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Rückblick 16. Dezember 2047

Europa / London

Letztes Jahr waren sie gerade noch verschont geblieben. Nach dem zunehmend schnelleren Anstieg des Meeresspiegels auf momentan zweieinhalb Meter waren weltweit schon viele Küstenregionen untergegangen.

In den USA waren an der Ostküste bereits Washington D.C., Boston, Baltimore, Savannah, Charleston sowie Jacksonville in Florida direkt betroffen und kämpften gegen den Untergang. Auch am Golf von Mexiko waren schon die meisten Küstenregionen und viele Städte vom Meer überflutet, darunter New Orleans, Houston und Corpus Christi.

Italiens Lagunenstadt Venedig musste bereits vor zehn Jahren aufgegeben werden. Auch hunderte Inseln im Pazifik waren schon lange vollständig evakuiert worden.

Selbst ganze Staaten waren inzwischen Opfer der Erwärmung geworden. Holland existierte seit einigen Jahren nicht mehr. Andere große Gebiete an der Nord- und Ostseeküste waren ebenfalls vom Meer überflutet worden und in Bangladesh waren in den vergangenen Jahren Millionen Menschen auf der Flucht vor dem schnell ansteigenden Wasser ums Leben gekommen.

In dieser weltweit äußerst dramatischen Situation hatte sich im vergangenen Jahr am 21. August eine weitere Katastrophe ereignet, wie sie in Bezug auf ihre Art und Stärke von nun an immer häufiger auftreten würden.

Durch die Aufwärtsbewegung der grönländischen Landmasse aufgrund des schnellen Eisverlusts war es am Meeresgrund vor der Südspitze der riesigen Insel zu einem Erdbeben der Stärke 10,0 gekommen, das einen verheerenden Tsunami ausgelöst hatte. Diese Flutwelle hatte sich über dem gesamten Nordatlantik und nach Süden sogar bis über den Äquator hinaus ausgebreitet. Große Teile der Städte an den betroffenen Küsten wurden verwüstet. Islands Hauptstadt Reykjavik, nur eintausenddreihundert Kilometer vom Epizentrum entfernt, war vollständig zerstört worden. Obwohl sich die Welle auf ihrem Weg an Neufundland vorbei nach Süden etwas abgeschwächt hatte, wurden an der nordamerikanischen Ostküste auch Portland in Maine, Boston und selbst noch New York City schwer getroffen. Auch an der europäischen Westküste, insbesondere in Irland, Großbritannien, Frankreich, Spanien und Portugal war es zu immensen Schäden gekommen. Selbst in West-Afrika war die Flutwelle noch zehn Meter hoch und zerstörte große Teile in Senegals Hauptstadt Dakar.

London war wegen seiner von Grönland abgewandten Lage und seiner Schutzeinrichtungen noch relativ glimpflich davon gekommen.

Die letzten Reste von Holland und Belgien hingegen wurden jetzt vollständig überflutet. Sie lagen zu großen Teilen schon vor dem Ansteigen des Meeresspiegels ein bis zwei Meter unter dessen Niveau und mussten deswegen schon in der Vergangenheit mit Dämmen zum Meer und den Flüssen hin vor Überflutungen geschützt werden. Dies funktionierte wegen des Meerespiegelanstiegs jedoch immer weniger.

Die Bevölkerung hatte damit andererseits enormes Glück im Unglück, denn sie war aus diesem Grund schon ab 2039 in höher gelegene Länder Europas evakuiert worden. Andernfalls wären dort etwa dreißig Millionen Menschen durch diesen Tsunami ums Leben gekommen.

Seit diesem Ereignis war der Meeresspiegel bereits wieder um einen weiteren Meter angestiegen und damit war jetzt auch London dem Untergang geweiht.

Es war jetzt siebzehn Uhr. Julie Dawkins saß im Innenraum der Aussichtsplattform in dreihundertsechzig Metern Höhe in Londons höchstem Gebäude, dem Aurora Plaza, und überlegte, wie lange es wohl dauern würde, bis sie es wieder verlassen könnte. Draußen war es stockfinster, auch von der Stadt war wegen des Stromausfalls überhaupt nichts zu sehen und der Orkan heulte in einer Lautstärke, dass selbst hier im Inneren des Gebäudes ein ohrenbetäubender Lärm herrschte. Die Fenster zitterten und die Böden und Wände bebten derart, wie sie es bisher nur einmal während des Bebens in Kalifornien erlebt hatte. Die vorhergesagten Windgeschwindigkeiten von zweihundert Stundenkilometern waren heute bei weitem übertroffen worden. Die neuesten Nachrichten meldeten von den Messbojen draußen auf der Nordsee dreihundertfünfzig Stundenkilometer, in der Stadt an den neuen autonomen Wetterstationen lagen die Werte sogar über vierhundertdreißig zwischen den hohen Gebäuden.

