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III

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Theo Ferstner steckt das silbrig glänzende Handy weg, nachdem er das Telefongespräch beendet hat. Es ist das aller neueste Modell. Theo Ferstner legt Wert darauf, stets das neueste und teuerste Modell eines Handys zu besitzen. In den unzähligen Meetings und Aufsichtsratsversammlungen, denen er als Landrat beiwohnen muss, baut er das Handy stets vor sich auf wie ein Zepter. Es zählt zu den Insignien seiner Macht und selbst bei seinen Besuchen in der Staatskanzlei akzeptiert man inzwischen, dass der Landrat Theo Ferstner einen Handy-Tick hat.

„Solange es nur ein Handy-Tick ist!“, scherzen die honorigen Herren aus der Staatskanzlei. Da sind sie schlimmere Passionen gewöhnt: teure Sportwagenmodelle, Segelyachten oder Obsessionen für Frauen, die gut und gerne Töchter sein könnten, stattdessen aber Geliebte abgeben müssen.

Theo Ferstner ist seit zwanzig Jahren Landrat. Und er ist bemüht, sauber zu bleiben, da er seine Position noch einige Zeit behalten möchte. Außerdem bemüht er sich um Bürgernähe. Um die Nähe jener Bürger jedenfalls, die berühmte und vor allem reiche Berliner Unternehmer sind und die in Klein Piesicke auf die Suche nach Immobilien gehen, nach Abschreibungsobjekten, wie sie es nennen oder nach repräsentativen Jagdrevieren mit möglichst reichen Beständen an Dam-, Schwarz-, Muffel- oder zumindest an Rehwild, an Hasen, Fasanen und Stockenten.

Theo Ferstner hat wieder mit Zürich telefoniert. Als Landrat sitzt er ganz selbstverständlich in den Aufsichtsräten aller größeren Firmen des Landkreises. So natürlich auch im Aufsichtsrat des Oderbruch-Klinikums, obwohl er kein Mediziner und auch kein Betriebswirt ist, denn darauf kommt es in seinen Kreisen längst nicht mehr an.

Seine Gesprächspartner in Zürich repräsentieren eine große und europaweit agierende Klinik-Kette. Ein Konsortium von gewaltiger Finanzkraft mit knapp zweihundert Kliniken quer durch ganz Europa. Das Konsortium ist seit einiger Zeit interessiert am Kauf des Oderbruch-Klinikums. Es würde dann aus dem Eigentum des Landkreises in Schweizer Privatbesitz übergehen. Ferstner weiß längst, was dies für die Mitarbeiter und Patienten bedeutet. Ganze Abteilungen würden aus Kostengründen einfach geschlossen, Ärzte, Schwestern und Pfleger entlassen. De facto auch eine Verschlechterung der medizinischen Versorgung und vor allem der Beschäftigungssituation der Bürger des Landkreises. Aber so durfte man die Sache keinesfalls betrachten. Worauf es jedoch ankam: der Landkreis würde durch die Transaktion auf einen Schlag schuldenfrei und für ihn, den Landrat und Aufsichtsratsvorsitzenden Theo Ferstner, spränge eine Provision im sechsstelligen Bereich dabei heraus. Einfach so, nebenbei und zusätzlich zu seinen laufenden Bezügen. Entsprechend deklariert durch die tüchtige Mitarbeiterin seines Steuerbüros, sogar zum überwiegenden Teil vollkommen steuerfrei! Eigentlich war Ferstner finanziell vollkommen saniert. Was immer er begehrte, er konnte es sich leisten, ob nun eine Segelyacht oder eines der besonders lukrativen Jagdreviere, die reich an kapitalen Damwildschauflern waren und mit denen man sogar Geschäftsleute aus dem aufstrebenden China immer wieder beeindrucken konnte. Aber Ferstner hatte auch genug dazu gelernt, um bescheiden zu bleiben. Er war infiziert von der Gier, immer noch mehr verdienen und einnehmen zu wollen.

