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Dezember 2015

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Meris – deprimiert


Meris saß traurig und einsam in seinem Bett und drehte sich eine Zigarette. Er war ein schmaler Bursche, die Körperhaltung ließ auf geringen Selbstwert und Aufgabe schließen. Man sah ihm seine Verzweiflung an, ohne sein Gesicht zu sehen. Bis jetzt hatte er die Hoffnung nie aufgegeben, versuchte immer das Beste aus jeder Situation zu machen. Umgeben von seinen Freunden war das alles einfacher. Doch die wurden immer weniger und er hatte Angst alleine übrig zu bleiben. Manche waren schon 18 und wollten sich eigenständig eine Wohnung suchen, die anderen wollten weg, in andere Städte, sie hofften auf mehr Möglichkeiten anderswo. Meris sehnte sich nach einer Beschäftigung. Er war es gewohnt zu arbeiten. Schon mit dem Alter von 14 arbeitete er jeden Tag von Montag bis Sonntag von 8 Uhr morgens bis 5 Uhr nachmittags. Außer Freitags. Am Freitag hatte er immer frei und traf sich mit seinen Freunden zum Radfahren. Er war Meister im Willi machen. Er konnte auch Moped fahren und liebte es Fußball zu spielen. Es war ihm zu wenig, zwei Stunden pro Tag den Deutschkurs zu besuchen und die restliche Zeit tot zu schlagen. Die Wartezeit betrug jetzt schon zehn Monate und es war noch immer kein Land in Sicht. Er war nicht der Einzige, der wartete. Kurzzeitig hoffte er darauf, in einem Fußballverein spielen zu können. Aber niemand wollte ihn. Viele in der Umgebung hatten Angst und wollten Abstand von dem Flüchtlingsgeschehen. Jetzt sah er auch diese Möglichkeit einer Beschäftigung gestorben. „Für was, all das?“, dachte er immer öfters. Dann kam ihm seine Familie in Damaskus in den Sinn und sein Glaube, der ihm verbot, aufzugeben. Meris raffte sich auf und zog sich an. Sein Äußeres war sehr gepflegt und er war ein Beispiel dafür, dass man auch mit wenig Geld und Kleidung, ordentlich aussehen konnte. Das Gelen der Haare war Standard für ihn, er legte, genauso, wie seine Freunde, viel Wert auf seine Erscheinung. Die Uhr zeigte 7:40. Er war immer sehr knapp. Er verstand selbst nicht, warum er hier immer so schwer aufstand. Anfangs schaffte er es selten in die Schule, die Depressionen hielten ihn in seinem Bett. Jetzt war es besser. Er war stolz darauf, nicht aufgegeben zu haben. Er wollte Rebekka nicht enttäuschen. Sie war immer freundlich und hilfsbereit zu ihm und er mochte die Deutschstunden mit ihr. Vielleicht wusste sie einen Rat. Er konnte sich nicht vorstellen, noch ein Jahr hier zu warten. Meris fand Rebekka von der ersten Sekunde an sympathisch. Er war erstaunt über die Kraft und Energie, die diese Frau ausstrahlte. Sie versuchte immer zu scherzen und Lösungen für Situationen der Jugendlichen zu finden. Für einige der Burschen war sie eine Art Tante. Sie konnten mit ihren Fragen und Problemen zu ihr kommen und Rebekka versuchte ohne Wertung, gemeinsam mit ihnen Wege zu finden. Meris konnte sich noch gut erinnern, wie sie ihnen die Kultur und die Werte von Österreich vermittelte. Sie hatten viel Spaß dabei und es war interessant sich auszutauschen und zu erfahren, was in diesem Land üblich war und was man besser sein ließ. Außerdem gestaltete sie ihren Unterricht abwechslungsreich. Rebekka war wirklich bemüht, dass die Jungs Deutsch lernten und betonten auch immer wieder, dass es absolut notwendig war, die Sprache zu beherrschen. Alles hing von der Sprache ab. Das Lernen fiel Meris schwer. Er arbeitete lieber und lernte Deutsch besser vom Hören, als vom Schreiben. Leider hatte er wenig Gelegenheit sich in Deutsch auszutauschen. Nach den 2 Stunden Deutsch am Tag kam er nicht mehr in den Genuss mit Einheimischen zu reden. Im Heim wurden viele Sprachen gesprochen, aber wenig Deutsch. Mit Österreichern hatten sie wenig Kontakt. „Bitte lass mich eine Arbeit finden!“, betete er, schnappte sich seinen Schulrucksack und machte sich auf zu Rebekka, mit dem Gedanken, ihr von seinen Plänen zu berichten.