Weil Orkan und Hochwasser sie im Gebäude gefangen hielten, würde sie hier zum zweiten Mal übernachten müssen. Dies war gestern von ihr zwar schon eingeplant worden, doch nachdem was sie heute gesehen hatte, waren ihr erhebliche Zweifel gekommen, ob sie nicht noch deutlich länger ausharren müsste. Dann könnte auch ihr Proviant zur Neige gehen, obwohl sie bei der Planung der Aktion zur Sicherheit sogar Reserven für weitere drei Tage kalkuliert hatte. Der Sturm war aber viel schlimmer, als vom Wetterdienst vorhergesagt und auch als sie es sich hatte vorstellen können.

In den nächsten Tagen würde mit Sicherheit niemand in der Lage sein, ihr zu helfen. Nicht nur wegen des hohen Wasserstandes und der riesigen Wellen in den Straßen, sondern auch wegen der nicht mehr zu beherrschenden Windgeschwindigkeiten.

Als sie gestern Vormittag von ihrem Chef gefragt worden war, ob sie während des vorhergesagten Sturms in der Stadt bleiben könne, um Aufnahmen vom Verlauf der Katastrophe mit der erwarteten Überflutung der Innenstadt zu machen, hatte sie spontan zugesagt. Eine solch spektakuläre Reportage würde ihrem Nachrichten-Portal einen gewaltigen Publicity-Schub verleihen. So glaubte sie zumindest noch gestern. Nach den katastrophalen Ereignissen von heute würde sich aber wohl niemand mehr für ihr Portal interessieren.

Außer von hier oben waren kaum Aufnahmen vom Geschehen möglich, weil der Einsatz einer Drohne oder eines Helikopters wegen des Orkans nicht in Frage kam. Sie war daher gestern Nachmittag mit dem Fahrrad hierher gefahren. Es war das einzige Verkehrsmittel, das flexibel genug war, um gegen den Strom der überall flüchtenden Menschenmengen voranzukommen und mit dem sie gleichzeitig ihr schweres Gepäck, das sie in zwei riesigen Seesäcken verstaut hatte, transportieren konnte.

Obwohl das Militär eingesetzt wurde, um einen völligen Stillstand des Verkehrs zu verhindern, herrschte überall das komplette Chaos. Die Menschen flüchteten mit Fahrzeugen aller Art und selbst zu Fuß aus der Stadt. Das U-Bahn-Netz war aus Sicherheitsgründen schon stillgelegt worden, was viele überrascht hatte und die Verkehrssituation noch verschärfte. Die Versuche von einigen der Flüchtenden, ihr das Fahrrad zu entreißen, konnte sie glücklicherweise abwehren.

Kurz bevor sie ihr Ziel im Zentrum erreicht hatte, war sie plötzlich vollkommen alleine unterwegs, denn aus diesem, am meisten gefährdeten Bereich der Stadt waren alle Menschen schon geflohen.

Ganz alleine bei diesem Sturm und den angekündigten Ereignissen über die menschenleeren Straßen und Plätze zu fahren, die sonst rund um die Uhr zu den belebtesten Orten der Welt gehörten, war ausgesprochen unheimlich. Für einen Moment spielte sie mit dem Gedanken, wieder umzukehren, denn möglicherweise war sie ja gerade im Begriff, den größten Fehler ihres Lebens zu machen und sich in tödliche Gefahr zu begeben. Doch ihr journalistischer Ehrgeiz war stärker und so kämpfte sie sich weiter gegen den heftigen Wind und die Böen voran. Dies wurde wegen der vielen Gegenstände, die durch die Luft gewirbelt wurden, immer gefährlicher. Viele waren wie scharfkantige Geschosse, denen sie oft gerade noch im letzten Augenblick ausweichen konnte.

Als sie schließlich die Zufahrtsstraße zur Tower Bridge erreichte, war der Wind schon auf Orkanstärke angewachsen. Hier konnte sie endlich ihr Ziel vor sich sehen. Rechts lag die Festungsanlage des Tower of London, dahinter auf der anderen Flussseite die ungleichen Türme des Shards und des Aurora Plazas, den höchsten Gebäuden der Stadt. Es war bis dorthin zwar nur noch etwa einen Kilometer, aber die freie Strecke über die Themse würde der schwierigste Teil der ganzen Anfahrt werden. Die Böen waren jetzt so stark, dass Julie sich nicht mehr auf dem Rad halten konnte. Sie stieg ab und schob es weiter.

Nach weiteren dreihundert Metern erreichte sie die Tower Bridge, die sie noch überqueren musste, um zu ihrem Ziel zu gelangen. Da sie jetzt den Schutz der Häuser verlassen musste, traf sie der Orkan mit voller Wucht. Er war hier so stark, dass sie Angst bekam, in die Themse gerissen zu werden. Um weniger Angriffsfläche zu bieten, ging sie tief in die Hocke und versuchte, ihr Rad so weiter zu schieben. Von der Mitte der Brücke an war jedoch selbst dies nicht mehr möglich. Auf Händen und Knien kroch sie weiter. Ihr Fahrrad samt Gepäck hielt sie krampfhaft fest und zog es hinter sich her. Völlig erschöpft kam sie auf der anderen Seite an. Die weitere Route zum Aurora Plaza konnte sie teilweise im Windschatten von Gebäuden wieder aufrecht gehen, trotzdem war sie völlig abgekämpft, als sie schließlich hier am Plaza ankam. Ein Geschäftsfreund ihres Chefs, der gute Verbindungen zum Betreiber der Sicherheitsfirma hatte, die das Gebäude kontrollierte, hatte ermöglicht, dass sie sich dort über einen Notausgang Zutritt verschaffen konnte. Das war natürlich keine vom Besitzer des Gebäudes autorisierte Sache, aber für diese exklusive Story war es den Aufwand und auch das Risiko wert, später dafür vielleicht belangt zu werden.

