Читать книгу Lautstark verliebt - Regina Mars - Страница 12
1.6 Charles
ОглавлениеScheiße! Scheiße! Er hatte … Was tat er hier? Warum näherte er sich Kor? Diesen dunklen Augen, die ihn zu sich hinzogen wie einen Magneten, und dessen feuchte Lippen so küssenswert aussahen, dass er sich vorbeugen musste, nur noch ein paar Zentimeter, Millimeter, dann …
Kor zuckte zusammen. Riss panisch die Augen auf und Charles schreckte zurück.
Verdammt!
Er hatte … verdammt. Er hatte sich verraten. Und Kor wirkte total entsetzt. Nein! Charles wich zurück, stieß gegen die Bank, die polternd umkippte.
»Ich …« Cool bleiben. Er wusste, wie man cool blieb, oder? Das hatte er sein halbes Leben lang trainiert, also …
»Ich geh eine rauchen«, murmelte er und flüchtete aus dem Backstage-Bereich.
Super.
Scheiße.
Wusste Kor nun Bescheid? Charles rannte durch den verrauchten Gang, stieß die Glastüren auf und stand in der Kälte. Wind strich über seine verschwitzten Klamotten wie eisige Tentakel. Er … Nein. Das durfte er nicht. Nicht wieder. Er brauchte Hilfe.
Mit bebenden Fingern schrieb er Nathan, dass der zur Brücke kommen sollte. Dann marschierte er durch das Baustellengewirr, bis er weit weg vom Smokes war. Weit weg von Kor, der Dinge in ihm auslöste, die weiter schlafen mussten. Die er nicht ans Licht kommen lassen durfte weil … Wenn das endete wie damals …
Er schluckte.
Elias.
Sein bester Freund. Sein anderer bester Freund, so ganz anders als Nathan damals schon gewesen war.
Nathan hatte er hier kennengelernt, als Charles sich mit fünfzehn ins Smokes eingeschlichen hatte. Nathan, zwei Jahre älter und ebenfalls illegal dort, hatte es lustig gefunden, ihn solange abzufüllen, bis er gekotzt hatte. Hier, auf der Brücke, hatte er sich am Geländer festgeklammert und gewürgt … Eine Woche später hatte er sich revanchiert, indem er den Türstehern gesteckt hatte, wie alt Nathan war.
Dann war ein offener Krieg ausgebrochen, bis sie ein paar Monate später versehentlich in der gleichen Band gelandet waren, und erkannt hatten, wie ähnlich sie sich waren. Und das, obwohl sie so verschiedene Backgrounds hatten.
Klosterschulboy hatte Nathan ihn genannt, sobald er mehr über Charles erfahren hatte. Verzogenes Muttersöhnchen.
Hm. Warum war er nochmal mit ihm befreundet? Egal.
Elias war aus der anderen Welt gekommen. Der Privatschule, von der Nathan stets behauptete, sie wäre von Mönchen geleitet worden, auch wenn das überhaupt nicht stimmte. Er hatte sich totgelacht, als er Charles einmal in seiner Schuluniform erwischt hatte. Seiner grauen Schuluniform, unterwegs auf einem verbotenen Ausflug in die Stadt.
Elias war dabei gewesen. Elias, wegen dessen dunklen Augen Charles nächtelang wachgelegen hatte. Der dafür gesorgt hatte, dass sein Herz mit der fünffachen Geschwindigkeit schlug. Und dafür, dass er sich wie ein Idiot aufführte, wann immer sie zusammen unterwegs waren. Um Elias zu beeindrucken, war er auf Laternenmasten geklettert, hatte sich mit viel Älteren angelegt, hatte … Hm. Das war fast, wie er sich jetzt benahm.
Er hatte eben gespielt, als hinge sein Leben davon ab, weil … weil Kor zuhörte. Zusah. Und er wusste, was der draufhatte, auch wenn Kor das selbst nicht zu wissen schien, also hatte er sich so reingehängt und … sich da schon beinahe verraten, aber man konnte doch einem anderen Mann zuzwinkern, ohne …
»Heulst du?«, fragte Nathan neben ihm und Charles fuhr herum.
Sein bester Freund stand auf der dunklen Brücke wie ein gelangweilter Cowboy, die Hände in den Jackentaschen vergraben. Er neigte den Kopf.
»Oh gut, du heulst nicht. Immerhin. Was ist passiert?«
»Nichts.« Warum hatte er vorgehabt, ausgerechnet Nathan sein Herz auszuschütten? Der verstand so viel von Gefühlen wie ein Nashorn vom Fahrradfahren.
»Geht's um den Kleinen?« Oh richtig, dafür kannte Nathan ihn. »Was hat er dir Furchtbares angetan?«
»Nichts.« Charles sank auf den kalten Boden. Echt kalt. Er fror in seinem verschwitzten Shirt. »Sorry, da war nichts.« Er grinste schwach. »Tut mir leid, wenn du dir Sorgen gemacht hast.«
Zwischen Nathans Augenbrauen entstand eine tiefe Falte. Er kniete sich vor Charles nieder. Blitzschnell packte Nathan sein Handgelenk.
