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Goldenes Widderfell & das Gold der Toten

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Der wahre Nutzen des Edelmetalls musste erst gefunden werden. Der römische Dichter und Philosoph Lukrez (98 bis 55 v. Chr.) postuliert in seinem gewaltigen Lehrgedicht Von der Natur der Dinge den Aufbau der Welt aus Atomen und spricht im fünften Buch unter anderem von der Entstehung der Metalle und deren wechselnder Wertschätzung. »Und nicht seltener als aus kräftiger Bronze, diesem harten und zähen Material, versuchten sie zunächst, solche Werkzeuge auch aus Gold und Silber zu fertigen. Ohne Erfolg jedoch. Denn jene versagten den Dienst und verbogen sich, hielten harter Arbeit nicht stand. Damals geriet Bronze hoch in Kurs, vom Gold hielt man weniger, nutzlos wie es war mit stumpf verbogener Schneide. Heute dagegen schätzt man Bronze geringer, Gold kam zu höchsten Ehren. So, in ihrem Lauf, wandelt die Zeit, was die Dinge bedeuten« (deutsch von Klaus Binder).

Die Weichheit des Goldes machte dieses Metall hervorragend geeignet für Götterstatuen, Kultgegenstände, königlichen Schmuck – aber nicht für Waffen und nicht für nützliches Gerät. Dafür waren Bronze und Eisen viel geeigneter. Gold ist dafür zu nachgiebig, die Klinge verbiegt sich, wird stumpf. Glänzend und Ewigkeit versprechend, doch für praktisches Gerät völlig ungeeignet. Ein leuchtendes Paradox: Das Wertvollste ist nutzlos, zumindest in einem praktischen Sinne. Nietzsche nennt es in Also sprach Zarathustra (1883-1885) »ungemein«, also selten, und »unnützlich«: »Sagt mir doch: wie kam Gold zum höchsten Werte? Darum, dass es ungemein ist und unnützlich und leuchtend und mild im Glanze; es schenkt sich immer. Nur als Abbild der höchsten Tugend kam Gold zum höchsten Werte. Goldgleich leuchtet der Blick dem Schenkenden. Goldes-Glanz schließt Friede zwischen Mond und Sonne.«

Wenn das Wertvollste selten und nutzlos ist, ist Gold immerhin berufen, das Gold der Träume, der Wünsche, der Sehnsüchte zu sein. Laut der griechischen Sage hatte Jason auf dem Schiff Argo mit seinen fünfzig Gefährten das Goldene Vlies – das Fell des mythischen Widders Chrysomallos, der fliegen und sprechen konnte – in Kolchis aufzuspüren und zu rauben. Gewaltige Anstrengungen und Hindernisse, eine gefährliche Expedition, um ein golden glänzendes Widderfell zu gewinnen. Schon Homer bezog sich auf die Argonautensage, sie war also älter als die Ilias und die Odyssee (8. Jh. v. Chr.). Fünf Jahrhunderte später schilderte Apollonios von Rhodos (295 bis 215 v. Chr.) im Versepos Die Fahrt der Argonauten das packende Geschehen, eine Art antikes Roadmovie, aber meist zur See.

Es war natürlich eine »unmögliche Mission«, die König Pelias seinem Neffen Jason auferlegte, weil ihm laut einem Orakelspruch von einem »Einschuhigen« Gefahr drohen sollte (Jason verlor einen Schuh, als er der Göttermutter Hera half, einen Bach zu überqueren). Zwar erlangt Jason dank der Zauberkünste Medeas das goldene Fell, muss aber für seine Untreue bitter büßen: Die verlassene Medea tötet die gemeinsamen Kinder, Jason kommt in Korinth zwar noch knapp auf den Königsthron, doch nimmt er sich in seiner Verzweiflung bald das Leben.

Das Goldene Vlies brachte ihm letztlich kein Glück. So viel erreicht, um so viel zu verlieren. Aber in der Erinnerung daran, wie er das von einem Schlangen-Ungeheuer bewachte goldene Widderfell endlich erreichte (Medea schafft es, das Untier einzuschläfern), strahlt es prächtig: »So hob damals Jason das Vlies mit seinen Händen froh empor. Und auf seinen blond umflaumten Wangen und der Stirn verursachte das Flimmern der Wolle eine flammengleiche Röte […]. Überall golden […] und überaus stark funkelte die Erde ständig vor ihm unter seinen Füßen […] Die jungen Männer aber staunten, als sie das Vlies sahen, wie es leuchtete, gleich dem Blitz des Zeus. Und jeder erhob sich im Verlangen, es zu berühren und in seine Hände zu nehmen.«

