Читать книгу Hamudi - Rebekka Meier - Страница 4
September 2015
ОглавлениеRebekka - engagiert
Es war anders gekommen, als der Wunsch, den Rebekka ausgesprochen hatte. Oder auch wieder nicht. Georg fand, dass die Affäre so gut lief, dass er auszog. Er schnappte nur seine Matratze aus dem Ehebett und ging. Dann wollte er das Haus verkaufen, er sah keinen Sinn mehr in dem Kauf, für ihn waren die Alm und Schlafmöglichkeit bei Traudel ausreichend. Rebekka entschied sich dagegen, sie wollte die Kinder nicht aus dem Umfeld reißen. Sie alle liebten das Haus und hatten es ja gerade erst gekauft. Obwohl sie sich große Sorgen darüber machte, wie sie das alles allein finanzieren sollte, wagte sie diesen Schritt. Den Kindern zuliebe. Sie selbst wollte am Liebsten weg. Weit weg und ohne alte, verzerrte, unwahre Geschichten leben. Das Schicksal wollte es anders und so ging sie weiter ihrem neuen Job nach. Sie war gerne mit den arabischen Jungs zusammen. Das Leben, die Sorgen und Ängste dieser jungen Menschen, lenkten sie von ihren eigenen Sorgen ab. Da sie von Anfang an offen und ehrlich gegenüber ihnen war, waren sie sich nach Monaten des Miteinanders schon vertraut und die Burschen wussten, dass sie sich auf Rebekka verlassen konnten. Zu Beginn kam es des Öfteren vor, dass sie ihnen die Unterschiede in der Kultur vermitteln musste – und es gab Einiges zu diskutieren.Rebekka konnte sich noch gut an eine Vorstellungsübung erinnern, die sie mit ihnen machte. Die Aufgabenstellung in der Stunde war, sich mit ein paar einfachen Sätzen vorzustellen, die Hobbys zu nennen und auf einfache Fragen zu antworten. Unter anderem wollte Rebekka, dass sie ihr zur Begrüßung die Hand gaben. Die meisten Händedrücke waren so schwach, dass sie nach dem Hintergrund dieses Verhaltens fragte. „In Syrien gibt man einer Frau keine Hand, sagten sie und wenn, dann nur ganz leicht, damit man sie nicht verletzt und danach wäscht man sich die Hände.“ Ein paar betonten, dass das nicht überall so sei.
Rebekka amüsierte sich über die offene Diskussion und betonte, dass sie jetzt in Österreich waren und dass es für Selbstbewusstsein zeigt, wenn man die Hand etwas kräftiger drückt. Ab diesem Zeitpunkt wurde sie mit einem kräftigen Händedruck begrüßt. Die Jugend war bereit zu lernen und das freute Rebekka außerordentlich und bestätigte ihre Meinung über die Notwendigkeit, die Menschen, die nach Österreich kamen, in die Kultur einzuweisen. Allerdings wurde ihr durch die vielen Gespräche auch bewusst, wie schwer es manche hatten. Viele litten unter Heimweh und unter Schwermut. Sie vermissten ihre Familien, ihre Geschwister und erzählten die blutrünstigsten Geschichten über den Krieg. Sie waren auch hier noch dauernd mit dem Tod konfrontiert. So kam es mehrmals vor, dass sie die Nachricht bekamen, ein Onkel oder eine Tante sei ertrunken oder ein Freund hätte sich bei einem Kampf verletzt. Familienmitglieder wurden auf der Reise krank und landeten in irgendeinem Land weit von ihnen entfernt. Am meisten machte sich Rebekka um die Sorgen, die nicht zum Unterricht erschienen.Ihr war aufgefallen, dass Zen nie kam. Er war ein intelligenter, schlauer Bursche. Allerdings hatte sie ihn schon lange nicht mehr gesehen. Sie wusste, dass er weiter wollte, weiter nach Deutschland zu seinen Freunden. Zen wollte auch weg von den Bergen. Er war es von Syrien gewohnt, am Meer zu sein. Die Berge bedrückten ihn. Zen wirkte auf Rebekka krank. Er war sehr dünn und nahm von Woche zu Woche mehr ab. Sie nahm sich vor, mit ihm zu reden, wenn sie ihn das nächste Mal traf. Auch Meris schien schlecht zu schlafen. Er kam immer sehr knapp, meist zu spät zum Unterricht. Er versuchte immer fröhlich zu wirken, obwohl sie ihm ansah, dass es in seinem Inneren ganz anders aussah. Meris hatte keine Verwandten oder Freunde in Europa. Seine gesamte Familie war in Syrien. Das zermürbte ihn sichtlich. Jedes Mal, wenn Rebekka nach dem Unterricht nach Hause kam, sah sie ihre beiden Kinder an und bedankte sich dafür, dass sie gesund und wohlbehalten waren. Auch wenn es die Spatzen vom Dach pfiffen, dass Georg seine Frauen wie seine Unterhosen wechselte, alle drei Monate eine frische, Rebekka war es egal. Für sie gab es Wichtigeres zu tun, als sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Die Diskussionen über Kleinigkeiten erübrigten sich im Hause Meier. Die Stimmung änderte sich auch in ihrem Freundeskreis. Egal wohin man kam und zu welchem Anlass. Es gab nur ein Thema. Das Flüchtlingsthema.
