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3. Kapitel: Wenn Freunde streiten

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Am nächsten Morgen sitzt Felix abwesend in der Küche beim Frühstück. Die Mutter hat frische Semmeln vom Bäcker geholt. Sie weiß, ihre Kinder mögen diese besonders gern. Doch Felix kriegt heute keinen Bissen herunter. Er trinkt nur ein Glas Orangensaft. Die ganze Nacht hat er kein Auge zugedrückt. Zu sehr beschäftigen ihn jene geheimnisvollen Ereignisse in seinem Kinderzimmer. Fragen, auf die Felix immer noch keine Antworten hat.

»Ist dir etwa eine Laus über die Leber gelaufen?«, scherzt die Mutter mit freundlicher Miene. »Und das am ersten Ferientag. Die Sonne scheint. Der Morgen ist klar und Lisa scheint auch über den Berg zu sein. Übrigens glaube ich, du könntest viel bessere Leistungen in der Schule bringen, als dein Zeugnis hergibt, mein Junge. Vielleicht liest du ja die falschen Bücher. Ich meine: Lesen ist schon prima. Doch immer nur Fantasy? Weiß nicht, ob das so richtig ist. Außerdem träumst du mir zu viel. Dein Verhalten hier liefert mir wieder einmal den Beweis. Befasse dich lieber mit realen Geschichten. Es gibt so schöne Pferdebücher.«

‚Sie hat mein Zeugnis also gesehen’, denkt Felix, während er endlos mit dem Löffel in der Tasse herum rührt. Am liebsten würde er sich die Ohren zuhalten. Besser, er sagt gar nichts zu diesem Thema, sonst beruhigt sich Mutter den ganzen Tag nicht und seine Ferien sind im Eimer. Dabei ist Fantasy etwas sehr Schönes. Es fördert die Kreativität. Man, den Spruch hat er neulich von Sebastian gehört. Was hat er damals gesagt? ‚Träumer haben keinen Plan. Aber Realisten besitzen keine Visionen’. Recht hat er, sein bester Freund. Fremde Welten erschaffen, wo andere Naturgesetze gelten. Tapfere Helden, im ewigen Kampf gegen das Böse. Ritter, Schwertkämpfe und gefährliche Drachen. Davon hat Mutter eben keinen blassen Schimmer. Aber dafür kann sie natürlich nichts. Sie ist eine sich sorgende Mutter und Ehefrau. Der Felix versteht das und deswegen liebt er sie auch, so wie sie ist.

»Oh ja, Mama. Ich liebe natürlich Pferdebücher. Der Felix hat sicher die halbe Nacht Gespenstergeschichten gelesen«, stichelt Andrea los. »Darum ist er heute so müde und schaut aus wie sieben Tage Regenwetter.«

Als er das vernimmt, huscht ein höhnischer Ausdruck über sein Gesicht. Pferdebücher? Er ist doch kein Mädchen! »Lass mich bloß in Ruhe, du Giftschlange!«, schimpft Felix. Er steht vom Tisch auf und verlässt mit finsterem Gesicht die Küche. So ein Geschwätz muss er sich nicht anhören. Sein Weg führt ihn in den Stall zu Lisa. Als die Milchkuh den Jungen bemerkt, begrüßt sie ihn mit einem zufriedenen, lang gedehnten ‚Muh’. Felix streichelt ihre weite Stirn, ihr Fell, sagt nette Worte zu dem Tier. Lisa spitzt die Ohren. Hört aufmerksam zu, während sie ununterbrochen kaut.

Der letzte Regen hat einige Pfützen auf dem Forsthof zurück gelassen, in welchen sich nun das Antlitz des jungen Tages widerspiegelt. Kater Schnuffel liegt faul in der Morgensonne, wärmt sein tiefschwarzes Fell und schaut Felix gelangweilt an, als der an ihm vorbeihuscht.

Im Haus begegnet er zum Glück keiner Seele. Schnell nimmt er die Stufen der steinernen Wendeltreppe. Bald ist er wieder in seinem kleinen gemütlichen Reich. Noch ganz außer Puste, setzt sich Felix erst einmal auf das Bett und betrachtet voller Argwohn den historischen alten Palisanderschrank mit seiner stattlichen Erscheinung. Bei Tageslicht will er den Schrank genau untersuchen, hinter dessen Geheimnis gelangen. Ob er alles nur geträumt hat? Quatsch mit Soße! Er leidet doch nicht unter geistiger Umnachtung.

Die kunstvollen Knaufe, Verzierungen und Ornamente des Schrankes hat er noch nie so bewundert wie heute. Halt! Betroffen geht er einen Schritt zurück. Bewegt sich da nicht einer der Türknaufe? Er hat es doch ganz deutlich gesehen. Felix reibt seine Augen, schaut den runden Knauf noch einmal genau an. Nein, er muss sich geirrt haben oder die Fantasie ist mit ihm durchgebrannt. Ob er vielleicht … Aber ja, dieser Einfall gefällt ihm ausgezeichnet.

