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3. Jute Jecken

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Ben musste eine rauchen. Sofort. Er würde verdammt nochmal durchdrehen, wenn er nicht auf der Stelle Nikotin in seinen Blutkreislauf bekam, aber diese bescheuerten Karnevalsfuzzis hörten nicht auf anzurufen. War doch nicht sein Problem, dass die Scheiß-Kostüme nicht geliefert wurden. Er sprach gerade mit dem – er sah auf seine Strichliste – siebzehnten Menschen, der bei »Jute Jecken« bestellt hatte, jetzt ohne Kostüm dastand und seinen Frust an Ben ausließ.

»Und ich will mein gottverdammt beschissenes maskierte Meerjungfrauenkostüm, das können Sie Ihrem Chef ausrichten, Sie Analversager!«

Was war das denn für eine Beleidigung? Immer wieder erstaunlich, dass die Leute ihm wüste Beschimpfungen an den Kopf warfen, ihn aber gleichzeitig siezten. Na ja, die Frau hatte sogar recht. Aber sie wusste ja nicht, dass Ben ein Analversager war.

Er drängte die Wut zurück. Schluckte die Worte: »Mir tut's ja auch leid, dass Sie keine Maske haben. Bestimmt sind Sie viel zu hässlich, um auf die Straße zu gehen.« herunter. Mehrfach. Er sah zu Bärbel hinüber. Bärbel und Marek. Die beiden waren die Einzigen, die noch da waren.

Hinter den Fenstern war nur noch Dunkelheit zu sehen. Beziehungsweise die Spiegelung eines deprimierenden Büros, in dem drei arme Schweine sich um hundert wütende Karnevalisten kümmern mussten. Ben war kurz davor, auf die Nachtzulage und seinen Job zu scheißen, die Station umzutreten und einfach zu gehen. Aber er brauchte das Geld. Und er war schon auf Bewährung …

»Benni, ich gehe jetzt.« Bärbel stand plötzlich neben ihm. Warum zur Hölle nannten ihn alle Benni? Er stellte sich nie als Benni vor. »Du kümmerst dich um Marek, ja?«

»Einen Scheiß tue ich.« Er schenkte Marek einen bösen Blick.

Dieser Strahlemann telefonierte am anderen Ende des Raums, ein höfliches, verständnisvolles Lächeln auf den Lippen, obwohl er garantiert einen von diesen Karnevalsspacken in der Leitung hatte. Er sah aus wie ein Surfer. Doch, so ein hochnäsiger, blonder Surfer-Dude aus irgendeinem Film …

»Benni.« Bärbel beugte sich zu ihm herunter. Er sah tiefe Schatten unter ihren Augen. »Du bist bereits auf Bewährung wegen deines Ausrasters vorhin. Du kümmerst dich jetzt um Marek oder du hast eine zweite Ermahnung am Hals. Hast du das verstanden?«

Ben zog die Schultern hoch und brummelte irgendetwas vage Zustimmendes. So ein Scheiß.

»Marek, komm her!«, rief Bärbel, sobald dieser Schleimbeutel aufgelegt hatte. Er wirkte genauso begeistert wie Ben. Immerhin das hatten sie gemeinsam. Mareks hübsches Strahlegesicht war ungewöhnlich mürrisch, als er seinen Kram in die Pappkiste packte und zu ihnen herübertrottete.

»Das ist Benni«, sagte Bärbel.

»Wir kennen uns.«

Ups, das hatten sie beide gleichzeitig gesagt. Marek sah auf Ben herab, so, wie er vermutlich auf alles herabsah. Klar, Ben war in seinen Augen ja auch ein Bauerntrottel. Kein Wunder, dass er nicht mit ihm zusammenarbeiten wollte.

Ben bedachte Marek mit einem kalten Blick.

»Ich zeig dir, wo's lang geht«, murrte er. »Setz dich. Sag, wenn du Hilfe brauchst.«

Aber Marek hatte anscheinend schon raus, wie es lief. Besser als Ben sogar, und das nach einem Tag. Er war viel begabter darin, den Hass der Anrufer zu mindern und ihnen ihre Telefonnummern zu entlocken.

