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Relikt von sterbenden Sonnen
ОглавлениеGold ist ein Fremdling auf der Erde. Es gehört nicht ursprünglich hierher, es ist ein Einsprengsel, das von fernen Himmelskörpern stammt. Es entstand beim Zusammenprall von Neutronensternen, es ist ein Relikt von sterbenden Sonnen. Durch Meteoriten schlug es in die Erdrinde ein. Gold ist also eine glänzende Frucht katastrophaler Kollisionen. Im Juni 2013 beobachteten Astronomen in einer 3,9 Milliarden Lichtjahre entfernten Galaxie einen Gammablitz, der vermutlich von zwei zusammenkrachenden Neutronensternen verursacht wurde. Sie berechneten, dass dabei bis zu zehn Mondmassen (735 Trilliarden Kilogramm) Gold entstanden sein könnten und ins All geschleudert wurden. Auch unser irdisches Gold ist vor unvorstellbar langer Zeit so entstanden. Als himmlische Verschleuderung kam es in den Erdkern und in die Erdrinde, durch eine phänomenale Weltallslotterie.
In ihrer Frühphase wurde die Erde von zahllosen Himmelskörpern bombardiert, die sie mit Edelmetallen anreicherten. Zeitpunkt: vor ungefähr 4,5 Milliarden Jahren. Wie Forscher des Southwest Research Institute in Colorado darlegen, sollen Dutzende von Impaktereignissen – von Urkörpern, die zum Teil mehr als 3000 Kilometer Durchmesser aufwiesen – die Erdmasse vergrößert haben. Sie haben also gleichsam etwas liegen lassen und zur endgültigen Gestalt der Erde beigetragen. Zu der Zeit hatte sie längst ihren Kern gebildet, die schweren Metalle sanken ins Zentrum ab. Die Forscher vermuten, dass sich dort der Löwenanteil der irdischen Edelmetalle befindet.
Woraus der Kern genau besteht, wissen wir Erdbewohner trotz aller Wissenschaft noch immer nicht genau, wir wissen nicht, was uns im Innern zusammenhält. Metallisch soll er sein, aus Eisen und Nickel bestehen, aber nicht homogen. Jedenfalls ist ein rein goldenes Herz der Erde unwahrscheinlich, obwohl dort die vermutlich größten Goldvorkommen liegen. Auch was wir wissen, wissen wir nicht seit langem, noch nicht einmal seit hundert Jahren.
Der Kern hat einen Durchmesser von 6942 Kilometern, sein Volumen beträgt ein Sechstel der ganzen Erde, aber er ist von hoher Dichte, macht ein Drittel der Erdmasse aus, also wiegt unser Zentrum sehr schwer. Die dänische Erdbebenforscherin Inge Lehmann fand 1936 die Grenze zwischen dem festen inneren und dem flüssigen äußeren Kern. Die Kern-Mantel-Grenze liegt in 2900 Kilometern Tiefe, Erdbebenwellen haben auf deren Spur geführt. Anbohren nicht empfohlen. Keine Sorge: Die tiefste, auf der russischen Halbinsel Kola bewerkstelligte Bohrung erreichte 1989 eine maximale Tiefe von »nur« 12,262 Kilometern.
Aber als Traum existiert das Vordringen zum Kern eben doch, Jules Verne hat ihm in seinem Roman Reise zum Mittelpunkt der Erde 1864 Ausdruck verliehen. Dort steigt das Team um den Hamburger Professor Otto Lidenbrock in den isländischen Vulkan Snaefellsjökull, gelangt zu einem unterirdischen Meer und findet monströse Pilze und urzeitliche Pflanzen, gerät in einen gewaltigen Sturm und findet durch den Krater des Stromboli bei Sizilien wieder auf die Erdoberfläche zurück. Wohl eher ein phantastisches Höhlenerlebnis als eine erfolgreiche Gold-Expedition: Eine verwirrte Kompassnadel war schuld. Aber Jules Verne träumte insgeheim weiter vom Goldbauch der Erde. In seinem Nachlass fand sich ein Roman mit dem Titel Der Goldvulkan, der 1906 postum veröffentlicht wurde. Die Gold ausspuckende vulkanische Kraft aus dem Innern der Erde war Vernes beharrliches Phantasma. Summy und Ben, zwei Goldschürfer in Dawson City, wollen natürlich reich werden, doch der mysteriöse Vulkan, dessen Ausbruch sie mit einer gewaltigen Explosion künstlich auslösen, spuckt am Ende sein ganzes Gold zurück ins Meer. Wieder nichts. Die Erde hat sich ausgespuckt, doch nicht zum Vorteil der Goldgierigen.