Der Aufstieg in den einhundertsten Stock mit einem Großteil der Ausrüstung war eine echte Strapaze gewesen, obwohl sie sich als Extremklettererin, Marathonläuferin und Fallschirmspringerin körperlich in Bestform befand. Wegen des abgeschalteten Stroms im Gebäude war das aber leider nicht anders zu machen.

Die aktuelle Wettersituation war eine Folge des sich seit einigen Jahren rapide verändernden Weltklimas und des stark ansteigenden Meeresspiegels durch die unvorstellbar großen Mengen des in der Antarktis und auf Grönland abtauenden Inlandeises.

Selbst die zuletzt erbaute Schutzbarriere quer durch die Themse kurz vor deren Mündung bei Canvey Island war schon wieder nicht mehr ausreichend hoch, um die heutige Sturmflut abzuwehren. Sie war für einen Meeresspiegelanstieg von insgesamt dreieinhalb Metern konzipiert worden. Bei der Planung vor zwanzig Jahren war man der Überzeugung gewesen, dass diese Höhe grundsätzlich sogar für den Anstieg der nächsten eintausend Jahre ausreichend sein würde.

Selbst zu Beginn des Baus der Anlage vor fünfzehn Jahren hatten sich die Experten immer noch nicht ein so dramatisch schnelles Abschmelzen vorstellen können. Es war jedoch in den vergangenen fünf Jahren so extrem geworden, dass der Meeresspiegel weltweit alleine in diesem Zeitraum um zweieinhalb Meter angestiegen war. Die Barriere war deswegen schon jetzt zu niedrig und wurde bei Sturm in Verbindung mit Springfluten bei Volloder Neumond immer öfter überspült. Bei einem Orkan wie heute war sie völlig wirkungslos, was sich gerade auf verheerende Weise zeigte.

Eine noch höhere Barriere zum Meer hin war aber einfach nicht möglich, denn diese wirkte natürlich auch auf den Fluss wie eine Staumauer, sodass London dann zwar nicht vom Meer, dafür aber von der Themse selbst überflutet worden wäre.

Als einzige Möglichkeit blieb für die Zukunft daher, die Stadt weit ins Landesinnere in ausreichend hoch gelegene Gebiete zu verlegen. Dies war allerdings wegen der astronomischen Kosten und am Boden liegenden Wirtschaft eher eine theoretische als eine tatsächlich machbare Lösung.

Der Sturm hatte sich heute Nacht zu seiner vollen Stärke entwickelt. Er kam aus Ost-Nord-Ost und drückte das Wasser der Nordsee entlang des Themseverlaufs immer weiter in das Stadtgebiet. Der Neumond verschärfte die Situation zusätzlich, sodass der Wasserstand laut Vorhersage heute je nach Sturmstärke sechs bis acht Meter über dem Normalwert liegen sollte. Mit diesen Angaben hatten sich die Meteorologen aber gewaltig verschätzt.

Von ihnen völlig unerwartet war vor zwei Tagen in der Nähe des Azoren-Archipels im Atlantik durch plötzlich aufsteigendes vierundvierzig Grad warmes Tiefenwasser ein gewaltiges Tiefdruckgebiet entstanden. Dies war eine Folge der inzwischen weltweit chaotischen Strömungsverhältnisse in den Ozeanen.

Das warme Wasser stammte aus dem Golf von Mexiko.

Da der Antriebsmechanismus des weltumspannenden Strömungssystem zusammengebrochen war, wurde es nicht mehr wie bisher mit dem Golfstrom nach Norden transportiert, sondern stand dort über Wochen wie ein See und wurde von der Sonne extrem stark aufgeheizt. Die so entstandene, riesige Warmwasserblase wurde schließlich von einer Tiefenströmung im Westatlantik erfasst, die sie auf einer weit südlich gelegenen Route in Richtung Osten transportierte, bis sie an den Azoren, einem Archipel weit vor der portugiesischen Küste, wieder zum Aufsteigen an die Meeresoberfläche gezwungen wurde. Die dabei an die Atmosphäre freigesetzte Wärmemenge hatte dort ein Tiefdruckgebiet erzeugt, das gerade im Begriff war, neue meteorologische Rekordwerte aufzustellen. Er betrug zur Stunde achthundertzehn Hektopascal, fiel aber noch weiter.

In dieses extreme Tiefdruckgebiet wurde jetzt unter anderem die Warmluft hineingesogen, die aus dem aktuell über Sibirien liegenden Hochdruckgebiet stammte. London lag genau auf dem Weg dieser Strömung. Eigentlich konnte man dabei nicht einmal mehr von einem Orkan sprechen, denn die Geschwindigkeit der heute über die britischen Inseln und in Richtung Azoren jagenden Luftmassen betrugen über dreihundertfünfzig Stundenkilometer. Das entsprach schon einem ausgewachsenen Hurrikan der Stärke fünf. Tatsächlich hätte er sogar als Sturm der Kategorie sechs klassifiziert werden müssen, aber Werte über fünf existierten offiziell nicht.

