Читать книгу Hexengruft – Abenteuer in Moorland - Ralph Müller-Wagner - Страница 9
5. Kapitel: Felix will es wissen
ОглавлениеFelix bleibt bis zum Mittag im Bett. Er hat heute gar keine Lust aufzustehen, so müde fühlt er sich. Langsam kommt er sich schon wie ein Nachtwandler vor. Aber die Schule ist aus, es sind Ferien und da will Felix machen, was ihm am Besten gefällt. Er steht vor seinem größten Abenteuer, um welches ihn alle beneiden würden, wenn sie davon wüssten.
Die Tür geht auf. Mutter steht im Zimmer und fragt: »Willst du nicht aufstehen, mein Herzchen? So ein herrlicher Tag und du liegst im Bett.« Kaum ist sie draußen, summt der Staubsauger im Flur sein aufdringliches Lied.
Felix hält sich die Ohren zu, kriecht unter die Bettdecke. Er hasst dieses Geräusch.
Fünf Minuten später springt die Tür erneut auf. »Hallo Felix, bitte aufstehen. Bald gibt es Mittagessen. Milchreis mit Zimt, Zucker und Apfelkompott«, flötet die Mutter.
»Sofort, Mama.«, seufzt Felix, während er sich noch mal auf die andere Seite dreht und über die bevorstehende Zeitreise nachdenkt. Heute muss er seinem unheimlichen Bekannten seine endgültige Entscheidung mitteilen. Nicht einfach für ihn. Einerseits will Felix ja helfen, andererseits ist die Sache auch ziemlich gefährlich. Und wenn er Sebastian in das Abenteuer einweiht? Immerhin ist er sein bester Freund, obwohl sie seit gestern zerstritten sind. Felix will ihn dann anrufen. Ja, er wird sich bei ihm auch entschuldigen. Da ist er sich wirklich nicht zu schade. Sebastian ist das wert. Er muss es bloß geschickt anstellen, denn wenn er von seinem Erlebnis erzählt, wird der ihm einen Vogel zeigen.
»Jetzt aber raus aus den Federn, du Schlafmütze!«; wettert Mutter nun los, als sie abermals im Zimmer erscheint. »Oder soll ich einen Eimer mit kaltem Wasser holen?«
Nein, nur das nicht! Felix weiß, dass Mutter es ernst meint. Hat er schon mehrmals zu spüren bekommen. Flink steigt er aus dem Bett, gibt Mutter einen flüchtigen Schmatzer auf die Wange, flitzt ins Bad und steigt unter die Dusche.
Nach dem leckeren Mittagessen geht er in den Garten und setzt sich unter Jonas, dem alten Apfelbaum mit der weiten Krone. Jonas ist sein ganz besonderer Freund, dem er oft seine Gedanken anvertraut. Nachdem er das getan hat, schlingt Felix seine Arme um den dicken Stamm, um von dessen Kraft zu tanken. Ja, von der Natur ist der Junge völlig ergriffen. Bäume vermitteln ihm Stärke, das Leben und von den Bergwäldern fühlt er sich aufgenommen, wenn er einmal seine Seele baumeln lassen möchte.
Felix bittet den Baum um Hilfe und Jonas antwortet. Einige seiner jungen Blätter rieseln auf die Erde nieder, mitten in das saftige Gras hinein. Felix versteht die Situation so: Man muss loslassen können, wenn durch Fügungen wichtige Aufgaben anstehen. Auch wenn man noch so jung ist. Und man sollte fest daran glauben, niemals die Hoffnung verlieren. Das sei von unschätzbarem Wert. Er ist nun frei von inneren Zweifeln. Er will nach Moorland reisen, um den Körper des Baumelfen zu erlösen. Aber er will sich um jeden Preis noch Sebastian anvertrauen, denn vier Augen sehen mehr als zwei und zwei kluge Köpfe denken intensiver als einer. Felix dankt Jonas, in dem er seine Rinde streichelt und sie freundschaftlich klopft.
