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Krisengeld gegen Krypto-Gold

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Gold ist ein ganz realer Stoff, sichtbar, betastbar, eher geschmacklos, sicher geruchlos. Das ist natürlich ironisch gemeint, denn in einer Epoche der digitalen Kryptowährungen scheint die Bemerkung nicht überflüssig. Von ihren Adepten werden sie als »digitales Gold« bezeichnet, was wohl eher eine Majestätsbeleidigung für das göttliche Metall sein dürfte. Auch sprachlich ist es eine Flunkerei. Aber ist nicht auch die Bezeichnung »Betongold« für Immobilienbesitz ein irres Paradox? Beton ist Beton. Doch Gold scheint sich auch als patent gebräuchliche Metapher in diversen Bereichen anzubieten. Schwarzes Gold (Erdöl, Kaviar, Trüffel), weißes Gold (Salz, Lithium, Porzellan), grünes Gold (Olivenöl), blaues Gold (Solarzellen), rotes Gold (Safran) usw.

Die Verächter der Kryptowährungen betrachten sie als bloßes Spielgeld ohne inneren Wert oder Wertbeständigkeit, ungedeckt und schwindsüchtig. Als einen aus dem Nichts geschaffenen, puren Wahn. Von hoher Volatilität, bei der immerzu der endgültige Absturz drohe. Die kopflose »Krypto-Vergottung«, sagen sie, werde in die Hölle alias den Totalverlust führen. Tatsächlich scheint ihnen nicht einmal religiöses Vokabular abwegig. Ein bloßer Spuk, der vorbeigehen werde. Sie seien kein Wertaufbewahrungsmittel, kein Wertspeicher wie das gute alte Gold. Als »Rattengift hoch zwei« bezeichnet der amerikanische Großinvestor Warren Buffett die Kryptowährungen. Das neue Phänomen scheint auch die Metaphernprägungen zu beflügeln.

Ist das der neue Goldrausch, der Goldrausch unserer Zeit? Ein neues Kalifornien, ein neuer Klondike? Oder wird es am Ende des Spuks auch hier nur sterbende Sonnen geben? Es sind unvorstellbare Mengen von künstlich geschaffenem »elektronischem Geld« weltweit in der Luft. Die Loopings der Kryptowährungen bedeuten eine neue Etappe nach den sogenannten Fiatwährungen, den deckungsfreien Papierwährungen, die ein als Tauschmittel eingesetztes Objekt ohne inneren Substanzwert bezeichnen. »Nur Gold ist Geld. Alles andere ist Kredit!«, verkündete der amerikanische Bankier John Pierpont Morgan im Jahr 1912. Es bleibt bis heute das Credo der Gold-Verehrer in der von Kryptowährungen betörten, zuweilen sturmgepeitschten Finanzwelt.

Am 15. August 1971 stoppte der damalige US-Präsident Richard Nixon die im Jahr 1944 mit dem Bretton-Woods-Abkommen festgelegte Goldbindung des Dollars. Eine kapitale historische Wende. Der »Nixon-Schock« erschütterte die Welt – Amerika brauchte viel neues Geld für den Vietnamkrieg. Im Jahr 1972 empfahl der Internationale Währungsfonds seinen Mitgliedern die Aufhebung der Golddeckung der Währungen, der »Goldstandard« wurde abgeschafft. Währungen und Wechselkurse waren gleichsam von der Leine gelassen, seither erfüllt das Geräusch der Notenpresse die Luft eines zitternden Systems.

Gold ist das Gegenteil von Fiatgeld, es hat neben dem äußeren Tauschwert auch einen unbestreitbaren inneren Wert. Und das seit Jahrtausenden. Aber auch der Wert des Goldes beruht auf Konvention. Es hat immer nur den Wert, den die Menschen ihm zu geben bereit sind, und er ist keine absolute Größe.