Kolchis an der östlichen Schwarzmeerküste galt schon in der Antike als Goldland, das »goldreiche Kolchis« war eine feste Wendung. Heute liegt dieser Landstrich in Georgien. Auch das älteste Goldbergwerk der Menschheitsgeschichte liegt in Georgien und ist über fünftausend Jahre alt: Sakdrissi am Kachagiani-Hügel bei Kazreti in Südostgeorgien. Es wurde 2004 bis 2013 von einem deutsch-georgischen Team erforscht, dann fiel das bedeutende historische Monument dem industriellen Goldabbau zum Opfer, der Hügel wurde abgetragen. Am Fundplatz wurden über zehntausend Steinhämmer entdeckt, die Überbleibsel des archaischen Goldabbaus, der dort Jahrhunderte lang, von 3400 bis 2600 v. Chr., in der nach zwei Kaukasus-Flüssen benannten frühbronzezeitlichen Kura-Araxes-Kultur, betrieben wurde.

Die kaukasische Bevölkerung brachte also schon sehr früh erfahrene Bergleute hervor. Berggold hatte den Vorteil, dass eine Lagerstätte über längere Zeit Gold liefern konnte, systematisch betriebenen, zielgerichteten Abbau erlaubte und die Menschen nicht wie beim Flussgold vom Zufallsglück abhingen. Auch heute noch wird in Georgien, z. B. am Fluss Enguri in Swanetien, wie auch in anderen Flüssen des Kaukasus, von der heimischen Bevölkerung mit einfachen Mitteln Gold gewaschen – manchmal sogar noch wie in der Antike mit Schaffellen, in denen sich die winzigen Goldklümpchen verfangen, oder in simplen Kochpfannen. Die Erinnerung an Jasons Suche nach dem Goldenen Vlies in Kolchis ist noch immer lebendig. Das mythische, golden leuchtende Widderfell der Argonautensage hat seinen Ursprung in dieser uralten Goldwäscher-Technik.

»Ahnengold« wurde als Grabbeigabe dem toten Würdenträger für seine letzte Reise verehrt. Das berühmteste Objekt georgischer Goldschmiedekunst ist die 1973 in einem Hügelgrab entdeckte, auf die Zeit um 2400 v. Chr. datierte kleine Löwenfigur aus Tsnori in Kachetien (Ostgeorgien, an den Südhängen des Großen Kaukasus), nur 2,8 Zentimeter hoch und mit dem Schwanz 5,2 Zentimeter lang. Der Löwe symbolisiert seit Urzeiten den Herrscher. Kopf und Vorderbeine sind mit Goldkügelchen verziert, die wilde Mähne des Raubtiers ist ornamental stilisiert. Der Löwe von Tsnori ist in Georgien so bekannt, dass er auf einer Münze (5 Tetri) und einem Geldschein (5 Lari) abgebildet ist. Auch auf einer Briefmarke war er schon zu sehen. Kein Wunder, die Georgier sind stolz darauf: Es ist die älteste goldene Löwenfigur der Welt. Sehr klein, doch von nationaler Bedeutung. Und ich freue mich, dass ich ihn mit eigenen Augen gesehen habe, als er 2018 erstmals das Land verlassen durfte für die Ausstellung Gold & Wein. Georgiens älteste Schätze im Archäologischen Museum Frankfurt. Dass gleichzeitig die Ausstellung Medeas Liebe und die Jagd nach dem Goldenen Vlies in der Liebieghaus-Skulpturensammlung zu sehen war, war ein Geschenk beim Schreiben dieses Buches. Jason und seine Argonauten, die Zauberin Medea und das Goldene Vlies auf Tournee in Frankfurt am Main: Es war wie ein gutes Vorzeichen.

Bestimmte Goldobjekte der Antike haben eine geradezu ikonische Bedeutung bekommen, etwa das Meisterstück der minoischen Goldschmiedekunst, das um 1700 v. Chr. entstandene, in der Nekropole von Kryssolakkos gefundene und im Museum von Heraklion auf Kreta aufbewahrte Amulett von Mallia: zwei goldene Bienen, symmetrisch angeordnet, die einen Tropfen Honig in eine Wabe füllen. Als ich die Kulturgeschichte der Biene – Das Lied vom Honig (2012) – schrieb, erinnerte ich mich daran, wie ich vor Jahren staunend davorstand: Gold und Bienen, eine leuchtende Verbindung, zum Halsschmuck vereint.

