetzt verstehen wir uns viel besser!" Ferrys Hand tastete nach der Wunde an seinem Kopf.

"Ihr habt einfach ein Loch in unsere Schädel gebohrt und uns ein… ein…" Ferry suchte nach Worten. Sein grenzenloses Erstaunen kämpfte mit der aufsteigenden Wut um den Platz in der ersten Reihe.

"Ein grösseres "Ding" in unsere Gehirne gesteckt? Vielleicht einen Minicomputer der dritten Generation? Oder sogar der Vierten?" Fassungslos schaute er die Königin an. Diese legte den Kopf schief und machte ein zischendes Geräusch. Das war nicht gut, so viel war Ferry klar. Annunfala schien einige Probleme mit Ferrys Gefühlsausbrüchen zu haben. Vermutlich war sie sich das nicht gewohnt.

Der königliche Kopf kam wieder in die Senkrechte. Die Beine, die zwischenzeitlich stillgestanden hatten, begannen erneut zu pendeln. Fala klapperte mit ihrem Gebiss und gab einen kehligen Laut von sich. Entfernt erinnerte das Gehabe an ein bitteres Lachen.

"Wir müssen keine Löcher bohren, unsere Technologie ist non-intrusiv. Unsere Transkriptoren bauen das bestehende Gerät um und vernetzen es mit inaktiven Zonen des Gehirns, damit genügend Arbeitsspeicher entsteht. Es braucht dazu nur einen versatilen Energiestrahl und ein gutes Analysegerät. Ganz einfach!", erklärte sie. "Zum Glück sind eure Gehirne genügend gross und weitgehend ungenutzt. Wir haben allerdings festgestellt, dass am Anfang ein gewisses Schwindelgefühl auftritt, vermutlich, weil die Gehirnleistung auf das etwa Zehnfache gesteigert wird. Doch es klingt schnell ab, wenn sich die neu angelegten Energiefelder etabliert haben."

Ferrys Mund klappte auf. Er rang nach Luft. Sein eigenes Gehirn schien sich den Ausführungen der Königin anzupassen und verhielt sich "weitgehend ungenutzt". Es fiel Ferry schwer, zu entscheiden, was schlimmer war: dass die Grauen fanden, dass die Menschen dumm seien, oder dass sie scheinbar die Technologie hatten, mit einer Fernsteuerung an ihren Gehirnen herumzuspielen. Zehnfache Leistung!

Fala durchbrach seine simplen Gedanken.

"Es ist übrigens die 85. Generation. Ein Prototyp, der viel besser ist als die 84. Generation... Sagen die Techniker."

Ferry fühlte sich plötzlich unglaublich müde und alt. Mit einem trüben Blick schaute er die Königin an. Das konnte nur ein Witz sein? Doch Annunfala sah nicht aus, als ob sie einen Witz gemacht hatte. Er schluckte trocken. Was sollte man dazu auch sagen? Die Grauen waren den Menschen um Lichtjahre voraus in der Technik.

Doch plötzlich kam wieder Leben in den Master. Jäh riss er die Hand hoch und deutete mit dem Zeigefinger auf die Wunde an seinem Kopf.

"Non-intrusiv? Und was ist das?", begehrte er auf.

Fala hatte einen erschrockenen Hüpfer auf dem Bett gemacht und starrte auf die Stelle an Ferrys Kopf, auf die er zeigte. Sie wurde sehr dunkelgrün im Gesicht. Offensichtlich war ihr die Frage peinlich.

"Das war ein Problem.", sagte sie. "Bei dir hat es nicht funktioniert. Wir mussten einen Eingriff machen. Aber nun ist alles gut. Es hat keine Komplikationen gegeben."

Ferry rang nach Luft. Sie hatten also tatsächlich ein Loch in seinen Kopf gebohrt!

"Wie…? Was…? Warum…?", stammelte er.

"Der Energiestrahl wurde abgelenkt. Die Manipulation konnte nicht präzise durchgeführt werden. Es gab so etwas wie einen Störsender… Wir haben ihn zu spät bemerkt." Röte schoss in Ferrys Gesicht. Seine Hand griff nach dem linken Ohrläppchen. Der Ohrring war weg.