Als arabische Karawanen im Mittelalter von Nordafrika aus mit ihren Kamelen die Sahara durchquerten und über dreitausend Kilometer zurücklegten, um das begehrte Metall aus den westafrikanischen Minen einzuhandeln, waren sie schwer bepackt mit einem lebensnotwendigen Gut, das dort so geschätzt wurde, dass die Einwohner Guineas bereit waren, es mit Gold aufzuwiegen: Salz, das »weiße Gold«. Der als »Goldküste« bekannte Landstrich, der heute zu Ghana gehört, hatte jedoch noch ein anderes Tauschmittel anzubieten. Die Kamelkarawanen brachten auch das zurück, was unter dem zynischen Ausdruck »schwarzes Gold« bekannt wurde: Sklaven. Eine verstörende Assoziation von Mensch und Metall – der Mensch als bloße Ware, die anderen Menschen Gold einbringen soll. Weißes Gold gegen schwarzes Gold, und immer ist als abgründige Metapher das glänzende Metall im Spiel.

Als holländische Händler Ende des 15. Jahrhunderts in den Häfen große Säcke ausluden, wollten sie auch dieses wertvolle Gut zeitweise nur gegen das Gewicht in Gold aufwiegen: Pfefferkörner. So ändert sich die Skala der Wertzuschreibungen durch die Zeiten. Uns mutet es sonderbar an, dass Salz und Pfeffer, die wir heutzutage im Supermarkt für ein paar lächerliche Cents einkaufen, in gewissen Momenten und an bestimmten Orten des Erdballs nur gegen Gold aufgewogen werden wollten. Salz und Pfeffer!

Gold gaukelt Wertbeständigkeit und solide Wertaufbewahrung vor und ist doch den Hochs und Tiefs des Unzenpreises unterworfen. Und es gibt auch heute eingefleischte Gold-Skeptiker. In den Gazetten diverser Länder ebben die Diskussionen um das »Krisengeld« Gold in Zeiten wirtschaftlicher Rückschläge und erhöhter Inflation nicht ab. Der Streit zwischen Goldadepten und Goldverächtern scheint unversöhnlich, die Spekulationen um den angeblich manipulierten Goldpreis nähren wirtschaftspolitische Verschwörungstheorien. Die Schlagzeilen haben eine verblüffende Spannweite: »Die einzige echte Währung: Gold« bis zu »Vermögensvernichtung mit Gold«. Ist Gold noch immer das altbewährte »Krisengeld« oder ein trügerischer Notgroschen? Das seltene Metall ist noch nie in der Geschichte so kontrovers diskutiert worden. Es zeigt die Verhaltensweisen der Menschen zwischen Angst und Euphorie.

Geopolitische Konflikte und Krisenherde, ob sie Syrien, Iran oder Nordkorea heißen, schüren die Nachfrage nach Gold. Inflationsängste beflügeln Preisphantasien. Jeder neue Atomtest Nordkoreas, mit dem der Machthaber Kim Jong-Un die Welt provozierte, ließ den Preis für das gelbe Metall steigen. Aber auch Ängste sind instabil, beruhigen sich zuweilen rasch. Das ist so menschlich … Rasche Erregung, Angstreaktion und allmähliche Beruhigung durch den Anschein wiederhergestellter Ordnung.

Gold gilt als »sicherer Hafen« in turbulenten Zeiten und als Schutz gegen Inflation. Nicht nur Individuen steuern ihn an, auch Staatslenker haben Reflexe. Wenn die Währungen ihrer Länder rapide an Wert verlieren, flüchten sie sich gerne ins edle Metall, um den Absturz abzufedern. Im November 2017 titelte eine deutsche Tageszeitung: »Putin und Erdogan im Goldrausch«. Als Rubel und Lira stark abwerteten, waren die Notenbanken Russlands und der Türkei die größten Goldkäufer unter den Staaten der Welt. Von Allmacht träumende verspätete Sultane und neue Zaren flüchten ins Goldrefugium, nehmen beim traditionellen Krisengeld Zuflucht.

Dass sich die Nachfrage nach Gold seit dem Jahrhundertwendejahr 2000 verzehnfacht hat, deutet scheinbar auf große Begehrtheit. Doch immer wieder gibt es Einbrüche, Rückschläge. Seit dem Rekordhoch im Jahr 2011 befand sich das Metall im Abwärtstrend oder dann ab 2016 auf einem holprigen Seitwärtskurs. Obwohl es eigentlich genug Krisen gegeben hätte. Nicht einmal auf die Krisen war Verlass.