»Alter, was machst du?«, fragte Charles. »Wird das ein Antrag?«
»Das wird eine Kontrolle«, brummte Nathan.
Er schob den dunklen Ärmel hoch. Unwillkürlich entriss Charles ihm den Arm. Nathans Augen funkelten ihn an.
»Da ist nichts«, motzte Charles. »Für wie blöd hältst du mich? Ich fang nicht wieder damit an.«
»Zeig mir deine Arme, Charles«, sagte Nathan und klang wie seine Mutter. Trotzdem streckte Charles die Arme aus und krempelte die Ärmel hoch. Zeigte Nathan die vernarbte Haut.
»Hier, zufrieden? Nichts Neues seit Jahren.«
Nathan nickte. Er war ungewöhnlich ernst.
»Mach dir keine Sorgen um mich«, sagte Charles. »Ich komme klar.«
»Tust du nicht. Damals hast du auch gesagt, dass du klarkommst und was ist passiert?«
Charles schwieg. Eine ganze Menge war passiert.
Von dem Moment an, in dem er Elias seine Gefühle gestanden hatte. Elias mit den dunklen, schüchternen Augen, dem zaghaften Lächeln … Moment mal, hatte er etwa einen Typ Mann, auf den er stand? Egal, jedenfalls hatte Elias vollkommen entsetzt reagiert. Er war sogar wütend geworden, was Charles nie erwartet hätte. Er hatte mit einer Abfuhr gerechnet und trotzdem gehofft, so sehr gehofft, dass es Elias ebenso ginge wie ihm, aber …
Womit er nicht gerechnet hatte, war, dass Elias ihn hassen würde. Dass er glauben würde, Charles hätte sich nur an ihn herangemacht, weil alle glaubten, Elias wäre schwul. Dabei hatte er nicht mal gewusst, dass es das Gerücht gab. Aber es schien Elias sehr verletzt zu haben, so, wie der ihn angebrüllt hatte.
Ich bin nicht so, du dumme Schwuchtel! Jedes Wort ein Schnitt. Und dann …
Charles hatte plötzlich keine Freunde mehr gehabt. Vollkommen fertig von Elias' Reaktion hatte er sich zuhause verkrochen. Als er nach einer Woche zurück in die Privatschule gekommen war, hatten alle gewusst, was er war. Erst hatte er nur böse Nachrichten bekommen. Sein Tisch war immer vollgekritzelt gewesen mit Beleidigungen. Aber am schlimmsten war gewesen, dass Elias nicht mehr mit ihm geredet hatte. Dieses Schweigen wog schwerer als all die anderen Dinge.
Dann hatten sie ihn in der Umkleide erwischt, als der Sportlehrer herausgerufen worden war. Und Charles war keiner, der sich einfach verprügeln ließ, also hatte er zurückgeschlagen, bis …
»Junge!« Nathan wedelte mit der Hand vor Charles' Gesicht herum. »Was ist passiert?«
»Ich glaub, er weiß es.« Frostige Kälte drückte ihm die Luft ab. Er sah, dass seine Fingerknöchel blass waren. Dass er sie zu Fäusten geballt hatte, seit … Keine Ahnung, seit wann. »Ich habe … Ich hätte ihn fast geküsst.«
»Ah.« Nathan blinzelte. »Nicht schlecht. Und dann?«
»Er hat sich erschreckt«, flüsterte Charles. »Genau wie Elias. Ich … Meinst du, er glaubt mir, wenn ich so tue, als wäre ich … Als hätte ich nicht … Als wäre das nur Spaß gewesen?«
»Na, vertrauensselig genug wirkt der«, sagte Nathan. Er fuhr sich durch die Haare, als wüsste er nicht, was er sagen sollte. »Hm. Ich dachte, Elias wäre eine Ausnahme gewesen, aber anscheinend stehst du auf Hänflinge mit Welpenaugen.«
»Anscheinend.« Charles' Kehle war trocken. Mehr Bier. Er brauchte mehr Bier. »Ich … werd's ihm beweisen.«
»Dass du in ihn verliebt bist?«
»Nein. Das Gegenteil, du Idiot.«
»Aber du bist in ihn verliebt. Warum …« Nathan seufzte. »Ich weiß. Ich versteh das. Nur … Was soll passieren, wenn du es ihm sagst? Außer, dass du deprimiert rumhängst und ich dich wieder trösten muss?«
»Dein tolles Trösten hat daraus bestanden, mich abzufüllen.«
»Hat doch geholfen.«
»Einen Scheiß hat das.«
Charles erhob sich. Er wusste, was zu tun war. Er musste das geradebiegen. Er musste dafür sorgen, dass Kor nie von seinen Gefühlen erfuhr. Dass ihre aufkeimende Freundschaft nicht gleich erstickt wurde.
Vielleicht konnte er kälter zu ihm sein? Das war schwer, Kor war einfach zu verdammt niedlich, aber … es musste wohl sein. Es durfte nicht …
Es durfte nie wieder werden wie damals.