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Trauergottesdienst
ОглавлениеPapas letztem Willen entsprechend hält nicht Pastor Hans den Trauergottesdienst. Diese Aufgabe übernimmt unser Pastor Albert. Es war Heidis und mein Wunsch, dass Hannah einen Text liest, den sie für diesen Tag passend findet.
Es ist ein Tag nach meinem neunzehnten Geburtstag. Es ist ein trüber Donnerstagnachmittag auf dem Frankfurter Südfriedhof. Heute Vormittag hat es noch geregnet. Im Moment hält sich das Wetter gerade so. Wir sind drinnen in der Trauerhalle.
So viele Kinder sind da. Sie alle haben Bilder gemalt mit vielen Herzen. Für Papa. Es sind die Kinder aus dem Nachhilfekurs in der Alten Nikolaikirche. Die Nachhilfe hat Papa seit Mamas Tod gegeben. Das sind jetzt etwa sieben Jahre. Als ich die vielen Kinder in der Trauerhalle sehe, die von Papa Abschied nehmen, fange ich an zu weinen. Jetzt ist Papa den Weg gegangen, den schon Mama nahm.
Pastor Albert begrüßt die Trauergemeinde. „Liebe Heidi, lieber Lars, Lisa und Francis, liebe Verwandte und Freunde. Heute nehmen wir Abschied von unserem Bruder und Freund, Stephan Krönlein. Stephan wurde am 2. Dezember 1968 in Landau in der Pfalz geboren. Er ging von uns am vergangenen Sonntag, den 2. Juni 2041…“
Ich kann mich auf die Trauerpredigt nicht konzentrieren. Sie rauscht förmlich an mir vorbei. Ich denke an die vielen Kindergeburtstage, die wir damals noch mit ihm und Mama gefeiert haben. Ich denke daran, dass Papa niemanden hatte, bis er Mama kennenlernte. Und dass mit Mama sein Leben neu begann. Und mit einem Mal denke ich an unser erstes Weihnachten ohne Mama. Wie wir zwei im frischen Schnee über den Eisernen Steg zur Christvesper in der Alten Nikolaikirche gelaufen sind. Und wie Papa bis heute von dem prachtvollen Weihnachtsbaum vor dem Römer geschwärmt hat. Ich sehe Papa vor mir. Und ich erinnere mich an den erwartungsvollen Blick in seinen Augen, als er letzten Sonntag heimging.
Da bemerke ich, dass Hannah nach vorn geht. Sie liest.
Psalm 139 Ein Psalm Davids, vorzusingen.
Herr, du erforschest mich
und kennest mich.
Ich sitze oder stehe auf, so weißt du es;
du verstehst meine Gedanken von ferne.
Ich gehe oder liege, so bist du um mich
und siehst alle meine Wege.
Denn siehe, es ist kein Wort auf meiner Zunge,
das du, Herr, nicht alles wüsstest.
Von allen Seiten umgibst du mich
und hältst deine Hand über mir.
Diese Erkenntnis ist mir zu wunderbar und zu hoch,
ich kann sie nicht begreifen.
Wohin soll ich gehen vor deinem Geist,
und wohin soll ich fliehen vor deinem Angesicht?
Führe ich gen Himmel, so bist du da;
bettete ich mich bei den Toten, siehe, so bist du auch da.
Nähme ich Flügel der Morgenröte und
bliebe am äußersten Meer,
so würde auch dort deine Hand mich führen
und deine Rechte mich halten.
Spräche ich: Finsternis möge mich decken
und Nacht statt Licht um mich sein –,
so wäre auch Finsternis nicht finster bei dir,
und die Nacht leuchtete wie der Tag. Finsternis ist wie das Licht.
Ich sehe, dass auch Hannah jetzt eine Träne im Auge hat. Aber sie lächelt mich, Lisa, Francis und auch Heidi tapfer an.
Pastor Albert spricht noch. Und dann kommen auch schon die Männer vom Friedhof und nehmen Papas Urne. Jetzt geht alles ganz schnell. Wir gehen hinaus zu Mamas Grab. Dort ist bereits Erde für Papas Urne ausgehoben worden. Ich stehe neben mir. Ich bekomme alles mit – wie in einem Traum. Lisa zeigt mir, dass wir jetzt zu dritt an das Grab herantreten. Ich werfe Erde und Blumen in das Grab hinab. Lisa und Francis werfen nur Blüten aus der Schale neben dem Grab. Ich bleibe noch lange stehen. Dann stellen wir uns neben Heidi, die schon am Grab war.
Alle kommen und reichen mir die Hand. Auch die vielen Kinder, über die ich mich besonders freue.
Und dann will ich mit Lisa und Francis nachhause. Ich will mit den beiden jetzt allein sein.
„Lisa?“
„Ja, Lars?“
„Was sind das eigentlich für Flügel der Morgenröte, von denen Psalm 139 spricht?“
„Ich verstehe das so, dass David mit diesen Flügeln fliegen konnte. Weit weg. Fort aus seinem bisherigen Leben. Hinein in einen neuen Tag, hinein in ein neues Abenteuer.“