Читать книгу Beautiful Lights - Rüdiger Marmulla - Страница 23
Traum in der Nacht
ОглавлениеEin Blick auf die Uhr. Ich sehe, es ist halb vier morgens. Ich habe so seltsam geträumt. Und alles wirkte so seltsam real.
Ich träumte vom Sternenhimmel. Die vielen Lichter am Firmament sahen wunderschön aus. Doch dann verblasste ein Stern nach dem anderen – bis auf einen Stern, der immer heller und schöner schien. Dieser Stern hüllte mich in ein helles Licht. Und dann sah ich auf einmal einen Mann, der starb und ein kleines Baby, das geboren wurde.
In diesem Traum fühlte ich, dass alles, was ich sah, etwas mit mir zu tun hat. Diese Erkenntnis erschütterte mich so sehr, dass ich davon wach wurde. Halb vier morgens. So etwas habe ich noch nie erlebt. Ich liege wach. Nochmal schaue ich auf die Uhr.
Lisa wird wach. „Was ist? Warum bist du so unruhig, Lars?“
„Ich habe so seltsam geträumt.“
„Dreh‘ dich um und schlafe einfach weiter.“
„Es geht nicht. Ich bin blitzwach.“ Ich liege weiter wach. Ich glaube, Lisa ist wieder eingeschlafen.
Eine halbe Stunde später ruft Heidi an. „Lars, dein Papa reagiert nicht. Er ist ganz unruhig. Und wenn ich ihn anspreche, dann reagiert er nicht. Kannst du vorbeikommen?“
Lisa ist vom Call auch wach geworden. „Dein Papa reagiert nicht? Kann ich mal seinen Avatar sehen?“
Ich gebe die Bitte weiter. „Heidi? Kannst du mal Papas Avatar zeigen?“
Heidi greift nach seinem Handgelenk und sendet sein Signal.
„Schau mal, Lars. Stephans linker Arm und sein linkes Bein sind gebeugt. Das ist ein Schlaganfall. Jetzt müssen wir schnell handeln.“
„Sollen wir deinen Vater rufen? Er ist am schnellsten bei Papa.“
„Nein. Die müssen eine Lyse des Blutgerinnsels machen. Da braucht man Medikamente, die mein Vater nicht zuhause hat. Warte. Ich rufe den Notarzt und sage, dass ein akuter Apoplex vorliegt.“ Lisa setzt den Notruf ab.
„Ich rufe uns ein Taxi, das uns zu Papa ans Deutschherrnufer fährt.“ Ich ziehe mich rasch an.
„Nein. Warte, Lars. Ich sehe gerade ein Signal reinkommen. Hier. Sie fahren deinen Papa in die Schifferstraße. Sie fahren ihn ins Diakonissenkrankenhaus. Wir nehmen ein Taxi gleich dorthin.“
„Und Francis? Den können wir nicht allein hierlassen.“
„Du hast Recht, Lars. Ich bleibe erstmal hier. Du fährst alleine vor. Dein Papa ist im Diakonissenkrankenhaus in den besten Händen. Ich rufe meinen Vater dazu. Und dann schaue ich, dass Francis zu meiner Mutter geht. Und ich komme dann nach.“
Mein Taxi trifft bei uns am Sonnenring ein. Ich ziehe schnell eine Hose und ein Shirt an, Strümpfe, Schuhe, Jacke. Schnell. Schnell. Ich renne auf die Straße. Mein Taxi wartet mit eingeschaltetem Scheinwerferlicht. „Zum Diakonissenkrankenhaus bitte“, sage ich dem Bordcomputer hastig. Der Wagen setzt sich in Bewegung. Am Haupteingang in der Schifferstraße steige ich aus.
Lisas Vater trifft mit dem Fahrrad ein. Nicht ordnungsgemäß stellt er das Fahrrad direkt vor dem Haupteingang des Diakonissenkrankenhauses ab. Dem Pförtner vom Krankenhaus ruft er nur kurz zu: „Können sie sich bitte um mein Fahrrad kümmern? Ich muss gleich zur Notaufnahme.“
„Ja, Herr Dr. Wunderlich. Ich kümmere mich“, ruft der Mann von der Pforte zurück.
