Читать книгу Verdammt magisch - Regina Mars - Страница 12

7. Fühlen

Оглавление

»Nun setzen wir uns alle in einen Kreis«, sagte die Alte, selig lächelnd. »Und dann lernen wir uns erst einmal kennen.«

Norman stöhnte vernehmlich. Die anderen siebzehn Studenten sahen ihn ängstlich an. Die hatten sich alle brav gesetzt, wie Kleinkinder. Er knurrte leise und ließ sich ebenfalls auf die Holzdielen plumpsen. So heftig, dass feiner Staub von der Decke in seinen Nacken rieselte. Die Alte lachte gütig. Er hasste sie. So sehr.

Sie faltete die Hände und senkte die Lider. Gute Entscheidung, es gab hier eh nicht viel zu sehen. Sie befanden sich im achten Stock, in einem leeren Raum, in dem nichts war. Absolut nichts. Boden, Fenster, Wände, Decke, Idioten. Das war alles. Norman verschränkte die Arme.

»Schließt die Augen«, säuselte die Alte. »Spürt ihr die Energie?«

Schweigen. Norman schloss die Augen und spürte, dass er zuviel gefrühstückt hatte.

»Ne«, sagte er. »Und meinen Sie nicht Magie?«

Verdammt, wenn die Alte noch einmal so überheblich lachte … Er seufzte.

»Mein bockiges Schäfchen, du hast natürlich recht. In der Atmosphäre befindet sich Magie. Hier ist nicht viel davon, aber das ist für unseren kleinen Kreis ganz richtig. Wir wollen euch nicht überladen.«

»Überladen?« Norman öffnete ein Auge. »Man kann sich mit Magie überladen?«

Schon wieder sahen ihn alle ungläubig an.

»Natürlich kann man das.« Gudrun Lovell schüttelte den Kopf, dass ihre dunklen Haare flogen. »Das ist sehr gefährlich. Hast du in den Vorbereitungskursen überhaupt nicht aufgepasst?«

»Ne.« Norman grunzte leise. »Zumindest nicht bei diesem Katalysatorenkrempel. Der ist langweilig.«

»Na, das rächt sich jetzt wohl«, säuselte Gudrun und lächelte. »Ich bin gespannt, wie du in diesem Kurs zurechtkommst.«

»Ich komme überall zurecht«, motzte Norman. Eine sanfte Hand legte sich auf seine Schulter. Das Mondgesicht der Alten schwebte über ihm. Lächelnd. Natürlich.

»Spürst du die Energie, mein Schäfchen?«

»Äh, nö.«

»Dann konzentriere dich.« Diese sanfte Hand war stärker, als er zunächst angenommen hatte.

Ach, egal. Er verschränkte seine Beine, so wie die anderen, und schloss wieder die Augen. Immer noch spürte er nichts, bis auf die vier Käsebrote in seinem Magen. Er hörte Dinge. Knarzende Holzdielen, knacksende Wände, leise Stimmen vom Flur her. Draußen ratterten Kutschen vorbei. Eine Serie von winzigen Explosionen kündigte ein Automobil an. Das Fenster ging wohl zur Straße hinaus. Er roch altes Holz und das muffige Lavendelparfüm der Alten.

»Und?« Mist, die sah ihn noch an. Mit zusammengekniffenen Lippen schüttelte er den Kopf.

»Dachte ich’s mir doch.« Gudrun kicherte höhnisch.

»Spürst du die Energie, Wieselchen?«, fragte die Alte sie und Norman prustete los. Gudrun sah echt ein wenig wie ein Wiesel aus, mit der spitzen Nase und den fast schwarzen Pupillen.

»Natürlich.« Gudrun lächelte und strich die langen Haare über die Schulter zurück. Die beiden Kerle neben ihr sahen sie gierig an. War Gudrun Lovell etwa hübsch? Norman war grausam schlecht darin, so etwas zu beurteilen.

»Wundervoll, mein Wieselchen.« Die Alte nickte. »Dann beschreibe sie uns.«

»Sie ist … spiralförmig«, flötete Gudrun. Ein Schweißtropfen rann ihre Schläfe hinab. »Wie spiralförmiger Nebel, der durch all die Räume zieht und außerdem … lila.«

Die Alte schüttelte den Kopf.

»Nicht ganz, mein Wieselchen.«

»Ha!«, rief Norman. »Das heißt, dass es falsch ist!« Er zeigte auf Gudrun. »Du bist genau so ein Versager wie ich.«

»Bin ich nicht!«, rief sie. Ihre Wangen liefen dunkelrot an. »Wenigstens habe ich nicht auf der Bühne rumgeheult wie ein Kleinkind.« Ihre Stimme wurde noch heller. »Ich will ein Motor werden! Buhuuuu!«

Norman wollte aufspringen, aber eine tonnenschwere Hand hielt ihn unten. Verdammt, diese Alte war stark. Seltsam.

