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1.3 Korbinian
ОглавлениеBellas Gitarren & Reparatur war geschlossen, als Korbinian am Montagmorgen dort ankam. So ein Mist. Aber auf der Tür stand doch, dass sie ab 10 Uhr aufhatten. Nur … hatten weder das Mädchen an der Kasse, noch Charles, noch die Alte (Bella?) gewirkt, als würden sie sich an Regeln halten. Oder an Ladenöffnungszeiten.
Korbinian zitterte trotz seiner dicken Jacke. Die Gasse war so klein, schäbig und kalt wie vor einer Woche. Vielleicht noch kälter. Er konnte sich nicht an eisigen Wind erinnern, der über seine geröteten Wangen gestrichen war. Es roch nach Mülleimer und Winter, und …
Was sollte er nun tun? Er musste warten, bis ihm jemand aufmachte. Sollte er in ein Café gehen? Er kannte kein Café und er traute sich nicht, Geld auszugeben, falls die Reparatur doch teurer sein würde, aber …
Er schluckte. Er hätte wissen müssen, dass sie nicht gleich um zehn öffneten. Außerdem … Was tat er schon hier? Er war erst um eins mit Mina verabredet. Selbst wenn die hier um zehn geöffnet hätten (und er war schon um fünf vor da gewesen), hätte er fast drei Stunden Zeit totschlagen müssen. Aber er vermisste Cherry so sehr, als wäre sie sein linkes Bein, mindestens, und er konnte es kaum erwarten, sie wiederzuhaben. Er …
»Hey!«
Er kannte die Stimme. Korbinian fuhr herum. Charles schlenderte die Gasse entlang, sicher und elegant wie ein Tiger. Ein Tiger mit dunklen Augenringen, was seiner Attraktivität keinen Abbruch tat. Natürlich trug er eine abgewetzte Lederjacke mit irgendwelchen Bandabzeichen auf den Armen. Er gähnte.
»Du warst der Typ mit der Black Cherry Flame, oder?«, fragte er und gähnte nochmal.
Korbinian nickte. Irgendetwas an Charles' Anwesenheit hatte ihm die Sprache verschlagen. Als er direkt vor ihm stand, konnte er ihn sogar riechen. Bier und alter Rauch und … irgendetwas Würziges, Gutes.
»Sorry«, brummte Charles und streckte sich. »War spät gestern.«
Er kramte in den Taschen seiner enganliegenden Jeans und förderte einen Schlüssel zutage, den er in das Schloss der Ladentür steckte. Korbinian wurde bewusst, dass er noch nichts gesagt hatte. Er sollte etwas sagen, oder?
»Äh … Wie spät war's denn gestern?«, stammelte er. War das eine dumme Frage?
»Hm.« Ein schwaches Lächeln zuckte über Charles' Lippen. Er fuhr sich mit den Händen durch die Haare und schien nachzudenken. »Halb drei? Gaia Gepardo haben gespielt und danach gab's noch 'ne kleine Party …«
»Gaia Gepardo?« Sei ruhig und tu so, als wüsstest du, wovon er redet, schaltete sich sein Gehirn ein. Einen Moment zu spät. Charles öffnete die Tür. Die Luft war abgestanden und roch nach altem Öl und Sägespänen.
»Speed Metal mit Melodic-Einflüssen. Die kommen aus Offenbach.«
»Ach so.« Korbinian zögerte vor der Türschwelle. »Äh … ich kann mit reinkommen, oder?«
Die grauen Augen musterten ihn belustigt und er kam sich wieder wie ein Idiot vor.
»Sicher«, sagte Charles.
»D-danke.«
Korbinian zuckte zusammen, als Charles hinter ihm abschloss. Warum … Leider bemerkte der seinen Blick.
»Ich kann die Tür nur offen lassen, wenn oben einer ist«, erklärte er. »Und ich habe in der Werkstatt zu tun.«
»Ah.« Korbinian nickte unsicher.
»Aber deine Cherry ist fertig. Ich kann sie abkassieren.« Charles drehte sich um und ging an den schwarzen Wänden entlang.
»W-woher weißt du, dass sie Cherry heißt?«, fragte Korbinian und hätte sich am liebsten geohrfeigt. Was für dämliche Fragen stellte er hier? Aber Charles zuckte nur mit den breiten Schultern.
»Wusste ich nicht. Ich habe sie so genannt, als ich an ihr gearbeitet habe. Macht ja auch Sinn.«
»Ja.« Korbinian entspannte sich ein wenig.
Zögernd folgte er Charles durch den Laden und die Treppe hinunter. Hier war es deutlich wärmer als draußen. Viel besser.
»Ich habe eine Les Paul«, sagte Charles, zog seine Jacke aus und warf sie über den nächstbesten Stuhl. Selbst im Dunklen traf er. Sein Mädchenschwarmlächeln blitzte auf. »Lesley.«
Korbinian lachte. Er entspannte sich zusehends, obwohl er mit einem Fremden in einem dunklen Raum stand, eingeschlossen in einem Laden … Okay, toll war das nicht.
Charles haute schwungvoll auf einen Schalter. Licht flammte auf. Regale, Bänke und Stühle schälten sich aus der Finsternis. Die Reihe der fertigen Gitarren an der Wand. Cherrys blutroter Leib funkelte und Korbinian hatte das Gefühl, nach einer Woche endlich wieder atmen zu können.