"Ich habe ihn erst gefunden, als ich mit meiner Hand den Weg in deinen Kopf gesucht habe. Es tut mir leid.", erklärte die Königin, den Kopf gesenkt. "Jetzt ist alles gut. Es funktioniert doch? Fühlst du dich gut? Von dem Eingriff wird man in wenigen Tagen nichts mehr sehen…" Sie brach ab. Es war ihr tatsächlich unendlich peinlich, das war Ferry klar. Ihm auch. Der verfluchte Störsender! Hätte er nicht einen auf Rebell gemacht, dann hätten ihm die Grauen kein Loch in den Schädel bohren müssen! Übelkeit stieg in Ferry auf.

"Du veränderst die Farbe in deinem Gesicht. Geht es dir gut?", fragte Fala besorgt. Wahrscheinlich war er grün oder grau im Gesicht. So fühlte sich Ferry wenigstens.

"Nein, mir geht es gerade nicht so gut.", presste er zwischen den Händen hervor, in die er sein Gesicht gepresst hatte.

"Hast du Schmerzen? Ich hole den Arzt!", entgegnete die Königin besorgt.

Ein grauer Arzt, der weiter an seinem Kopf herumpfuschte? Nein, das wollte Ferry auf keinen Fall!

"Nein! Keine Schmerzen. Nur zu viel Information… Es geht schon.", meinte er matt und richtete sich auf.

"Ich will Laura und meine Freunde sehen. Jetzt!", fügte er hinzu.

Ferry liebte Wissen und Information, und was Fala ihm erzählt hatte, war bahnbrechend, doch für den Moment hatte er gerade eine Überdosis an Fakten. Er wollte nur noch seine Frau und seine Freunde sehen und sich vergewissern, dass es ihnen gut ging. Über seinen eigenen Zustand und ausserirdische Technologie, die in sein Gehirn eingebaut worden war, wollte er gerade jetzt nicht nachdenken. Vielleicht war alles ja nur ein böser Traum, aus dem er gleich erwachen würde?

Die Königin nickte und hüpfte vom Bett. Sie trat zur Wand und berührte sie mit einem Finger. Sie liess den Finger ein kurzes Stück über die Wand gleiten und trat dann zurück. Eine schmale Schranktür war wie aus dem Nichts in der Wand aufgetaucht. Ferry trat mit einem Stirnrunzeln neben Annunfala und öffnete dann die Tür. Es war ein Spind! Darin hing seine Uniform.

Als sie in den grossen Raum eintraten, verstummten die Gespräche und die Köpfe der Anwesenden drehten sich zu Annunfala und Ferry.

Der Raum war rund und hatte eine hohe Kuppel aus Glas. Auch die Wände waren aus Glas, bis auf das kleine Stück, wo sie soeben mit dem Lift hochgekommen waren. Somit hatte man einen hervorragenden Rundum-Ausblick über Atlantis. Der Raum lag im obersten Stockwerk des riesigen Turms.

"Ferry!", schrie Laura erleichtert. Sie war aufgesprungen und rannte auf ihren Mann zu. Er machte einige Schritte auf sie zu und empfing sie mit offenen Armen. Laura fiel hinein und drückte ihn fest.

"Laura! Geht es dir gut?", seufzte Ferry und grub seine Nase in Lauras Haar, um ihren Duft einzuatmen. Sie drückte ihn zur Antwort noch fester.

"Ja. Jetzt schon.", tönte es gedämpft herauf. Sie hatte ihr Gesicht fest an seine Halsbeuge gelegt. Auch sie schien seinen Duft einzuatmen.

"Das hat ja ganz schön gedauert!", brummte es neben Ferry. "Wird das jetzt zur Gewohnheit, dass man sich um dich immer Sorgen machen muss?" Master Paris war neben sie getreten.

Laura löste sich aus der Umklammerung und trat einen Schritt zurück, um Ferry mit kritischem Blick genauestens zu betrachten. Sie warf einen kurzen Seitenblick zu Paris, um dann wieder Ferry zu fixieren. Sie nickte mit steinerner Miene ihre Zustimmung zu Paris' Aussage. Ferry runzelte die Stirn und hob die Hände in einer fragenden Geste. Was hatte er jetzt schon wieder ausgefressen?

Der Rest des Teams war ebenfalls aufgestanden und herangetreten. Auf ihren Gesichtern konnte Ferry ebenfalls Sorge und Betroffenheit stehen sehen.

Laura machte einen Schritt auf Ferry zu und tippte ihm mit einem spitzen Finger auf die Brust. Sie funkelte ihn aus schwarzen Augen wütend an.

