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6. Reue, zu spät

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»Nein«, flüsterte Marek. »Neinneinnein …«

»Ist etwas, Marinek?«, fragte seine Mutter.

Seine Eltern sahen ihn an, über den weißen Restauranttisch mit den gebügelten Servietten hinweg. Mist. Hatte er laut gesprochen?

»Nein, alles gut«, murmelte er.

Nichts war gut. Während er mit seinen Eltern hier im »Vier Elemente« saß und Austern aß, rannte irgendwo in dieser Stadt Ben herum. Ben, der zuviel wusste. Ben, mit dem er gestern herumgeknutscht hatte, na ja, den er überfallen hatte und bei dem er genauso schnell gekommen war wie bei allen Frauen.

Marek war nicht mal mehr sicher, was er sich dabei gedacht hatte. Erst hatte er herausfinden wollen, ob Ben das gleiche Problem hatte wie er. Die Antwort war Nein, der Typ hatte nicht mal einen Ständer gehabt, soweit er das beurteilen konnte …

Marek verharrte. Warum eigentlich nicht? War er nicht hübsch genug? Oder hatte Ben vielleicht Erektionsprobleme oder so? Nein. Er schüttelte den Kopf. Wahrscheinlich war er einfach zu schlecht. Zu schlecht im Küssen. Zu schlecht im Bett und überhaupt bei allem. Schon immer. Seit er das erste Mädchen geküsst hatte, machte Marek alles falsch. So wie gestern. Er hatte sofort die Kontrolle verloren. Und das bei einem Mann. War er …

»Marinek.« Die Augen seiner Mutter blickten ernst. Wie dunkle Stecknadeln in ihrem hageren Gesicht, das aus der Seidenbluse herausschaute. »Sag mir die Wahrheit: Hast du getrunken?«

»Äh …« Er hatte nicht getrunken, er hatte gesoffen. Den gesamten Morgen hatte er mit dem Kopf in der Kloschüssel verbracht und den Mittag in der Badewanne verpennt, weil er es nicht geschafft hatte, sich zurück ins Bett zu schleifen. Gut, dass er alleine wohnte. Gut, dass er das Schlimmste hinter sich hatte.

Seine Eltern sahen ihn vorwurfsvoll an. Wie immer bildeten sie eine perfekte Einheit. Zwei fein gekleidete, magere, dunkelblonde Gestalten, denen Ernsthaftigkeit und Intelligenz aus jeder Pore tropften. Zwei Professoren, sein Vater für Physik und seine Mutter für Chemie.

»Du weißt, dass dir das nicht bekommt.« Seine Mutter schüttelte traurig den Kopf. »Mit einem einzigen Glas Alkohol gehen so viele Gehirnzellen verloren …«

»Und ich hab ja nur so wenig, meinst du?« Marek war selbst erstaunt über die Bitterkeit in seiner Stimme.

»Marek, darüber reden wir jetzt nicht«, sagte sein Vater. Seine Brillengläser funkelten im Licht der Kronleuchter. »Du weißt genau, dass wir dich … akzeptieren, wie du bist. Aber dass du dich ständig betrinken musst, schlägt sich in deinen Noten wieder.«

»Ich …« Ich habe mich im letzten halben Jahr dreimal betrunken, dachte Marek. Verdammt wenig für ein Erstsemester. »Aber meine Noten sind gut.«

»Für deine Uni vielleicht.« Seine Mutter schien sich mit Mühe davon abzuhalten, die Augen zu verdrehen. »Ich verstehe immer noch nicht, warum du es nicht nach Harvard geschafft hast. Aneta meinte, die Aufnahme sei gar kein Problem gewesen.«

»Ja, für Aneta«, sage Marek. »Die ist auch ein Genie. Ich hatte von vorneherein keine Chance, seht das doch endlich ein.«

»Du hättest eine Chance gehabt, wenn du dir mehr Mühe gegeben hättest.« Seine Mutter klang traurig. »Wenn du nur ein bisschen mehr gelernt hättest …«

»Ich hab gelernt. Die ganze Zeit. Ich bin halt nur zu dumm.«

»Du bist zu faul. Setz dich auf deinen Hosenboden und tu etwas. Deine Mutter und ich haben das doch auch geschafft.«

Ja, weil ihr auch verdammte Genies seid, wollte Marek sagen. Wie der verdammte Rest der Familie, außer mir. Aber er schwieg. Die Diskussion hatten sie schon zu oft gehabt. Jeden Sonntag, wenn sie gemeinsam essen gingen. Dass sie sich diesmal montags trafen, lag daran, dass er gestern hatte arbeiten müssen.