Rebekka - mitfühlend
Rebekka fühlte sich von Tag zu Tag schlechter. Die anfängliche Energie verschwand immer mehr und sie hatte das Gefühl, als drücke ein Stein auf ihr Herz. Die letzten Jahre hatten viele neue Situationen hervorgebracht und sie ständig dazu aufgefordert, ihr Leben umzukrempeln. Rebekka konnte viele der jungen Burschen im Flüchtlingsheim verstehen. Sie fühlte ähnlich. Auch sie vermisste das Meer und die Menschenvielfalt. Sie bedauerte, dass sie viel zu lange, mit einem Menschen zusammen war, der sie bis heute nicht wertschätzte. Manchmal, wenn Georg den Kindern absagte, oder sie wieder auf eine neue Affäre ihres Ex angesprochen wurde, wollte sie am Liebsten auf der Stelle abhauen. Sie konnte nicht verstehen, dass man seine Kinder einfach sitzen ließ. Wie konnte es sein, dass Menschen so einfach ihre Familie im Stich lassen und von einem Partner zum Nächsten sprangen? Ihr taten die Kinder leid. Die Kinder, die von einem Tag auf den anderen einen Elternteil verloren. Aber auch die Kinder, denen von einem Tag auf den anderen ein neuer Papa vorgestellt wurde. Wie konnte man so herzlos sein? Sex und ein One-Night-Stand ist eine Sache, aber dadurch gleich die gesamte Familie verlassen, eine andere. In all den schlechten Jahren mit Georg, hatte sie immer versucht, ihre Kinder zu schützen. Eigentlich fühlt sie für alle Kinder. Nicht nur ihre eigenen. Ich fiel ein Spruch ein, den sie einmal gelesen hatte: „Alle Kinder dieser Welt, sind auch meine Kinder!“ Sie selbst war ein Scheidungskind und wusste, wie schwer es war, seinen Vater mit anderen Kindern und Frauen zu teilen. Die Geschichte schien sich zu wiederholen und die gesamten Emotionen, die sie als Kind erlebte, holten sie ein. Wobei sie dabei eines für sich herausfand. Ihr Vater hatte im Gegenteil zu Georg, nie gelogen. Zumindest hatte sie nie das Gefühl gehabt. Sie schätzte bis heute den offenen Dialog mit ihm. Wie musste sich ein Kind fühlen, dass die Offensichtlichkeit von Lügen des Vaters mitbekam? Auch ihre Mama versuchte immer, offen mit Rebekka zu reden. Das wollte Rebekka auch für ihre Kinder. Sie hatte viel über den Selbstwert des Menschen gelesen und ihren eigenen geprüft. Mit dem Ergebnis, dass er besser sein könnte. Und jetzt sollte sie zusehen, wie ihr Ex den Selbstwert ihrer Kinder zerstörte? Georg verschob seine Wochenenden mit den Kindern immer öfter. Immer mit dem Vorwand zu arbeiten, was sich meist als Lüge herausstellte. Die Dorfbewohner pfiffen wieder von den Dächern und verkündeten eine neue Affäre. Diesmal mit der Ex seines Chefs. Wenn ihm die Kinder nach seinen Freundinnen fragten, dann verneinte er das und erwiderte, er habe keine Freundin. Rebekka wunderte sich, warum er so ein Geheimnis aus seinen Affären machte. Vielleicht war es gerade diese Heimlichtuerei, die ihn reizte? Was es anrichten konnte, wenn man plötzlich aus seiner Familie gerissen wurde, sah sie auch bei ihren arabischen Freunden. Man konnte es im Deutschunterricht an den Gesichtern sehen, wenn es Geschehnisse, um die Familie gab. Viele erschienen dann tagelang nicht zum Unterricht. Sie vergruben sich in ihren Betten und waren schwer depressiv. Wenn sie Rebekka nach Tagen von den Vorfällen erzählten, wollte sie am Liebsten mit weinen, so fühlte sie mit. Was gab es Schlimmeres für einen Jugendlichen, als die Situation nirgends hinzugehören und sich von allen verlassen zu fühlen? Rebekka litt immer mehr mit. Sie versuchte, so gut es ging, zu helfen, wo sie konnte. In ihrer eigenen kleinen Familie, bei den Jungs im Deutschunterricht und in ihrem Freundeskreis. Aber sie vergaß eine wichtige Person in diesem Geschehen. Sich selbst. Durch die vielen Ereignisse in ihrem eigenen Leben und in dem der arabischen Jugend, verging kein Tag, an dem nicht alte, vergrabene Erinnerungen wach wurden, die sie an ihre eigene Jugend und an die Zeit vor Georg, erinnerten. In dieser Zeit beschloss sie für sich selbst, sich der Situation zu stellen, und sieht es als Heilungsprozess für sich selbst zu sehen, um ihre alten Muster und Werte neu zu überdenken. Dabei beschloss sie für sich eines. Sie wollte ein Umfeld für sich und ihre Kinder, in der man sich gegenseitig wertschätzte. Die Lügner sollen sich mit den anderen Lügnern zusammentun. Sie wollte ein Leben frei von verlogenen Menschen. Und sie wollte Kinderseelen schützen. Egal woher die Kinder kamen.