Einschläge in späteren Wachstumsphasen waren dann für die Edelmetalle in den äußeren Erdschichten verantwortlich. Durch die Relikte des Zusammenstoßes von fernsten Himmelskörpern wurde der Erdmantel mit Gold gleichsam veredelt. Auch das gehört zu seinem Mythos. Gold ist nicht von hier, es ist selten und wird selten bleiben. Nach den gewaltigen Aufprallereignissen ruht es als Berggold in Gesteinsschichten, als Waschgold in Flüssen. Sein Anteil in der festen Erdkruste beträgt ungefähr vier Gramm auf tausend Tonnen Gestein. Goldkörner oder Goldklumpen sind die Ausnahme, meist steckt Gold in Legierungen mit anderen Metallen.
Der Abbau ist deshalb ungeheuer mühsam und aufwendig – und für die Umwelt ein Desaster, mit gewaltigen Eingriffen in gewachsene Landschaften, in das gesamte Ökosystem. Tausende Tonnen bewegtes Gestein – und das ist nur der Anfang. Zwanzig Tonnen Gestein müssen zermahlen werden, um eine einzige Unze Gold (31,1 Gramm) zu gewinnen. Die Goldminen in Südafrika gehen bis in viertausend Meter Tiefe, die Minenarbeiter wühlen bei extremer Hitze in Stollen unter der südafrikanischen Savanne in den Eingeweiden der Erde. Weitere Minen liegen über die Welt verstreut, in China, Australien, Russland, Kanada, Peru, Indonesien. Keine Industrie hinterlässt so tiefe Wunden in der Landschaft wie der Goldabbau.
Für ein Kilogramm gewonnenes Gold fallen zehn bis zwanzig Tonnen Kohlendioxid an. Das Edelmetall wird mit hochgiftigem Zyanid herausgelöst, Verbindungen der Blausäure. Kleinschürfer setzen Quecksilber ein, vergiften die Umwelt – und sich selbst. Für ein paar Krümel Gold. Gold selbst ist nicht giftig, es spiegelt Unschuld vor, aber denkt man an seinen Abbau – eine phänomenale Giftschleuder.
Das Problem wird immer bestehen: Um Gold zu gewinnen, nimmt man enorme Umweltschäden in Kauf. Die illegalen Grabungen im Amazonas-Gebiet, etwa in der Region Madre de Dios (übersetzt: Muttergottes!), wo der Goldabbau mit großflächigen Abholzungen des Regenwaldes einhergeht, sind nur ein Beispiel. Die Lungen der Erde werden auch durch Goldgrabungen durchlöchert.
Zwar gibt es auch Scheideanstalten, die nur Gold recyceln, d. h. aus hochwertigem Goldschrott gleichsam »neues Gold« machen. Mehr als zwei Drittel der Goldgewinnung stammen aus Bergwerken, es ist »Primärgold«, der Rest kommt aus der Wiederverwertung. Die Ökobilanz fällt dabei natürlich besser aus als beim Bergbau. Dank seiner Leitfähigkeit und chemischen Unveränderlichkeit ist Gold in Elektronik und Computertechnik, im Herzen der Prozessoren und in USB-Sticks unersetzlich. Keine Informatik, keine Raumfahrt ohne Gold. Auch das süße Handy will Gold in seinen Innereien …
Ein konkretes Beispiel für überzeugendes Recycling: die olympischen Sommerspiele 2021 in Japan. Hier wurden im Vorfeld aus vielen Tonnen Elektroschrott, den die Japaner in großen, im ganzen Land verteilten Sammelboxen gespendet hatten, 32 Kilogramm Gold, 4100 Kilogramm Silber und 2700 Kilogramm Bronze gewonnen und daraus insgesamt 5000 olympische Medaillen im Wert von drei Millionen Euro hergestellt. Selbst Olympia lernt sparen und recyceln. Auch dafür sollte es eine Goldmedaille geben.