Felix kramt die alte Hundeleine aus der Rumpelkiste, die gleich neben dem Schreibtisch steht. Dort bewahrt er Dinge auf, die er gerne in Erinnerung behalten will, weil sie einst zu seinem Leben gehörten. Die Leine hat Schäferhündin Ronja getragen, die seit dem letzten Sommer im Hundehimmel weilt. Jetzt befestigt Felix diese aufgeregt an dem Türknauf. Dann geht er rückwärts an die gegenüberliegende Wand, um den Schrank im Auge zu behalten. Langsam zieht er an der Leine, bis ein leichter Widerstand zu spüren ist. Dabei beginnt sein Herz schneller zu schlagen, so gespannt ist der Felix. Ob sich doch jemand im Schrank befindet?

Wieder zieht er vorsichtig an der Leine. Die Schranktür öffnet sich einen Spalt. Es ist mucksmäuschenstill im Zimmer. Soll er jetzt schlagartig ziehen oder eher weiter langsam? Felix entschließt sich für die erste Variante.

Plötzlich geht die Zimmertür auf. Mutters Gesicht erscheint zwischen Tür und Angel. »Was machst du denn hier?«, fragt sie verdutzt.

Felix reagiert erschrocken, er ist nicht schlagfertig genug und faselt unverständliche Worte. Dabei guckt er Mutter wie vom Blitz getroffen an, als ob er was Schlimmes ausgefressen hat.

»Manchmal muss ich mich schon sehr über dich wundern«, schüttelt die Mutter den Kopf, während sie die Scharniere der geöffneten Schranktür untersucht. »He, hast du wirklich nichts Sinnvolleres in deinen Ferien zu tun? Was sind das denn für seltsame Spiele? Bist du noch klar bei Verstand? Jetzt ahne ich, warum im Haus so manche Tür nicht funktioniert. Felix, Felix. Was ist bloß mit dir los?«

Felix hört nicht auf die schimpfende Frau. Er hat nur Augen für das Innere des geräumigen Schrankes. Aber dort ist zum Glück niemand. »Ich habe nur ein Experiment gemacht, weißt du, Mutter?«, stammelt Felix weiter und nimmt die Leine vom Türknauf ab.

»Experiment? Dass ich nicht lache. So ein Quatsch! Du hörst mir nie genau zu, Felix«, antwortet die Mutter enttäuscht. »Und wie dein Zimmer ausschaut. Könntest ruhig mal aufräumen«, setzt sie noch eins drauf.

Darauf hat Felix bloß gewartet. Aufräumen ist Mutter Gabys Lieblingswort und für ihn ein deutliches Signal. Als nächstes würde sie sagen, er solle lieber einen Blick in die Schulhefte werfen. Dem muss er sofort entgegenwirken, um die Situation und den Tag zu retten. Er nimmt einen Strauß weißer wilder Margeriten aus der Blumenvase, die auf dem Fensterbrett steht, reicht sie ihr mit den Worten. »Die habe ich gestern für dich gepflückt. Sind sie nicht schön?« Der schlaue Bub lächelt die Mutter an. Es sind ihre Lieblingsblumen.

Felix ist wieder allein im Zimmer und erleichtert. Mutter ist wortlos, aber mit ihren Blumen und einem herzlichen Lachen gegangen. Er hat sie wie immer herumgekriegt.

Seine Aufmerksamkeit lenkt er nun erneut auf den uralten Palisanderschrank, der in ein Geheimnis eingewebt zu sein scheint. Ob er es jemals lüften wird? Die nächtliche bizarre Erscheinung geht Felix nicht aus dem Kopf. Spukt es wirklich in dem Schrank, dann bestimmt nicht am Tage. Er muss auf die folgende Nacht warten, bis die Geisterstunde anrückt. Nur so kann er dem Geheimnis auf die Spur kommen.

In der Zwischenzeit wird er sich jedoch mit Freund Sebastian austauschen. Er soll davon erfahren, gleich jetzt. Wo hat er bloß das Handy hingelegt? Felix will ihm eine SMS schreiben. Schlamperei, verdammte! Manchmal könnte er sich selber auf den Mond schießen. Nach einer Weile findet er sein Handy unter dem Kopfkissen. Aber dort hat er es nimmer abgelegt. ‚Andrea!«, kommt es ihm in den Sinn. Die Tussi muss wohl in seinem Zimmer gewesen sein, als er im Stall bei Lisa war. Na, die kann sich auf was gefasst machen!