Oder die »Goldmaske des Agamemnon«, die Heinrich Schliemann, der deutsche Geschäftsmann, Archäologe und Schatzgräber aus Passion, im November 1876 in Mykene auf dem Peloponnes in einem prachtvollen Schachtgrab ausgrub – neben anderen wertvollen Grabbeigaben und Goldschätzen von dreizehn Kilo Gewicht. Am 28. November telegrafierte er an den griechischen König, das Grab des mykenischen Fürsten Agamemnon sei endlich gefunden. Homers Ilias in der einen Hand, die Spitzhacke in der anderen Hand: Der spätberufene Archäologe war beseelt von der Idee, den Wirklichkeitsgehalt von Homers Werken zu beweisen. Agamemnon, der Anführer der Griechen im Trojanischen Krieg, war scheinbar aus seiner Porträtzüge aufweisenden Totenmaske auferstanden. Heute ist erwiesen, dass die Goldmaske, die dem Toten Lichtgestalt verleihen sollte, aus dem 16. Jahrhundert v. Chr. stammt, drei Jahrhunderte vor der Zeit, in der die Sagen um Troja handeln (um 1200 v. Chr.). Schliemanns schöner Irrtum hat immerhin einen der bedeutendsten Goldartefakte der Antike ans Tageslicht gehoben.

Der Berliner Goldhut ist ebenso ein ikonisches Goldobjekt: ein sogenannter Zeremonialhut, einem Zuckerhut ähnlich, nur unvergänglicher, in Süddeutschland gefunden, auf 1000 v. Chr. datiert. Wahrscheinlich wurde er einem Priester oder Magier und Sterndeuter ins Jenseits mitgegeben, damit er auch drüben die Autorität des Hutträgers anzeige. Die Himmelsscheibe von Nebra aus dem 16. Jahrhundert v. Chr.? Sie besteht zwar aus Bronze, aber die Gestirne darauf sind als Goldapplikationen wiedergegeben. Einzig Gold war geeignet, Sonne, Mond und Sterne zu bedeuten.

Gold wurde von den Ägyptern schon im Alten Reich (2700 bis 2200 v. Chr.) als Metall der Göttlichkeit aufgefasst, weil es unzerstörbar und unvergänglich war, Symbol der Ewigkeit, der »Millionen von Jahren«, in denen die Pharaonen zu leben gedachten. Es war der ideale Stoff einer Überwindung des Todes, um die sich die ganze ägyptische Religion dreht. Das an die Sonne erinnernde Unvergänglichste. Ohne die alles überstrahlende Göttlichkeit der Sonne kein Licht und kein Leben auf der Erde und im Jenseits. Die Grabstätte des Pharao im Neuen Reich (1550 bis 1070 v. Chr.) hieß »Goldener Raum«, Raum des ewigen Lebens. Gold war beinah ein Synonym für »Ewigkeit«. Noch heute wird, um den reinen Goldgehalt eines Schmuckstücks oder eines Barrens zu beglaubigen, mit einer Punze ein Kreis als Sonnenzeichen eingeprägt. Eine Erinnerung an die altägyptische Sonnenfixierung alles Seienden.

Weltbekannt sind die Gegenstände aus dem 1922 von Howard Carter entdeckten Grab des mit neunzehn Jahren verstorbenen Pharaos Tutanchamun (Regierungszeit 1332 bis 1323 v. Chr.), eines historisch gesehen unbedeutenden Herrschers, der aber dank seiner intakt gebliebenen Grabstätte zur Ikone der ägyptischen Kultur wurde. Die Mumie lag in einem Sarg aus massivem Gold, 110,4 Kilo schwer, umgeben von zwei weiteren vergoldeten Holzsärgen; alle drei Särge ruhten zudem in einem Quarzit-Sarkophag mit Granitdeckel. Eine Raumkapsel aus Gold und Granit für die Reise durch das Jenseits. Als Howard Carter am 24. November 1922 durch einen Spalt in die Grabkammer blickte, soll er gestammelt haben: »Ich sehe wundervolle Dinge.« Tutanchamuns elf Kilo schwere Goldmaske aus dem Ägyptischen Museum in Kairo mit ihrem Ausdruck von makelloser Schönheit und Majestät war und ist Sinnbild für die ägyptische Kultur – und ein idealer, Devisen bringender Exportartikel auf Zeit.

Eine aus der oberägyptischen Stadt Nechen stammende Kleinskulptur des falkenköpfigen Gottes Horus aus der 6. Dynastie (2347 bis 2216 v. Chr.) gilt als das älteste erhaltene Werk ägyptischer Goldschmiedekunst. Der älteste Goldschmuck der Welt kommt jedoch nicht aus Ägypten, sondern aus Osteuropa, er ist noch zweitausend Jahre älter als das Alte Reich, wird auf 4600 v. Chr. datiert und stammt aus einem 1972 entdeckten neolithischen Gräberfeld im bulgarischen Warna am Schwarzen Meer, wo über dreitausend goldene Schmuckstücke aus der Erde gehoben wurden. Die Kulturgeschichte des Goldes umfasst also sieben Jahrtausende. Auch wenn die Pharaonen im »Haus der Millionen von Jahren«, also in der Ewigkeit, weiterleben wollten, ist auch die Sieben mit den drei Nullen schon eine respektable Zeitspanne.

