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Kapitel 2. Der Anschlag

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14. November 2011 - Mitten im Begrüßen, kaum zwei Minuten sind wir online im Gespräch. Evgenij mit seinem zaghaften Deutsch, er wird plötzlich ein ganz anderer Mensch.

„Regina, ich habe Angst. Eine Bombe. Tote, viele Tote und Blut. Oh, mein Gott. Mein Belarus. Ich habe Angst.“ Ein Strom von russischen Worten, kaum deutsche, ich ertrinke in diesen russischen, hektischen Sätzen, verliere die Orientierung. Metro, Menschen, strach - Angst ...

„Was ist los? Evgenij, ich verstehe nicht? Sag mir, was los ist.“

Er will einen Freund anrufen, er macht sich Sorgen, höre ich raus, und er redet immer noch von Bomben. Poka.

Er ist weg. Wo bin ich hingeraten. Ich wollte heute eigentlich stolz von 1 bis 100 auf Russisch zählen üben. Und er klingt wie ein traumatisierter Mann, der aus dem Krieg kommt und Alpträume hat. Was ist los mit ihm?

Ich sitze da, allein mit dem Computer und ratlos. Ist er ein Psychopath? Habe ich einen Irren kennengelernt? Was sollen das für Bomben sein. Ich fühle mich schlecht. Mein Kopf ist orientierungslos. Ich kann das alles nicht einsortieren, das hier hat mich völlig verunsichert. Irgendwann schlafe ich ein.

Am nächsten Tag befrage ich google: Bomben, Metro, Minsk. Es gab tatsächlich am 14. November 2011 einen Bombenanschlag in der Metro von Minsk. Evgenij ist nicht verrückt! Ich fange an zu recherchieren. Es hat dieses Land getroffen, mehr als die deutschen Medien aufzeigen. Bei uns nur eine kleine Nachricht, aber in Belarus war dies ihr 9/11, ihr eingestürztes World Trade Center. Terror in Ländern außerhalb der Kernzone der EU-Friends ist nur eine Randzeile der Medienwelt. In Belarus steht ein ganzes Land still und ist voll Entsetzen. Ich sehe die Bilder auf russischen Seiten an. Ein Mann wird in einer Trage zum Rettungswagen geschleppt, sein Bein hört an der Wade auf und der Schuh mit dem Rest liegt darunter, Blut, Fleisch und bedrückte Gesichter der Rettungsleute. Blaue Planen über Körpern, die es nicht mehr geschafft haben. Irina schreibt von der Arbeit einen Text ins Sprachprogramm. Er endet: „Gestern ist Alexej nicht pünktlich gekommen und heute wissen wir, er ist tot. Er ist in der Metro verletzt worden und im Krankenhaus gestorben. Ich vermisse ihn.“

Die deutschen Medien emotionalisieren diesen Terrorakt nicht. Wozu, es ist in Minsk, im Nirgendwo. Aber mich belasten die Bilder der russisch sprechenden Videos. Am nächsten Tag in der Münchner U-Bahn denke ich an Alexej. Jetzt verstehe ich Evgenij.

Bald werden zwei Männer als Täter vorgeführt. Ich surfe und höre die ersten Verschwörungstheorien in deutschen Internetkommentaren. Lukaschenko braucht solch eine Katastrophe, um die Härte der Polizei zu rechtfertigen. Ja, böser Diktator. Ich sehe ab da nur noch unschuldige Jungs, die kurz vor der Hinrichtung stehen. Das alles auf der Grundlage von ein paar verschwommenen Aufnahmen der Videoüberwachung. Ich finde es logischer, dass der Diktator sich mit Blut befleckt hat. Davon abgesehen, Todesstrafe ist kein Weg. Ich streite mich ganz schrecklich mit Oleg aus Minsk und schimpfe auf sein Belarus. Dann erzählt er, sein Freund war in der Metro. Er hat sein Gehör verloren und eine Hand ist schwer verletzt. Er kann nicht mehr wie gewohnt zur Arbeit, die Metro kann er nicht betreten, er fängt an zu weinen wie ein kleines Kind. „Regina, ich weiß, du magst nicht die Todesstrafe, ich will nicht streiten. Aber ich denke an die Hand meines Freundes. Versteh mich doch.“

Die Bilder der Mütter dieser beiden Jungs im Gefängnis wecken meinen Mutterinstinkt. Sie werden ihre Kinder nie mehr sehen, nicht einmal die Leichen werden ihnen freigegeben. Auch dieses Leid drückt mich. Wenn sie unschuldig sind, wäre es unverzeihlich, aber auch mit Schuld ist es für mich unerträglich. Hier ist die Grenze. Schluss mit der Todesstrafe. Soll ich eine Petition von Amnesty unterschreiben? Irgendwie komm ich mir dabei naiv vor. Trotz kommt hoch.

Ich fange immer öfter an, Nachrichten zu lesen, deutsche und russische – zunächst mit Übersetzungsprogramm. Ich denke und frage nach. Skype eröffnet mir die Möglichkeit, ein paar persönliche Details zu erhaschen.

Das Leben ist komplizierter, als ich es mir eingestehen wollte. Jetzt kenne ich dort Menschen, jetzt geht vieles nicht mehr im Filter verloren. Jetzt wird es anstrengend. Ach, war das einfach, als ich mit meiner Demokratie geglaubt habe, alle zu überzeugen und die Zukunft rosarot war. Am europäischen Wesen wird die Welt genesen. Wir haben Freiheit und Demokratie. Der Rest wird uns folgen. So wie im Kindergarten im Sitzkreis, die Erzieherin erklärt, was gut ist und die Gruppe folgt brav dieser Linie. Und schon hängt ein selbstgemaltes Schild im Gruppenraum: du darfst andere nicht schubsen. Aber funktioniert diese Sitzkreismasche auch in unserer Welt? Schon wieder der gleiche Fehler, wir haben den Weg der Aufklärung im Westen als erstes erkannt, sind geläutert und erleuchtet, was wir Humanität nennen. Der Russe muss es nur noch verstehen. Der dumme Iwan, der Stereotyp, den ich da und dort gezeichnet bekommen habe, war er etwa auch in mir, nur besser kaschiert, so dass der eigene Rassismus nicht so plump daherkommt? Dieses Attentat hat einen Stein ins Rollen gebracht. Rosamunde Pilcher kann das nicht aufhalten durch weitere Berieselung am Feierabend. Ich sehe meinen eigenen Blick von oben West auf unten Ost, den ich selbstgerecht als Augenhöhe gedeutet habe.

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