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Ein teambildender Kuss

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Alles ging schief. Zumindest lief es so schnell aus dem Ruder, dass Jean nicht mehr hinterherkam.

Jahrelang hatte er nur einen Wunsch gehabt: Aeron von Thrane zu töten. Rache zu üben für das, was er Maman angetan hatte. Die Welt von einem Monster zu befreien.

Was Jean dagegen auf keinen Fall gewollt hatte, war, wieder jemanden in Gefahr zu bringen. Wieder jemanden so nahe an sich heranzulassen, dass seine Kräfte zur Bedrohung wurden.

Und jetzt das.

Er stand auf einem Baugerüst, der eisige Wind strich um seine Wangen und er küsste Nat. Und er hatte schon seit einer halben Stunde nicht mehr daran gedacht, Aeron von Thrane zu köpfen.

Dabei dachte er ständig daran, diese eklige Drecksau zu köpfen. Ihm alles heimzuzahlen, endlich.

Endlich.

Es war schwer, sich darauf zu konzentrieren, wenn Nats Finger sich in seinem Nacken verschränkten. Er spürte ihre Wärme und die rauen Stellen, die das Schwertkampftraining ihm eingebracht hatte. Noch viel mehr spürte er Nats Lippen auf seinen. Weich. Sicher.

Jean löste sich von ihm. »Geht es dir gut?«

»Ja.« Nat lächelte. Er hatte sich die Brille in die wirren Locken geschoben, weil sie ständig beschlug. »Zum hundertsten Mal. Es geht mir gut. Ich fühle mich gut. Du saugst mir keine Lebensenergie ab.« Das Lächeln wurde noch strahlender. »Wirklich.«

»Und …«

»Du bist kein Monster, Jean. Überhaupt nicht.« Nat packte ihn am Kragen, als wäre er sein Coach. »Du bist ungefährlich.«

Jean hörte die Worte, aber er schaffte es nicht, sie zu glauben. Er machte sich los und ging ein paar Schritte zurück. Wandte sich ab. Packte die Umrandung des Baugerüsts. Sie war eisig, genau wie der Wind hier oben.

Er holte tief Luft und stieß sie wieder aus.

»Sicher?«, fragte er.

»Ja.«

Nat blieb, wo er war. Er war so geduldig. Irgendwie war alles, was Jean an ihm genervt hatte, in einem anderen Licht … anders. Eine Stärke statt einer Schwäche. Na, das meiste.

Es wäre so leicht gewesen, ihm zu glauben.

»Danke«, sagte Jean und blickte auf die Straße hinunter. Leer und grau. »Also. Ja.«

Er lehnte die Unterarme auf die Umrandung und schloss die Augen. Es roch nach Staub und Mörtel, aber auf seinen Lippen schmeckte er nur Nat. Lecker. Köstlich geradezu. Er versuchte, Luft zu holen, doch es fiel ihm schwer.

»Nichts zu danken.« Nat klang nahe. Er musste genau neben ihm stehen. Das Metall unter Jeans Armen bewegte sich, als der Vampir sich dagegen lehnte. »Ich weiß nicht, ob es dir aufgefallen ist, aber ich hatte Spaß an unserem Experiment.«

»Ah.«

»Also. Ja.«

Das Schweigen zwischen ihnen war gespannt wie eine Bogensehne, kurz, bevor der Pfeil flog.

Was jetzt?

Das Problem war, dass Jean keine Ahnung hatte, was zu tun war. Er wusste weder, wie er Nats Verhalten einschätzen sollte, noch sein eigenes. Bisher war er erst einmal in einer ähnlichen Situation gewesen und das war lange her. Sehr lange.

»Also«, sagte Nat erneut. »Ich schätze, wir können das Experiment als vollen Erfolg betrachten.«

Jean nickte.

»Also.«

»Also«, sagte Jean und öffnete die Augen. Er betrachtete Nat, der neben ihm stand, die Hände um das Geländer gelegt, weit zurückgelehnt. Die Brille saß wieder auf seiner Nase und er sah zu den Sternen auf. Jean räusperte sich. »Was jetzt?«

»Das musst du wissen.« Nat sah ihn verwundert an. »Ich meine, ich schätze, du solltest die Information sacken lassen und dir überlegen, ob du dich traust, es zu probieren. Also. Dir eine neue Freundin zu suchen.«

»Ich will keine neue Freundin«, knurrte Jean.