Unverkennbar war Gold ein zentrales Element des Totenkultes. Als prächtige, unvergängliche Grabbeigabe begleitete es sumerische und babylonische Herrscher wie ägyptische Pharaonen ins Jenseits, Gilgameschs Gefährten Enkidu ebenso wie den jung verstorbenen Pharao Tutanchamun. Als Kranz aus stilisierten goldenen Olivenbaumblättern schmückte es in der Antike zahllose vornehme Häupter in den Gräbern des Mittelmeerraums. Auch das Gold der Skythenfürsten, der kriegerischen Reiternomaden, die sich in den Jahrhunderten vor unserer Zeitrechnung von der Mongolei bis ans Schwarze Meer mit goldenen Grabbeigaben bestatten ließen, beflügelte die Phantasie der Menschen.

Bei einem russischen Dichter der Moderne blitzt es noch in einer Vision des 20. Jahrhunderts auf: bei Wladislaw Chodassewitsch, geboren 1886 in Moskau, gestorben 1939 in Paris, in dessen Gedicht Gold vom 7. Januar 1917 (zum Gedicht). Es entstand zu Beginn eines Jahres, das in Russland gewaltige historische Umwälzungen sah, und beschwört in Verkennung alles Zeitgemäßen archaische Bestattungsriten und Grabbeigaben: »Gold in den Mund, den Honig und den Mohn / In deine Hände – letzter Erdenmühe Lohn.«

Ein Dichter träumt die Möglichkeiten des Weiterlebens: in der bescheidensten irdischen Form – als Gras, oder im Kosmos – als Stern. Er glaubt an die Unsterblichkeit der Seele, die mit dem Edelmetall Gold assoziiert wird. Allein die Seele, das Goldstück im vergänglichen menschlichen Körper, soll als »kleine Sonne« überdauern, alles andere ist vergänglich: »Verwesen wird im Grab Honig und Mohn, / Die Münze fällt im toten Mund hinunter schon … / Doch nach so vielen dunklen Jahren legt / Ein Unbekannter seine Hand an mein Skelett, / Im schwarzen Schädel, den der Spaten bricht, / Klingt auf die schwere Münze und das Licht / Glänzt zwischen Knochen hell vom Gold / Als kleine Sonne – Spur, die meiner Seele folgt.«

Wer wird hier bestattet? Ein Nachkomme der Skythen? Es war für einen Russen leicht, Skythengold zu besichtigen. Zar Peter der Große besaß eine »Sibirische Sammlung«, Zar Nikolaj I. machte 1852 die Schätze in der Neuen Eremitage in Sankt Petersburg öffentlich zugänglich. Doch was bedeuten die symbolischen Grabbeigaben, mit denen dieser Mensch bestattet werden will? Honig, Mohn, Gold. Sonst nichts: keine Keramik, kein Schmuck, keine Waffen, weder Bronze noch Eisen. Süße Nahrung für das Jenseits, wie in vielen Kulturen – kein Pharao trat seine »Nachtfahrt« ohne Honigtöpfe, Honigkuchen an. Dazu Schlafmohn, die Pflanze, die Rausch, Schmerzlosigkeit und Vergessen versprach.

Und schließlich das Metall der Ewigkeit, jeder Verwitterung trotzend, unversehrbar durch die zerstörerische Macht des Sauerstoffs. Kein anderes Metall könnte die Unsterblichkeit der Seele besser symbolisieren als Gold. Der Tote trägt gleichsam eine Variante der Charonsmünze im Mund. Aber wenn der Obolus bei den Griechen dem Verstorbenen vor der Bestattung unter die Zunge gelegt wurde als Fährgeld für Charon, damit er den Toten über die Unterweltflüsse in den Hades bringen sollte, so ist es in diesem modernen russischen Gedicht ein Eintrittsgeld in die Unsterblichkeit, ein Pass für das Weiterleben der Seele.

Im Jahr der geschichtlichen Umwälzungen 1917 beschwört ein russischer Lyriker den ewigen Zyklus von Leben, Tod und Wiedergeburt. Er träumt von dem, was bleiben soll, von der Seele und deren Unsterblichkeit. Vor dem Hintergrund von Weltkrieg und Revolutionen strahlt das Gedicht goldgleich eine starke Zuversicht aus: dass im historischen Chaos nicht alles verlorengeht.

Das Gold der Träume

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