»Wer sind Sie eigentlich?«, fragte Norman sie und hörte Gudrun entsetzt aufkeuchen. Die anderen sechzehn Studenten schauten peinlich berührt zu Boden.

»Was?«, fragte Norman. »Muss ich das wissen?«

»Selbstverständlich nicht.« Die Alte lachte glockenhell. »Schließlich lernen wir uns jetzt kennen, oder? Ich bin Eterna Sølmgard. Und du, Schäfchen?«

»Eterna …« Er gaffte sie an. »Sie sind das? Ich kenne Sie von meinen Lithografien. Sie … Sie sind die Unendliche Quelle. Äh. Sie haben aber zugenommen.«

Mehrere Leute sogen hörbar die Luft ein. Gudrun murmelte: »Unhöflich!« Die Alte lachte. Natürlich.

»Mein Schäfchen, nach drei Kindern ist keine Frau mehr dieselbe. Meine Wespentaille ist leider dahin.«

»Oh. Tschuldigung.« Norman räusperte sich.

Er musterte sie, als würde er sie zum ersten Mal sehen. Eterna Sølmgard. Irre. Die Katalysatorin, die zehn Motoren gleichzeitig mit Energie versorgen konnte! Sie hatte neben Gunnar auf der Stadtmauer gekämpft, an jenem Tag …

»Ich spüre Bewunderung.« Eterna grinste. »Heißt das, dass du mir ab jetzt zuhören und ruhig sein wirst, Schäfchen?«

»Äh, ja.« Norman zuckte mit den Achseln. »Hab eh nichts Besseres vor.«

Vielleicht würde sie von Gunnar erzählen.

Sie erzählte nicht von Gunnar.

Stattdessen versuchten sie, die Energie zu spüren. Was für eine Energie überhaupt? Es gab Magie und … war das dasselbe? Norman hatte keine Lust zu fragen. Vor allem hatte er keine Lust, nochmal ausgelacht zu werden. War eh egal. Nach einer Stunde hatte niemand irgendeine Energie gespürt und Eterna befahl ihnen, nach Magie zu suchen. War also doch verschieden, anscheinend. Leider fand niemand Magie.

Als er sich zum Mittagessen erhob, waren seine Beine eingeschlafen. Er sah an sich herunter und stöhnte leise. Der Trainingsanzug der Katalysatoren sah aus wie ein Bademantel. Ein weit geschnittener weißer Bademantel mit einem lila Gürtel. Darunter trugen sie eine weite, weiße Hose. Super.

Die schwarzen Uniformen der Katalysatoren waren wenigstens irgendwie cool. Hundertmal cooler als dieser idiotische Anzug. Kein Wunder, dass niemand hier Respekt vor ihnen hatte.

Auf dem Weg zum Speisesaal versuchte ein Zweitjahresmotor, Norman zur Seite zu schubsen.

»Aus dem Weg, Magiebeutel!«, rief er, prallte an Normans Masse ab und stolperte.

Norman gab ihm einen Arschtritt und marschierte in den Speisesaal. Es gab Pastinakensuppe und Brot.

»Du willst bestimmt nicht bei uns sitzen«, zwitscherte Gudrun Lovell, als er mit dem voll beladenen Tablett am Katalysatorentisch auftauchte. »Du willst ja keiner von uns sein.«

Stimmte schon, aber allein wollte er auch nicht sein. Doch das Einzige, was er noch weniger wollte, war, das zuzugeben. Also hob er das Kinn und schnaubte: »Verdammt richtig«, drehte ab und setzte sich alleine an einen Tisch. Mal wieder.

Hinter ihm erklang Tores Stimme. Der erzählte gerade einen Witz über zwei Besoffene aus Agøln, einen von ungefähr hundert, die er kannte. Norman hörte Gelächter hinter sich und seufzte. Sein einsamer Suppenteller war bereits halb leergegessen. Er spürte die Betriebsamkeit um sich herum und roch die vorbeiwabernden Essensdüfte. Neben ihm führten ein paar niedrige Beamte ein Gespräch. Sie beschwerten sich über das neue Ablagesystem. Was für Langweiler. Doch selbst sie hatten jemanden. Norman seufzte wieder. Er hatte sich komplett ins Abseits geschossen. Und nun? Saß er auf einer harten Bank, ganz alleine. Er war ein Katalysator und vermutlich ein grottiger. Einer wie er konnte gar kein guter Katalysator sein, oder?

»H-hallo.« Jemand stand vor ihm und hielt ein wackelndes Tablett in den Händen. Norman sah auf. Lauchi lächelte ihm zaghaft zu. »Kann ich mich zu dir setzen?«

»Klar.« Er beobachtete, wie Lauchi sich setzte und sich dabei dreimal das Knie stieß. »Willst du nicht bei den anderen Motoren sein?«

Lauchi schüttelte den Kopf. Irgendetwas war anders … Oh, richtig.