»Das verstehe ich natürlich«, flötete er gerade. Dieser Musterschüler. »Ja, natürlich. Nein, das ist verständlich.« Seine Reicher-Bubi-Frisur wippte, als er nickte. Genauso eine Frisur hatte Dennis Alfred gehabt …

»Hoho, verständlich, wie du die Leute verstehst«, sagte Ben zu Marek, sobald der aufgelegt hatte. »Kannst noch ein paar Versteher mehr einbauen?«

Es war das erste Mal, dass er ihn ansprach, seit Bärbel gegangen war. Inzwischen war es Mitternacht. Nur noch zwei Stunden bis zum Feierabend.

Marek sah ihn an. Zog eine dunkelblonde Augenbraue hoch.

»Klar kann ich das«, sagte er. Sein linker Mundwinkel zuckte. »Und du?«

Ben blinzelte.

»Noch viel mehr«, behauptete er, ohne nachzudenken. »Wart mal ab.«

Schon klingelte es in seinem Head-Set.

»Guten Tag und willkommen bei »Jute Jecken – Karneval, Klamotten und mehr«. Mein Name ist Ben Ohlers, wie …«

»Wo bleibt mein Scheißkostüm, ihr Scheißdeppen?«, brüllte jemand in sein Ohr. Der Stimme nach ein Kerl um die siebzig.

»Habe ich das richtig verstanden?« Ben warf Marek einen herausfordernden Blick zu. »Ich habe verstanden, dass Sie verständlicherweise verärgert sind, weil sich der Verstand, Verzeihung, Versand Ihres Kostüms um wenige Tage verzögert hat.«

»Ja, dat haben Sie! Und ich will jetzt mein Scheißkostüm haben! Sofort! Ich warte seit drei Wochen auf dat Ding! Seid ihr denn bekloppt oder was?«

»Nein, wir haben nicht«, Ben schenkte Marek ein huldvolles Lächeln, »den Verstand verloren. Wir verstehen Ihre Ungeduld sehr wohl. Da es schon spät ist, ist Herr Monsen bereits heimgegangen, aber er ruft Sie selbstverständlich gern zurück.«

Ben sah Marek herausfordernd an. Der beobachtete ihn und nicht der Hauch eines Lächelns zeigte sich in seinem Surfergesicht. Sondern ein breites Grinsen.

»Einen Scheiß tu ich! Ich will mein Kostüm!«

»Verstehe ich Sie richtig? Sie möchten keine Nachricht hinterlassen? Bitte verstehen Sie, dass Herr Monsen Sie dann selbstverständlich NICHT zurückrufen kann. Ich würde mir ein wenig mehr Verständnis wünschen …«

Als der Anrufer zornesentbrannt auflegte, war Mareks Grinsen noch breiter geworden. Er sah gar nicht mehr so herzlich und harmlos aus, sondern fast ein bisschen … böse.

»Nicht schlecht«, sagte er.

»Danke«, murrte Ben. Was wurde das jetzt?

»Aber ich kann das besser.« Marek ließ seine Fingerknöchel knacken. »Wart mal ab.«

Die Nachtschicht mit Marek war erstaunlich lustig. Ben konnte sich nicht erinnern, wann er zuletzt so viel Spaß gehabt hatte. Und das in seinem beschissenen Studentenjob.

Als Marek die »Verständlich«-Wette nach Punkten (23) gewonnen hatte, gingen sie dazu über, sich Worte vorzugeben, die der Andere ins Gespräch einbauen musste. Worte wie »Bundesautobahn« (»Ist das eine Reutlinger Vorwahl? Das liegt doch gleich neben der Bundesautobahn, nicht wahr?«) und »Schwanzkopf« (»Herr Berger ist gerade nicht anwesend und auch sein Kollege Herr Meier-Schwanzkopf …«).

Es war nicht direkt freundschaftlich, eher ein gnadenloser Konkurrenzkampf. Sie schenkten sich nichts. Aber es war viel witziger, als sich alleine von Karnevalisten beschimpfen zu lassen.

