Читать книгу Hamudi - Rebekka Meier - Страница 6
November 2015
ОглавлениеMaria - verliebt
Der Himmel war bedeckt, die Sonne hinter den Wolken verschwunden, aber im Herzen von Maria begann sie zu scheinen. Sie hatte sich schon lange nicht mehr so gut gefühlt. Der Respekt und die Anerkennung, die ihr entgegengebracht wurden, verliehen ihr ein Hochgefühl, dass sie mit jeder Faser ihres Körpers auskostete. Sie versuchte sich jede, noch so kleine Einzelheit in Erinnerung zu rufen, um sich dann in diesem Gefühl, zu baden. Es fühlte sich gut an, wenn man in Augen blickte, die zurückstrahlten, wenn jemand für einen Partei ergriff, sich für einen einsetzte. Wie lange ist es schon her, dass jemand Interesse an ihr gezeigt hatte? Egal. Jetzt war es endlich soweit. Der Zeitpunkt kam bei jedem einmal. Man rechnete nicht damit und schon war es passiert. Warum, konnte sie nicht erklären. Ein Augenblick entschied. Eine Geste, eine Aussage, ein Blick. Die Sekunden, in denen sich 2 Blicke trafen, entschieden alles. „Safi“, flüsterte Maria leise, „Safi“. Maria hatte ihn heute in der Schule kennen gelernt. Schon am ersten Tag war er ihr aufgefallen. Er war nur dagesessen und hatte gegrinst. Sie konnte gar nicht anders. Sie musste einfach zurück grinsen. In ihrem Freundeskreis gab es nicht viele, die sich mit Flüchtlingen abgaben. Sie verstand das nicht. Sie sah die Nationalität gar nicht, sie sah nur den Menschen dahinter. Und der Mensch dahinter schien in Ordnung zu sein. Woher er wohl kam? Wie alt war er? Irgendwie wirkte er älter, als die anderen, reifer. Für Maria begann ein neuer Abschnitt in ihrem Leben. Sie konnte die Stunden, bis sie Safi sehen würde, nicht mehr erwarten. So gerne war sie schon lange nicht mehr in die Schule gegangen. Sehnsüchtig wartete sie in der großen Pause auf seine Blicke. Es war schwierig, den Kontakt anzubahnen, wie auch, die Jungs standen immer in Gruppen zusammen. Maria war viel zu schüchtern, um sich unter diese Meute, zu mischen. Maria hatte wenig Selbstbewusstsein. Sie fühlte sich fett und hässlich, nur ihr Gesicht mochte sie, am Schlimmsten fand sie ihre Füße. Aber das Strahlen in Safis Augen ließ sie all das vergessen. Wenn er sie ansah, glaubte sie, in ihnen zu versinken, so schwarz und geheimnisvoll glänzten sie. Der Mund war voll und seine Haare wild. Maria errötete, wenn sie sich am Schulgang trafen und sie konnte nicht den Blick von Safis Hintern lassen. Für sie sah er einfach umwerfend aus, mit seinem starken, durchtrainiertem Körper. Maria kam mit allen in der Schule gut aus, spannend fand sie jedoch niemanden. Die Jungs in ihrer Klasse wirkten auf sie, wie ihre jüngeren Brüder. „Hey, how are you?“ Marias Atem stockte für ein paar Sekunden, bevor sie die Antwort herausbrachte. Ihr Gesicht wurde rosarot, und ihr Herz schlug ihr bis zum Hals. Obwohl sie der Englischen Sprache durchaus mächtig war, brachte sie außer einem „Hello“, kein Wort heraus. Allein die Nähe zu ihm, raubten ihr die Sinne. Sie spürte die Anziehung einer Person, wie nie zuvor in ihrem jungen Leben. Maria war 16. Jetzt wo sie Zeit hatte, spielte sie wieder und wieder die Situation durch, die sie heute erlebt hatte. Sie konnte es kaum erwarten, ihn wieder zu sehen, ihn zu treffen. „Safi, schön, dass du in mein Leben gekommen bist, bleib´ hier bei mir und lerne mich kennen“, betet eMaria, auf ihrer Lieblingsbank, in der Nähe der Schule liegend. In ihren Tagträumen versunken, merkte sie er spät, dass es zu regnen angefangen hatte. Der Regen tat gut auf der heißen Haut, auf den glühenden Wangen, und kühlte ihre innerliche Hitze. „Ob ich mir das alles einbilde? Vielleicht macht er sich gar nichts aus mir?“, zweifelte sie. Ein Donner schreckte sie auf und vertrieb sie aus ihrer Idylle. „Er ist wahrscheinlich einfach nur freundlich“, dachte sie, „schließlich gibt es viele in ihrer Klasse, die viel toller aussehen, als ich und die auch dünner sind.“ Am nächsten Morgen, als Maria viel zu früh, wie immer vor dem Schulhof stand, um auf Safi zu warten, darauf bedacht, dass das niemand bemerkte, dauert es nicht lange und er erschien wie aus dem Nichts, mit seinem Grinsen, seinen Wuschelhaaren und seinem erotischen Körper. Er blieb vor Maria stehen und fragte: „Hey, good morning? Can you help me, learning German?“ „Sure“, erwiderte Maria und zweifelte diesmal nicht. Und mit rosarotem Gesicht und dem ganzen Mut, den sie besaß, machte sie mit Safi einen Spaziergang aus, um ihm zu helfen, die Sprachbarriere zu verkleinern. „Danke, dass meine Wünsche erhört wurden“, bedankt sich Maria abends in ihrem Bett, kuschelt sich in ihre Daunendecke, schloss die Augen und schlief mit Gedanken an ihn ein.