Zen - wohlgemut


Als Zen an diesem Tag aufwacht, ist es anders, als an den anderen Tagen. Es ist selten, dass er die Augen aufschlägt und mit Motivation aufsteht, da es hier nichts gibt, was in motiviert. Heute jedoch, ist ein besonderer Tag. Sein Freund Denga kommt auf Besuch. Alle reden schon davon. Der Bodyguard kommt, sein Freund und Helfer in der Not. Durch seine Größe und seine grünen durchdringenden Augen ist es selten, dass sie auf der Straße in Schwierigkeiten kommen. Mit Denga wird man in Ruhe gelassen und wenn nicht, dann ist derjenige, der „stenkert“ selber schuld. Denga war in der Armee. Er hat war oft genug nur Sekunden von seinem Tod entfernt. Er hat keine Angst, jedenfalls nicht vor Schlägereien. Wer dem Tod begegnet ist, weiß das Leben zu nehmen, wie es ist. Zen schafft es sich aufzuraffen. Er hat vor sein Zimmer aufzuräumen. Wenn sein Freund kommt, soll es gemütlich sein und sauber. Er staubt überall ab, kehrt und wischt den Boden, überzieht sein Bett neu, ordnet seine Kleidung und treibt seine Zimmerkollegen an, das selbe zu tun. Seine Gefährten verstehen seine Aufruhr und bemühen sich, es ihm recht zu machen. Wenn Zen sich etwas in den Kopf gesetzt hat, ist es schwer, in davon abzubringen. Es ist besser man gibt nach. Wie in einem Haufen voller Ameisen tummelt es sich in dem Zimmer. Die Burschen legen ihr Geld zusammen, um Tabak für den feierlichen Tag zu haben. Und Tee. Kein Bier. Es ist besser, weniger zu trinken. Es gab immer Schwierigkeiten, wenn sie betrunken waren. Zen hat wieder aufgehört zu trinken, bevor er richtig begonnen hat. Zen hat um eine Ausnahmeregelung angesucht. Es ist unüblich, dass Besuch kommen darf. Da Denga hier lange gewohnt hat, lange für einen Flüchtling, darf er ein Wochenende hier bei seinen Freunden verbringen. Das freut Zen so sehr, dass er heute außergewöhnlich schnell ist und vor allem gut gelaunt. Er macht Scherze und kann es kaum erwarten, bis es 17 Uhr ist. Denga braucht fast 5 Stunden mit dem Zug und dem Bus, für eine Wegstrecke von 120 km. Die Hin- und Rückfahrt kostet um die 70,-. Das ist die Hälfte seiner monatlichen Unterstützung, die er von Österreich erhält. Ein monatlicher Besuch wäre finanziell undenkbar für ihn. Zen weiß zu schätzen, dass Denga trotzdem kommt. Um 17 Uhr stehen alle Freunde an der Bushaltestelle. Der Bus hält und Denga wird umjubelt und umschwärmt. Die Stimmung ist heiter, es wird gescherzt und gelacht und die Freude über das Wiedersehen ist groß. Die Jungs haben vier Monate im selben Flüchtlingsheim verbracht, sie kennen sich schon sehr gut. In Ausnahmesituationen lernen sich Menschen besser kennen und verbünden sich schneller. Anders wäre ein Überleben meist nicht möglich. Das ganze Wochenende verbringen die Jungs gemeinsam. Sie reden, rauchen, trinken Tee, spielen Karten, schneiden sich gegenseitig die Haare, spielen Fußball oder gehen spazieren. Dengas Leben hat sich auch nicht viel verändert. Es ist nur an einem anderen Ort, weg von den Freunden, aber immer noch wartend, diesmal allerdings allein. Zen will an all das heute nicht denken. Er genießt die Stunden und verdrängt die Gedanken, was nach diesem Wochenende ist. Er will jede Sekunde auskosten und aufnehmen, Spaß haben und einmal unbeschwert sein. Wer weiß, ob er seinen Freund jemals wiedersieht.