Charles fuhr sich durch die Haare, und Korbinian fiel erneut auf, wie attraktiv er war. Die wölfischen Augen, die scharfgeschnittene Nase, der kräftige Kiefer, der breite Mund … Doch, der hatte bestimmt eine Freundin.
Er beobachtete Charles' sichere Schritte, mit denen er zur Wand ging. Mühelos nahm er Cherry herunter. Aber statt sie Korbinian zu geben, der bereits die Hände nach ihr ausstreckte, trug er sie zu einem Verstärker und steckte sie ein.
»Hier, probier sie aus«, sagte er. »Damit du weißt, dass sie in Ordnung ist.«
»Was?« Kalter Schweiß bedeckte mit einem Mal Korbinians Nacken.
»Na, du hattest doch Zweifel.« Charles' Stimme klang ein wenig kühler. »An meinen Fähigkeiten.«
»Hatte ich nicht!«, stieß Korbinian hervor. »Ich hab nur … Cherry ist alles, was ich habe, und …« Peinlich, peinlich, peinlich. »Ich hatte nur Angst um sie.«
»Mann, das versteh ich doch.« Das Mädchenschwarmlächeln verjagte alle Frostigkeit aus Charles' Antlitz. »Würde mir doch genauso gehen. Aber ich habe gute Arbeit geleistet, wie du gleich merken wirst«
»Okay.« Korbinian räusperte sich. »Ich …«
»Was?«
»Ich habe noch nie vor jemandem gespielt«, brachte er heraus. Schweiß benetzte seine Handflächen. »Nur vor meiner Familie. Und die interessiert das eh nicht, also macht es mich auch nicht nervös …«
»Aha.« Charles' Augenbraue wanderte nach oben. Aber ihn konnte wohl keine Absonderlichkeit aus der Ruhe bringen. »Ich kann so tun, als ob du gar nicht da wärst. Kein Problem.«
»Ach, echt?«
»Wenn's dir hilft.« Charles zuckte mit den Schultern. »Ab jetzt bist du Luft für mich.«
Nein, rief etwas in Korbinians Hinterkopf. Das will ich doch gar nicht!
»Danke«, murmelte er.
Charles antwortete nicht. Er ging, ein Lied pfeifend, um die Werkbank herum und schaltete den kleinen Laptop ein. Dann setzte er sich und begann, den einzelnen Bund zu bearbeiten, der auf der Bank lag. Kurz darauf erklang wieder die Stimme aus den scheppernden Lautsprechern. Die schreiende, gruselige. Die, die dröhnte, als sei sie direkt aus der Hölle entsprungen. Leiser als das letzte Mal.
Korbinian wurde also ignoriert. Gut.
Mit klammen Fingern setzte er sich auf den Holzboden, so, wie er das zuhause tat. Er lehnte sich gegen die Wand, wie er sich normalerweise gegen sein Bett lehnte. Und legte Cherry quer über seine Brust.
Es tat so gut, sie wieder zu halten. Seine Fingerspitzen tasteten über die Saiten und eine tiefe Ruhe überkam ihn. Die Bundstäbchen unter seiner linken Hand waren anders, neuer und standen weiter heraus. Aber sie waren gut eingearbeitet. Charles hatte sie eingearbeitet. Irgendwie machte ihn das glücklich.
Versuchsweise griff er ein G und strich über die Saiten. Cherrys unverwechselbarer Klang drang aus dem Verstärker und mit einem Mal war er vollkommen entspannt. Als wäre er zuhause, griff er in die Saiten, spielte ein paar Riffs, dann eine simple Melodie. Ein Lied, das er aus einem YouTube-Video gelernt hatte. Eins, das er sich selbst ausgedacht hatte. Noch eins.
Er versank in einem Zustand, den seine Mutter »Koma« nannte. Korbinian war einfach weg, wenn er spielte. In einer anderen Welt, sagte Mina. In einer besseren Welt, dachte er, aber das sagte er keinem.
Er hielt inne und lauschte auf die ungewöhnliche Musik, die aus den Lautsprechern drang. Vielleicht war das Speed Metal? Probeweise versuchte er, der Melodie zu folgen, die der Gitarrist spielte. Er schaffte es fast, hinkte immer nur zwei Töne hinterher. Und als der Refrain zum zweiten Mal gebrüllt wurde, konnte er ihn taktgenau mitspielen. Je länger er es hörte, desto mehr gefiel es ihm. Er probierte, den Sänger anders zu begleiten, zu …
Er schrak hoch, als jemand die Treppenstufen herunterpolterte.
Die alte Frau, diesmal in einem anderen Metallica-Shirt.
»Ach was, du kümmerst dich schon um den ersten Kunden?«, fragte sie. »Sehr gut … Was ist?«
Hä? Aber sie sah nicht ihn an, sondern Charles. Und der … starrte auf Korbinian. Fassungslos. Die Hände auf die Werkbank gestützt, den Mund halb offen, mit riesigen grauen Augen … Korbinian hatte das Gefühl, hintenüber zu kippen. Zu fallen, obwohl sein Rücken sicher an der Wand lehnte. Warum schaute Charles ihn so an? Hatte er ihn … die ganze Zeit über so angesehen? Er spürte eine Gänsehaut, die seinen gesamten Rücken überzog.
»Wie … lange spielst du schon?«, fragte Charles.