Am Nachmittag trifft sich Felix mit Sebastian am Waldsee. Der Freund hat ihm verziehen, per SMS. Aber wie wird ihre Begegnung ausgehen, wenn Felix von seinem Geheimnis erneut erzählt?
Der Waldsee ist ein ruhiger idyllischer Fleck, den nicht viele Leute kennen. Er liegt unweit von Kienholz. Die Freunde sind hoch erfreut vom Anblick des Sees, denn er strahlt mit seinen unzähligen Seerosen eine märchenhafte Stimmung aus. Unter einer Weide, unmittelbar am Seeufer, setzen sie sich ins hohe Rispengras.
»Es war richtig, nicht mit dem Fahrrad herzufahren«, murmelt Sebastian leise, während er die kleinen zarten Fallschirme einer Pusteblume zum Schweben bringt. »Laufen tut auch mal gut, oder? Schau doch, wie der Wind in die kleinen Schirme bläst und sie auf den See treibt.«
»Wetten, dass meine Schirme viel weiter als deine fliegen?«, antwortet Felix verwegen und pustet diese vom Stängel ab. »Ja, Laufen ist genauso gesund«, stimmt er dem Freund zu, die federleichten Schirmchen dabei interessiert beobachtend.
»He«, ruft Sebastian, »das ist unfair. Ein Wettkampf war nicht vorgesehen. Da hätte ich stärker geblasen.« Freundschaftlich kneift er Felix in die Seite.
»Ist ja auch egal und egal ist achtundachtzig«, gibt sich der zufrieden. »Hast du dein Taschenmesser dabei? Wir könnten was schnitzen, ein kleines Boot vielleicht.«
»Warum fragst du? Richtige Kerle wie wir, haben doch immer ein Taschenmesser einstecken«, prahlt Sebastian und zaubert sein Messer aus der Gürteltasche hervor.
Felix strahlt über das ganze Gesicht. Er springt auf, beginnt unter den großen Tannen nach geeigneter Rinde für kleine Boote zu suchen. Bald wird er auch fündig und die Freunde beginnen zu schnitzen. Geschickt sind sie alle beide dabei. Gleich wirbeln die Späne nur so durch die warme Luft. Wenig später sind die kleinen Kunstwerke fertig.
»Wir könnten noch einen Mast einbauen und Segel setzen. Ich habe Tempos dabei«, zwinkert Sebastian seinem Freund zu. Schon sucht er nach geeignetem Material.
»Deine Ideen sind wirklich gut. Dass wir uns immer wieder ergänzen, finde ich echt klasse!« Felix lacht, reicht Sebastian seine Hand.
Der schlägt kräftig ein und erklärt: »So soll es wohl sein unter Freunden, oder? Was wolltest du mir eigentlich erzählen?«
»Ein Geheimnis«, antwortet Felix kurz, während er die Augen zusammen kneift. »Gehen wir schwimmen?«
»Okay, dann lassen wir unsere Schiffchen fahren. Schauen wir mal, wer gewinnt. Du hast also ein Geheimnis und willst es mir anvertrauen. Ich bin gespannt.«
»Lass dich überraschen, doch gerate ja nicht wieder in Zorn, du Knalltüte«, scherzt Felix dann. »Aber nun springen wir erst ins Wasser. Eine Abkühlung würde mir wirklich gut tun.«
Augenblicke später tummeln sich die Freunde im Wasser. Sebastian geht im Bootsrennen als Sieger hervor. Danach lassen sie ihre Schiffchen vom warmen Wind treiben. Felix taucht nach Perlmuscheln, wird auch fündig. Im letzten Jahr hatten sie ganz viele gefunden. Beim herum tollen merken die Freunde gar nicht, wie schnell die Zeit vergeht. Der Himmel ist noch immer wolkenlos. Die Sonne brennt weiter und der Wald ist erfüllt von ihren ausgelassenen Stimmen und dem ewigen monotonen Gesang der Grillen.