"Du hast schon wieder im Koma gelegen! Drei Tage!" Ferry schoss die Röte ins Gesicht. Er hatte im Koma gelegen? Na ja, er war bewusstlos gewesen… aber Koma? "Wir hatten abgemacht, dass das nie wieder vorkommt! Du Idiot! Ich möchte dich am liebsten umbringen!", brüllte sie ihn an. Ferry konnte sehen, dass sie mit den Tränen rang, doch sie beherrschte sich. Ferry machte einen unsicheren Schritt auf seine Frau zu und schloss sie erneut in die Arme.

"Sch…", murmelte er besänftigend. "Alles ist gut. Bin ja wieder da." Laura drückte ihn fest und nickte stumm, den Kopf an seine Brust gelegt.

"Und ich kann ja nichts dafür…", murmelte er. Laura löste sich aus seinen Armen und funkelte ihn von unten herauf an.

"Du kannst nichts dafür? Hättest du nicht diesen idiotischen Störsender am Ohr, dann wäre das nicht passiert!", schimpfte sie. "Das hast du jetzt davon! Jetzt haben dir die Grauen ein Loch in den Schädel gebohrt!", fuhr sie zornig fort. Sie legte ihre Hand vorsichtig auf die Narbe an seiner Schläfe. Beinahe liebevoll strich sie darüber.

"Tut es weh?", fragte sie, nun deutlich sanfter.

Die anderen waren herangetreten und beäugten die Narbe ebenfalls.

"Nein, gar nicht. Nicht mehr. Anfangs dachte ich, mein Schädel explodiert. Doch dann hat Fala mir die Hand aufgelegt und seither ist es gut.", gab Ferry zurück.

"Sieht gut aus. Sauber gemacht.", sagte Judy neben ihm in ihrer nüchternen Art. "Du solltest ein bisschen besser auf deinen Kopf aufpassen!", fügte sie mit einem spitzbübischen Lächeln hinzu. Das war eine Anspielung auf ihren gemeinsamen Luftkampf, bei dem Ferry abgeschossen worden war und einen heftigen Schlag an den Kopf bekommen hatte. Danach hatte er ebenfalls im Koma gelegen.

"Ich will's versuchen.", gab er schmunzelnd zurück. "Schön, euch alle zu sehen. Geht es euch gut?" Ferry schaute in die Runde.

"Den Umständen entsprechend.", meldete sich Paris trocken.

"Was heisst das?", wollte Ferry wissen. "Was ist passiert?"

Paris schickte sich an, zu erzählen, doch Annunfala trat dazwischen.

"Setzen wir uns und trinken Tee. Dann können wir besser sprechen." Sie zeigte in die Mitte des domartigen Raums, wo ein grosser Haufen bunter Kissen lag. Ferrys Freunde hatten auf diesen Kissen gesessen, als er eingetreten war. Ausser den Kissen gab es keinerlei Einrichtung in dem Saal. Dekor schien nicht so das Ding der Grauen zu sein.

Sie legten die Kissen so zurecht, dass ein etwas unförmiger Kreis entstand. Die meisten sassen im Schneidersitz, doch Ferry behagte das nicht. Sein kaputtes Knie schmerzte, wenn er so sass. Er streckte die Beine übereinandergelegt nach vorn.

Zwei Graue tauchten auf und brachten Gläser mit einer dampfenden Flüssigkeit, sowie eine Platte, auf der grüne Klötzchen lagen, die wie Spielzeug-Bauklötze aussahen.

"Das ist irgend so ein Kräutertee. Schmeckt ein bisschen grasig und ist sehr süss.", flüsterte Laura Ferry zu. "Und das da ist so eine Art Gebäck.", erklärte sie weiter und fischte sich ein Stück von der Platte. "Schmeckt ebenfalls nach Gras und ist noch süsser als der Tee. Ist ein wenig gewöhnungbedürftig, aber eigentlich ganz gut. Und macht enorm satt. Das essen wir nun schon seit drei Tagen. Manchmal gibt es auch blaue oder braune Happen. Die blauen schmecken nach Blüten und die braunen nach Dörrfrüchten. Entfernt, wenigstens." Sie biss in das Teilchen und begann zu kauen. Ferry merkte, dass er Hunger hatte. Er griff sich ebenfalls ein grünes Gebäckstück und probierte einen vorsichtigen Bissen davon. Laura hatte recht, es war unglaublich süss. Den Geschmack fand Ferry recht apart. War mal was anderes. Es musste ja nicht immer Schokolade und Vanille sein. Während er sich den Rest des recht grossen Stückchens in den Mund schob und dafür einen tadelnden Blick von Laura erntete, begann Paris zu sprechen.