»Ich … äh … zehn Jahre. Hab ich was falsch gemacht?« Korbinian hörte das Zittern in seiner Stimme. Charles schüttelte den Kopf, gottseidank.
»Zehn Jahre? So? Und da hast du immer nur vor deiner Familie gespielt?« Der Blonde schaute ihn an, als wäre Korbinian ein Rätsel, das er unbedingt lösen musste.
»Ja.« Korbinians Arm juckte. Er kratzte sich dort, dann juckte seine Kopfhaut. Alles juckte und kribbelte. Konnte dieser Charles aufhören, ihn anzusehen?
Die Alte lenkte endlich seine Aufmerksamkeit ab, als sie scheppernd lachte.
»Was, echt?« Sie grinste breit. »Die meisten gründen 'ne Band, bevor sie drei gerade Noten spielen können. Charles hier zum Beispiel. In der wievielten Band bist du jetzt, seit ich dich kenne? Der zehnten?«
»Der elften.« Charles schien verstimmt. »Na und?«
»Ich sag ja nur«, kicherte sie. »Ein bisschen von seinem Durchhaltevermögen würde dir nicht schaden. Und von seiner Bescheidenheit.«
Was? Nein. Er wollte nicht … Würde Charles jetzt sauer auf ihn sein? Korbinian hatte gerade begonnen, sich in seiner Gegenwart wohlzufühlen, was erstaunlich war, da er sich bei Fremden sonst nie wohlfühlte, und der Blonde ihm einfach in jeder Hinsicht überlegen war …
Zum Glück schien Charles kein bisschen verärgert zu sein. Er zwinkerte Korbinian zu, was wieder so eine Biene in seinem Magen abheben ließ.
»Vielleicht kannst du mir ja was beibringen. Wie heißt du eigentlich?«
Oh nein.
»Äh. Korbinian Schuster.«
»Kor-was?!« Die Alte schien entsetzt. Aber Charles nickte bedächtig.
»Korbinian. Hast du 'nen Spitznamen? Kor?«
Nian, dachte Korbinian. Aber Kor klingt soviel besser. Fast … cool.
»Ja«, behauptete Korbinian. »Kor. So nennen mich alle.«
»Deine ganze Familie?« Die Alte grinste spöttisch und Korbinian hätte sich gern hinter seiner Gitarre verkrochen.
Sah man ihm an, dass er keine Freunde hatte? Er hatte mal welche gehabt, na ja, zumindest Bekannte, aber die waren alle weggezogen, um irgendwo zu studieren …
»Ärger ihn nicht«, sagte Charles und … lächelte. Noch viel mädchenschwarmiger als sonst. Wenn er nicht so ein schwarz gekleideter, tätowierter Band-Typ gewesen wäre, hätte er auch in irgendeiner Boygroup sein können. Oder ein Schauspieler. Alle schönen Menschen sahen sich irgendwie ähnlich.
Korbinian war plötzlich furchtbar nervös. Ein Bienenschwarm schien durch seinen ganzen Körper zu rasen und er rappelte sich auf.
»Ich … äh, sorry, dass ich so lange geblieben bin. Ich … zahl dann, und …«
»Nein!« Charles sprang auf.
Einen Moment lang wirkte er gar nicht mehr entspannt und cool. Einen sehr kurzen Moment lang. Dann war er wieder die Ruhe selbst. Er lehnte die Arme auf die Bank, als hätte er alle Zeit der Welt.
»Ich meine … wenn du magst, kannst du noch ein wenig bleiben. Spielen. Mir gefällt's. Und Bella bestimmt auch, oder?«
»Macht dieses Gejaule erträglicher«, brummte die und deutete auf die Lautsprecher.
»Witzig.« Charles gähnte.
»Mir gefällt's«, sagte Korbinian. »Die Musik da. Echt. Ich habe sowas noch nie gehört, aber … ich mag es.«
»Grausig ist das«, sagte die Alte. Höhnisch. Und dann kapierte Korbinian etwas, das ihn schon die ganze Zeit unbewusst beschäftigt hatte. Diese Stimme aus der Hölle …
»Das bist du, oder?« Er deutete auf Charles. »Du bist der Sänger. Ich hab deine Stimme nicht erkannt, weil die so anders ist, aber … krass.«
»Das bin ich.« Charles verneigte sich und Korbinian stockte der Atem. Hammer! »Schön, dass es dir gefällt.«
»Total!« Korbinian strahlte. »Du, ich meine … wow. Ist das deine Band? Und die Gitarre, bist das auch du?«
Charles wollte etwas sagen, aber Bella unterbrach ihn.
»Das ist seine Ex-Band. Sie haben sich aufgelöst. Wie immer.«
»Na und?«, knurrte Charles. »Bands lösen sich halt auf, das ist ganz normal.«
»Die meisten schaffen mehr als ein paar Wochen«, sagte Bella.
»Wir sind nicht die meisten.« Charles schien leicht verstimmt. »Und es war 'ne gute Zeit, aber … dann hat es halt nicht mehr gepasst.«
»Nicht mehr gepasst. Da habe ich aber eine andere Version gehört.«
»Blödsinn.« Charles' Blick flackerte zu Korbinian hinüber und er verstand gar nichts mehr.
»Echt? Es lag also nicht an deinen«, sie machte eine flatternde Handbewegung, »romantischen Verwicklungen? Oder an denen von deinem besten Freund? Du weißt schon, der, der alles pudert, was nicht bei Drei auf den Bäumen ist? Der, mit dem du aus allen Bands fliegst?«
Charles verdrehte die Augen.
