Читать книгу Verdammt magisch - Regina Mars - Страница 8
3. Erweckungen
ОглавлениеEin Mann und eine Frau erschienen neben Gunnar Krafft und die Stimmung änderte sich. Wer jetzt noch stand, setzte sich. Der langweilige Teil würde hoffentlich schnell vorbei sein. Norman wollte endlich da rauf und seine Portion Magie bekommen!
»Danke, Gunnar«, sagte die Frau feierlich. Sie nickte Gunnar freundlich zu. Er verbeugte sich und präsentierte die beiden dann mit einer ausladenden Handbewegung. Er wirkte wie ein Marktschreier, der seine beste Ware anpreist.
»Darf ich um einen Applaus für Mary und Dante Johansson bitten? Die Direktorin und der Direktor des Arkanen Instituts.«
Sie bekamen ihren Applaus. Die Leute klatschten laut, aber nicht so frenetisch wie bei Gunnars Feuer-, Wind- und Eis-Show. Beide Direktoren waren grauhaarig und hatten ernste, würdevolle Gesichter. Kein Wunder, dass die sich so ähnlich sahen. Sie waren Geschwister. Das wusste Norman von seinen Sammelkarten-Lithographien.
»Guten Tag«, sagte Mary Johansson und lächelte ein kaum wahrnehmbares Lächeln. »Ich darf Sie alle recht herzlich bei der hundertelften Erweckungszeremonie unseres Instituts begrüßen. Wie die meisten von Ihnen wissen, beginnen einmal im Jahr all die Magieanwärter, die das 18. Lebensjahr vollendet haben, ihr Studium am Arkanen Institut. Es ist eine Zeit voll neuer Erfahrungen …«
Ja, das versprach, langweilig zu werden. Norman lehnte sich zurück. Den ganzen Schmu hatte er schon mindestens zehnmal gehört. Irgendwas mit Verantwortung, Keuschheit und neuer Abschnitt im Erwachsenenleben und dann erklärten sie noch, was Motoren und was Katalysatoren waren, als wüsste nicht absolut jeder darüber Bescheid.
»Motoren sind die Größten und Katalysatoren ihre Gehilfen«, murmelte er nach einer Viertelstunde Gelaber. »Als ob wir keine Ahnung davon hätten.«
»Dein Kumpel schaut, als wäre das alles neu für ihn.« Tore deutete auf Lauchi, der sich so weit im Sitz vorbeugte, dass er mit der Nase fast den Rücken seines Vordermannes berührte. Seiner Vorderfrau. Oh, das war Lina Oligthal, eine von Gunnars Katalysatoren. Auch von ihr hatte Norman eine Lithografie-Sammelkarte.
»Vielleicht ist er nicht von hier«, sagte Norman. »Also, wie sieht’s aus? Drei Schilling für jeden, den ich richtig rate. Und drei für euch, wenn ich falsch liege.«
»In Ordnung.« Tore nickte.
»Schillinge heißen jetzt Spechte«, sagte Brenna, die alte Klugscheißerin. »Wir hatten ’ne Währungsreform, schon vergessen?«
»Ist doch alles gleich geblieben«, murrte Tore. »Nur die Münzen sehen anders aus.«
»Ich mag die Vögelchen«, sagte Norman. »Vor allem, wenn ich sie gewinne. Gut, sagt mir einen.«
»Was ist mit der da?«, fragte Brenna und deutete auf eine stupsnasige Blondine.
»Hm«, sagte Norman. »Sieht harmlos aus, aber … schaut mal auf ihre Oberarme. Die sind stark und außerdem hält sie das Kinn richtig hoch. Motor.«
»Was? Niemals.« Tore lachte laut. Wieder drehten sich Leute um, um sie böse anzustarren. Wieder starrte Norman zurück, bis alle so taten, als wäre nichts.
»Motor. Hundertprozentig.« Norman verschränkte die Arme. Bei diesen Wetten irrte er sich nie. Er war so gut im Raten, dass er die Erweckungszeremonien stets mit prall gefüllten Hosentaschen verließ.
Sie rieten weiter, bis der langweilige Teil endlich vorbei war. Der Direktor faltete die Hände vor der Brust und hob seine Stimme.
»Nun erwecken wir die Anwärter und sehen, in welche Richtung ihr magisches Talent geht«, sagte er. »Einige sind Motoren, andere Katalysatoren. Aber sie alle sind wichtig für unsere Stadt. Sie alle verteidigen in jedem Sommer und jedem Winter unser Recht, hier zu leben.«
Applaus. Grimmiger Applaus, falls so etwas möglich war. Jeder hier hatte das Elend kennengelernt, gehungert und Liebste verloren. Alles wegen der Biester aus Nord und Süd, die jedes Jahr an den Stadtmauern kratzten. Norman würde die Viecher vernichten! So gründlich, dass sie sich nie wieder nach Løbago trauen würden. Er ballte die Fäuste so fest, dass seine Knöchel knackten.