Die beiden bleiben im Wasser, bis ihre Lippen blau sind. Dann liegen sie in der Sonne, beobachten ihren Schiffchen, welche es tatsächlich bis an das gegenüberliegende Ufer des Teiches geschafft haben. Keine sechzig Meter ist der breit, Dieser herrliche Ort der totalen Stille, die sie jetzt ebenfalls schweigend genießen.
»Letzte Nacht hat mich ein schreckliches fliegendes Monster bedroht«, bricht Felix schließlich das Schweigen. Seine bizarre Gesprächseröffnung schlägt bei Sebastian wie eine Bombe ein. Fassungslos starrt er seinen Freund an, doch unterbricht er ihn nicht, als Felix ihm sein Geheimnis offenbart. Er lässt dabei keine Einzelheit aus. Auch seine Befürchtungen, die Sebastian betreffen, verheimlicht er nicht. Er soll das alles wissen, die ganze unheimliche Wahrheit! Felix erzählt seine Geschichte derart packend und ergreifend, dass dem Freund die Haare zu Berge stehen. Als Felix damit fertig ist, herrscht abermals großes Schweigen, bis er Sebastian unsicher fragt: »Glaubst du mir?«
Der Freund ist so bewegt von der Geschichte, dass er kein Wort über die Lippen bringt. Immer wieder schaut er Felix mit großen Augen an. Aber es liegen keine Zweifel in seinem Blick, sondern nur Bewunderung für das Erlebte und wie Felix alles verarbeitet hat. Nachdenklich steht Sebastian auf, nimmt drei Steine in die Hand und wirft sie nacheinander Richtung See. Fast bis zur Mitte kommt er mit dem letzten Stein. Dann dreht er sich um und sagt überzeugt: »Echt cool, das Ganze, ich glaube dir!«
»Oh, danke«, erwidert Felix erleichtert. »Ich habe schon das Schlimmste befürchtet, weil ich doch … na ja, du bist immer so ungläubig, wenn es um Spukgeschichten geht. Wenn du willst, bleibe heute über Nacht bei mir. Dann wirst du Zeuge jener Bekanntschaft, kriegst dich bestimmt nicht wieder ein. Das verspreche ich dir sogar!«
»Echt? Aber klaro, ich bin dabei. Ehrenwort! Und wenn du gelogen hast, spreche ich nie mehr mit dir, verstehst du? Nie mehr! Aber ich glaube dir wirklich, versprochen!«
Felix ist glücklich. Da ist es wieder, jenes lodernde Feuer in ihrer Freundschaft, welches man braucht, um alles für den Anderen zu tun. Er strahlt über das ganze Gesicht, vollführt sogar einen Freudentanz, wie die Indianer. Schnatternd erheben sich zwei Enten in die Lüfte. Die erhoffte Ruhe und Einsamkeit müssen sie woanders suchen.
»Du wirst staunen über Palis. Ein toller Typ, jedoch nicht zum Anfassen«, sagt Felix fröhlich. »In seiner unmittelbaren Nähe ist es so kalt wie auf dem Nordpol!«
»Habe mal gehört, immer wo Geister sind, ist es frostig kalt«, erinnert sich Sebastian dunkel. »Es scheint also zu stimmen. Echt cool, eh. Bewundere dich! Ich wäre bestimmt gerannt …«
»Wirst du ja heute Abend selbst erleben«, kichert Felix und beißt dann genüsslich in einen Apfel. »Magst du auch einen?«
»Freilich, danke. Na, da bin ich aber gespannt!«
»Mir war es auch nicht egal, als dieses Gespenst so vor mir stand, kannst du mir voll glauben«, beichtet Felix dem Freund. »Dachte, ich träume oder bin nicht ganz richtig in der Waffel. Auf jeden Fall ist Palis ein gutes Gespenst. Er bezeichnet sich ja eher als Geistkörper, weil sein richtiger Körper gefangen ist. Wer weiß, auf was ich mich da einlasse. Zeitreise schön und gut. Die Probleme beginnen jedoch erst, wenn man der Hexe begegnet. Sie ist eine böse schwarze Zauberin. Wie soll ich Fliegengewicht dagegen bloß ankämpfen? Du könntest mich nach Moorland begleiten. Was hältst du davon?« Er kneift die Augen zusammen. Blickt Sebastian in die blauen Augen. Dem stockt fast der Atem.