Draußen auf der Nordsee hatte er gewaltige Wellen von vierzig Metern Höhe aufgetürmt und selbst hier entlang der Themse erreichten die höchsten noch fünfundzwanzig Meter über dem normalen Pegel.

Das Meer strömte schon seit heute früh auf einer Breite von über vier Kilometern über die Stahlwände der neuen Barriere bei Canvey und von dort immer weiter flussaufwärts.

Julie hatte von hier oben einen hervorragenden Blick auf dieses unheimliche Geschehen und den ganzen Tag über Aufnahmen vom Verlauf der Katastrophe machen können.

Es war jetzt kurz nach zwanzig Uhr. Von der Redaktion hatte sie vor wenigen Minuten erfahren, dass sogar schon deren Hauptsitz in Hampton, fünfzig Kilometer von der Themsemündung entfernt, kurz davor war, überflutet zu werden. Ein Nachlassen des Orkans oder eine Richtungsänderung war heute Abend noch nicht in Sicht und so würde das Wasser mit Sicherheit weiter ansteigen und ihre Büros zerstören.

Sie ging nach vorne an die Fensterfront und schaute hinunter.

Dort wo normalerweise die Themse langsam nach Osten floss peitschte der Orkan das dunkle Meer wie einen reißenden Strom voller Wellen und weißer Gischt in die entgegengesetzte Richtung nach Westen. Die Wasseroberfläche war von Millionen losgerissenen und zerstörten Gegenständen aus dem Stadt- und Hafengebiet übersät.

Riesige Wellen schlugen gegen die Gebäude, die noch standen und umhüllten diese in weiße Gischt wie bei Explosionen. Die Straßen über die Themsebrücken waren inzwischen völlig im Meer verschwunden, während sie anfangs immer wieder noch zwischen den Wellenkämmen zum Vorschein gekommen waren. Nur noch ganz wenige Dächer älterer Gebäude schauten aus den Fluten. Auch die Bahnstation der London Bridge, die sich direkt am Fuß des Aurora Plaza befand, war nicht mehr zu sehen.

Immer wieder jagten dunkelgraue Wolken vorbei und nahmen für Sekunden den Blick. Auf der gegenüberliegenden Seite des Flussverlaufs ragte nur noch das Hauptgebäude des Tower of London aus dem Wasser. Die Mauer seines äußeren Festungsrings war schon verschwunden.

Julie war zwar von ihren bisherigen Reportagen über Wetterkatastrophen einiges gewöhnt, aber ganz London versinken zu sehen, ließ sie doch zunehmend weiche Knie bekommen.

Wie sollen wir uns davon je erholen ?

Völlig unmöglich!

Das Eis schmilzt weiter…

Das ohrenbetäubende Heulen, Donnern und Dröhnen des Orkans, das weite Hin- und Herschwanken, Ächzen und Vibrieren des Wolkenkratzers ließen Julie fast seekrank werden. Wenigstens war das Trommelfeuer der bis in diese Höhe hochgewirbelten und andauernd in die Außenfassade hineinkrachenden Trümmerteile vorüber. Diese stammten von zerstörten Gebäuden und Industrieanlagen und waren auch noch in der vergangenen Nacht bis in diese Höhe gewirbelt worden. Das war extrem nervenaufreibend und zermürbend gewesen. Viele Scheiben waren dabei schon zu Bruch gegangen und der Orkan tobte inzwischen in den meisten Stockwerken genauso wie außerhalb des Gebäudes.

Julie zuckte zusammen, als die bisher gewaltigste Bö das gesamte Gebäude erzittern ließ. Es schwankte und vibrierte dadurch so heftig, dass fast alle Teile der Decken- und Wandverkleidung herabfielen.

Der Boden unter ihren Füßen knackte so laut, dass sie fürchtete, das erst acht Jahre alte Gebäude könnte vielleicht doch nicht standhalten, obwohl es nach normalen Standards angeblich unzerstörbar war. Es würde heute den Beweis dafür antreten müssen.

Sie bereute inzwischen, sich auf diesen Auftrag eingelassen zu haben. Sie blickte hinunter auf The Shard, das zweithöchste Gebäude der Stadt, das die Form einer extrem in die Länge gezogenen Pyramide gehabt hatte. Seine ursprüngliche Höhe von dreihundertzehn Metern erreichte es allerdings jetzt schon nicht mehr, weil die sechzig Meter lange Spitze während des Orkans weggerissen worden war. Der übrig gebliebene Teil, einhundert Meter unter ihr, schien um viele Meter in allen Richtungen hin- und herzuschwanken. Dieser Anblick ließ Julie instinktiv einen Satz nach hinten machen.

Von den Strapazen des Tages ermüdet, beschloss sie, sich in den inneren Bereich des Stockwerks zurückzuziehen, wo sie in einem Wartungsraum neben den Aufzügen ihren Tagesproviant deponiert hatte.