»Meistens fliegen wir wegen ihm raus. Ich bin ganz harmlos.«
Die Alte lachte dröhnend.
»Sicher. Kam letztens nicht dieser Kerl vorbei und wollte alles kurz und klein schlagen, weil du seine Freundin gepimpert hast?«
»Ich wusste nicht, dass sie seine Freundin war. Ich wusste nicht mal, dass sie überhaupt einen Freund hatte.« Zwischen Charles' Augenbrauen erschien eine Falte. »Und die mochte mich halt. Ich konnte nichts dafür.«
Eine kalte Klaue packte Korbinians Herz. Er kapierte nicht, warum. Aber natürlich hatte einer wie Charles … Sex. Affären. Der konnte sich vor Angeboten bestimmt kaum retten, attraktiv und selbstbewusst, wie er war. Korbinian wäre schon vollkommen glücklich damit gewesen, mal jemanden zu küssen. Irgendwann …
Irritiert merkte er, dass er auf Charles' Lippen sah. Starrte. Er schaute schnell zu Boden und spürte, dass seine Wangen heiß wurden. Hoffentlich hatte das niemand gemerkt …
»B-bist du jetzt in einer neuen Band?«, fragte er.
»Noch nicht.« Charles wiegte den Kopf. »Bald hoffentlich. Ich treff heute Abend jemanden, der 'nen Gitarristen sucht. Was ist mit dir?«
»Mit … mir?«
»Ja, bist du auf der Suche? Willst du in eine Band?«
»Ich?!« Wie konnte Charles … Hatte der Korbinian nicht angeschaut? So, wie er aussah, konnte er auf keinen Fall … Und überhaupt, allein der Gedanke, auf eine Bühne zu treten, verursachte ihm Übelkeit. »Nein, das … kann ich nicht. Glaub ich. Nein.«
»Schade.« Charles zuckte mit den Achseln. »Du bist gut.«
Korbinian wusste, dass er knallrot anlief. Er spürte die Hitze in seinen Wangen prickeln.
»D-d-danke«, brachte er heraus. »Aber ich weiß eh nichts darüber und … ich war noch nie auf einem Konzert.«
»Nicht?« Begeisterung erhellte Charles' Züge. Seltsam. »Willst du? Morgen Abend spielen Orkus Orbus und deren Gitarrist hat eh einen Stil, der ein bisschen wie deiner ist … Komm doch mit.«
Korbinian hätte nicht entsetzter sein können, wenn Charles ihm vorgeschlagen hätte, mit auf die Drachenjagd zu gehen.
»Ich?«
»Wer sonst?«
»Äh.« Korbinian sah an sich herunter. Ja, er trug immer noch die Jacke, die seine Mutter ausgesucht hatte und orthopädische Schuhe. »Ich … seh nicht richtig aus.«
»Ist doch egal, wie du aussiehst«, sagte Charles. Bella warf ihm einen Blick zu, den Korbinian nicht deuten konnte.
»Aber … Danke, aber ich würd mich da nicht wohl fühlen, glaub ich«, stotterte Korbinian.
»Weil du meinst, dass du nicht richtig angezogen bist?«
Er nickte, mit heißen Wangen. Nicht nur deshalb, dachte er. Auch wegen ungefähr tausend anderen Dingen. Charles kratzte sich am Kinn.
»Hast du hundert Euro?«
»J-ja.« Schließlich war vor kurzem erst Weihnachten gewesen. Selbst nach Cherrys Reparatur war noch Geld übrig.
»Perfekt.« Charles fuhr sich durch die Haare. »Wann hast du heute Zeit?«
»Äh, ich …« Was? »Ich treff meine Schwester um eins, an ihrer Uni, also, so um … halb drei. Was willst du …«
»Wir besorgen dir was Passendes«, sagte Charles. »Ist das die Uni Stuttgart? Ich hol dich ab. Muss heute eh nur halbtags arbeiten.«
»O…kay.«
Wilde Freude summte in Korbinian, plötzlich, wie ein Vogelschwarm, der aus dem Nichts auftauchte. Er wollte … Charles wollte ihm helfen? Und mit ihm auf ein Konzert und … Er brachte kaum die Lippen auseinander, um sich zu bedanken. Sie tauschten ihre Nummern aus (er hatte Charles' Nummer!).
Dann packte er Cherry und schwebte praktisch aus dem Laden, nicht, ohne vorher an der Kasse bezahlt zu haben. Irgendwie war das Mädchen dort heute freundlicher. War die ganze Welt freundlicher. War …
»Was ist denn mit dir los?«, fragte Mina ihn, sobald sie in der lärmenden Unimensa Platz nahmen. Essensdüfte vermischten sich mit dem Geruch von schmutzigen Winterstiefeln. Sie saßen inmitten einer lautstarken Menschenmenge auf Plastikstühlen und aßen Tortellini von Plastiktabletts. Immerhin die Teller waren echt. Die Tortellini auch. Ganz gut eigentlich … Oh, Mina hatte etwas gefragt.
»Nichts.« Er lächelte. »War nur ein schöner Morgen. Ich habe jemanden getroffen.«
Minas Augen wurden groß.