Die Linken würden vermutlich Sturm laufen im Kreistag. Aber es kam eben darauf an, wie man der Öffentlichkeit die ganze Sache mit der Klinik zu verkaufen verstand. Seitdem er vor zwanzig Jahren Lokalpolitiker geworden war, wusste Theo Ferstner um die fatale Macht der Sprache. Richtig gebraucht, konnte sie einen Mörder zum Heiligen und Patrioten verklären und aus einem schnöden Betrug einen Akt edelster vaterländischer Gesinnung machen. Es kam letztendlich nur darauf an, wie man das Ganze benannte und welche Worte man benutzte, um es zu beschreiben oder besser zu umschreiben. Außerdem war er der Landrat, vor dem ohnehin schon die meisten Bürger des Kreises einen Buckel machten, denn sein Arm reichte weit. Theo Ferstner konnte, wenn man ihn reizte, Existenzen zerstören und Karrieren für immer beenden.

Er würde sich schon etwas einfallen lassen, denn schließlich war er nicht umsonst Landrat geworden.

Inzwischen war es für Theo Ferstner ganz selbstverständlich, dass der gesamte Landkreis sich nach ihm und seiner politischen Meinung ausrichtete, wie die Kompassnadel nach dem magnetischen Nordpol. Er war für den Landkreis dasjenige, was der Prior für die Mönche des nahen und in den Wirren des Dreißigjährigen Krieges verwüsteten Klosters gewesen war. Er sah sich als den Leitstern in seinem Landkreis. Und dies galt längst nicht nur für politische und öffentliche Angelegenheiten. Dies galt inzwischen unumschränkt.

Dennoch liebt es Theo Ferstner, Sprüche in der Öffentlichkeit zu klopfen, um deren wirkliche Bedeutung er oft nicht einmal weiß. Dies hat er mit den Damen und Herren aus der großen Politik in Europa und auf Bundesebene gemeinsam, von denen er sich dies abgeschaut hat.

„Reelle Basispolitik, das ist dem Bürger wichtig!“, so lautet Ferstners Lieblingssatz. Und es ist nur gut, dass niemand sich getraut, ihn zu fragen, was denn eigentlich reelle Basispolitik sei.

Theo Ferstner ist stolz auf sein Hauptbeamtenverhältnis der Besoldungsstufe B 6 als Landrat, welches ihm monatlich mehr als 8.000 Euro brutto einbringt. Geld konnte man schließlich nie genug bekommen!

Ferstner fühlt sich als eine Art Fürst der mehr als 200.000 Einwohner, welche in seinem Landkreis leben. Und das Possessivpronomen „sein“ versteht er dabei durchaus nicht nur in seiner grammatikalischen Bedeutung, sondern tatsächlich in seiner Eigenschaft als besitzanzeigendes Fürwort.

Theo Ferstner sah die Sache ganz pragmatisch: die 200.000 Einwohner „seines“ Landkreises hatten für ihn, den Politiker, da zu sein und nicht umgekehrt! Sie hatten ihn bei der Durchführung seiner schweren und bedeutungsvollen Amtspflichten zu unterstützen. Vor allem jedoch hatten sie ihn zu wählen und nach jeder Landratswahl hielt er die Ohren offen, um von jenen zu hören, die ihn nicht gewählt hatten. Die wurden dann abgestraft, denn er hatte da durchaus seine Möglichkeiten, um solchen Querulanten, vor allem, wenn es Gewerbetreibende waren, das Leben schwer zu machen. Dafür war Theo Ferstner bekannt und gefürchtet.

Dinge, wie Wahlbeteiligungen, interessierten Theo Ferstner nicht. Wohl aber sein Anteil an den wenigen Stimmen! Darauf kam es schließlich am Ende an!