»Genug der langen Worte!«, verkündete der Kerl, eine halbe Stunde zu spät. »Lassen wir die Zeremonie beginnen!«
Es wurde totenstill. Die vordere Reihe in den Polstersesseln erhob sich. Zwei Dutzend ältere Katalysatoren, gekleidet in die ledernen Winteruniformen mit den geschnürten Armschienen, marschierten auf die Bühne. Obwohl sie nur Katalysatoren waren, sahen sie beeindruckend aus. Ernst, gleichförmig und ganz in schwarz, bis auf die lila Bänder. Lila war ihre Farbe, so wie goldgelb die Farbe der Motoren war.
Sie reihten sich hinter den Direktoren auf wie eine schwarze Wand.
»Endlich!«, quietschte Brenna. »Es geht los!«
Norman schluckte. Auf einmal war er ein ganz klein wenig nervös. Nur minimal. Vielleicht hätte er nochmal aufs Klo gehen sollen.
Eine Bedienstete brachte den Direktoren ein unscheinbares Blatt Papier. Sie entfalteten es und sahen darauf und … irgendwo in der Liste stand Normans Name!
»Gudrun Lovell!«, rief Dante Johansson. Zwei Reihen vor Norman, Brenna und Tore sprang ein Mädel auf. Sie hastete durch die Bänke und stolperte fast auf dem Weg zur Tribüne. Nun war Norman gleich doppelt gespannt. Er hatte drei Spechte darauf gewettet, dass sie ein Katalysator war.
Gudrun Lovell stellte sich vor die Direktoren und verbeugte sich hastig. Die beiden nickten ihr knapp zu. Dann erklang ein Trommelwirbel. Ein dicklicher Kerl hämmerte sich die Seele aus dem Leib. Der Geiger neben ihm legte auch los.
Der Erste in der Reihe der Katalysatoren hob die Hände in die Luft. Sie konnten es alle nicht sehen, aber er zapfte Magie aus der Atmosphäre. Norman fragte sich, wie Magie im puren Zustand aussah. Waberte die durch die Gegend wie ein sichtbar gewordener Furz? Oder war sie netzförmig, so wie die Linien an Gunnar Kraffts mächtigem Körper?
Es hieß jedenfalls, dass sie überall war. Genau wie Luft. Unsichtbar, aber … da halt. Und nur die Katalysatoren konnten sie sehen und in sich aufnehmen. Doch die wahre Magie geschah halt erst, wenn sie sie an die Motoren weitergaben. Die konnten wirklich etwas damit anfangen! Verdammte Eisklingen werfen konnten sie und …
Norman zuckte zusammen. Nicht träumen! Der Katalysator trat vor und streckte beide Hände aus, die Handflächen gen Himmel gerichtet. Gudrun zögerte sichtlich, dann legte sie ihre Fingerchen in die Hände des älteren Mannes.
Einen Moment lang passierte nichts. Dann schrie sie auf. Ein heller Ton, der über den ganzen Platz fegte. Licht flackerte auf, umhüllte ihren Körper wie ein lilafarbenes Leuchtfeuernetz und … verschwand.
»Katalysator!«, verkündete der Direktor und Norman war um drei Spechte reicher. Gudrun ging, sichtbar wackelig, zu der selig lächelnden Katalysatorin am linken Rand der Tribüne. Die war letztes Jahr schon da gewesen. Eine seltsame Alte, gehüllt in eine Unmenge hauchzarten lila Stoffs. Sie umarmte Gudrun und flüsterte ihr irgendetwas ins Ohr.
Norman nahm drei Kupfermünzen entgegen und grinste. Ein paar Erweckungen später grinste er noch breiter. Ja, seine Taschen wurden schwerer. Die Nervosität war fast weg und er musste auch nicht mehr pissen.
»Tore Grün!«, rief die Direktorin und Tore fuhr zusammen.
»Scheiße!«, murmelte der Rotschopf, als er sich aufrappelte.
»Viel Glück«, flüsterte Norman. »Du packst das. Wir sind die Motoren der Macht, vergiss das nicht.«
Tore schenkte ihm ein dankbares Lächeln, dann eilte er nach vorne und auf die Tribüne.
»Ooh …« Brennas Hand lag plötzlich in Normans. Sie zerquetschte seine Finger fast. »Er wird es schaffen, oder? Du hast doch gesehen, was er wird, nicht wahr?«
»Jupp.«
Norman lehnte sich zurück und sah zu, wie Tore die Hände in die einer winzigen Katalysatorin legte. Goldenes Licht flammte auf und schlängelte um Tores Körper. Der Schein strahlte bis in ihre Gesichter.