»Was willst du dann?« Etwas lauerte hinter den runden Brillengläsern. Hinter der unschuldigen Miene.

Jeans Blick wanderte zurück auf die Straße. Aber die war langweilig, also schloss er erneut die Lider.

Was willst du dann?

Er war nicht sicher, wann er begonnen hatte, Nat mit anderen Augen zu sehen. Direkt nachdem der ihm das Amulett besorgt hatte? Nach der Sache in Brandenburg? Als Jean Aeron direkt vor der Nase gehabt hatte … und prompt nicht mehr an ihn gedacht hatte, sobald Nat fast von Steinen begraben worden war?

Es wurde zum Problem, wirklich. Jean, der geschworen hatte, seine Fähigkeiten nie einzusetzen, becircte links und rechts Leute, sobald der Vampir in Gefahr war. Er wurde immer noch wütend, wenn er daran dachte, dass Nat sich vor die anderen Wächter gestellt hatte. Okay, Jean selbst hatte sich vor ein Pack Höllenhunde geworfen und war nur entkommen, weil Nat ihn aus dem Weg gezerrt hatte und …

Er seufzte leise. »Kannst du aufhören, dich vor andere zu stellen?«

Nat blinzelte. »Ich, also. Ich glaube nicht. Es ist das Richtige, meinst du nicht?«

Jean musterte ihn. Er dachte an etwas, das er irgendwo gehört hatte. Einen Moment vor dem Tod zeigte man sein wahres Gesicht. Er hatte Nat oft einen Moment vor seinem Tod gesehen. Weil dieser Klappspaten sich ständig in Gefahr brachte.

»Warum der Themenwechsel?« Nat schaute auf das Haus gegenüber, als würde es ihn nicht interessieren. Dabei saß seine alte Familie da drüben und veranstaltete einen Spieleabend. Sie lachten und jubelten, als wäre so ein Spieleabend nicht das Langweiligste auf der Welt.

»Nur so.« Jean war verstimmt. Er war nicht sicher, warum. »Wärst du gern da drüben?«

»Ich bin lieber hier mit dir.« Nat zuckte zusammen. »Ich meine, also … Das hier ist doch auch fast wie ein Spieleabend, oder?«

»Was?«

»Ich meine … nichts. Was machst du heute noch? Genießt du den freien Tag? Die freie Nacht?«

»Ich gehe trainieren. Hab viel zu viel verpasst, als ich in der blöden Zelle saß.«

»Ah ja.«

»Und du?«

»Ich weiß nicht. Vielleicht komme ich einfach mit zum Training. Oder zocke ein bisschen.« Nat neigte den Kopf. »Um ehrlich zu sein, kann ich nichts mit mir anfangen, seit … also.«

»Sag nicht immer also, wenn du was anderes meinst«, murrte Jean.

Nat schnaubte. »Was meinst du denn, was ich meine?«

Er wusste es nicht. Aber das würde er ganz bestimmt nicht zugeben. Lieber ließ er sich endlich ein paar Eier wachsen, sah Nat direkt in die Augen und holte tief Luft.

»Ich meine«, sagte er und musste die Fäuste ballen, damit seine Hände nicht zitterten. »Dass wir uns gerade geküsst haben. Und dass das … Dass es dir gefallen hat. Und mir auch.«

Nat sah ihn abwartend an. »Ja?«

»Also sollten wir … also.«

»Du hast also gesagt.«

Jean gab das Reden auf. Stattdessen legte er eine Hand an Nats Wange und sah ihn fragend an. Der blinzelte, nickte dann aber.

Sie küssten sich, bis Nats Brille wieder beschlagen war und sie beide halb erfroren waren.

»Also«, sagte Nat erneut. Seine Stimme klang so rau, als hätte er zwei Stunden lang gebrüllt. Die Wangen waren gerötet, vielleicht vom Wind, vielleicht vom Küssen. »Es wird langsam kalt. Was hältst du davon, wenn wir zu mir fahren und einen teambildenden Spieleabend veranstalten? Nur wir zwei?«

Jean war zutiefst schockiert, aber das ließ er sich nicht anmerken. Er war nämlich auch zutiefst dafür.

»Klar«, sagte er und merkte, dass er selbst klang, als hätte er ein Fußballspiel lang durchgegrölt. »Ich mag Spieleabende.«

Die Wächter von Magow - Band 10: Grün ist die Hölle

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