"Annunfala hat uns erzählt, dass ein zweites Tor aufgetaucht sei und es deshalb eine Art Aufstand der Grauen gegeben hat. Sie glaubten, dass sie angegriffen werden. Deshalb hat sie uns in den dunklen Raum geführt, wo wir betäubt wurden. Sie sagt, das war nötig, um uns zu schützen." Er warf der Königin einen Blick zu, der klar machte, dass er nicht dieser Meinung war.

"Betäubt? Wie?", fragte Ferry dazwischen. Das mit dem zweiten Tor hatte Fala ihm ja bereits erzählt.

"Stunner.", antwortete Dan. "Eine Art Energieimpuls, der flächig auf den Körper trifft und auf die Nerven wirkt. Die totale Überreizung des Nervensystems führt zu einer notfallmässigen Schnellabschaltung des zentralen Nervensystems. Total Blackout im Bruchteil einer Sekunde. Fala sagt, dass es nicht gefährlich ist und keine bleibenden Schäden zurücklässt. Man fühlt sich danach einfach, als ob man von einer Abrissbirne getroffen worden sei." Ferry nickte. Genau so hatte er sich gefühlt, als er zum ersten Mal aufgewacht war.

"Als sie uns betäubt hatten, haben sie uns in diese kleinen, grauen Einzelzellen gesperrt und gefesselt. Wir haben natürlich alle getobt und geschrien und Fala hat uns versucht zu beruhigen, doch es war einfach nicht verständlich, was sie sagte! Daraufhin wurden wir wieder betäubt und als wir aufgewacht sind, brummte der Schädel, doch wir waren nicht mehr fixiert.", fuhr Jane mit der Erzählung fort.

"Wir waren nun alle in einem grossen Raum, einem Massen-Schlafsaal, alle ausser dir.", ergänzte Youssef. "Wir haben uns natürlich Sorgen gemacht, vor allem Laura. Wir hatten alle Hände voll damit zu tun, dass sie nicht durchgedreht ist…"

An Ferrys Seite gab Laura einen grunzenden Laut von sich, der nicht sehr freundlich klang.

"Zum Glück ist Fala gekommen um uns mitzuteilen, dass es dir gut geht. Wir waren im ersten Moment total baff, dass wir sie plötzlich so gut verstehen konnten. Laura wollte sich schon auf sie stürzen, doch wir konnten sie zurückhalten. Fala hat sich dafür entschuldigt, dass wir vorübergehend eingesperrt worden waren, doch sie erklärte uns, wie es dazu gekommen war. Sie hat uns auch unsere Waffen zurückgegeben. Das hat uns überzeugt, dass sie es ernst meint." Carla schien ganz aufgeregt und unterstrich ihre Worte mit ausladenden Gesten.

Ferry schaute sich in der Runde um. Ja, alle hatten sie ihre Waffen am Gurt hängen. Er hatte seine jedoch nicht bekommen. Fragend schaute er zu der Königin. Diese schien wieder dunkelgrüne Bäckchen zu bekommen.

"Nach einem Eingriff muss erst abgewartet werden, ob es unerwünschte Nebeneffekte gibt…", erklärte sie verlegen. "Der Arzt sagt, dass es zu Kurzschlüssen im Nervensystem kommen kann, doch das ist ganz selten. Er muss dich erst untersuchen, bevor wir dir die Waffe zurückgeben können."

Na toll, dachte Ferry, Kurzschluss im Hirn! Das waren ja schöne Aussichten. Er bedachte Annunfala mit einem säuerlichen Blick. Das Grün auf ihren Wangen vertiefte sich.

"Zu ihrem Glück hat sie das nicht früher erwähnt…", raunte Laura. "Sie hat mir nur gesagt, dass es dir gut geht und du ein bisschen Ruhe brauchst. Sie hat mich sogar zu dir gelassen, damit ich mich selbst davon überzeugen konnte, wie es um dich steht. Sie hatten dich in ein künstliches Koma versetzt. Ich fand, es sah überhaupt nicht gut aus!", fuhr sie fort. "Ich bin fast durchgedreht." Ferry machte ein betrübtes Gesicht. Er konnte in Lauras Stimme hören, wie besorgt sie war. "Bist du sicher, dass es dir gut geht?", hakte sie nach.