Im schwachen Licht ihrer Stirnlampe, die sie neben sich auf den Boden gelegt hatte und jetzt im Sparmodus betrieb, schaute sie sich noch einmal die Aufnahmen des Tages an. Die besten Szenen hatte sie jeweils sofort per Satellitentelefon an die Redaktion hochgeladen. Es waren Bilder, wie man sie noch nie gesehen hatte. Der Verlauf der Katastrophe war darauf perfekt dokumentiert. Die ersten Szenen von heute Morgen zeigten die Überflutung der Schutzwände kurz vor fünf Uhr früh. Flußaufwärts wandernd fiel im Minutentakt die Beleuchtung der Straßenzüge und ganzer Viertel aus. Nach einer knappen halben Stunde war das gesamte Lichtermeer Londons erloschen. Auch im Plaza herrschte völlige Dunkelheit.

Erst eine Stunde später erlaubte die Morgendämmerung wieder einen Blick auf die Stadt. Die Themse war als Fluss nicht mehr erkennbar. Stattdessen breitete sich dort eine sturmgepeitschte riesige Wasserfläche aus, die sämtliche Straßen, Plätze und Freiflächen der Stadt meterhoch überflutete. Es erinnerte sie auf den ersten Blick an das alte Venedig. Dort hatte es natürlich nie befestigte Straßen zwischen den Gebäuden gegeben, sondern nur schiffbare Kanäle.

Im Verlauf der nächsten Stunden konnte Julie mitverfolgen, wie das Wasser weiter anstieg und die Gebäude immer tiefer in den Fluten versanken. Dort wo vorher die Themse geflossen war, trieb der Orkan hunderte losgerissener Boote und große Schiffe und Lastkähne aus dem Hafengebiet vor sich her. Sie wurden gegen die Gebäude links und rechts des Themse-Ufers geschleudert und zerstörten deren Außenmauern. Als auch die beiden äußeren Festungsmauern des Towers of London auf ihrer gesamten Länge und samt den Türmen von einer ganzen Kaskade riesiger Wellen eingerissen wurden, fingen ihre Knie an zu zittern. Schon kurz darauf wurden auch die Fahrbahnen und Gleise auf den Themsebrücken überflutetet.

Die ungeheure Kraft des Windes zeigte sich besonders, als fünfhundert Meter flussaufwärts vom Aurora Plaza drei Güterzüge mit mehreren Wagons, die auf der Brücke vor der Cannon-Street-Bahnstation standen, von einer Bö wie Spielzeug in den zu Meer gewordenen Fluss geschleudert wurden. Julie hatte die Szene mit ihrer Kamera erfasst.

Als kurz darauf auch noch die Fahrbahn der Tower-Bridge von einem vom Orkan dahergetriebenen großen Lastkahn mit hoher Geschwindigkeit gerammt wurde, ergriff sie Panik. Das Schiff hatte mit seiner Spitze das nördliche Brückenportal getroffen und zum Einsturz gebracht. Der restliche Rumpf wurde darüber hinweggespült und von den riesigen Wellen immer wieder gegen das Hauptgebäude des Towers of London geschleudert. Julie musste mit ansehen, wie auch er mit jedem Schlag mehr und mehr niedergerissen wurde.

Obwohl sie durch ihren Beruf schon viele schlimme Dinge erlebt hatte, erholte sie sich zunächst kaum von dem gerade Gesehenen, denn sie malte sich soeben aus, was passieren würde, wenn das Meer noch weiter steigen und ein großes Schiff die Fundamente und tragende Struktur des Aurora Plaza wie mit einer Abrisskeule zertrümmern würde.

Ihr wurde schwindelig bei dieser Vorstellung und sie musste sich mit beiden Händen am Boden abstützen. Jetzt spürte sie die Erschütterungen und Schläge noch stärker, während sie noch die nächste Szene ihrer Reportage verfolgte, die dokumentierte, wie The Shard immer stärker beschädigt wurde. Das Gebäude in direkter Nachbarschaft war über dreißig Jahre alt und noch nicht für derartige Windgeschwindigkeiten konstruiert worden. Seine Glasfassade wurde vom Orkan immer mehr eingedrückt und von durch die Luft fliegenden Trümmerteilen eingeschlagen. Auch die Glasbruchstücke flogen jedesmal wie bei einer Explosion davon.

Julies Panikattacke war diesmal von einer völlig anderen Intensität. Mit zitternden Fingern schaltete sie die Wiedergabe aus. Sie hielt es nicht mehr aus, alles noch einmal anzuschauen, denn im Laufe des Tages waren ihr die Folgen für ihre eigene Existenz und Zukunft immer deutlicher bewusst geworden.

Todesangst stieg plötzlich in ihr auf.