Aber dann kamen der Juni 2019 und weltweite Rezessionsängste, befeuert von Trumps Handelskrieg mit China, Irankrise, Brexit, zermürbenden Null- und Negativzinsen oder sogar Furcht vor einem Kollaps des Finanzsystems. Der Goldpreis brach nach oben aus und hielt sich, zusammen mit Goldminenaktien, bis zum Jahresende in aussichtsreichen Höhenlagen. Dann säte das weltweit auftretende Coronavirus und eine unheimliche Lungenkrankheit Panik und Börsen-Albträume und ließ Gold zeitweilig noch begehrter werden. Selbst Viren also können die Wertschätzung des Goldes beeinflussen. Aber: Höhenrausch und Absturzängste sind oft die beiden Seiten derselben (Gold-)Medaille. Hinauf, hinunter. Das edle Metall nimmt es gelassen hin. Gold ist schwindelfrei.

Gewinnen, verlieren, gewinnen, verlieren – der ewige Rhythmus ist vorgegeben, aber seine Ausschläge sind unvorhersehbar. Das symbolische Gemälde Fortuna und der Bettler (1836) des russischen Malers Alexej Markow auf unserem Buchumschlag zeigt die Schicksalsgöttin mit einem Füllhorn, das sich in den zerschlissenen Beutel eines Bettlers ergießt. Den überraschten Empfänger trifft es unverhofft, doch durch ein Loch entweichen die Goldmünzen auch schon wieder. In zahlreichen Abbildungen wird die unstete Fortuna mit verbundenen Augen auf einem Rad oder einer Kugel balancierend dargestellt. Die blinde Göttin teilt aus und nimmt gern rasch wieder weg.

Gold war und ist aber gar nicht unbedingt das seltenste, teuerste, wertvollste Metall. Momentan können in der Geschichte ganz andere Prioritäten entstehen. Durch erhöhte Nachfrage aus der Autoindustrie waren im Moment der Niederschrift dieses Buches die Edelmetalle Rhodium und Palladium heiß begehrt, weil sie in Autokatalysatoren zur Reduktion von Stickstoffmonoxid zum Einsatz kommen. Der Aufschwung ist auch dem Diesel-Skandal geschuldet. Aber schon 2008 kostete eine Feinunze Rhodium – oft »das edelste der Edelmetalle« genannt – zehnmal so viel wie eine Feinunze Gold, mehr als 10.000 Dollar, so viel wie nie zuvor. Mit der Verschärfung von Abgasvorschriften in vielen Ländern steigt die Nachfrage nach wirksamen Katalysatoren. Das Klima gibt den Ausschlag.

Das Beispiel soll nur zeigen: Der Wert des Goldes ist ein relativer, kein absoluter. Mal sind Salz und Pfeffer, mal Rhodium und Palladium die Vergleichsstoffe und Wertmesser. Aber keines der erwähnten seltenen Edelmetalle hat auch nur annähernd die kulturelle Aura von Gold, die seit Jahrtausenden im Menschheitsgedächtnis gespeichert ist. Es ist schlicht das magischste und attraktivste der Edelmetalle.

Keine Angst, die vorliegenden Seiten sind keine Anlageberatung, sie folgen nicht der Fieberkurve oder dem Puls des Tages, sondern erkunden ein kulturelles Fundament – das seinerseits von einer gewissen Dramatik nicht verschont bleibt. Der ökonomisch-pragmatische Zugang erhellt nicht den »mythischen« Hintergrund des Metalls. Ist Kultur nicht die beste Anlage und das ultimative Kapital, auf dem auch unsere Gegenwart ruht? Die jahrtausendealte Faszination des »ewigen«, unzerstörbaren Metalls ist eine anthropologische Konstante. In nahezu jedem Abschnitt der Menschheitsgeschichte wurde Gold begehrt und verehrt, gesucht und bewahrt, gehortet und zu Kunstwerken verarbeitet.