»Du hast was? Du …« Sie stockte. »Ein Mädchen etwa?«
»Was? Nein!« Er zuckte zusammen. Sah sich panisch um, aber niemand schien sich für ihn zu interessieren. »Einen Jungen. Mann. Der spielt auch Gitarre und … der will mich nachher treffen und morgen gehen wir auf ein Konzert.«
Minas Kopf legte sich langsam seitwärts. Ihre glatten Haare flossen über ihren hellen Pullover.
»Ist das ein Date oder so?«, fragte sie und Korbinian hätte sich fast verschluckt.
»Nein! Ich … äh. Ich glaube nicht?« Scheiße. An die Möglichkeit hatte er nicht mal gedacht. Er hatte sich nur gefreut, dass Charles etwas mit ihm machen wollte, egal, was. »Ich hoffe nicht? Er … Der war nur so nett und … ich …«
»Was ist das für ein Typ?« Die Augen seiner Schwester wurden schmal. »Kann man dem vertrauen? Woher kennst du den?«
»Aus dem Gitarrenladen. Er hat Che… meine Gitarre repariert.« Korbinian warf einen liebevollen Blick auf den schwarzen Kasten, der auf dem Stuhl neben ihm lag. »Er ist … total cool. Und nett. Er hat mich überhaupt nicht verarscht.«
»Das ist nicht nett, das ist selbstverständlich«, knurrte Mina. »Warum denkst du immer, dass du verarscht wirst?«
»Weil das dauernd passiert«, murmelte er. Sofort fühlte er sich wieder wie ein Versager. Zuletzt war eine Gruppe Zwölfjähriger neben ihm hergelaufen und hatte ihn als Loser und Jungfrau beschimpft.
»Das würde nicht passieren, wenn du dich ein bisschen aufrechter halten würdest.« Mina seufzte. »Und nicht immer so schauen würdest, als würdest du dich vor deinem eigenen Schatten fürchten. Mensch, Nian, gib dir doch mal ein bisschen Mühe …«
»Ich versuch's«, flüsterte er und machte sich so klein er konnte. Seltsam. Vorhin, im Laden hatte er sich gut gefühlt. Als wäre … Als wäre es okay, er zu sein, so trottelig, schüchtern und jungfräulich, wie er war. Selbst seine komischen Klamotten schienen Charles nicht zu stören.
»Nian, du musst mich nachher anrufen, ja?« Mina sah ihn durchdringend an. »Nur, falls was passiert. Es ist gefährlich, einfach so fremde Männer zu …«
»Mina!«, rief ein Kerl hinter Korbinian. Schon hatte er sich neben ihn gesetzt, zum Glück nicht auf Cherrys Kasten. »Wie läuft's? Hast du VFL schon nachgeholt?«
»Klar.« Mina lächelte entzückend. Oh, der dunkelhaarige Mann sah gut aus. Ohne Korbinian weiter zu beachten, verwickelte er Mina in ein Gespräch über … ihr Studium. Mehr verstand Korbinian davon nicht. Sie warfen mit Fachbegriffen um sich und seine Gedanken schweiften ab.
Das mit Charles … Das war kein Date, oder? Nein. Nein, ganz bestimmt nicht. Bella hatte was von einem Mädchen erzählt, mit dem Charles geschlafen hatte …
Aber was, wenn der bi war? Wie … wäre es, ein Date mit Charles zu haben? Allein der Gedanke verursachte ihm einen halben Herzinfarkt. Wenn der ihn küssen wollte? Oder gar …
Äh.
Irgendwie gefiel ihm der Gedanke.
Sein ganzer Körper wurde ungefähr hundert Grad heißer. Und tausend Prozent kribbliger. Mindestens. Wenn Charles … Wie es sich wohl anfühlen würde, ihn zu küssen? Wie weich waren diese Lippen, die so nett lächeln konnten?
Korbinian zuckte zusammen. Konnte man ihm seine Gedanken ansehen? Hektisch schaute er sich um. Immer noch beachtete ihn niemand. Wie immer. Gut.
Nur langsam beruhigte sich sein Atem. Eine Viertelstunde später, als Mina ihn wieder bemerkte, hatte er sich endlich normalisiert.
»Wo triffst du diesen Kerl denn?«, fragte Mina, als sie aus der Mensa traten. Eiskalter Wind schlug ihnen entgegen. Die stickigen Essensdüfte wurden durch dünne Stadtluft ersetzt.
»Hier«, sagte Korbinian. »Er wollte mich abholen …«
Da war er auch schon. Zwischen vorbeihastenden Studenten und Studentinnen stand Charles auf einem runden Betonblock, der im Sommer wohl als Sitzgelegenheit diente. Viele Studentinnen warfen ihm bewundernde Blicke zu. Er wirkte anders als die meisten. Selbstsicherer und gefährlicher, wie ein Raubtier in einer Herde Gnus. Elegant sprang er von dem Block und marschierte auf Mina und Korbinian zu.
»Kor!«, rief er und grinste. Graue Augen blitzten hinter blonden Haarsträhnen und Korbinians Herz setzte einen Schlag aus.
Nein, dachte er. Das kann kein Date sein. So viel Glück habe ich einfach nie.
»Hallo, Charles«, sagte er.
Mina starrte Charles mit offenem Mund an. Der nickte ihr zu.
»Hi«, sagte er. Sie schwieg weiter. Und als sie sprach, redete sie mit Korbinian.