Diese Katastrophe war mit kurzfristiger Ankündigung gekommen. Seit zwei Tagen wurde die Bevölkerung aufgerufen, entsprechende Vorkehrungen zu treffen. Die meisten, die unterhalb der Zehn-Meter-Hochwasser-Marke wohnten, hatten dies befolgt. Sie waren zu Freunden und Verwandten geflohen, die weit im Hinterland und mindestens oberhalb der Fünfzehn-Meter-Marke wohnten. Dass die Flut sogar über diesen Wert steigen würde, hatte der Wetterdienst nicht vorhergesagt. Schon jetzt waren hunderttausende Opfer zu beklagen, weil sehr viele Menschen im Schlaf vom Hochwasser überrascht wurden und auch jetzt kämpften mit Sicherheit noch sehr viele Menschen ums Überleben.

Der materielle Schaden war gar nicht abzuschätzen und die Frage, wie die Zukunft für die britischen Inseln aussehen würden, konnte zum heutigen Zeitpunkt niemand beantworten. Klar war nur, dass die Stadt so schnell wie möglich an einem sicheren Ort wieder aufgebaut werden musste, denn das immer schnellere Abschmelzen der Eismassen in der Antarktis und in Grönland würde den Meeresspiegel noch für Jahrzehnte entsprechend steigen lassen. Am Ende würde er fast einhundert Meter höher liegen als heute. Es stellte sich damit die Frage, wie Großbritannien und Irland oder genauer gesagt seine Bevölkerung überhaupt überleben konnte.

Hier auf den Inseln wohl kaum.

Julie war mittlerweile völlig erschöpft vom heutigen Geschehen. Sie nahm ihre beiden Taschenlampen und die Kamera und machte sich auf den Weg über die Nottreppe hinunter zum fünfzigsten Stock, wo sie ihren Schlafsack und den Großteil des Proviants hatte. Dort würde sie vielleicht etwas Schlaf finden. Hier oben an der Spitze war daran nicht zu denken, denn diese schwankte viel zu stark.

Im Lichtkegel ihrer Stirnlampe stieg sie das Treppenhaus hinunter. Ihr war unheimlich, denn auch die Notbeleuchtung war ausgefallen. Aus den angrenzenden Aufzugs- und Lüftungsschächten drang das tiefe Brüllen und Fauchen des Orkans. Luft und Wände vibrierten ohne Unterbrechung und andauernd wurde sie von Böen getroffen, abwechselnd von oben und unten, was das Gehen sehr schwierig machte. Um nicht zu stürzen, hielt sie sich am Geländer fest und nahm jede Stufe voll konzentriert.

So kämpfte sie sich über mehrere Minuten nach unten.

Im fünfzigsten Stockwerk verließ sie das Treppenhaus über die Nottür. Der kurze Gang dahinter war der ruhigste Teil, den sie hatte finden können. In den Büroräumen einen Gang weiter vorne tobte schon wieder der Orkan. Julie ließ sich auf ihren Schlafsack fallen und lehnte sich gegen die Wand. Sie schloss kurz die Augen. Das Gebäude schwankte auch hier noch, aber es war erträglicher als oben.

Sie steckte sich die Earphones in die Ohren, um den Lärm etwas zu dämpfen.

Ununterbrochen verliefen starke Erschütterungen durch die Wand hinter ihr, die von den riesigen Trümmern herrühren mussten, die ins Gebäude einschlugen. Die Vorstellung war zermürbend. Um wenigstens den Schlägen im Rücken zu entgehen, legte sich Julie auf ihren Schlafsack und schob die Hände unter den Kopf.

Erst jetzt fiel ihr auf, wie warm es im Tagesverlauf geworden war. Die Luft hier im Gang war feuchtwarm und roch modrig. In diesem Fall hatte die Vorhersage Recht gehabt. Der Sturm hatte tatsächlich diese ungewöhnlich warme Luft aus Sibirien herangeführt.

Eine ähnliche Situation war bereits vor etwa fünfzehn Jahren zum ersten mal aufgetreten.

Zuvor hatten dort die für Sibirien noch einigermaßen typischen Temperaturen geherrscht. Sie lagen zu dieser Jahreszeit meistens bei minus zwanzig Grad Celsius. Doch die Wetterverhältnisse veränderten sich weltweit immer mehr. Dass es im Sommer grundsätzlich wärmer war als im Winter galt nirgends mehr. Auch in Sibirien kamen plus zwanzig Grad im Winter und minus fünfundzwanzig im Sommer immer häufiger vor. Letztes Jahr waren sogar an einigen Tagen minus dreißig Grad in der Karibik gemessen worden.

Noch in ihrer Jugend war dies ganz anders gewesen. Es gab für jede Jahreszeit typisches Wetter und verlässliche Temperaturbereiche. Doch die alten Strömungsmuster der Atmosphäre waren inzwischen total aus dem Gleichgewicht geraten. Heiße Luft aus äquatornahen Regionen konnte auch im Winter bis in die Polargebiete gelangen. Umgekehrt floß dann eiskalte Polarluft oft bis zum Äquator.

In den Meeren war es ähnlich. Auch dort waren die Strömungen verschwunden, die über Jahrmillionen stabil gewesen waren und ein verlässliches Klima garantiert hatten.