Die Reduktion seiner Bedeutung auf das bloße »Krisengeld« ist eine irreführende Verengung. Die Unversehrbarkeit durch Rost, durch die zerstörerische Macht des Sauerstoffs, die allen Dingen zusetzt, bleibt ein gewichtiger Teil des Faszinosums. Denn das Menschenleben ist vielfachen Gefährdungen ausgesetzt und von entmutigender Kürze, das verführerische »weiche« Metall Gold jedoch scheint Dauer und Ewigkeit zu gewähren.

Dass das glänzende Metall eine beträchtliche mythische Aura aufweist, dass es in der Kulturgeschichte der Menschheit eine ungeheure Ausstrahlung zeigt, ist schwer zu bezweifeln. Es ist Symbol für Macht, Reichtum und Ansehen, aber auch Ansporn zu höchster Veredelung, zu reichen Mythen, religiösen Riten, magischen Praktiken und tiefgründigen Geschichten voller Weisheit, zu kunsthandwerklichen Spitzenleistungen, hervorragenden Kunstwerken.

Gold strahlt in Mythen und Märchen, Gold blitzt im Schatz der Sprichwörter vieler Völker. Gold ist »in aller Munde«. Vielleicht hat gerade der deutsche Volksmund eine geheime Vorliebe für das blendende Metall, es gibt Dutzende von Sprichwörtern, in denen Gold vorkommt. Für eingefleischte Frühaufsteher, die anderen mögen dieses Sprichwort wirklich nicht: »Morgenstund’ hat Gold im Mund.« Nicht erbaulich für ungebremste Plaudertaschen: »Reden ist Silber, Schweigen ist Gold.« Für Geistesarbeiter gelinde gesagt demoralisierend: »Handwerk hat goldenen Boden.« Gold ist im Sprichwort immer positiv besetzt, aber auch in simplen Redensarten, die hervorragende Qualitäten im Menschen bedeuten wollen. »Sie hat ein Herz aus Gold« – das Gegenteil von hartherziger Mitleidlosigkeit. Wer hat noch Neil Youngs größten Hit von 1971 im Ohr: Heart of Gold? »I’ve been a miner for a heart of gold« … Gerade den Ohrwurm nochmals auf YouTube angehört.

»Gold ist warm und hat ein Wesen wie die Sonne«, schrieb Hildegard von Bingen (1098 bis 1179). Es ist warmer Glanz schöner Gegenstände und kaltes Objekt des zählbaren, stapelbaren Reichtums. Im Umgang mit ihm zeigt sich der Mensch mit seinen Widersprüchen, seinen erstaunlichen Fähigkeiten und Fehlern, seinen geistigen Höchstleistungen und Träumen – und den Abgründen zerstörerischer Leidenschaften.

Gold scheint das Metall der Extreme zu sein. Aber es wurde in der Kulturgeschichte auch mit Maß und Mittelweg assoziiert. Aristoteles preist in seiner Nikomachischen Ethik die »Mitte« (mesotes), die sich gegen »Übermaß« und »Mangel« behaupten muss. Das Gute wie auch das Glück liegen für ihn zwischen dem Zuviel und dem Zuwenig. Erst der römische Dichter Horaz (65 bis 8 v. Chr.) verpasste der Mitte jedoch das Eigenschaftswort »golden«: aurea mediocritas (Oden II, 10,5). Wer den goldenen Mittelweg wähle, komme am ehesten ans Ziel: Gold ist also nicht nur das Metall der Extreme, golden ist auch die Ferne von den Extremen, golden sind Maß und Ausgeglichenheit.

In der Geschichte der Verehrung und der Verdammung des Goldes gibt es immer einen unerklärlichen Rest, es gibt Paradoxe und Widersprüche, die über das ökonomische Tagesgeschäft weit hinausreichen. Gold leuchtet in den Kulten und Religionen, in der Kunst, in der Literatur. Es ist mit Mythos, Macht und Magie verbunden. Es ist Lichtquelle und dunkler Abgrund.

Das Gold der Träume

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