"Ja, alles prima. Bis jetzt scheint es noch keine Funken zu schlagen da drin." Er tippte sich an den Kopf und lächelte sie aufmunternd an. Er hoffte, dass es auch so bleiben würde.

"Und was habt ihr die ganze Zeit gemacht? Was hat es auf sich mit dem zweiten Tor?", wandte sich Ferry an die Gruppe.

"Wir haben Tee getrunken, bunte Würfel gegessen und die Aussicht genossen.", sagte Paris mit einem bissigen Unterton. "De facto sind wir immer noch Gefangene. Sie lassen uns nicht raus." Er schaute die Königin unverwandt an. "Wir wüssten auch gerne, was es mit dem zweiten Tor auf sich hat! War es nun ein Angriff oder nicht? Wer ist durch das Tor gekommen?" Er war ruhig geblieben, doch die Mitglieder des Corps kannten diesen Ton von Paris. Er wollte Antworten und würde sich nicht mit Ausflüchten zufrieden geben.

"Ihr seid zu eurem eigenen Schutz in diesem Raum. Die Stimmung bei der Truppe hat sich nicht wesentlich verbessert. Wir müssen zuerst die Gefangene befragen. Doch sie weigert sich, mit uns zu sprechen.", führte Annunfala aus.

"Gefangene? Eine Frau?", blaffte Judy heraus.

Fala legte den Kopf in ihre schräge Denker-Lage. Nach einer kurzen Weile antwortete sie zögernd.

"Ja, eine Königin. Ein weiblicher Anders-Mensch." Da sich die Grauen selbst als Menschen bezeichneten, war mit Anders-Mensch ein Mensch aus P0 gemeint. Königin war gleichbedeutend mit Frau in der Kultur der Grauen, doch es klang irgendwie seltsam, fand Ferry. Er konnte das überraschte Staunen in den Gesichtern seiner Freunde sehen.

"Eine Frau? Eine Menschen-Frau?", hakte Judy nach. "So wie wir?" Sie zeigte auf sich, Laura, Jane und Carla. Sie schien es nicht fassen zu können.

"Nein, nicht wie ihr. Ihr tragt das Zeichen von Tor-Wächtern. Sie trägt das Zeichen einer Königin. Aber sie sieht ähnlich aus wie ihr. Nur ihre Uniform ist anders. Sie ist über und über mit dem Zeichen der Königin geschmückt."

Gleichzeitig begannen alle zu sprechen und zu tuscheln. Eine Frau! Ein Mensch aus P0! Wer konnte das sein? Was wollte sie hier? Was war das Zeichen einer Königin? Paris vermutete, dass es vielleicht Master Monica sein könnte, auch wenn er nicht wusste, was sie hier wollte. Ferry schüttelte den Kopf. Er hob die Hand und bat um Ruhe.

"Es kann nicht Monica sein.", sagte er. "Es war eine CERN-Toilette, die gelandet ist!" Die anderen waren sprachlos und gafften Ferry an, als ob er gerade verkündet hätte, dass Kühe fliegen können. Er holte zur Erklärung aus.

"Ich hab sie gesehen, kurz bevor sich die Tür schloss und es dunkel wurde. Es war eindeutig eine CERN-Türe!" Wieder brach Gemurmel aus. Jemand aus dem CERN? Was war hier los? Wer konnte das sein?

"Annunfala: wie sieht denn das Zeichen der Königin aus?", erhob Ferry seine Stimme. Er hatte eine ganz schlimme Vorahnung.

Die Königin streichelte mit einer Hand über den Unterarm. Auf der unsichtbaren Uniform erschien ein goldenes Zeichen. Es war ein Kringel, eigentlich ein Gebilde aus drei Kringeln, drei wellenförmige Spiralen, die sich auszurollen schienen. Es sah ein wenig aus, wie ein sich entrollender Farnstrauch. Ferry stöhnte laut auf und zog damit die Blicke aller auf sich. Er wusste jetzt, wer die Gefangene war.

"Was ist?", fragte Paris scharf und Laura drückte mit besorgter Miene seinen Arm.

"Malin. Das ist Malin, ganz sicher. Nur sie trägt eine Uniform voller Kringel…", stöhnte Ferry. "Was zum Teufel macht sie hier?"

"Das Bio-Eichhörnchen?", fragte Dan verblüfft. Wegen ihrer grossen, dunklen Augen, dem hüpfenden Pferdeschwanz und ihrem fröhlichen Wesen hatte sie diesen Spitznamen bekommen. Ferry zog eine Grimasse.