Die bisher in der Gesamtgeschichte der Menschheit geförderte Goldmenge beträgt ungefähr 200.000 Tonnen. Ein verblüffend schlicht anmutender Würfel von nur einundzwanzig Metern Seitenlänge könnte aus dem gesamten Gold der Menschheit geformt werden. Als imaginäres Monument seiner Seltenheit. Zwei Drittel davon wurden jedoch seit der Mitte des 20. Jahrhunderts gewonnen, sie verraten also einen besonderen Goldhunger unserer Zeit, neben gesteigerten industriellen Fertigkeiten.
Das lateinische Wort aurum hat sich in die romanischen Sprachen fortgesetzt (or, auro), das deutsche »Gold« geht auf die indogermanische Wurzel ghel zurück, die »gelb« und »glänzend« bedeutet. Das Visuelle, der helle gelbe Glanz also hat hier das Wort bestimmt. Aber Vorsicht: Gold ist bei aller lautlichen Nähe zum »Geld« wortgeschichtlich nicht damit verwandt, Letzteres stammt aus dem althochdeutschen gelt, das noch in »Vergeltung« und »Entgelt« hörbar ist. Gold beharrt auf seinem eigenen Ursprung, seiner eigenen Wortgeschichte.
Das chemische Element Nr. 79 im Periodensystem ist weich, aber schwer. Von hoher Dichte, leicht dehnbar und formbar, sein Schmelzpunkt nicht einmal besonders hoch: 1064,18 Grad. Gold ist schon in seiner chemischen Anlage ein Paradox. Weich und formbar, aber ohne chemische Reaktion: Es reagiert nicht auf den Sauerstoff, den wir zum Atmen brauchen, rostet nicht, zersetzt sich nicht. Es reagiert überhaupt nicht, es ruht in sich selbst, eignet sich ideal für Schmuck, Statuen, Münzprägungen, Grabbeigaben. Schwer und weich und unzerstörbar: Jeder Verwitterung trotzend, ist es ein permanenter Widerstand gegen alle Vergänglichkeit, eine goldene Verkörperung der Ewigkeit.
Die Maßeinheit für den Feingehalt oder die Reinheit des Goldes wird in Karat gemessen: 24 Karat bedeutet die höchste Reinheit, tritt Gold vermischt mit anderen Metallen auf (Silber, Kupfer), nimmt diese Reinheit naturgemäß ab, 18 Karat meint: Dreiviertel Gold, das andere Viertel besteht aus einem anderen Metall. Es ist praktisch unmöglich, alle Verunreinigungen zu eliminieren, deshalb steht auf Feingoldbarren die ominöse Zahl »999,9«, die eine größtmögliche Annäherung an höchste Reinheit bezeichnet. Reinheit und Unreinheit auch im moralischen Sinne – sie liefern sich in der Kulturgeschichte des Goldes einen unerbittlichen Kampf.
Gold ist das Metall der Superlative, es scheint die Superlative anzuziehen wie ein Magnet. Platon (428 bis 347 v. Chr.) gibt in seinem späten Dialog Timaios das Muster vor: »Von allen Körpern ist das aus den feinsten und gleichmäßigsten Teilen entstandene, dichteste, einzigartige, in glänzend gelber Farbe leuchtende, köstlichste Besitztum: das Gold.« Aber schon aus der Antike kommen warnende Stimmen. Gold ist ein Prüfstein für den Menschen, zeigt seine gelassene Souveränität oder die Gefährdung durch die Gier. Es ist ein Metall, das an ihm zehrt, das ihn verzehrt. Der griechische Dichter Pindar (520 bis 446 v. Chr.) bezeichnet zwar Gold als »Götterkind«, aber es ist ein Spross mit Zersetzungspotential: »Gold ist ein Kind des Zeus; weder Motten noch Rost verzehren es – aber der Geist des Menschen wird von diesem kostbarsten Stoff verzehrt.«
Gold trägt die Geschichte eines merkwürdigen Außerirdischen in sich. Geschenk oder Überbleibsel einer himmlischen Verschleuderung. Der größte bekannte Goldnugget übrigens wurde 1869 in Australien gefunden und wog siebenundneunzig Kilogramm. Er bekam einen sprechenden Namen verpasst: Welcome Stranger. Willkommen, Fremdling!