Zick, die SMS ist verschickt. Zack, schon hat Sebastian ihm darauf geantwortet. In einer halben Stunde will er da sein. Er kommt mit dem Mountenbike. Felix besitzt auch so ein tolles Rad. Gemeinsam touren sie oft in den Bergen. Was haben sie da nicht alles für Abenteuer erlebt. Aber genauso spannend und schön sind die Strecken durch das Inntal, wo es immer wieder Neues zu entdecken gibt. Bis nach Kufstein in Tirol, direkt am Inn entlang, radeln sie manchmal. Einmal haben sie es sogar bis nach Rattenberg geschafft, der kleinsten Stadt Österreichs, mit historischem Stadtkern. Bis dorthin sind es ungefähr fünfzig Kilometer. Zurück sind sie dann mit dem Zug gefahren. Unvergessliche Erlebnisse, in einer unbekümmerten glücklichen Kindheit. Ach – wie schön ist diese Welt!

Felix erwartet Sebastian auf dem Hof. Der Vormittag ist sehr warm. Die liebe Sonne meint es gut. Er ist leicht bekleidet. Kurze Hose, T-Shirt, Sandalen. Er sitzt auf der gemütlichen Bank unter der alten Eiche, die reichlich Schatten spendet und beobachtet Kater Schnuffel, der einer Maus hinterher jagt.

Plötzlich wird Felix aus seinen Gedanken gerissen. Jemand klingelt übermütig. Es ist Sebastian. Als er bei Felix angerast kommt, drückt er voll auf die Bremsen. Das Hinterrad schert aus, aber der Freund hat alles voll im Griff. Felix springt auf die Bank. Gerade noch einmal gut gegangen.

»Hallo Partner, bist du cool drauf?«, grüßt Sebastian laut, mit strahlendem Gesicht.

»He, wolltest du mich vielleicht von der Bank schubsen? Ist dir auch beinahe gelungen«, antwortet Felix gelassen. »Warum fragst du? Weißt doch genau, dass ich immer cool drauf bin.«

»Du bist ja richtig ekelhaft heute. Das Gewitter von gestern Abend hat wohl bei dir eingeschlagen!«, sagt Sebastian spitz und reicht dem Freund seine Hand.

Der schlägt kräftig ein, schaut ihm dabei fest in die Augen.

»Wie geht es eigentlich Lisa?«, fragt Sebastian besorgt.

»Die ist über dem Berg«, winkt Felix ab. »War vorhin bei ihr. Sie frisst schon wieder. Am Nachmittag kann Lisa bestimmt auf die Wiese. Frische Luft wird ihr gut tun.«

»Prima! Wollen wir mit dem Rad los?«

»Was für ein Pech, mein Hinterrad ist hinüber. Ich brauche einen neuen Mantel und den muss ich erst kaufen. Vielleicht fährt uns ja Mutter in die Stadt.«

»Hätte ich dir auch mitbringen können. Aber du Typ hast ja wieder einmal nichts gesagt«, seufzt Sebastian.

»Bin eben nur ein Mensch und außerdem sehr vergesslich«, scherzt Felix, während er sich genüsslich einen Kaugummi in den Mund schiebt und dem Freund ebenfalls einen reicht. Da hat er eine Idee, spricht diese auch gleich aus. »Du Sebastian, ich weiß schon, was wir machen.«

»Was denn?«

»Wir legen uns auf die Decke und lesen eine Weile. Danach sehen wir weiter. Meine liebe Mutter wird bestimmt wieder ein leckeres Mittagessen auf den Tisch zaubern.«

Sebastian, der Kater Schnuffel im Arm schaukelt, hält inne und gibt zu bedenken: »Ich habe leider das Buch nicht mit, in dem ich gerade schmökere.«

»Kann dir ja eins von mir ausleihen«, schlägt Felix vor.

»Du hast doch bloß Gespensterbücher«, winkt der Freund ab.

»Und wenn ich eine Detektivgeschichte für dich hätte?«, lockt Felix sein Gegenüber heraus.

»Glaube ich nicht«, weiß es Sebastian besser.

Felix schaut Sebastian verschlagen an. »Vielleicht solltest du mal mein Bücherregal genauer untersuchen.

Der Freund lacht. »Ja, ja, mit Speck fängt man Mäuse...«

»… aber keinen Sebastian«, setzt Felix die Gedanken fort. »Natürlich besitze ich keine Detektivgeschichten«, gibt er nun ehrlicher weise zu. »Ich stehe eben mehr auf Gespenster und das Unfassbare, das manchmal passiert und wir nicht ganz erklären können.« Nun hat Felix ausgesprochen, was er auf dem Herzen hat, kann ausspionieren, wie der Freund über diese Dinge denkt.