»Begleiten, Zeitreise, Hexe, Zauberei und viel mehr? Ach du lieber Strohsack! Das ist heftig, Felix. Äh, weißt du, morgen wollte ich zu meiner Großmutter fahren. Die hat glatt eine Überraschung für mich«, versucht er sich geschickt aus der Situation zu retten.
»Dann sagst du eben ab. Punkt!«
»Ab… absagen? Wie stellst du dir das vor? Großmutter wird beleidigt sein. Sie … ihr … ihr geht es auch nicht gut«, ringt er nach Worten. »Ja, sie ist nämlich krank geworden. Ich muss die alte Frau unbedingt besuchen. Gleich morgen früh fahre ich mit meiner Mutter zu ihr.«
»Na prima! Soll ich dir was sagen? Ich glaube dir kein Wort!«, riecht Felix den Braten. »Du brauchst keine Angst haben. Das Gespenst wird dir sicher gefallen und wenn wir in Moorland sind, wird uns bestimmt jemand helfen. Vielleicht die Waldfee, von der Palis sprach.«
Sebastian, der nun auch kraftvoll in den zuckersüßen Apfel beißt und dabei schmatzt, muss so langsam Farbe bekennen. Er kann Felix nicht im Regen stehen lassen. Freunde halten doch zusammen! Darum sagt er fest entschlossen: »Ich bin dabei, du kannst auf mich zählen, alter Kamerad!«
»Wahnsinn!«, ruft Felix in den tiefblauen Himmel und springt wie ein aufgescheuchter Affe über die Wiese. Dabei trommelt Felix mit beiden Fäusten fest gegen seine Brust.
»He, kriege dich mal wieder. Wenn das einer sieht, denkt er bestimmt, du hast sie nicht alle!« Dann schüttet Sebastian sich jedoch vor Lachen aus. Und weil ihm dieser Quatsch immer besser gefällt, schließt er sich Felix an.
Kurz darauf haben es die beiden dann ziemlich eilig. Schnell schlüpfen sie in ihre Klamotten. Die Schiffchen lassen sie auf dem Wasser treiben.
»Es ist ja schon viertel nach fünf«, staunt Felix, als er auf das Display seines Handys schaut. »Wie schnell die Zeit vergeht. Bis Kienholz brauchen wir eine knappe Stunde. Werden also pünktlich zum Abendessen da sein. Mutter wird sich freuen. Sie hatte sich neulich schon gewundert, als du nicht länger bei uns geblieben bist. Aber sie weiß nichts von unserem Streit. Alles müssen die Eltern nicht wissen. Sie sagen ja auch nicht alles, oder?«
»Stimmt genau, und ich glaube, denen ist es in ihrer Kindheit ähnlich ergangen. Nur, dass es eben eine andere Zeit war.«
Felix nickt zustimmend. »Ja, mein Vater erzählte mir einmal, dass seine Kindheit sehr schön gewesen ist. Seine Eltern haben ihn im Sinne der Natur erzogen. Darum ist er vielleicht sogar Revierförster geworden. Doch er konnte ihnen auch nicht alles erzählen, weil sich gerade seine Mutter immer so aufgeregt hat. Er sollte der Beste sein. Nach diesem Prinzip haben sie ihn erzogen. Ich glaube, das hat Vater gar nicht so gut gefallen …«
Abrupt bricht Felix ab, denn plötzlich raschelt und knackt es mehrmals im Unterholz, ganz in ihrer Nähe. Schwere Schritte sind zu hören. Dann ein furchtbarer Schrei, wie aus tausend Kehlen. Die Freunde schauen sich besorgt an. Felix geht in die Knie, zieht Sebastian mit sich runter und gibt ihm durch ein Zeichen zu verstehen, er soll bitte kein Wort sagen. Das Herz schlägt ihnen bis zum Hals. So sehr hat sie der Schrei erschreckt.