»Was ist mit deinem Zopf passiert?«, fragte er. Das Ding war nur noch halb so lang wie heute Morgen. Und viel dunkler.

»Oh, das.« Lauchi schaute trübselig in die Pastinakensuppe. »Das war ein Unfall. Glaub ich.«

»Glaubst du?«

»Wir haben heute versucht, Feuer zu erzeugen und … Na, Brenna hat es als Erste geschafft. Sie hat meinen Zopf erwischt. Das war bestimmt ein Versehen.«

Norman kannte Brenna zu gut, um das zu glauben. Er wandte sich zu ihr um und sah sie breit grinsend in der Mitte der Motoren sitzen. Da hätte er sein können … Ach, egal. Alles egal.

»Ihr lernt gleich in der ersten Stunde, wie man Feuer schießt?« Er seufzte. »Ihr habt so ein Glück. Ich hab den ganzen Morgen rumgesessen und irgendeinem Geschwafel zugehört. Und dann sollten wir Energie oder Magie oder so in der Luft sehen, aber das hat auch nicht geklappt. Als Nächstes lernen wir die richtige Atmung.«

»Das klingt doch schön«, sagte Lauchi. »Ungefährlich. Ich hab so eine Angst vor dem Feuer. Zum Glück schaffe ich das noch nicht.«

»Zum Glück?« Norman sah ihn ungläubig an. Na ja, Lauchi war halt Lauchi. »Willst du deshalb nicht bei den anderen sitzen? Sind die dir zu gefährlich?«

Lauchi musterte seine Suppe. Todtraurig. Der Junge sollte besser was essen, wenn der das Studium überstehen wollte.

»Nein, sie … sie ignorieren mich. Ich glaube, sie wollen mich nicht in ihrem Kurs haben. Wenn ich sie anspreche, antworten sie nie und …« Ein tiefer Seufzer kräuselte die Suppenoberfläche.

»Solche Arschlöcher«, sagte Norman. Na ja, er selbst wäre kaum netter gewesen, wenn … wenn er ein Motor geworden wäre. War er halt nicht. »Du musst mehr essen, Lauchi. Das gibt Kraft.«

Lauchi nickte matt. Dann löffelten sie schweigend ihre Suppe und mampften ihr Brot. Wie eine ruhige, kleine Insel im lauten Trubel des Speisesaals.

Lauchi wünschte ihm viel Erfolg, als sie aufstanden. Norman schnaubte unmotiviert. Dieser Katalysatorenkurs war so sinnlos. So sinnlos, dass er erstmal in der Latrine verschwand und sich richtig viel Zeit ließ.

Er hörte die zweite Glocke und dann die dritte. Er blieb sitzen. Nun würden sie sich alle in dem blöden Zimmer versammeln, im Kreis hocken und versuchen, etwas zu finden, das nicht da war. Obwohl, wenigstens die Magie musste ja irgendwo sein. Sonst könnte man sie doch nicht benutzen. Missmutig betrachtete er die Holztür vor seiner Nase.

Deine Mutter ist so fett, dass sie vom Stammbaum abgebrochen ist, las er. Es waren noch mehr lustige Witze eingekerbt worden. Die meisten über Mütter und Katalysatoren. Die Katalysatoren nannten sie »Magiebeutel« oder »Sauger«.

Sauger saugen nicht nur Magie, entlockte ihm kaum ein Lächeln. Dabei hatte er den früher total komisch gefunden.

Wie kann man einen Sauger stundenlang beschäftigen? Stell ihn vor den Spiegel und sag ihm, er soll Schnick Schnack Schnuck spielen.

Norman vergrub das Gesicht in den Händen.

Irgendwann wurde es ihm zu langweilig.

Der Flur war leer und still, als er den Abort verließ. Konnte er sich irgendwo verkriechen, bis es zum Abendessen läutete? Wie lange konnte er vor dem Kurs flüchten, bis sie ihn zurückschleppten? Würden sie ihn zurückschleppen oder gleich ins Gefängnis werfen?

Diese Frage beschäftigte ihn so sehr, dass er nicht aufpasste, als er um die Ecke bog. Plötzlich sah er sich fünf Leuten gegenüber, den langen Roben nach Hohe Magier. In ihrer Mitte ging Gunnar Krafft.

Norman starrte ihn an. Die Magier unterbrachen ihr Gespräch über die Finanzierung eines neuen Programms und starrten zurück.

»Warum bist du hier, Junge?«, fragte eine hagere Frau und deutete auf seinen Erstjahres-Trainingsbademantel. »Solltest du nicht in deinem Kurs sitzen?«

»Ja, ich … musste kurz raus«, stammelte Norman.