Mit ihren einunddreißig Jahren war sie daran gewöhnt, dass das Wetter den Menschen weltweit die Ernten und damit die Existenzen zerstörte. Die Folge waren jedes Jahr Millionen Tote durch Hungersnöte und Überschwemmungen. Wer irgendwie konnte, war schon aus den am schlimmsten betroffenen Regionen geflohen. Das hatte auch in den Zufluchtsgebieten schon enorme Auswirkungen, da diese nicht die Möglichkeiten hatten, alle Flüchtlinge zu versorgen. Und die Lage verschlechterte sich natürlich immer noch rapide.

Vor allem aus den dicht besiedelten Küstenregionen flüchteten Jahr für Jahr überall Millionen ins Landesinnere. Es war abzusehen, dass die Welt in den kommenden Jahren vollkommen im Chaos versinken würde. Ein menschenwürdiges Dasein war jetzt schon in den meisten Regionen kaum mehr möglich.

Julie musste an die Gespräche und Warnungen ihrer Eltern denken, die sich schon große Sorgen um ihre Zukunft gemacht hatten, als sie noch ein Kind war. Sie hatten die Verhältnisse, die jetzt fast überall auf der Erde Wirklichkeit geworden waren, schon damals prophezeit. Die Gefahren durch die Verbrennung von Erdöl, Kohle und Erdgas war zu dieser Zeit von vielen offenbar immer noch vollkommen falsch eingeschätzt worden. Insbesondere die Erwärmung der Ozeane hatte die Bevölkerung als nicht so wichtig angesehen. Der Fokus war immer auf die Atmosphäre gelegt worden. Dass sich auch die Meere immer mehr erwärmten, wurde so lange Zeit einfach übersehen. Auf die Nature-Scientists, die vor genau der jetzt eingetretenen Situation immer gewarnt hatten, hatte kaum jemand gehört. Sie wussten, dass Meeresströmungen Wärme aus der Luft aufnahmen, sodass sich diese selbst kaum erwärmte. Das so erwärmte Wasser verteilte sich bis in große Tiefen, weswegen zunächst unbemerkt blieb, dass sich durch diesen Effekt riesige Energiemengen in den Ozeanen ansammelten.

Viele zogen aus den niedrigen Lufttemperaturen, die durch diesen Effekt verursacht wurden, den falschen Schluss, dass es keinen Treibhauseffekt durch Kohlendioxid und damit auch keine gefährliche Erderwärmung geben würde. Das war ein riesiger Fehler gewesen, denn das erwärmte Meerwasser stellte eine klimatische Zeitbombe dar.

Der zugrundeliegende Effekt war schon vor Jahrzehnten im Pazifik entdeckt worden, lange vor dem Eintreten der Klimakatastrophe. Es gab dort schon seit Jahrtausenden eine periodisch auftretende warme Strömung zwischen West- und Ostpazifik, die weltweit schon immer starke Auswirkungen auf das Wetter hatte.

Sie gab nämlich die zuvor über Jahre aufgenommene Wärmeenergie immer wieder stoßweise innerhalb von wenigen Wochen an die Atmosphäre ab, was als El-Niño-Ereignis bekannt geworden war. Dieses führte etwa alle vier bis sechs Jahre auf der ganzen Erde zu extremen Dürren, Waldbränden und gewaltigen Überschwemmungen, verbunden mit enormen Missernten.

Die Menge an Wärmeenergie, die auf diese Weise vom Pazifik an die Atmosphäre abgegeben wurde, hatte in den letzten Jahren stark zugenommen. Luftströmungen verteilten die freigesetzte Wärme, was weltweit zu immer katastrophaleren Wetterlagen führte, zumal ähnliche Effekte immer häufiger auch in anderen Regionen der Ozeane auftraten.

Das heutige Ereignis in London war eine direkt Folge davon. Jetzt, wo eigentlich jeder die katastrophalen Auswirkungen sehen konnte, war es für Gegenmaßnahmen natürlich viel zu spät.

Man hätte viel früher erkennen müssen, wie leicht sich der Lauf von Meeresströmungen verändern konnte. Diese waren alle Teil des globalen Strömungssystems, das aus großen Hauptströmungen und vielen Nebenströmungen bestand.

Seine treibende Kraft hatte darin bestanden, dass ein Teil dieses Systems, der sogenannte Golfstrom, weit im Nordatlantik als sogenannter Nordatlantikstrom von der Meeresoberfläche in die Tiefe sank und auf die Wassermassen hinter sich einen gewaltigen Sog ausübte, der sich weltweit auf alle Meere auswirkte.

Die Ursache für das Absinken bestand aus mehreren Faktoren. Erstens war das Wasser des Golfstroms anfangs sehr warm, denn es wurde im Golf von Mexiko stark aufgeheizt. Dadurch verdunstete es besonders leicht, was dazu führte, dass es immer salziger und damit schwerer wurde.

Zweitens kühlte es sich auf seinem Weg in Richtung Norden bis in die Polarregion immer mehr ab, was sein Gewicht weiter erhöhte, sodass es schließlich zwischen Grönland und Island schnell in die Tiefe sank.

Am Meeresboden angekommen kam ein dritter Faktor hinzu, denn dort war der Meeresboden wie ein überdimensionales Flussbett geformt. Es war so riesig, dass selbst der Amazonas in Südamerika, der größte Fluß der Erde, im Vergleich wie ein Rinnsal erschienen wäre.