»Das ist dein Kumpel?«, fragte sie.
»Ja. Das ist Charles.« Korbinians Stimme war voll Stolz. »Charles, das ist meine Schwester Mina. Sie studiert hier. Charles hat meine Gitarre repariert.«
»Das … weiß ich.« Verschiedene Gesichtsausdrücke huschten über Minas Gesicht, so schnell, dass Korbinian sie nicht deuten konnte. »Na dann, äh … Viel Spaß euch beiden. Ich muss los. Nian, du passt auf dich auf, klar?«
»Klar.«
Sie drückte Korbinian, behielt Charles aber immer im Auge. Der beobachtete sie interessiert. Oh nein. Was, wenn Charles Mina mochte? Lieber als Korbinian? Alle mochten Mina lieber als Korbinian, weil sie viel hübscher, klüger und lustiger war.
Als er Seite an Seite mit Charles losging, versuchte er, den Gedanken zu verdrängen. Sie mussten seltsam aussehen, zu zweit. Gar nicht, als würden sie zusammenpassen …
»War das deine große Schwester?«, fragte Charles. Jetzt, wo er sich bewegte, sahen ihn noch mehr Leute an. Bewundernd. Oder bildete Korbinian sich das nur ein?
»Ja«, sagte er. »Sie ist ein Jahr älter. Ich weiß, das sieht nach mehr aus.«
Ein leichtes Lächeln erschien auf Charles' Lippen und sofort zuckte ein verbotenes Bild durch Korbinians Kopf. Was, wenn er ihn wirklich küssen wollte?
»Wirkt fast, als wäre sie deine Mutter. Als wollte sie auf dich aufpassen.«
»Was?«
»Na, sie hat mich so angeschaut … als ob sie dich verteidigen müsste.«
»Meinst du?« Korbinian sah ihn fragend an.
»Ja.«
»Das …« Das kommt daher, dass ich keine Freunde habe und schon gar keine wie dich und sie sich fragt, was du von mir willst, wollte er sagen. Tat er aber nicht. Er fürchtete sich vor dem, was Charles davon halten würde.
»Wo gehen wir hin?«, fragte er stattdessen.
»Zu einem Freund. Ins Mephistos.«
»Wohin?«
»Den Laden, in dem ich meine Klamotten kaufe«, sagte Charles leichthin. »Ich krieg da Rabatt.«
»Oh. Oh, gut.« Rabatt, das würde seiner Mutter gefallen, wenn er … Würde er wirklich mit einer neuen Garderobe heimkommen? Was würden seine Eltern dazu sagen? Aber daran wollte er gerade nicht denken. Außerdem war er erwachsen. Und … Nun, Charles würde sich bestimmt bald mit ihm langweilen, also musste er die Zeit nutzen.
»Kann ich dich was fragen?«
»Klar, was denn?« Felsgraue Augen betrachteten ihn. Schritte hallten dumpf über den Asphalt.
»Heißt du wirklich Charles?«, platzte Korbinian heraus. »Oder ist das ein Spitzname?«
»Ne, so heiße ich wirklich.« Ein Schatten flog über Charles' Gesicht. Oder bildete er sich das ein? »Meine Mutter kommt aus England.«
»Oh. Ach so.«
»Was hast du denn gedacht?«
»Äh …« Korbinian kratzte sich mit der linken Hand an der Nase. »Dass du in Wahrheit Karl heißt oder so.«
Charles lachte, voll und dröhnend. Passanten sahen sich nach ihm um. So lustig war das doch gar nicht gewesen, oder? Aber Korbinian mochte dieses Lachen. Er mochte es auch, Seite an Seite mit Charles durch die grauen Straßen zwischen den noch graueren Hochhäusern zu schlendern. Der Großteil des Schnees war schon weggeschmolzen und es sah ziemlich trostlos aus.
»Ne, zum Glück ist das mein richtiger Name.« Charles schüttelte den Kopf.
»Ja, das ist wohl besser als Karl«, murmelte Korbinian in seinen Kragen. Hm. »Kann ich dich noch was fragen?«
»Okay, wenn ich danach dich was fragen kann.« Charles schenkte ihm ein Lächeln, das ihm den Atem verschlug. Er … Nein, das konnte kein Date sein. Bestimmt nicht. Aber er traute sich auch nicht, danach zu fragen. Stattdessen sagte er:
»Warum bist du so nett zu mir? Ich … also … Warum willst du, dass ich morgen mitkomme?«
Charles schaute ihn an. Etwas flackerte in seinem Blick, aber Korbinian war heute furchtbar darin, Leute zu lesen. Eigentlich war er das immer.
»Das klingt bestimmt komisch«, sagte Charles schließlich. Er wirkte ernster. »Aber ich habe dich mit deiner Cherry gesehen und … ich versteh dich. Sie hat dich gerettet, oder?«
Korbinian starrte ihn an. Schluckte hart.
»Ja.« Ja, so könnte man das ausdrücken. »Ja. Ich …«
Er wusste nicht, was er sagen sollte. Wie viel er von seinem traurigen Leben verraten sollte, dessen absoluter Höhepunkt es jeden Tag war, sich in seinem Zimmer einzuschließen und stundenlang zu spielen? Meistens mit Kopfhörern, weil der Sound seinen Vater in den Wahnsinn trieb.
»Was immer du denkst, ich kenn das«, sagte Charles.