Gunnar stand vor ihm, so nah, dass er ihn fast anfassen konnte. Von nahem sah er noch heldenhafter aus. Gunnar blinzelte. Ein verwegenes Grinsen breitete sich auf seinen vollen Lippen aus.

»He, du bist doch der Kerl, der gestern bei der Prüfung so einen Aufstand gemacht hat.« Das Grinsen unter der Augenklappe wurde breiter. »Der Typ, der ein Motor werden wollte.«

Oh. Norman spürte, wie ihm die Hitze ins Gesicht schoss. Er nickte.

»Entschuldigung«, murmelte er.

»Dafür nicht«, sagte Gunnar. »Dein Auftritt war das Unterhaltsamste an der ganzen Veranstaltung.«

Die Magier setzten sich wieder in Bewegung und würdigten ihn keines Blickes mehr. Bis auf Gunnar, der ihm fröhlich zuzwinkerte. Ein Feuerpfeil bohrte sich durch Normans Herz. Verdammt! Seine Knie wurden zu Watte und sein Herzschlag zu einem wilden Pochen.

»Gunnar?«, fragte er leise. »Ich meine: Herr Krafft?«

Obwohl er fast flüsterte, hörte Gunnar Krafft ihn. Er blieb tatsächlich stehen, während die anderen weitergingen. Der Blick seiner stahlblauen Augen richtete sich auf Norman. Er sah noch besser aus als auf den Postern. Viel, viel besser. Ein wenig älter und noch männlicher.

»Was ist?«, fragte Gunnar. Er wirkte amüsiert. Norman ballte die Fäuste.

»Ich …« Er schluckte. »Ich wollte wirklich ein Motor werden. Ich wollte wie Sie sein. Damals, in Wørringen, da habe ich Sie gesehen und Sie haben uns alle gerettet und ich …« Mist, was für einen Scheiß verzapfte er hier? »Ich weiß nicht mehr, was ich tun soll«, endete er kläglich.

Gunnar verharrte. Die anderen waren schon um die Ecke gebogen und er musste bestimmt hinterher, aber er blieb stehen. Er rieb sich das stoppelige Kinn und musterte Norman in seinem dämlichen Bademantel.

»Junge«, sagte er. »Weißt du, was ich ohne meine Katalysatoren wäre?« Er schüttelte den Kopf. »Gar nichts. Verloren wäre ich gewesen, damals in Wørringen. Wenn sie mir keine Magie gegeben hätten, hätte ich die Monster nie besiegen können. Ohne Katalysatoren gibt es keine tausend Klingen. Klar, alle sind von Magie beeindruckt, wenn sie sie sehen können. Deshalb bewundern sie uns Motoren. Aber ein Katalysator ist genauso wichtig.«

»Ah.« Norman wusste nicht, was er sonst sagen sollte. »Dann … sollte ich versuchen, ein guter Katalysator zu werden?«

»Du hast es erfasst.« Gunnar legte die Hand auf Normans Schulter. »Wer weiß, vielleicht stehen wir ja irgendwann zusammen auf der Stadtmauer. Vielleicht gibst du mir dann die Magie, um ein Lavamonster einzufrieren.«

Ein freudiges Zittern rann durch Normans Körper und er betete, dass Gunnar das nicht merkte. Verzweifelt versuchte er, den Kloß herunterzuschlucken, der sich in seinem Hals gebildet hatte. Gunnar wollte mit ihm auf der Stadtmauer stehen.

»Ich … Danke. Echt. Also. Danke.« Er grinste blöd.

Gunnar nickte ihm zu, drehte sich um und verschwand hinter der Ecke. Norman blieb mit rasendem Puls zurück.

Er würde mit Gunnar die Stadtmauer verteidigen. Natürlich, so hatte er das noch nie gesehen! Gunnar brauchte einen Katalysator doch viel mehr als einen anderen Motor! Und Norman hatte nur daran gedacht, ihn zu beeindrucken! Er war viel zu egoistisch gewesen. All seine Träume von Feuerstürmen und Eisregen und so … wurden von einem neuen Traum ersetzt: Wie er Gunnar in letzter Sekunde zur Hilfe kam, als der, vollkommen magielos, drei Monstern gegenüberstand. Lavamonstern? Eismonstern? Egal! Im allerletzten Moment würde er aus dem Nichts kommen und Gunnars Hand berühren (eine Gänsehaut überzog seinen ganzen Körper, sobald er daran dachte) und ihm die Magie geben, die Gunnar brauchte, um die Monster zu zerfetzen!

Norman atmete schwer. Er ballte die Fäuste und lauschte dem Hämmern seines eigenen Herzens.

»Ich werde der größte Katalysator der Welt«, flüsterte er.

Verdammt magisch

Подняться наверх