Nuri – epileptisch


Nuri war äußerst zerknirscht. Er war es gewohnt, viele Menschen um sich zu haben vor allem seine Freunde. Sie verbrachten die meiste Zeit zusammen und hatten Spaß und machten Blödsinn. So wie die meisten Jugendliche in dem Alter. Waren wir anders? In die Schule gegangen ist Prinz in Syrien nicht oft. Er ist mit Leib und Seele Nomade. Ein Sohn der Wüste. Am liebsten liegt er auf der Matratze am Boden, raucht Shisha, trinkt Tee und auch Alkohol und scherzt in die Runde. Er ist mit wenig zufrieden und liebt die Frauen. Alle Frauen. Er schätzt sie und riecht sie gerne. Sein Vater hat 27 Kinder, mit 4 verschiedenen Frauen. Ein Mann muss schon etwas besitzen, um sich einen solchen Harem leisten zu können. Sie gehören alle gleich behandelt und müssen versorgt werden. Die Kinder, sowie die Mütter der Kinder werden vom Mann bis ans Lebensende versorgt. Ihre Aufgabe ist es die Kinder groß zu ziehen und das Haus sauber zu halten. Die Frauen des Vaters leben nicht alle unter einem Dach. Sie wohnen in verschiedenen Häusern. Prinz mag seinen Vater nicht besonders, aber seine Mutter liebt er. Alle arabischen Söhne schätzen ihre Mutter. Sie wird auf Händen getragen und bis zum Sterben umsorgt. Wenn die Eltern alt sind, helfen die Söhne. Der Mann ist verantwortlich für das finanzielle Wohlergehen seiner Familie und auch für seine geschiedenen Frauen und den Kindern. Prinz schläft am Liebsten wie ein Kameltreiber unter freien Himmel, um die Sterne zu sehen. Er liebt die Weite und die Hitze. Hier in Österreich ist es im zu kalt. Dieser Ort zu eng. Ein oder zweimal versuchte er mit einem anderen Mutigen, die Lokale in dem Dorf aufzusuchen. Es gab jedes Mal Ärger. Entweder verließen die Einheimischen unter lautem Schimpfen die Bar, oder sie spuckten, zeigten den Mittelfinger oder sie wurden aus dem Lokal verwiesen. Nuri hatte aufgegeben. Er wollte keinen Ärger, er wollte nur seinen Frust hinunter schwemmen. Das System zermürbte ihn. Er war es nicht gewohnt, jeden Tag das Gleiche zu tun. Er wollte auch nicht in die Schule. Was sollte er dort. Er war nicht einmal in seinem Land in die Schule gegangen. Das was er zum Überleben brauchte, lernte ihm das Leben.

Außerdem hasste er die Enge. Er konnte hier nicht frei atmen. Die Berge, die sich groß und mächtig vor seinem Horizont aufbauten und der kalte Winter nahmen ihm jegliche Energie und er wurde von Tag zu Tag trauriger. Was hatte er da gemacht? Warum war er eigentlich hier? Europa war nichts für ihn. Er verstand auch die Mädchen nicht. Einerseits spielten sie mit ihren Reizen, andererseits wollten sie nichts von ihm und fürchteten ihn auch ein bisschen. Er verstand nicht warum, war er doch ein Frauenfreund und allen wohl gesonnen. Er hielt wenig von Religionen und wollte sich sein Mädchen selbst aussuchen. Sie musste nicht, so wie es seine Freunde wollten, Jungfrau und Muslimin sein. Ihm war es egal, welche Nationalität sie besaß, er war ein Kuschelbär und wollte ein Mädchen fürs Herz. Aber diese Mädchen hier, sagte er, spielten nur. Sie nahmen die Liebe nicht ernst. Er nahm sie sehr ernst. Als er an diesem Abend aus dem Fenster in die kalte Bergwelt sah, überkam ihm eine so derartige Sehnsucht nach seinem Land, dass er keine Luft mehr bekam. Es kam nicht oft vor, aber manchmal, wenn er unter schweren Stress stand, geriet sein Körper außer Kontrolle und ein Schütteln und Beben nahm ihn ein, dass er auch mit der größten Anstrengung nicht unter Kontrolle bekam. Sein Freund neben ihn, erschrak, als er, am Boden liegend, seinem epileptischen Anfall erlag. Er versuchte ihn zu beruhigen und stellte sicher, dass er nicht an sich selbst erstickte. Der Anfall dauerte nur ein paar Minuten und Prinz konnte sich schnell wieder sammeln. Als der Krampf seinem Körper entwich, und Prinz wieder aufstehen und sich auf einen Stuhl setzen konnte, ließen seine Nerven aus und er begann bitterlich zu weinen. Er wollte raus hier, raus aus diesem Tal, raus aus dieser Feindseligkeit, raus aus diesem systematischen Leben. Er wollte einfach nur frei und in Frieden unter netten Menschen sein, die ihn liebten so liebenswert wie er war und so einfach, wie er das Leben gewohnt war. Mit seinen Kamelen unter den Sternen auf einer Matratze schlafend. Mit diesem Bild, umgeben von seinen Hunden und seinen Kamelen, schlief er ein. Er träumte von lachenden Menschen, der warmen Sonne, der Freiheit des Windes, dem Geheimnis der Sterne und der Kraft des Mondes. Neben seinem Kamel sitzend und auf die Weite des Landes blickend, öffnete sich seine Seele wieder und erstarrte erst wieder, als er nach Stunden aufwachte.

Hamudi

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