Sebastian hält es doch nicht aus, flüstert Felix ins Ohr: »War das ein Tier oder ein Mensch? Aus welcher Richtung kam der Schrei? Bin völlig verwirrt …«
Felix zeigt mit der Hand in südliche Richtung, wo der Wald dichter und dunkler wird. »Ein Mensch war es nicht«, flüstert er zurück. »Es klang eher wie Wild, vielleicht ein Reh. Kann mich aber auch täuschen.«
»Und wenn es ein Mensch gewesen ist? Wie unheimlich! Mir schlottern vor Angst die Knie. Was machen wir jetzt?«
»Bloß nichts überstürzen«, meint Felix besonnen, während er Sebastian mit einem Lächeln aufmuntert. »Wir warten, bis es ruhig ist. Dann sehen wir mal nach.«
Der Freund schluckt. »Du willst hingehen?«, spricht er gleich wieder etwas lauter, so aufgeregt ist er.
»Pst!«, ermahnt ihn Felix, während er seinen Zeigefinger vor den Mund hält. »Da keine Schüsse gefallen sind, kann es wohl auch kein Wilderer gewesen sein und Vater schon gar nicht. Der ist heute in einer ganz anderen Gegend.«
»… und wenn es doch ein Wilderer war? Vielleicht hat der mit einem Messer zugestochen oder wie die Indianer mit Pfeil und Bogen geschossen. Gehen wir lieber nicht hin.«
Nachdenklich blickt Felix den Freund jetzt an, denn er spricht Möglichkeiten an, die keinesfalls unreal sind. Doch will er nicht so recht daran glauben und lenkt leise ein: »Ich bin mir sicher, dass es kein Mensch war, welcher den Schrei verursacht hat. Demnach muss es ein größeres Tier gewesen sein. Es kommt aber nur ein Fuchs oder ein Luchs in Betracht, denn andere Wildtiere gibt es hier nicht.«
»Und wenn sich ein Wolf verlaufen hat? Die hat man doch in Tirol schon gesichtet. Denk mal an Bruno, diesen Bären, der kam auch bis in unsere Wälder.«
»Das war eine Ausnahme, Sebastian«, beruhigt Felix seinen Freund, obwohl ihm bei dem Gedanken die Haare zu Berge stehen. Aber nein, einen Bären kann er sich nun überhaupt nicht vorstellen. Man hätte davon schon lange erfahren. Vater wüsste es bestimmt als Erster.
Fünf Minuten lang lauschen sie dann in das tiefe Waldstück hinein. Minuten, die ihnen wie Stunden erscheinen. Zumindest brauchen sich die zwei über Langeweile in den Ferien nicht zu beklagen. Das ganze Gegenteil ist der Fall. Bisher verlaufen sie eher spannend und abenteuerlich.
Weitere aufregende Minuten verstreichen. Schließlich hält Felix den Zeitpunkt für gekommen, einmal nach zuschauen, was im dichten Unterholz des Kiefernwaldes passiert ist. Die Neugier hat ihn gepackt. Leichtfüßig geht er voran, Sebastian folgt ihm.
Nach ungefähr zweihundert Metern haben sie den dunklen Kiefernwald erreicht. Es riecht ziemlich harzig und es ist auch kühler, als im anderen Teil des Waldes. Die Sonne strahlt nur spärlich durch das dichte Geflecht von Nadelzweigen. Aber wo sollen sie anfangen zu suchen? Da, wieder ein Geräusch, ganz in der Nähe. Als ob jemand einen Ast zerbricht.
»Irgendwie fühle ich, wir werden beobachtet«, sagt Felix leise und blickt in Richtung des Geräusches.