Schneller als sonst war es zwei Uhr morgens. Die Ablösung erschien.

Ben zeigte Marek, wo er die Kiste mit seinem Headset und seinem anderen Kram verstauen konnte und rieb sich die Augen.

»Ich brauch 'nen Drink«, murrte er. »Oder zwei. Oder ein paar Liter.«

»Ja, ich auch.« Marek rieb sich den Nacken. »Die KantenKlause hat noch auf und die ist gleich um die Ecke. Wie wär's?«

Ben warf ihm einen misstrauischen Blick zu. Was? Wieso wollte Marek mit ihm was trinken gehen? Sie waren noch nie gemeinsam was trinken gegangen. Außer einmal, ganz am Anfang des Semesters, aber Ben hatte mit kaum jemandem geredet und war nach einer Stunde abgehauen, weil ein Kerl namens »Alstermacker89« ihn angeschrieben hatte.

»Sicher?«, fragte er.

»Ja, die haben echt noch auf.« Marek gähnte. »Bin letztens mit Kathi und Manuela da gelandet, nach der Klausur in Anorganischer Chemie.«

Ben nickte. Vorsichtig. Eigentlich mochte er Marek nicht. Er hatte keine Ahnung, warum der plötzlich mit ihm Biere zischen wollte. Aber Ben war müde, fertig und hatte sich stundenlang anschreien lassen, ohne zurückzubrüllen. Er brauchte was zu trinken. Und eine verdammte Zigarette.

Natürlich schaute Marek ihn vorwurfsvoll an, als er eine bereits gedrehte aus seiner Jackentasche zog. Mr. Perfect rauchte selbstverständlich nicht.

»Was ist?«, knurrte Ben.

»Nichts.« Mareks Gesicht war auf einmal viel unfreundlicher.

Aber sie zogen ihren Plan durch.

Schweigend trotteten sie über die nachtleere Straße. Nur vereinzelt begegneten ihnen Betrunkene. Normalerweise war nachts mehr los, schließlich war das eine verdammte Großstadt. Aber heute, beziehungsweise gestern, war Sonntag, da schlief selbst Hamburg.

Schweigsam und zielgerichtet wie zwei Cowboys betraten sie die muffig riechende Kneipe. Leider drehte sich keine der rotnasigen Gestalten, die am Tresen saßen, um und fragte: »Was wollt ihr, Fremde?« Egal.

Die KantenKlause war genauso dunkel und widerlich, wie ihr Name versprach. Die erstaunlich gesund aussehenden Pflanzen im Fenster, die sie vor Blicken von außen schützten, stellten sich als Plastikimitate heraus.

Sie ließen sich in einer schummrigen Ecke nieder. Der schummrigsten. Ben versuchte, nicht daran zu denken, warum das Polster in seinem Rücken so klebrig war. Bestimmt hatte jemand dort einen Drink verschüttet. Einen gelblich-weißen.

Marek schien sich wohlzufühlen, obwohl er in dieses Loch passte wie ein Rubin in einen Haufen Wackersteine. Zumindest soweit Ben das in dem trüben Licht erkennen konnte. Entspannt lehnte Marek sich zurück. Ben lehnte sich noch viel entspannter zurück.

»Und, was trinkst du?«, fragte er. »Eine Buttermilch?«

Marek öffnete den Mund, um zu antworten, aber die krummnasige Kellnerin tauchte plötzlich neben ihnen auf.

»Was wollt ihr?«, fragte sie, überraschend melodisch.

»Zwei Bier und ein Korn«, sagte Marek und schenkte ihr ein strahlendes Lächeln. Das wurde deutlich schmaler, als er zu Ben herübersah. »Und was willst du?«

Ach, so war das. Ben grinste und bestellte das Gleiche. Dieses Muttersöhnchen konnte er doch locker unter den Tisch saufen. Er war vielleicht ein Landei, aber das hatte auch Vorteile. Dieser Großstadtknilch hatte nie etwas so Brutales wie Opas selbstgebrannten Pflaumenschnaps erlebt, soviel war klar.

Sexy Versager

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