„Komm, Lars. Ab in die Notaufnahme.“ Bastian zieht mich am linken Arm. Wir laufen schnell. Mein Papa ist bereits im Schockraum. Er reagiert nicht auf uns. Schläft er?
„Hartmut! Gut, dass sie heute Nacht Dienst haben. Geben sie mir bitte eine Spritze Lysinol X. Ich spritze peripher gleich einen Bolus.“ Unterdessen desinfiziert Bastian seine Hände und zieht einen sterilen Kittel über.
Ich bleibe am Rand des Schockraums stehen. Hier ist so viel Bewegung im Raum. Ich will niemandem im Weg stehen.
Der Pfleger zieht eine Ampulle auf und gibt sie Bastian. Im Krankenwagen war Papa bereits ein Zugang in eine Armvene gelegt worden. Bastian spritzt das Mittel. „Und nun hängen wir noch eine Infusion mit Lysinol X an. Und wir machen gleich ein Magnetresonanztomogramm.“
Ein flaches Schild kommt von der Decke des Schockraums herab. Es surrt. Nur wenige Sekunden. Dann erscheint ein Hologramm über Papa. Es zeigt Papas Hirn. „Gefäßstatus“ befiehlt Bastian dem Computer. Das Hologramm schaltet auf Papas Hirngefäße um. „Basilaristhrombose“ stellt Bastian fest. „EKG-Status“ fordert Lisas Vater vom Computer. „Vorhofflimmern“ murmelt er und wendet sich dann dem Pfleger wieder zu: „Eine Ampulle Rhythmostatin. Und danach bitte einen Mikrokatheter.“
„Für die Basilaris?“ Hartmut gibt Bastian schon einmal das Rhythmostatin.
Lisas Vater verabreicht die Spritze mit dem Mittel gegen das Vorhofflimmern. „Ja. Ich sondiere über die rechte Arteria vertebralis.“
„Gut. Ich lagere den Patienten für eine Sondierung der Vertebralis um.“ Hartmut handelt sicher und schnell.
Bastian wendet sich an eine Schwester: „Renate. Bitte holen sie mir die Sonde für die Glasfasernavigation. Ich werde die Sonde tracken und im Hologramm visualisieren, um die Vertebralis sicher zu treffen.“
Die Schwester gibt Lisas Vater eine steril verpackte Spritze. Renate verbindet das Glasfaserkabel der Sonde mit dem Tomographen.
„Tomograph: Online-Visualisierung“ befiehlt Bastian dem Computer. Gleichzeitig desinfiziert er rasch den Hals meines Papas, um danach mit der Spritze zu sondieren. Im Hologramm, das sich über Papa zeigt, sehe ich die Sonde. Und ein hell erleuchtetes Gefäß, das Bastian mit der Sonde sofort trifft. Zusammen mit einem identischen Gefäß von der anderen Seite vereinigen sich die beiden Arterien zu einem gemeinsamen Strang. „Das ist die Basilaris. Und schau, Lars. Hier ist der Thrombus.“
Ich sehe, dass da eine Blockade ist und hinter der Blockade kein Blut fließt.
„Mikrokatheter!“ ruft Bastian. Er schiebt den Katheter über die Sonde bis zur Blockade vor. „Und jetzt noch einen Bolus Lysinol X!“
Bastian spritzt das Medikament. Man sieht, dass sich die Blockade von unten her zunehmend auflöst. Dann fließt wieder Blut. Lisas Vater nickt. Er schaut nach dem Herzschlag. „Der Vorhof arbeitet wieder rein und regelmäßig. Der Thrombus muss aus dem Vorhof gekommen sein, Lars. Jetzt gibt es für uns nur noch eins zu tun…“
„Ja?“
„Wir beten für deinen Papa.“
„Soll Herr Krönlein auf Intensiv?“, fragt Hartmut.
„Ja. Auf. Intensiv. Danke, Hartmut. Danke, Renate. Ihr seid ein Spitzenteam.“
Mein Papa reagiert immer noch nicht. Er liegt ganz still. Sein linker Arm und sein linkes Bein sind immer noch gebeugt. Ob das etwas zu bedeuten hat?