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2. Brötchen verdienen

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»Guten Tag, Sie sprechen mit der Firma FitnessBuddys Porz. Mein Name ist Marek Kucera, wie kann ich Ihnen helfen?«

Gut, er hatte es richtig vorgelesen. Marek sah auf den Bildschirm vor sich, auf dem die gewünschte Begrüßung stand. Okay. Das Headset kratzte an den Ohren, aber ansonsten war der Job einfach. Den Anrufern erzählen, bei welcher Firma sie angeblich gelandet waren, versuchen, durchzustellen, und wenn das nicht klappte: Ihre Nachricht aufnehmen, die Rückrufnummer notieren und dann eine E-Mail mit allen Informationen an FitnessBuddys Porz schicken.

»Unsere Kunden sind Unternehmen aus ganz Deutschland, die sich keine Sekretärin leisten möchten. Wir leiten die Anrufe auf uns um und tun so, als würden wir in ihren Vorzimmern sitzen. Entweder verbinden wir oder geben die Anruferinformationen an den Kunden weiter.«

So hatte Bärbel es ihm erklärt.

»Ich will mit Herrn Berger sprechen«, sagte eine leicht gereizt wirkende Stimme am anderen Ende des Hörers.

Marek lächelte zuvorkommend. Der Anrufer konnte ihn nicht sehen, aber das Lächeln hörte man heraus. Auch das hatten sie ihm erklärt. Dreimal. Ob man ihm ansah, wie dumm er war?

»Herr Berger befindet sich gerade in einem Meeting«, sagte er. »Aber er ruft Sie gern zurück. Was darf ich ihm ausrichten?«

Kein Problem, so ein Job. Selbst, wenn man so langsam kapierte wie Marek …

»Sie dürfen ihm ausrichten, dass er ein verficktes Arschloch ist!«, brüllte der Anrufer. »Und ein beschissener Betrüger! Ich klag dem den Arsch ab, darauf kann er sich verlassen! Das können Sie ihm ausrichten!«

»Äh … gerne.« Was? Marek sah sich nach Hilfe suchend um. Aber Bärbel telefonierte gerade selbst und der andere Platz war leer.

»Was ist denn das Problem?, fragte er, obwohl sie ihm eingeschärft hatten, die Anrufe so schnell wie möglich zu erledigen.

»Das Problem?« Lautes Schnaufen. »Ich sag Ihnen, was das Problem ist! Vor fünf Monaten … FÜNF MONATEN hab ich bei ihm den Fitbodymaster3000 bestellt, und bis heute ist nichts angekommen! Vor fünf Monaten! Ich will mein Geld zurück!«

Marek hörte ein klagendes Fiepen in seinen Ohren.

»Ah, gut. Das richte ich ihm … gern aus.«

»Einen Scheiß richten Sie aus! Ich hab schon zwanzigmal angerufen und nie ist was passiert! Ihre saubere Kollegin hat auch immer behauptet, dass er zurückruft! Sie verbinden mich jetzt mit ihm! Sofort!«

»Aber … okay, ich versuche es gern«, sagte Marek. »Einen Moment, bitte.«

Er klickte auf den Button »Verbinden«. Hörte ein Tuten. Das System versuchte, ihn zu Herrn Berger durchzustellen. Marek sah zu Bärbel hinüber, die gerade das Headset vom Ohr streifte und sich dort kratzte.

»Bärbel«, wisperte er. Bärbel sah sich um und schenkte ihm ein Lächeln. »Ich hab hier jemanden dran und der Typ ist total sauer. Er meint, er wartet seit fünf Monaten auf ein Fitnessgerät oder so.«

Ein Schatten flog über Bärbels Gesicht. Ihr Mund lächelte nur noch breiter, aber in ihren Augen wurde es trüb.

»FitnessBuddys Porz?«, fragte sie. Marek nickte. »Einfach die Nachricht aufnehmen. Die rufen zurück.«

»Aber er sagt, er hätte schon zwanzigmal angerufen und niemand hätte zurückgerufen.«

»Das ist nicht unser Problem. Nicht unser Problem.« Ihre Stimme hatte etwas Mechanisches. »Einfach die Nachricht aufnehmen.«

»Aha.« Was? Marek hoffte, dass dieser Herr Berger einfach abheben würde. Dann könnte er den wütenden Anrufer durchstellen und das Problem wäre erledigt. Aber Herr Berger ging nicht dran.