»Meinst du?«, sagte Korbinian und dachte: Nein, tust du nicht. Du weißt nicht, wie sich das anfühlt, wenn man ein totaler Versager ist. Wenn alle ständig enttäuscht von dir sind.
Sie redeten über unverfängliche Dinge, während sie weiterliefen. Irgendwie fiel es ihm leicht, mit Charles zu reden. Vielleicht, weil er sonst niemanden kannte, der sich so für Musik interessierte wie er. Vielleicht, weil Charles' Lächeln ihm Sätze entlockte, von denen er selbst nicht gewusst hatte, dass sie in ihm steckten.
Charles erzählte von dem Konzert gestern, mit Worten, von denen Korbinian nicht jedes kannte, die aber toll klangen. Er mochte die Begeisterung in Charles' Blick. Seinen tigerhaften Gang und die Tatsache, dass sich bestimmt niemand trauen würde, Korbinian ein Weichei zu nennen, während er mit einem Kerl in einer Lederjacke und schweren Stiefeln unterwegs war.
Mephistos lag in einem riesigen Kellergewölbe. Nur wenig Licht drang hinein und die Beleuchtung war … ungewöhnlich. Ungewöhnlich rot. Man konnte kaum erkennen, welche Farben die Kampfstiefel, Lederjacken und unzähligen Bandshirts in den Regalen hatten. Na ja, vermutlich waren die schwarz.
Die Mädchen, an denen sie vorbeiliefen, hatten so bunte Haare, dass sie ihn an Einhörner erinnerten. Harte Musik dröhnte aus den Lautsprechern, so ähnliche wie eben in Bellas Laden.
»Ist das auch deine Ex-Band?«, fragte Korbinian Charles.
Der schüttelte grinsend den Kopf und Korbinian wusste, dass er etwas Blödes gesagt hatte. Aber da war keine Bosheit in Charles' Lächeln. Nur sanfter Spott und Unglaube.
Er leitete Korbinian an Kleiderständern und leuchtenden Totenköpfen vorbei, als wäre er sein Führer durch den Dschungel. Bis zur Kasse.
Die Ladentheke war so schwarz wie alles hier. Der Kassierer ruhte seine Füße darauf aus und hing in seinem Stuhl, als würde er in Kürze einschlafen.
»Nathan!«, rief Charles und der Typ setzte sich auf.
»Du Sack!« Der Kassierer grinste, irgendwie … fragwürdig. »Hättest du mir gestern kein Bier eingeflößt, hätte ich einen perfekten Tag gehabt. Mein Schädel platzt gleich.«
»Von wegen eingeflößt. Das hast du ganz allein verbrochen.« Charles lachte.
Der Typ erhob sich langsam. Schlangenartig. Er kam Korbinian etwas … böse vor. Klar, Charles war ein Riesenkerl mit Kampfstiefeln, aber der da sah aus wie die personifizierte Sünde. Wunderschön mit seinen dunklen Locken und dem schlanken Körper in der engen Lederhose, aber eben … böse. Kirschrotes Licht erhellte sein Engelsgesicht. Irgendwie schüchterte er Korbinian ein. Na gut, sehr viele Dinge schüchterten ihn ein. Er beschloss, mutig zu sein.
»Hallo«, sagte er und nickte dem finsteren Engel zu. Der schaute überrascht. Er betrachtete Korbinian eingehend, sah dann zu Charles und zurück zu ihm. Oh nein. Mochte er ihn nicht? Fragte er sich, warum Charles so einen Versager anschleppte?
»Hi. Ich bin Nathan.« Ein frisches Grinsen ging über das Gesicht des Verkäufers. »Wie sieht's aus, hast du Lust …«
»Hat er nicht«, sagte Charles. Hart. Nathan hob eine Augenbraue.
»Lass mich doch meine Frage stellen«, beschwerte er sich.
»Egal, was sie ist, die Antwort lautet: Nein.« Was hatte Charles?
»Pff.« Der Dämon schaute verärgert. »Da dachte ich, du bringst mir ein Versöhnungsgeschenk, weil du mich gestern so abgefüllt hast … Na gut. Was wollt ihr?«
»Kor braucht was zum Anziehen, meint er. Er kommt morgen mit zu Orkus Orbus.«
Nun wanderten beide Augenbrauen nach oben. Nathan legte den Kopf schief.
»Kor? Wie in Kirchenchor? Oder in … Hardcore?«
Charles schnaubte leise.
»Wie in Korbinian, du Trottel.«
»Ach so.« Nathan reckte sich. »Na, dann schaut euch mal um.«
»Wie sieht's mit meinem Rabatt aus?«
»Zehn Prozent Freundschaftspreis und zehn Prozent, weil du der Chefin nicht verraten hast, dass ich John im Lager flachgelegt habe.«
»Und zehn, weil ich nicht sage, was du mit Nancy auf der Theke getrieben hast.«
»Die zehn Prozent geb ich gerne.« Ein genüssliches Lächeln kräuselte Nathans Lippen. »Das hat sich gelohnt.«
»Kor.« Charles drehte sich zu ihm um und Korbinian zuckte zusammen. Dieses Gespräch überstieg eindeutig seine Fähigkeiten. »Wie du siehst, nimmt Nathan alles mit, was er kriegen kann. Halt dich von ihm fern.«
»O-kay«, stotterte er. Er warf Nathan einen schnellen Blick zu und sah dessen belustigtes Gesicht.