Früher waren sie zu fünft gewesen. Aber Mareks große Schwester studierte nun im Ausland und sein kleiner Bruder machte ein Praktikum in München, am Max-Planck-Institut für Neurobiologie. Eigentlich vergaben die keine Schülerpraktika. Aber Patrik hatte sie überzeugt. Natürlich. Bei all den Preisen, die er schon in der Schulzeit abgesahnt hatte, und all den Klassen, die er übersprungen hatte …

Marek hatte oft befürchtet, dass Patrik ihn einholen würde. Dass sie plötzlich in der gleichen Klasse sitzen würden und alle ihn fragen würden, warum sein kleiner Bruder so viel klüger als er war. Und das, obwohl Marek selbst so ein moppeliger Streber war, der ständig lernte.

Nie hatte er irgendetwas richtig machen können. Nicht in der Schule, wo die coolen Kids aus der Raucherecke über ihn gelacht hatten, weil er ein Streber war und nicht zuhause, wo seine Eltern den Kopf geschüttelt hatten, weil er so dumm war.

»Ich gehe davon aus, dass du wenigstens die besten Noten im Semester hast«, sagte seine Mutter und schlug eine weitere Wunde in sein Selbstbewusstsein.

»Ja, schon.« Marek sah auf die leeren Austernschalen auf seinem verschmierten Teller.

»Aber?« Die Stimme seines Vaters war unerbittlich.

»Aber es gibt jemanden, der genauso gut ist.« Und der lernte nicht, davon war Marek überzeugt. Genau wie seine Geschwister, nein, noch viel übler. Die hatten ständig an irgendetwas gebastelt, hatten im Garten gelegen und Bücher gelesen. Während er in seinem Zimmer gehockt und gebüffelt hatte, irgendwie versucht hatte, den Inhalt des Physikbuchs in seinen dummen Schädel zu bekommen …

Ben war noch viel schlimmer. Eine Kombination all seiner Alpträume: der Rauchereckenleute und seiner Genie-Geschwister. Marek fühlte Übelkeit in sich aufsteigen und schluckte sie herunter.

Es gab immer jemanden, der besser war. Egal, wie sehr er sich abstrampelte. Er hatte sich so angestrengt, um klüger zu werden. Um stärker zu werden.

Seine Eltern waren dagegen gewesen, dass er mit Ju-Jutsu anfing. Er sollte lernen, statt sich zu kloppen. Und von Schlägen gegen den Kopf würde er bestimmt auch nicht schlauer werden, meinten sie. Aber nachdem seine Mitschüler diesen Kopf so lange in eine dreckige Kloschüssel gehalten hatten, bis er ohnmächtig geworden war, hatte er etwas unternehmen müssen. Alleine.

Seine Eltern hatten behauptet, das wäre nun einmal das Schicksal intelligenter Menschen. Dass sie alle eine harte Schulzeit gehabt hatten. Aneta war gequält worden und Patrik auch. Aber Marek wollte nicht mehr so leben, also war er zu dem Ju-Jutsu-Kurs gegangen. Den Flyer hatte er gesehen, als er auf dem Heimweg an einer Ampel gehalten hatte. Daran hatte er gehangen, ein verblasstes Stück Papier mit Fransen, das sein Leben verändert hatte.

Und es hatte ja geklappt. Immerhin etwas.

Jetzt war er breit, kräftig und konnte sich wehren. Jetzt hatte er Freunde. Das zählte nichts bei seinen Eltern, aber in der Uni. Immerhin. Manuela hatte ihm schon zweimal geschrieben, wie sehr sie sich auf die Semesterabschlussparty freute.

»Und wer ist es, der so gut abgeschnitten hat wie du?« Seine Mutter legte den Kopf schief.

»Er heißt Ben. Ben Ohlers.«

»Der Name kommt mir nicht bekannt vor.« Sie sah ihren Mann an. »Kennen wir seine Eltern?«

»Ich glaube nicht.«

»Das würde mich wundern«, sagte Marek. »Der kommt aus irgendeinem Kuhkaff im Rheinland.«

»Und dann hat er es bis hier geschafft?« Seine Mutter hob anerkennend eine Augenbraue. »Ohne Förderung? Ich meine, es ist nicht die beste Uni, aber immerhin. Wenn man bedenkt, dass er gleichauf mit dir ist, und du alle Möglichkeiten hattest …«

Marek seufzte leise.

Sexy Versager

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