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Auf die Ohren
ОглавлениеNeulich habe ich ein Hörbuch verfasst.
Ich sprach zu ihm: "Höre Buch! Ich verfasse Dich jetzt und nun sei still!"
Also nahm ich meine Feder zur Hand und schrieb los. Zeile um Zeile, Seite um Seite kratzte ich geräuschvoll über das blütenweisse Papier. Ganz erwartungsvoll lauschte ich der schreibenden Feder und freute mich über alles, was sie mich hören liess. Ein herrliches Hörbuch war da im Entstehen. Feine Striche und runde Bögen huschten über das Blatt und hinterliessen eine Spur von filigranen Klängen. Was musste das Gesamtwerk erst für ein Ohrenschmaus werden!
Nach dem sechzehnten Kapitel gönnte ich mir eine kurze Pause und nahm vorsichtig den Stapel der beschriebenen Blätter in die Hand. Ob ich es schon mal versuchen konnte? Als ich das Papier erwartungsvoll ans Ohr führte, konnte ich ein gewisses Knistern zwischen den Seiten erahnen. Leise, fast unhörbar, aber doch da. Ich freute mich. Es war schon was zu hören!
Voller Begeisterung stürzte ich mich wieder in die Arbeit. Die Tinte floss und die Gedanken strömten. Jedes Wort versuchte ich, möglichst lautstark zu Papier zu bringen, denn es sollte ja einen ordentlichen Laut von sich geben, nachdem das Buch fertig wäre. Nicht bei jedem Wort gelang es mir, so dass ich manche Worte einfach wieder überschrieb und dabei recht kräftig in das Papier ritzte. Hui, was für feine Geräusche ich da hörte. Was für eine Freude! Ich merkte bald, dass die Geräusche lauter wurden, wenn ich etwas weniger Tinte nahm. Natürlich waren die Buchstaben nicht mehr so ganz lesbar, aber was machte es schon? Es sollte ja ein Hörbuch werden, lesen sollte darin niemand. Kratz, kratz, machte es. Und noch ein bisschen lauter. Wer braucht schon Tinte?
Ha, die letzten siebenundzwanzig Kapitel versuchte ich dann ganz ohne Tinte. Ich schrieb und schrieb. Ein Meisterwerk wird es werden. Ich fühlte es. Herrlich, wie die Feder sich bog, wie das Papier sich ritzen liess. Kratz, kratz! Welche Klänge! Göttliche Gedanken entströmten meinem Hirn und alle brachte ich sie zu Papier. Natürlich ohne Tinte jetzt, was ja viel besser war. Warum bin ich eigentlich nicht gleich darauf gekommen? Nun gut, die ersten Kapitel werden etwas schlechter zu hören sein, da hab ich ja noch mit Tinte geschrieben, aber die entscheidenden Stellen waren etwas weiter hinten im Buch. Da wird die ganze Klangfülle erschallen, die Worte werden in den Ohren hallen wie Posaunenstösse.
Gerade hatte ich die letzten Worte geschrieben, vielmehr muss ich sagen, ins Papier graviert, da blieb ich noch ein Weilchen still sitzen. Ich legte die Schreibfeder, deren Spitze um mindestens eine Fingerbreite abgenommen hatte, vor mich und gedachte der letzten Seiten.
Ja, wirklich war es ein Meisterwerk geworden. Ein Hörbuch mit mehr als achthundert Seiten Umfang lag vor mir. Ich hatte es geschafft. Nun, da es fertig war, traute ich mich gar nicht so recht, daran zu horchen. Was war, wenn die Qualität der Laute so gar nicht meinen Erwartungen entsprechen würde. Ach was, sagte ich mir, jetzt muss es sein.
Ich stemmte also mein Machwerk mit einiger Kraft, mein rechtes Handgelenk verweigerte langsam den Dienst nach all der Schwerarbeit, in Richtung meines linken Ohres, den Kopf etwas zur rechten Seite gedreht und lauschte. Nichts. Ich schüttelte die Seiten. Nichts. Ich schüttelte etwas fester.
Arrrrgggghhhh, hörte ich, aber das war nur mein Schmerzensschrei, als ich mir vor Verzweiflung in die rechte Hand biss.
Es war nichts zu hören.
Unheilvolle Stille verbreitete sich im Raum, ich hörte mein Herz klopfen. Ich nahm das ungebundene Buch und schlug es mit aller Kraft auf die Tischkante. Ausser einem Rums gab es keinen Laut von sich. Mein leises Wimmern durchdrang schliesslich die Stille. Schluchzend packte ich das Manuskript und warf es voller Zorn durch das geschlossene Fenster aus dem vierten Stockwerk. Da konnte ich es zum ersten Mal hören, das Hörbuch. Es klang nach zersplitterndem Glas. Irgendwas war da schief gelaufen, versuchte ich noch zu denken, dachte den Gedanken aber nicht mehr zu Ende.
Ich hatte vergessen das Buch loszulassen.