»He, was soll das, Felix! Ich mache mir fast in die Hosen und du gehst hier spazieren, als sei nichts geschehen.«
»So ein Angsthase«, scherzt Felix etwas genervt. »Wir wissen doch noch gar nicht, ob was passiert ist. Reiß dich endlich mal zusammen, da lachen ja alle Hühner! Selbst Andrea ist nicht so ängstlich wie du.«
Sebastian bekommt einen roten Kopf. Ist ihm schon peinlich, mit der kleinen Schwester von Felix verglichen zu werden. Er geht ein paar Schritte zurück, stolpert und fällt hart zu Boden. Als sein Blick zwischen die großen Farne schweift, schreit er laut auf: »Sieh doch, Felix. Ein Reh!«
Tatsächlich! Auf den mit braunen Tannennadeln übersäten Waldboden, liegt ein niedliches Rehkitz. Ängstlich schaut das kleine Wesen Sebastian in die Augen. Es zittert am ganzen Leib, flüchtet jedoch nicht.
Felix eilt herbei und wie er das schöne Tier so liegen sieht, da geht ihm sein Herz auf. Er bückt sich, um nicht all zu groß zu wirken und sagt liebevoll zu dem Kitz: »Aber was machst du denn hier? Wo ist denn deine Mama? Sie hat dich doch bestimmt nicht allein gelassen. Was ist geschehen?« Und zu Sebastian meint er: »Wir dürfen das Rehlein auf keinen Fall erschrecken. Es hat sich bestimmt ein Bein gebrochen, sonst wäre es lange geflüchtet. Seine Mutter steckt mit Sicherheit ganz in der Nähe, traut sich jedoch nicht, zu ihm zu gehen, weil wir hier sind. Eine schwierige Situation. Wir müssten das Kleine mit nach Kienholz nehmen. Vater wird es untersuchen. Fassen wir es jedoch an, wird seine Mutter es nicht mehr als eigenes Kind ansehen und im Stich lassen.«
Das Kitz sieht Felix mit großen Augen an, als würde es seine aufmunternden Worte verstehen. Verhält sich jedoch weiterhin still und ängstlich.
Entschlossen wählt Felix Vaters Nummer. Dann hellt sich sein Gesicht auf, als er endlich mit ihm verbunden ist und die Situation genau schildert. »Also, wir sollen bei dem Kleinen da bleiben, meint Vater. Er kommt gleich. Falls es nicht wieder laufen kann, ist es in der Wildnis verloren. Seine Mutter kann ihm dann auch nicht mehr helfen. Er will es mit nach Kienholz nehmen. Dort soll es Andrea pflegen. Andrea, immer wieder Andrea. Als ob ich das nicht auch könnte.« Ärgerlich steckt er sein Handy in die Gürteltasche zurück.
»Ich denke, deine Schwester ist fortgefahren?«, wundert sich Sebastian, während er seine Augen nicht von dem Tier lässt, welches ihm sehr Leid tut.
»Sie wird ja wieder kommen, diese kleine Petze. Bis dahin darf ich bestimmt einspringen. Ich kenne doch meinen Vater. Aber dieses Mal werde ich es nicht tun!« Ganz schön empört ist Felix und beleidigt obendrein.
»Das wirst du natürlich nicht machen«, widerspricht ihm der Freund. »So ein süßes Reh muss man einfach lieb haben.«
»Und wenn wir in Moorland sind?«, kommt es Felix in den Sinn. »Ich habe dem Gespenst schon fast ein Versprechen gegeben. Dieses habe ich bisher immer eingehalten!«
»Was willst du eigentlich deinen Eltern sagen? Dass du mit mir eine Zeitreise machst? Die halten uns doch für Spinner!«
Felix überlegt, bevor er antwortet. Daran hat er überhaupt noch nicht gedacht. »Ach die, die werden erst gar nichts davon erfahren«, stammelt er dann.
Nach einer knappen Stunde ist Vater endlich da. Behutsam nimmt er das Reh in die Arme, dankt Felix für seine Weitsicht und dass er ihn um Rat gefragt hat. Sie brechen sofort auf.