Charles zog seine Jacke aus und warf sie hinter die Theke. Dann befahl er Korbinian, ihm zu folgen und schritt voran durch den schwarzroten Dschungel.
»Der Freund, von dem Bella geredet hat«, begann Korbinian und beeilte sich, hinterherzukommen. »Das war Nathan, oder? Der, wegen dem sich die Band aufgelöst hat.«
»Ja.« Charles schüttelte den Kopf. »Die letzten beiden sogar. Ich schwöre, wenn der einmal sein Ding in der Hose behalten würde, könnten wir richtig was reißen. Der Idiot sieht nicht so aus, aber er ist ein ziemlich guter Bassist.«
»Der Beste!«, schallte es durch die Reihen. »Du meinst, ich bin der Beste!«
Charles verdrehte die Augen. Aber er schmunzelte. Hübsch. Richtig hübsch. Ob die beiden …
»Er ist dein bester Freund, oder?«, fragte Korbinian.
»Hm?« Charles hatte vor einem Regal gehalten und betrachtete die Shirts mit kritischem Blick. »Ja, wahrscheinlich ist der Idiot das.«
Korbinian seufzte unhörbar. Na, immerhin waren sie nicht … mehr. Komischerweise hatte er das befürchtet, und er wusste nicht, warum. Nathan hatte eindeutig von einem »John« gesprochen, also war er wohl auch an Männern interessiert und Charles war ein Mann … Ein sehr aufregender Mann. Muskeln bewegten sich unter seinem schwarzen Langarmshirt, als er etwas aus dem Regal holte und Korbinian zuwarf. Der fing es und hätte beinahe Cherrys Koffer fallen gelassen.
»Du kannst den ruhig zu Nathan hinter die Theke stellen«, sagte Charles. »Er ist ein Trottel, aber er wird Cherry nicht anrühren.«
»Passt schon«, murmelte Korbinian. Er musste ziemlich laut murmeln, um die Lautsprecher zu übertönen. »Warum ist eure vorletzte Band auseinandergebrochen?«
»Weil dieser Idiot mit dem Drummer und dem Sänger gevögelt hat«, knurrte Charles. »Okay, eigentlich hätten die es wissen müssen. Nathan versteckt sich nicht gerade. Und jeder weiß, woran er bei ihm ist. Der nimmt jeden nur einmal und zieht dann weiter. Aber der Drummer hat sich in ihn verliebt und der Sänger … Der hatte vorher nie was mit 'nem anderen Kerl und ist damit nicht klargekommen. Hat immer wieder behauptet, dass Nathan ihn verführt hätte und dass er eigentlich absolut hetero wäre. Nathan fand das total komisch und … das war's dann. Wir haben uns nur noch angeschrien.«
»Ah.« Korbinian schluckte. Die Röte stieg ihm in die Wangen. Da war eine Frage, die rausmusste, so peinlich sie auch war. »Aber du … Würdest du damit klarkommen? Mit … Wenn du … einen anderen Kerl … äh.«
Etwas huschte durch Charles' Gesicht. Wirkte fast wie Schmerz. Er wandte sich ab.
»Würde ich«, brummte er und besah den Inhalt eines Regals. Wich er ihm aus? »Wenn ich auf sowas stehen würde. Also auf Kerle.«
Enttäuschung schlug über Korbinian zusammen wie eine riesige Woge. Verdammt, das sollte ihm doch egal sein. Er war doch nicht … Zumindest hatte er selten daran gedacht, na ja, an Mädchen aber noch weniger … Er schluckte.
»Ach so, ja.« Würde Charles ihm ansehen, was er dachte? Hatte er sich schon verraten? Mist. Er musste sich da rausreden, dabei war er superschlecht im Reden, und … »Sorry, ich habe mich nur gefragt … Das heißt, meine Schwester hat gefragt, ob …« Er erstickte fast an den Worten. Charles' ihm zugekehrter Rücken schien angespannt. Oh nein. Hatte er Angst, dass Korbinian etwas von ihm wollte? »Sie hat gefragt, ob das hier ein Date ist, und … ich war plötzlich nicht mehr sicher. Es tut mir leid.«
Charles stand ganz still. So still, dass Korbinian die Musik mit einem Mal überdeutlich hörte. Irgendwas mit vergiftetem Blut … Er versuchte, zu schlucken, aber seine Kehle war zu trocken. Als Charles antwortete, klang seine Stimme rauer als sonst.
»Hättest du gern, dass das hier ein Date ist?«, fragte er. Korbinian zuckte zusammen. Panik stieg in ihm auf.
»Nein!«, stieß er hervor. »Natürlich nicht! Sorry, das … Ich bin auch … Ich steh auch nicht auf Männer.«
Lügner!, brüllte sein Gewissen ihm zu. Du dreckiger Lügner! Aber er wollte doch, dass Charles ihn noch mochte. So sehr.
»Ja dann …« Charles zuckte mit den Schultern. Als er sich umwandte, lag wieder ein spöttisches Lächeln um seinen Mundwinkel. »Dann ist das ja geklärt. Hier, zieh die an.«
Eine schwarze Jeans landete in Korbinians Händen. Sein Herz hämmerte bis zum Hals. Eine Mischung aus Erleichterung und Enttäuschung schnürte ihm die Kehle zu.
»Wo ist die Umkleide?«, fragte er.