Als geradezu lästig empfand er all diese sozialen Pflichten im Vorfeld von Landratswahlen. So beispielsweise das regelmäßige Nudelkochen in einer Einrichtung für geistig Behinderte, die er bei sich selbst nur hämisch „die Bejackten“ nannte. Dennoch fand er sich vor jeder Landratswahl, begleitet vom Lokalreporter der kleinen regionalen Zeitung, in der winzigen und penetrant nach Desinfektionsmittel stinkenden Küche dieser Einrichtung ein, um dort publikumswirksam mehrere Packungen Spaghetti aufzureißen, in kochendes Salzwasser zu schütten und dabei gequält in die Kamera zu lächeln.

Wenn Theo Ferstner ehrlich zu sich selbst war, dann musste er sich eingestehen, dass er die öffentlichen Gelder, die der Staat in diese Einrichtung hier steckte, für pure Verschwendung hielt. Lieber hätte er sie gestrichen und sie stattdessen in einen Yachthafen oder in den Ausbau des Wegenetzes zu den hiesigen Jagdrevieren investiert. Ja, er hätte sich sogar eingesehen müssen, dass er gewisse Sympathien für Hitlers Euthanasieprogramm hegte. Spätestens seit jenem Nachmittag vor gut acht Jahren, als einer der Behinderten sein neues und teures Jackett vollgesabbert hatte.

Außer dem Nudelkochen pflegte Theo Ferstner vor jeder Landratswahl vollmundig zu erklären, dass es bei ihm nur minimale Unterstützung für die Linkspartei geben werde. „Minimalkonsens, mehr nicht!“, pflegte er dabei zu sagen, denn er wusste, dass seine Partner und Freunde dies von ihm erwarteten, als Statement und im politischen Tagesgeschäft. Jene Herren, die ihn vor nunmehr zwanzig Jahren bei seiner aller ersten Kandidatur zum Landrat auch finanziell unterstützt hatten und denen er seither verpflichtet war.

Theo Ferstners Konterfei prangte vor jeder Landratswahl im Großformat und in Farbe von beinahe allen Straßenbäumen und Laternen im Landrat. Im Halbprofil blickte er dabei streng von oben herab. Ein Gestus, der Bürgernähe und Entschlossenheit zugleich zum Ausdruck bringen sollte. In Anzug und Krawatte, die Brillengläser blitzend und das kurz geschnittene grau melierte Haar mit Gel in Form gebracht und streng gescheitelt. Ein Bisschen Christian Wulf vom äußeren Eindruck her, nur älter und weitaus unnahbarer und rigoroser im politischen Auftreten.

Kein Mensch konnte sich erklären, woher all das Geld stammte, um den Landkreis mit derartig vielen Fotos von Ferstner zu bestücken, zumal die finanzielle Situation seiner Partei auf Kreisebene nicht gerade rosig war. Gerüchte machten die Runde, Theo Ferstner hätte all dies selbst finanziert, denen allerdings all jene widersprachen, die den Geiz der Familie Ferstner kannten. Die drehte jeden Cent dreimal um, ehe sie ihn ausgab. Und wenn sie ihn schließlich ausgab, dann stets so, dass das Geld nachher tunlichst in der eigenen Familie blieb.

Theo Ferstner sieht sorglos und voll Zuversicht in die Zukunft, die wie ein roter Teppich für ihn ausgebreitet erscheint. Für ihn, seine Familie und Freunde und für all jene, die tun, was er ihnen sagt und die sich nach ihm richten.

Theo Ferstner ist ein Familienmensch. Er sorgt für Frau, Bruder und Sohn. Und er tut dies auf seine Weise oder, wie er sich selbst stets auszudrücken pflegt, als ein Pferd, welches an der Krippe steht und dabei zugleich dreist genug ist, um dort nicht nur für sich, sondern auch für die Seinen, satt und genug vom guten Hafer zu fressen.

Die Kinder der Bosheit

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