Zen – bedrückt
Zen konnte sich nicht bewegen. Sein Körper war leblos – so wie sein Geist. Der selbe Tagesablauf tagein, tagaus fühlte sich an, wie eine schwere Last auf der Seele. Er schlief viel. Meist am Tag, da war es ruhiger im Haus. Er wollte nicht in die Schule, er sah keinen Sinn darin, hier Deutsch zu lernen. Er wollte ohnehin nicht bleiben. Aber wohin sollte er? Zu seinen Freunden, oder nach Hause? Zen fühlte sich wie erschlagen. Mit seinen großen braunen Augen und seiner hellen Haut sah er aus wie ein Gespenst. Da er tagsüber nicht aufstand, überkam ihn nachts der Hunger. Allerdings gab es zu dieser Zeit nichts mehr zu essen. Manchmal half der Schwarztee mit viel Zucker darüber hinweg. Die Tage waren lang, wenn man sie zählte. Wenn sein Geist fitter war, überlegte er sich Fluchtpläne nach Deutschland. Es hatte sich herumgesprochen, dass man in Deutschland nicht ausgewiesen wurde, wenn man unter achtzehn war. Zen war siebzehn. Dazu kam, dass Zen seinen Freund Denga vermisste. Er war achtzehn geworden und wurde in eine andere Unterkunft gebracht. Er war für ihn jetzt weit entfernt. Es waren fast vier Stunden mit dem Zug und dem Bus und nicht leistbar. Schon mit der Hinfahrt hätte er sein gesamtes monatliches Geld verbraucht. Damit war sein Freund jetzt für ihn verloren. Mit Denga konnte er seine Sorgen besprechen. Außerdem gab er ihm durch die stattliche Größe und seinen durchtrainierten Körper, die Sicherheit, die er jetzt vermisste. Denga war jetzt in einer Unterkunft für junge, erwachsene Männer. Der Kontakt war nur mehr über das Internet möglich. Die körperliche Nähe, seine Anwesenheit und seine Stimme fehlen ihm sehr. Für was sollte er aufstehen? Zen hatte jegliche Perspektiven verloren. Umso mehr verstärkte sich sein Wunsch zu fliehen. Oder wäre es besser zu sterben?
Abends raffte sich Zen meist zu einem Spaziergang auf. Seine Spaziergänge waren lang und er hatte seinen Lieblingsplatz gefunden. Es war eine Bank, die ihm die freie Sicht auf die Berge vermittelte. Aber er konnte auch auf den Friedhof sehen und in seinen stundenlangen Dialogen mit sich selbst, kam er zu dem Ergebnis, dass er lieber unter den Toten wäre, statt unter den Lebenden. Er vermisste das Leben in seiner Stadt am Mittelmeer. Die Straßen hier erschienen einsam, es gab Wenig zu sehen und bei seinen alltäglichen Runden traf er nur selten auf Menschen. Was machten die Menschen hier, wo waren sie, wo trafen sie sich? Die Sehnsucht nach seiner Mutter und seinen Freunden war inzwischen so groß geworden, dass sie weh tat. Zen hatte probiert, sich mit Vodka zu betäuben. Aber der Versuch scheiterte kläglich. Er konnte sich, nach einer Flasche davon nicht mehr bewegen und die Nachwirkungen am nächsten Tag waren dermaßen drastisch, er kotzte den ganzen Tag, dass er auch davon abließ. Seine Stimmung wurde daraufhin noch schlechter – am Tiefpunkt angekommen. Er begriff, dass Alkohol nichts für ihn war und beschloss es wieder zu lassen. In seinem Herzen lodert ein kleiner Hoffnungsschimmer. Es gibt da zwei nette Mädchen, die sich um einige der Jungs kümmerten. Als Zen Geburtstag hatte, veranstalten sie für ihn eine Geburtstagsparty. Sie backten einen Kuchen und feierten seinen Geburtstag. Zusammen mit seinen Freunden. Zen fühlte sich seit langem wieder wahr genommen und wertgeschätzt. Es war eine der wenigen Situationen, in der er lachte und Freude empfand. Auch der Abend in der Disco war in seiner Erinnerung. Zen hatte viel Spaß. Es war bis jetzt einer der wenigen Abenden, in seinem neuen Leben in Österreich, an dem er nicht grübelte und sich sorgte. Auf seiner Lieblingsbank sitzend, umgeben von starken Eichen, den Blick zwischen den Bergen und dem Friedhof hin und her schweifend, flogen plötzlich zwei Schwäne über seinem Kopf hinweg. Sie nahmen Kurs auf die Weite und Zen überkam ihn diesem Augenblick eine Gefühl, dass ihn in den nächsten Monaten nicht mehr ausließ. „Ich muss hier weg“, beschloss er für sich, weiter nach Deutschland. Weiter in eine größere Stadt mit mehr Menschen und mehr Verständnis. Er wollte sich frei bewegen und in einer Menschenmenge untergehen. Er hasste es, angestarrt zu werden und hatte es sich zur Angewohnheit gemacht, die Kapuze seines Pullovers weit in sein Gesicht zu ziehen. Mit dem Blick auf den Boden gerichtet, handelte er wie ein kleines Kind, das glaubt, wenn es sich die Augen zuhält, kann es niemand sehen. Für die Leute im Dorf wirkte er dadurch nur noch unnahbarer und distanzierter. Er spürte, dass er bei vielen nicht willkommen war.