Marek schaffte es mit Mühe und Not, dem Anrufer seine Nummer und seinen Namen abzuluchsen und an Herrn Berger zu schicken. Der Typ beschimpfte ihn noch eine Weile, dann legte er auf. Aha.

Im Lauf des Nachmittags kapierte Marek so langsam, was der Haken an seinem neuen Job war. Er bekam noch drei Anrufer für FitnessBuddys Porz, die alle stinksauer waren. Bei einem musste er auflegen, weil der Kerl sich nicht beruhigen ließ.

Außerdem riefen mehrere Leute an, die die letzte Mahnung von einem Kreditunternehmen bekommen hatten, bei dem sie keinen Kredit aufgenommen hatten. Alle panisch bis wütend. Marek wurde als Arschloch, Betrüger und Untermensch beschimpft. Bei allen gab er eine Meldung an seinen Vorgesetzten weiter.

»Die kümmern sich darum«, sagte Bärbel. »Wenn es zu viele Beschwerden über eine Firma gibt, kündigen wir ihren Vertrag.«

Trotzdem war es nervenzehrend. Bis acht Uhr abends sah Marek drei Online-Sekretärinnen in Tränen ausbrechen.

Er selbst kam ganz gut klar. Er war in seinem Leben schon so oft beschimpft worden, dass er damit umgehen …

»Ja, dann stecken Sie sich Ihren Scheiß-Fitbodymaster doch in den Arsch! Falls Ihr Arsch nicht viel zu fett dafür ist!«

Marek sah auf, als er die wütende Stimme hörte. Die kannte er. Ganz sicher.

Oh.

Halb verborgen hinter einer Trennwand, so, dass er ihn bisher nicht entdeckt hatte, saß Ben Ohlers.

Der Drecksack.

Bärbel sprang auf, lief rüber und riss Ben das Headset vom Kopf. Nervös sprach sie ins Mikro. Alle Augen waren auf Bens Platz gerichtet. Bärbel starrte ihn wütend an.

»Noch einmal und du kriegst eine Verwarnung«, hörte Marek sie flüstern.

Ben grunzte verächtlich. Natürlich. Ben hatte für alles nur Verachtung übrig. Für die Uni, die Kommilitonen, seine Noten … und trotzdem war er so gut wie Marek, der jeden Tag bis zu acht Stunden lernte. Niemand hatte diesem faulen, mies gelaunten Kerl irgendetwas zugetraut. Diesem mageren Burschen, der gelangweilt in allen Vorlesungen rumhing und sich nie Notizen machte.

Kaum jemand redete mit Ben, weil er auf Annäherungsversuche reagierte wie ein bissiger Hund. Marek hatte das selbst zu spüren bekommen. Am Anfang, als sie alle auf den Treppen herumgesessen hatten, hatte er Ben angesprochen. Gefragt, wo er herkam. Ben hatte irgendetwas von »vom Land« gebrummelt. Und als Marek gefragt hatte, ob er dann ein Bauer sei, hatte Ben ihn angesehen, als hätte Marek ihn gerade beleidigt.

Dabei war das doch eine berechtigte Frage, oder? Vermutlich, denn Marek hatte keine Ahnung vom Landleben. Er war in Hamburg aufgewachsen.

Das ganze Semester über war Ben zu cool und überheblich gewesen, um Freundschaften zu suchen oder mit irgendwem mehr als drei Worte zu wechseln. Marek hatte ihn nach Kräften ignoriert und sich ums Lernen gekümmert. Und um seine neuen Freunde. Vor allem um Manuela.

Aber dann kamen die Klausuren. Und Ben kassierte Einsen, dass allen Hören und Sehen verging. Klar, dass der so arrogant war. So ein Sack. So ein … Genie. Marek wurde schlecht, wenn er Bens überhebliche Fresse sah. Noch so einer, dem alles zuflog.

Was zur Hölle machte der in einem Telefonjob? Der war doch viel zu unfreundlich … Na, lange würde er den Job nicht mehr machen, wenn Marek sich Bärbels verärgertes Gesicht ansah. Hoffentlich.

Mist, er hatte zu lange rübergestarrt. Ihre Blicke trafen sich. Ben hob eine Augenbraue und winkte unmotiviert. Marek nickte ihm zu. Dann kam zum Glück ein Anruf.

Jemand schrie ihn an, weil er ein Karnevalskostüm bestellt hatte. Karneval war anscheinend in vollem Gange und das Kostüm war nicht angekommen.

Es sollte nicht der einzige Anruf dieser Art bleiben.

Sexy Versager

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