"Chef-Anthropologin.", korrigierte er seinen Kollegen automatisch. Ferry war der einzige Kampfpilot, der nicht alle Mitglieder der wissenschaftlichen Abteilung gleich als Nerds abstempelte. Er war es sich gewohnt, seine Freunde vom CERN in Schutz zu nehmen. Doch er nickte geistesabwesend. Ja, das musste das Bio-Eichhörnchen sein.

Er stand auf und wandte sich an die Königin.

"Annunfala. Die Gefangene ist eine Freundin von uns. Ihr Name ist Malin. Wir wissen nicht, was sie hier macht, aber ich versichere dir, dass sie ungefährlich ist. Sie ist total harmlos! Sie ist Wissenschaftlerin, keine Kampfpilotin. Sie hat nicht einmal eine Waffe! Bring mich zu ihr, dann werden wir herausfinden, warum sie hier ist!" Der Rest der Crew nickte bestätigend zu seinen Worten. Malin war herzensgut und lieb. Sie konnte keiner Fliege etwas zuleide tun.

Die Königin hatte wieder ihren Kopf zur Seite gelegt und blinzelte.

"Sie hatte keine Waffe, das stimmt. Aber Blut! Sie hatte Menschenblut dabei! Unser Blut! Das Blut einer Königin!", fauchte sie. Ferry wurde bleich. Er hatte Annunfala noch nie so aufgebracht gesehen. "Woher hat sie das Blut einer Königin? Die Pch-Nun haben alles Blut gestohlen! Sie kollaboriert mit den Pch-Nun!" Fala war ebenfalls aufgestanden und ruderte wild mit den Armen, die Hände zu Fäusten geballt.

Ferry schluckte trocken.

"Nein, nein, nein, Fala! Das ist ein Irrtum!", versuchte er die wütende Graue zu besänftigen. "Sie kann nicht mit dem Feind kollaborieren. Sie weiss noch nicht einmal, dass es Pch-Nun gibt!" Ferry raufte sich mit der Hand durchs Haar. "Das Blut hat sie von mir.", gab er leise zu. Die Königin machte einen Hüpfer und stiess dabei einen kurzen Schrei aus. Aus dem Vorraum, wo sich der Lift befand, kam ein ganzer Trupp Graue hereingestürmt, die Waffen im Anschlag. Sie waren offensichtlich besorgt um die Sicherheit ihrer Königin.

"Halt!", gebot diese und hob ihre Hand, um ihre Leibwächter zu stoppen. "Es ist alles gut. Ich bin nur erschrocken. Es besteht keine Gefahr. Waffen weg!" Zögernd kamen die Grauen dem Befehl nach, doch sie scharten sich hinter ihre Königin. Sie schienen noch nicht überzeugt davon, dass keine Gefahr bestand.

Annunfala drehte sich zu Ferry.

"Woher hast du Blut einer Königin?", fragte sie scharf. Die Blässe in Ferrys Gesicht wich tiefroter Farbe. Er spürte, wie seine Ohren zu glühen begannen. Er spürte auch die Blicke seiner Kameraden, die auf ihm lagen. Sie fragten sich wohl genau dasselbe. Wieder musste Ferry trocken schlucken, um den Kloss in seinem Hals zu beseitigen.

"Es ist das Blut der Königin, die am See gestorben ist. Nach der grossen Schlacht. In der Nacht, in der wir das erste Mal Kontakt hatten…", erklärte Ferry. Er sehnte sich nach einer Zigarette. "Ich habe ein Tuch mit dem Blut der Königin gefunden und es Malin gegeben, damit sie es analysieren kann."

"Das kann nicht sein!", zischte Annunfala. "Es ist aktives Blut! Blut einer lebenden Königin!" Ferry machte ein ratloses Gesicht. Er wusste nicht, was aktives Blut war, aber Malin konnte kein anderes Blut haben, als dasjenige, welches sie zusammen am Zürichsee gefunden hatten.

"Ich versichere dir, dass das nicht sein kann. Bitte glaub' mir - sie hat nur das Blut der toten Königin! Lass mich mit ihr sprechen, dann werden wir alles klären. Ich bin sicher, dass es eine logische Erklärung dafür gibt." Er konnte sich gerade keine solche Erklärung vorstellen, aber es musste einfach eine geben.

Die Begegnung

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