»Motor!«, verkündete Dante Johansson. Norman und Brenna sprangen auf und grölten.
»Motoren der Macht! Motoren der Macht!«, brüllten sie, so laut, dass selbst die Direktoren vorwurfsvoll schauten. Und wie! Deren Blicke waren so gewaltig, dass Norman und Brenna hüstelten und zurück in ihre Sitze sanken.
Tore reckte die Arme in die Luft. Er schien um einen halben Meter gewachsen zu sein, als er auf die rechte Seite der Tribüne stolzierte. Da, wo schon zwei andere Motoren warteten und ihn abklatschten.
Brenna war die Nächste.
»Motor!«
Sie schrie nicht, als das goldene Licht sie erfasste. Klar, sie war ja auch hart im Nehmen. Ob es wehtat? Diesmal beschränkte Norman sich auf ein durchdringendes Jubeln.
»Norman Skødling!«, rief die Direktorin und Normans Herzschlag sprengte fast seine Brust.
»Na endlich«, seufzte er, so leise, dass niemand es hören konnte. Zwei Jahre Vorbereitung, zwei Jahre hartes körperliches Training und Enthaltsamkeit. Alles für diesen Moment.
Er erhob sich gelassen und marschierte aufrecht durch die Reihen. Er wollte es genießen, zum Hades! Mit beiden Nasenlöchern sog er den Geruch dieses Tages ein. Würstchen, Fett und Schweiß, immer noch. Egal. Er hörte das Murmeln des Publikums hinter sich und seine Nackenhärchen stellten sich auf. Es war so weit.
Die Holzstufen knarrten unter seinen alten Stiefeln. Die Tribüne wackelte ein wenig, als er auf die Direktoren zuging. Von Nahem waren sie beeindruckender als von Weitem. Streng und großgewachsen. So dicht bei ihnen sah er, dass ein feines Faltennetz beider Gesichter überzog und er roch, dass der Direktor Fischbrot mit Mayonnaise gefrühstückt hatte.
Norman verbeugte sich knapp. Nun, da er hier oben war, kapierte er erst, dass alle ihn ansahen. Zweitausend Leute starrten ihm auf den Hintern, als er das Haupt neigte. Seltsames Gefühl. Seine Handflächen waren mit einem Mal schwitzig-klamm.
Die Direktorin deutete auf einen bleichen Katalysator, der vortrat. Seine Lederuniform knarzte mit jedem Schritt leise und Norman musste sich davon abhalten, nervös zu kichern. Sie standen nun seitlich zum Publikum und er zwang sich, nicht hineinzuschauen. Zu sehen, ob seine Mutter vielleicht gekommen war.
Der Katalysator nickte ihm zu.
»Keine Angst«, flüsterte der Kerl, fast ohne die Lippen zu bewegen. »Es fühlt sich seltsam an, aber es tut nicht weh.«
»Ich hab keine Angst«, sagte Norman.
Natürlich nicht. Ein leiser Windhauch streifte seinen feuchten Nacken. Er holte tief Luft. Der Katalysator streckte die Hände aus und drehte die Handflächen nach oben. Norman sah Hornhaut, blaue Adern und ein paar Sommersprossen. Diese beiden Hände füllten sein ganzes Blickfeld aus. Sie waren sein Schicksal. Langsam ließ er die Luft über die Lippen fließen und legte die eigenen Finger auf sie.
Erst spürte er nur die angenehme Wärme, die von der fremden Haut ausging. Dann ein leichtes Prickeln. Es war wie das Gefühl, wenn man gähnte und sich reckte und … dann erwischte es ihn mit voller Wucht.
Etwas Kaltes schoss in seinen Körper und füllte ihn bis zum Platzen. Die Augen quollen hervor, er fühlte, wie alle Organe zur Seite gedrängt wurden, um der Kälte Platz zu machen und dann … Dann drang es durch seine Poren heraus und prickelte über die Haut.
Er keuchte leise. Am Hals war es besonders unangenehm. Verzweifelt fixierte er die blassgrünen Augen des Katalysators, um nicht zu schreien. Er biss die Lippen aufeinander. Nicht schreien. Auch, wenn etwas durch seinen Körper raste wie ein eisiger Termitenschwarm. Auch, wenn ihm der Schweiß ausbrach und er sich fühlte, als würde er bersten.
Norman glotzte in das bleiche Gesicht, bis er sicher war, dass er nicht kreischen würde. Dass er dieses Gefühl irgendwie aushalten konnte. Erst dann senkte er den Blick und sah an sich herab.
Ein grobmaschiges Magienetz umgab seinen Körper. Es wand sich in feinen Leuchtlinien um Brust und Arme und …
Die Linien waren lila. Nicht golden. So verdammt lila wie ein verdammtes Veilchen …
Nein, dachte Norman. Nein!