So kanalisiert und weiter durch Gefälle beschleunigt, stürzte das schwere Wasser anschließend noch über eine Felsstufe weitere dreitausend Meter in die Tiefe. Dort strömte es am Ende weiter nach Süden, was den Sog auf den Golfstrom an der Meeresoberfläche und alle Wassermassen dahinter stabilisiert hatte.

Doch dieser Antriebsmechanismus existierte nicht mehr.

Er war durch den zunehmenden Treibhauseffekt aufgrund der Nutzung von Erdöl, Kohle und Erdgas zerstört worden. Das dabei freigesetzte Kohlendioxid hatte zu einer Erwärmung der Erde in einem Maße geführt, dass immer größere Mengen an Schmelzwasser aus dem abtauenden Eisschild Grönlands und den Permafrostböden der Arktis ins Nordpolarmeer flossen. Der Salzgehalt des Golfstroms war dadurch immer mehr verdünnt worden, wodurch sein Wasser immer leichter wurde. Es sank daher über die Jahre immer langsamer in die Tiefe, wodurch wiederum sein Sog auf die nachströmenden Wassermassen nachließ. Im Jahr 2039 brach die Strömung dann vollkommen zusammen, was weltweit verheerendste Folgen hatte. Insbesondere, dass das sehr warme Wasser des Agulhasstroms aus dem Indischen Ozean an der Südspitze Afrikas nicht mehr in den Atlantik abgelenkt wurde, sondern stattdessen einfach geradeaus auf die Antarktis zuströmte, was deren Eismassen in unvorstellbarem Tempo abschmelzen ließ, war die allergrößte Katastrophe.

Dieses schlimmstmögliche Szenario war unverständlicherweise nie simuliert worden, obwohl es eine direkte Folge des schwächer werdenden Antriebs des weltumspannenden Strömungsbandes war.

In Julie stieg Wut auf, auch wenn sie gerade dabei war einzuschlafen.

Wie hatte man das alles nur übersehen oder einfach so

hinnehmen können? Alle wussten doch, dass der Antrieb

nachließ.

…..

Die Welt geht unter!

Wieso es der Menschheit in ihrer Gesamtheit nicht gelungen war, diese Entwicklung zu verhindern, hatte sie nie verstanden. Schließlich waren die kritischen Kipppunkte und Strömungsgeschwindigkeiten von Wissenschaftlern erforscht und immer wieder öffentlich dargelegt worden.

Erste Traumbilder entstanden vor ihrem Auge, begleitet vom Tosen und Donnern des Sturms und der Böen.

Sie schwebte in der Tiefe des Ozeans, umgeben von dessen schwarzblauer Dunkelheit. Unter ihr stürzte ein gigantischer Wasserfall glasklaren Wassers auf der Breite von hunderten Niagarafällen über eine senkrechte Felskante in die unendliche Tiefe. Der Sog des Wassers ergriff sie und obwohl sie mit all ihrer Kraft versuchte, zur Oberfläche aufzutauchen, wurde sie immer schneller auf den Abgrund zugetrieben. In freiem Fall verschwand sie in der Finsternis.

Völlig durchnässt vom Angstschweiß riss sie die Augen auf. In der sie umgebenden Dunkelheit dauerte es einen Moment, bis sie sich über die Situation klar wurde. Der Orkan tobte immer noch und gab ihr Klarheit darüber, dass sie nur einen schlimmen Traum gehabt hatte.

Einmal wachgeworden, fand Julie jetzt keinen Schlaf mehr. Obwohl ihr wieder Bilder des riesigen Wasserfalls erschienen, musste sie gleichzeitig an die aktuellen Bilder denken, die sie erst vor wenigen Tagen von der Antarktis gesehen hatte. Forschungsteams waren vor Ort gewesen und hatten die unvorstellbaren Ereignisse dokumentiert.

Eisberge von hunderten Metern Höhe brachen im Sekundentakt von den Rändern kilometertiefer Eiscanyons ab und stürzten in die riesigen, weiß schäumenden Schmelzwasserströme, die unten zu den Küsten hin donnerten.

Im Meer angekommen ließen sie den Meeresspiegel inzwischen weltweit durchschnittlich einen Meter pro Jahr ansteigen.

Julies Gedanken kreisten weiter diffus um die eigene Zukunft. Die Ereignisse in London heute würden sie zwingen, ihr Leben vollkommen neu auszurichten. Die Küstenregionen weltweit würden in den nächsten Jahren auch im Meer versinken und waren nicht mehr zu retten.

Wie die Folgen unter den dann herrschenden chaotischen Zuständen für hunderte Millionen Menschen zu bewältigen sein sollten, konnte sie sich nicht vorstellen. Schon in den vergangenen Jahren waren die wirtschaftlichen Verhältnisse für immer mehr Menschen existenzbedrohend geworden und es war klar, dass ab nun alles noch viel schlimmer werden würde.

Julie wünschte sich fast, morgen gar nicht mehr aufzuwachen. Auf das Äußerste erschöpft sank sie doch noch in den Schlaf.

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