»Du mit deinen Dämonen«, kichert Sebastian. »Ich glaube eher an die wahre Geschichte und die spielt eben immer in einem Detektivroman. Auch wenn es da nie Gespenster gibt, ist es doch jedes Mal spannend. Diese Geschichten könnten auch im realen Leben spielen, während deine Geisterstorys bloß fantastische Hirngespinste sind!« Die letzten Worte sagt Sebastian sehr ironisch, weil er mehr der nüchtern denkende Mensch ist. Immerhin versteht er es zu kombinieren, wie seine Helden in den Krimis.

Felix ärgert sich maßlos über dessen Meinung. ‚Wenn der wüsste, was mir in der Nacht alles widerfahren ist’, denkt er beleidigt. »Hirngespinste? Nicht alles ist frei erfunden, was in den Gespensterbüchern geschrieben steht«, verteidigt er sich dann.

»Was? Du glaubst wohl an diesen Quatsch!«, setzt Sebastian noch einen drauf.

»Wie würdest du denn reagieren, als Zeuge eines Spukes? Genau um Mitternacht, wenn die Geisterstunde beginnt. Ich sage es dir: Deine Hosen wären voll, bis oben hin!« Felix kocht, ist mächtig sauer.

»Dass ich nicht lache!«, sagt Sebastian amüsiert und setzt sich neben den Freund auf die Bank. »Dazu würde es erst gar nicht kommen, du Pinsel!«

»Und warum nicht, wenn ich mal fragen darf?«, erwidert Felix entrüstet, der aufsteht und sich breitbeinig vor Sebastian stellt.

»Ganz einfach: Weil es keine Gespenster gibt! Sie existieren doch nur in den Vorstellungen der Menschen, weil sie daran glauben wollen.« Sebastian gestikuliert wild mit den Händen, fabriziert Grimassen. Dann fragt er noch einmal kritisch: »Du glaubst doch nicht etwa an diesen Unsinn?«

»Lass es gut sein, Sebastian!«, erklärt Felix enttäuscht, ohne die Frage zu beantworten. »Ich dachte, du wärst mein Freund und verstehst mich.«

»Was soll ich verstehen?«, erwidert der ratlos und blickt Felix nachsichtig an. »Du redest rätselhaft, Felix.«

»Vergiss es!«, spricht er ärgerlich, wendet sich von ihm ab.

»Freunde sollen sich doch immer die Wahrheit sagen. Deine eigenen Worte und jetzt bist du eingeschnappt deswegen. Ich habe dich was gefragt, jedoch keine Antwort erhalten. Was ist daran so falsch?« Sebastian versteht die Welt nicht mehr. Er glaubt nun einmal nicht an Geister und diesen ganzen Käse.

Nervös kaut Felix auf seinem Kaugummi herum, dann macht er eine große Blase, bis der Kaugummi zerplatzt. Peng! Kater Schnuffel flitzt erschrocken davon, verschwindet bald in einem Loch in der Bretterwand des alten Fahrradschuppens. »Aber ich habe die Wahrheit gesagt!«, dringt es jetzt klar aus Felix heraus. »Wenn du streiten willst, bleib lieber in deiner Bude und verkrieche dich dort.«

»Werde mal nicht komisch!«, antwortet Sebastian giftig. »Du willst mir doch nicht einreden, dass du Gespenster gesehen hast? Auf den Arm nehmen lasse ich mich schon lange nicht. Kannst du dem Weihnachtsmann erzählen.«

Felix weiß nun, dass er Sebastian nichts von dem grünen Nebel und den bizarren Ereignissen des Nachts in seinem Zimmer erzählen wird. Der kann ihn mal kreuzweise! Ohne ein Wort zu sagen, lässt er seinen Freund einfach stehen. Es hätte jetzt überhaupt keinen Sinn, den Sebastian aufzuklären. Gegen Voreingenommenheit kann man wenig unternehmen. Der so herrlich begonnene Tag ist absolut im Eimer, die gute Laune will sich Felix aber nicht verderben lassen. Er geht auf sein Zimmer. Aus mit der Freundschaft. Aus und vorbei!

Kopfschüttelnd schwingt sich Sebastian auf sein Fahrrad. Er kennt Felix. Mit dem ist heute nichts mehr anzufangen. Felix lebt eben in seiner eigenen fantastischen Welt, die er um sich herum aufgebaut hat. Wie einen geheimnisvollen Garten, der von einer undurchdringlichen Dornenhecke umsäumt ist. Er wirft noch einen flehenden Blick auf Felix, bis der im Haus verschwindet. Dann tritt er langsam in die Pedalen. Nichts wie weg hier! Betrübt schaut Sebastian in den Himmel, wo die freundliche Sonne gerade hinter einer dicken, schneeweißen Wolke verschwindet. Als ob sie etwas Ruhe genießen will, im unendlichen Spiel der Gezeiten.

Hexengruft – Abenteuer in Moorland

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